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Betretenes Schweigen in der Synode der Nordkirche nach dem Vortrag von Bischöfin Fehrs: Die Nordkirche stellt sich dem Thema Missbrauch.

Der Bericht, den Frau Bischöfin Fehrs auf der Landessynode am 1. März 2014 zum Thema „Missbrauch in der  Institution Nordkirche“ gehalten hat, ist bemerkenswert und sollte in allen Landeskirchen Rezeption erfahren. Nachdem Frau Bischöfin Fehrs ihr Schlusswort gesprochen hatte, war bedrückende Stille im Saal.

Besonders erschreckend waren für alle Synodalen ihre Ausführungen zum Ahrensburger Missbrauchsskandal. In groben Zügen hat Frau Bischöfin Fehrs der Synode einen Einblick in „das System Missbrauch“ in Ahrensburg gegeben und hat Parallelen zum Missbrauchsskandal in der Odenwaldschule gezogen.

Die Größenordnung dieses Skandal und der andauernde Widerstand von Betroffenen, die nicht schon wieder beiseite geschoben werden wollten, hat so viel Druck auf die Kirchenleitung ausgeübt, dass eine unabhängige Expertenkommission Anfang 2013 ihre Arbeit begann, mehr Licht in „das System Missbrauch“ in Ahrensburg und der Nordkirche zu bringen. Frau Bischöfin Fehrs spricht auch den Vertuschungsvorwurf an. „Unsere definitiv fehlende Dokumentation im Kirchenamt etwa, als 1999 der Täter versetzt wurde. Vertuschung – das ist seither das Wort, das an der Kirche klebt. Vielleicht wird es auch nach einem Bericht der unabhängigen Expertenkommission so bleiben, ich rechne ehrlich gestanden damit. Auch übrigens nach den vergangenen 3 Jahren mit allen Versuchen, sich auf neue Weise der Verantwortung zu stellen und bei den Betroffenen wieder etwas „gut zu machen“, wissend, wie schwierig das zugleich ist. Vertuschung – das wird man schwer los.“ Zu viele offene Fragen und nicht klären von Verantwortlichkeiten schaden der Glaubwürdigkeit der Kirche am meisten. Denn das Ansehen der Kirche nach außen in Missbrauchsfällen/ Skandalen wahren zu wollen, bedeutet abwägen.

Doch Abwägen, wenn es um Leid geht?

Wie viel Leid Menschen allein im Ahrensburg durch sexualisierte Gewalt erlitten haben, das ist seit 2010 nur annäherungsweise deutlich geworden. Da ist tatsächlich noch ein langer Verstehensprozess und Lernen notwendig. Frau Bischöfin Fehrs hat einen guten Anfang mit ihren Gesprächen mit Betroffenen gemacht. SJ

1. März 2014: Bericht Missbrauch in der Institution Nordkirche
03.03.2014 | 5. Tagung der I. Landessynode der Nordkirche; TOP 2.1 am 01.03 2014
Bericht: Missbrauch in der Institution Nordkirche

…„Unfassbar, dass so etwas in Kirche vorkommt“ – so oft habe ich den Satz gehört. In ihm schwingt die Verunsicherung mit, die in den letzten 3 ½  Jahren mit Bekanntwerden der Missbrauchsfälle  zu spüren ist. Mitarbeitende in der Kirche – ehren- wie hauptamtliche fragen sich: Was ist vertrauensbildende Nähe, was ein Übergriff? Man fühlt den schmalen Grat. Das Thema konfrontiert immer auch mit eigenen Ängsten. Oder gar mit eigener Gewalterfahrung, so sie denn jemand erlitten hat. Es konfrontiert uns mit den dunklen Seiten unserer kirchlichen Institution. Damit, dass man das vertrauensvolle Selbstbild enttäuscht sehen muss. Und es konfrontiert uns schließlich mit der Frage, wie wir unserem Auftrag der Versöhnung gerecht werden –  zuvorderst im Blick auf die Betroffenen, aber auch im Blick auf Täter, die oftmals nicht in der Lage sind, zu ihren Taten zu stehen.
Was nun aber ist passiert? Die Berichte heute sind ein Baustein im Verstehensprozess in der Nordkirche, der ja längst schon in Nordelbien begann. Und Prozess heißt implizit: wir sind noch nicht am Ende des Verstehens. Vielleicht sogar erst ziemlich am Anfang. In jedem Fall aber gemeinsam auf der Suche – und dazu nun einige persönliche Wahrnehmungen und Erkenntnisse. Basierend auf all den Gesprächen mit den Betroffenen und gegen gelesen und überprüft  anhand von Fachliteratur und Medienberichten hat sich mir folgendes exemplarisches Bild von Missbrauchsstrukturen eingestellt: …“ Bericht von Bischöfin Fehrs auf der Synode am 1.3.14

Mehr Kontrolle für Kirchenvermögen notwendig

Von Philipp Förder. TÜBINGEN.

Seinen Kollegen hat er einen Bärendienst erwiesen. Das Finanzgebaren des Limburger Bischofs wird dafür sorgen, dass sich bei der Verwaltung des kirchlichen Vermögens einiges ändert, ist der Tübinger Sozialethiker Matthias Möhring-Hesse überzeugt.
Kirche muss nicht arm sein, sagt der 52-jährige Professor für Theologische Ethik/Sozialethik an der Uni Tübingen in einem GEA-Interview. Die Kirche muss aber anders mit ihrem Geld umgehen. Sie muss es anders anlegen und sie muss als Arbeitgeber dafür sorgen, dass sie durch prekäre Beschäftigungsverhältnisse nicht selbst Armut erzeugt.
Nach den Vorgängen in Limburg ist der Theologe und Soziologe überzeugt: Die Bischöfe werden das kirchliche Vermögen nicht mehr wie bisher im Dunkel des „Bischöflichen Stuhls“ lassen können. „Die Kirchenmitglieder bestehen zurecht auf Mitsprache, auf Transparenz und Kontrolle.“
Mehr dazu.

Kommentar: Was vordergründig nach Verschwendung eines Einzelgängers aussieht, offenbart im Kern ein Systemversagen. Die Ursache liegt in Machtverschiebungen und Machtkonzentration. Im Falle Limburgs also eine Machtkonzentration beim Bischof. „Absolutistisches Verhalten“ wurde ihm von Ehrenamtlichen schon lange attestiert. In solchen Systemen wird Kontrolle abgebaut oder geschwächt. Wie im Bistum Limburg par exellence sichtbar. An der Stelle ist aber der Bogen über die Grenzen des Bistums hinweg zu schlagen: ist es denn mit den Kontrollinstanzen in den anderen Bistümern besser bestellt? Welche Macht und Befugnisse haben die Rechnungshöfe/Rechnungsprüfungsämter? Arbeiten sie wirklich frei und unabhängig? Oder sind sie den Bischöfen, die ja kontrolliert werden müssen, etwa weisungsgebunden? Und die nämliche Frage gilt in gleicher Weise für die evangelischen Landeskirchen: sind dort die Kontrollinstanzen frei? wie sind sie personell ausgestattet? welche Befugnisse haben sie? Besser: welche Befugnisse haben sie noch? In der EKHN z.B. ist die Stelle des Leiters des Rechnungsprüfungsamtes aktuell im Amtsblatt wieder ausgeschrieben. Das war aber eine gewisse Zeitspanne gar nicht sicher. Denn die Kirchenleitung wollte die auch mit der Prüfung der Landeskirche befassten Stelle nicht mehr ausschreiben. Und die entsprechenden Befugnisse – dem fachlich im Verhältnis zur finanziellen Ausstattung überaus gut arbeitenden Amt – entziehen. Der Wunsch der Kirchenleitung war, die Prüfung der EKD zu übertragen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Anderes Beispiel: die EKiR. Die bei ihrer umfangreichen Strukturveränderung mit Übertragung vieler früher in den Kirchenkreisen angesiedelten Befugnissen auf die Kirchenleitung die Anpassung der Rechnungsprüfung nur sehr stiefmütterlich betrieb. Das birgt erhebliche Gefahren – wie die Vorfälle im Bistum Limburg zeigen. Wir werden darüber in einer anderen Ausgabe gesondert berichten.

Fazit: aus systemischer Sicht können die Vorfälle in Limburg zur Einsicht in die Bedeutung, die Stärkung und die bessere Ausstattung der Finanzkontrolle/Rechnungsprüfung führen. Diese Einsicht ist bitter nötig. In der katholischen wie auch in der evangelischen Kirche. Die Rechnungsprüfung war früher als fünftes Rad am Wagen der Verwaltung oft belächelt. In Transformationszeiten ist die Funktionsfähigkeit dieser Institution aber von entscheidender Bedeutung. Funktioniert sie gibt es Konflikte. Die sind aber auch wenn sie einmal hart ausgefochten werden sollten weniger schädlich als ein Image-GAU wie ihn Kirchen erleben, die die frühzeitige Kontrolle  unterbinden (wollen). Wie immens solcher Image-Schaden werden kann sieht man jetzt am Bistum Limburg. Und das ist eine gute Lehre.

Friedhelm Schneider

Über die Abgründe des Missbrauchssystems – Mea Maxima Culpa (Film und Besprechung)

Institutionalisiertes Schweigen der Kirche: Die Filmrecherchen führen bis in den Vatikan.

Die Opfer sind gehörlos und zum Schweigen gezwungen, der Täter ist ein Priester und als Autorität anerkannt: In einem von der katholischen Kirche geführten US-Internat kam es jahrzehntelang zu sexuellem Missbrauch. Alex Gibney schildert die Qual der Kinder in einem parteiischen, aber aufwühlenden Dokumentarfilm. Zum Artikel in der SZ.

Mea Maxima Culpa
STILLE IM HAUS DES HERRN. Ausgehend von dem Fall eines amerikanischen Paters, der sich über Jahrzehnte an Schutzbefohlenen verging, zeigt Oscar-Preisträger Alex Gibney, welches Ausmaß die pädophilen Verbrechen von Geistlichen angenommen haben und mit welcher Beharrlichkeit die Kirche zu den Missständen geschwiegen hat. Zum Film.