EKD Orientierungshilfe „Familie als verlässliche Gemeinschaft stärken“

Die EKD hat ihre neue Orientierungshilfe „Familie als verlässliche Gemeinschaft stärken“ heraus gegeben. Tatsächlich ist es der Kirche damit gelungen eine Debatte über das Verständnis von Ehe und Familie anzustoßen.

Vor allem aus konservativen Kreisen kam massiv Kritik an einer Abwertung der Ehe. Zeitungen reden von einem Kurswechsel der evangelischen Kirche.

Nüchtern betrachtet ist das Dokument weit weniger brisant, als es die Berichterstattung glauben will. Die Grundposition der Kirche hat sich nicht verändert. Die Ehe ist kein Sakrament sondern Teil der weltlichen Ordnung. Sichtbar wird das am 4. Kapitel „Verfassungsrechtliche Vorgaben und Leitbilder von Ehe und Familie im Familienrecht heute“. Ein ganzes Kapitel über Rechtsauffassungen unserer Gesellschaft gibt normative Vorgaben für den Umgang der Kirche mit der Ehe und Familie. Vieles ist also eng genommen gar keine Kursänderung der Kirche sondern die Reaktion auf Änderungen der Gesellschaft und gerade im Bereich der Ehe und Familie gab es in den letzten zwanzig Jahren deutliche Neuerungen in den gesetzlichen Grundlagen. So wurde die gleichgeschlechtliche Partnerschaft der Ehe rechtlich immer weiter gleich gestellt; Väter in ihrem Fürsorgeauftrag für Kinder gestärkt und zur Verantwortung gezogen und Frauen verstärkt zur Erwerbsarbeit gedrängt. Wie gerne ich es als Anhänger der feministischen Theologie auch sähe, das die Kirche hier einen Kurswechsel vorgenommen hätte. Sie hat es nur in sofern, als sie vielleicht an der ein oder anderen Stelle gesellschaftliche Entwicklungen, die zu den neuen Rechtsauffassungen geführt haben unterstützt hat. In einem Interview mit Domradio fasst EKD Ratsvorsitzender Schneider es treffend zusammen: „Die Wirklichkeit familiären Lebens hat sich aber in den letzten Jahrzehnten in unserem Land erheblich gewandelt. Und auch die Rechtsprechung und die Rechtsetzung haben sich dabei erheblich verändert. Darauf reagieren wir, indem wir die gesellschaftliche Realität in Relation zum biblischen Zeugnis setzen und eine Diskussion über Konsequenzen führen.“

Dieses Vorgehen brachte den AutorInnen die Kritik ein, sie würden auf dem Zeitgeist setzten und damit Raum für Beliebigkeit öffnen. Das wäre sicherlich der Fall, würde sich die Orientierungshilfe einseitig an den rechtlichen Vorgaben als Abbild der Gesellschaft orientieren. Sie hat aber auch eigene Leitlinien eingezogen. Familie ist ein durch Liebe, Verlässlichkeit und Treue eröffneter Raum, der Platz dafür gibt, das Menschen füreinander Verantwortung und Fürsorge übernehmen. In der Tat schließt diese Vorstellung auch gleichgeschlechtliche Paare, Patchworkfmilien oder außereheliche Gemeinschaften ein. In diesem Fall, ist die Position der Orientierungshilfe wirklich vielen Modellen offen. Mir ist dieser Ansatz aber lieber, denn er geht von einer Qualität und nicht von der Form einer Beziehung aus. Viele formale Ehebeziehungen können an dem qualitativem Anspruch scheitern, weil sie sich vielleicht in Beziehungen von Unterdrückung und Gewalt geändert haben. Nicht immer sind auch Liebe, Verlässlichkeit und Treue die ausschließlichen Gründe für eine Eheschließung. Es können auch finanzielle Motive, gesellschaftlicher Druck oder die Staatsbürgerschaft mit spielen. Auch den Anhängern einer formalisierten Ehe lässt sich daher eine Beliebigkeit unterstellen.

Ein weiterer Kritikpunkt ist für mich nachvollziehbar. Die theologische Orientierung empfinde ich auch als den schwächsten Teil der Orientierungshilfe. Die Tradition liest sich mit einer bestimmten Berechtigung als Sündenbekenntnis. Die Kirche hat in dem sie die Herrschaftsbeziehungen in der Ehe lange in der Trauagende verwendet dazu beigetragen, das ein patriachales Modell als Naturrrecht verklärt wurde (42).

Zwar weist die Orientierungshilfe darauf hin, das die Ehe als lebenslange Beziehung mit der Möglichkeit des Scheiterns problematisch ist (39). Doch das Scheitern als heikler Punkt rückt nicht genauer in die Betrachtung. Die Liebe als Grundlage der Beziehung entzieht sich der menschlichen Macht. Das ausbleiben der Liebe und die Scheidung sollten als empirische Wirklichkeit auch Einzug in die Orientierungshilfe finden.

Die Referenzen auf die Bibel bleiben sehr im allgemeinem. Dabei behalten sie die Offenheit der Exegese bei. Der Ansatz ist statthaft. Ich hätte mir mehr Parteilichkeit und konkretere Arbeit an dem biblischem Zeugnis gewünscht.

Ein Lapsus in im Punkt 51 unterlaufen. Dort stellen die AutorInnen zu Recht fest: „Allerdings gibt es auch biblische Texte, die von zärtlichen Beziehungen zwischen Männern sprechen.„ Die Angabe der Stelle muss Schneider dann in einem Interview mit der FAZ als 2. Samuel1,26: „Deine Liebe war mir köstlicher als Frauenliebe“ nachreichen.

 

Besonders interessant wird es dann bei den Problemen und Handlungsfeldern. Denn hier traut sich das Papier in einigen Punkten offensiv berechtigte Kritik anzubringen.

Viele Paare und Familien erleben Zeit heute aber als knappes Gut“ (57) weist auf eines der dringenden Probleme der Gegenwart hin. Daher ist zu fragen, „welche schulischen und beruflichen Rahmenbedingungen nötig sind, damit Eltern und Kinder, aber auch Paare gemeinsam etwas unternehmen können.„(58). Vor allem der Sonntag und die Feiertage sind hier von Bedeutung.

Auch bei der Aufteilung von Erwerbsarbeit und Sorgetätigkeit in der Familie gibt es kritische Anmerkungen. Frauenerwerbsarbeit ist der männlichen Erwerbsarbeit noch nicht gleich gestellt. Viele Frauen arbeiten für weniger Lohn oder sogar in prekären Arbeitsverhältnissen (62). Die Arbeit wird weiterhin meist nicht gerecht geteilt. (65) „Eine gleichberechtigte Aufteilung der Familien- und Erwerbsarbeit wird bislang zu wenig vorgelebt, sie ist zudem in Gesellschaft, Öffentlichkeit und Erwerbsleben weder akzeptiert noch institutionalisiert.

Der Punkt 70 fordert mit Recht die Gleichstellung mehrerer Formen von Arbeit. Leider kommt es hier wieder zu einem blinden Fleck. Was man als Kirche zu Recht von der Gesellschaft fordert, wird erfahrungsgemäß selber nicht immer so umgesetzt. Die Wertschätzung verschiedener Arbeiten ist meist in den Gemeinden auch eine andere. Ebenso ließe sich sicherlich kritisch die geschlechtliche Aufteilung bestimmter Aufgaben bei vielen Anlässen beobachten.

Familien sind nach wie vor einem größerem Armutsrisiko ausgesetzt. „Die Daten zur höheren Armutsgefährdung von Alleinerziehenden, aber auch zu Familien mit drei und mehr Kindern zeigen, dass ein scharfer Riss durch die Gesellschaft geht – und zwar zwischen denen, die mit Kindern leben, für sie und andere sorgen, und denen, die keine Kinder haben und damit dem Arbeitsmarkt uneingeschränkt zur Verfügung stehen.“ Zu recht fordern die Leitlinien daher die Solidarität innerhalb der Gesellschaft zu überprüfen. Denn „der internationale Vergleich zeigt außerdem, dass die Höhe der staatlichen Sozialausgaben nicht allein über das Ausmaß der Armut entscheidet, vielmehr ist ausschlaggebend, wie zielgerichtet sie Familien und Kindern zugute kommen.“(108)

 

Nichts kommt so heiß auf den Tisch, wie es die Presse bespricht. Die Ad Hoc Kommision hat eine solide Orientierungshilfe vorgelegt. Die fundierten Beobachtungen zu Problemfeldern eignen sich sogar wirklich für eine Debatte um die Familienpolitik.

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