von von Prof. Thomas Kaufmann, 22. Juni 2013, Pfarrvereinstag Hannover
Der Vortrag besteht aus drei Hauptteilen. Aus den Themen zitieren wir an dieser Stelle je eine Passage.
I. In einem ersten Teil seines Vortrags referierte Prof. Kaufmann über die Entwicklung der Reformationsgeschichtsforschung in den letzten 30 Jahren
daraus: 7. Die Plausibilität der Reformation entschied sich nicht an einzelnen doktrinalen ‚Wahrheiten‘, sondern daran, dass Menschen in ihrer jeweiligen Lebenswelt mit diesen ‚Wahrheiten‘ etwas anfangen konnten, sie sich anzueignen vermochten. Der weitere Prozess der Reformation war entscheidend dadurch bestimmt, die Partizipationsmöglichkeiten bzw. Apperzeptionsbedingungen der Christen aller Stände durch Medien wie Katechismen, volkssprachliche Liturgien, die Bibel in der Volkssprache, Postillen usw. nach und nach entscheidend und nachhaltig zu verbessern.
II. Kritik an den Planungen des Reformationsjubiläums
daraus: 1. Ergebnisse der Wissenschaft werden nicht ernst genommen.
An der Vorbereitung des Mega – Events sind, so scheint es, recht viele Personen, Gremien und Institutionen beteiligt; wie allenthalben, so herrscht auch hier die ‚neue Unübersichtlichlichkeit’. Definitive Auskünfte über all das zu geben, bin ich ungeeignet; die Organisationsstruktur ist, soweit ich weiß, in mancher Hinsicht als vorerst letzte Realisierungsgestalt der vielbeschworenen und –geschmähten Symbiose von Thron und Altar zu deuten: Politiker insbesondere der Sitzländer der Reformationsgedenkstätten sitzen mit Wirtschaftsexperten und Kirchenführern vor allem der EKD-Ebene in gemeinsamen Gremien und beraten Maßnahmen für das Reformationsjubiläum; Kuratorien verteilen Gelder für kulturelle Projekte im Zusammenhang mit dem Jubiläum, insbesondere Bauvorhaben; Koordinationsstellen und Referentenposten werden geschaffen; Personen, die mit der wissenschaftlichen Bearbeitung der Reformationsgeschichte befasst sind, spielen bei diesen Vorgängen kaum eine Rolle. Der Wissenschaftliche Beirat, den der Rat der EKD für das Jubiläum eingesetzt hat, scheint nur dann in Anspruch genommen zu werden, wenn es opportun ist. Ansonsten werden, soweit ich höre, nach technokratischer Gutsherrenart Akteure ausgetauscht oder fügsame, hyperadaptive Personen mit zweifelhafter Qualifikationen um Aufgaben gebeten, für die sich der Wissenschaftliche Beirat zuständig weiß. Demnächst steht ein Krisengespräch bevor, in das der Ratsvorsitzende involviert wurde. Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirates haben unabhängig voneinander mir gegenüber über die Intriganz von Funktionären geklagt; durch unlängst erschienene Publikationen ist öffentlich bekannt geworden, dass Beiratsmitglieder daran zweifeln, dass die EKD an wissenschaftlich vertretbaren Motiven und Begründungen im Zusammenhang des Reformationsjubiläums ernsthaft interessiert ist. Das Ziel scheint eher in Richtung auf eine Instrumentalisierung zu gehen.
III. Das allgemeine Priestertum und die Organisationsgestalt des reformatorischen Christentums in europäischem Horizont.
daraus: `Die Kirche im Dorf lassen´ und sich für die Welt öffnen
Die evangelische Christenheit hat keinen Anlaß, sich angesichts der Europathematik anders als selbstbewusst zu gerieren. Die Konturen eines evangelischen Europas liegen freilich vor der Epoche der Nationalismen. Die Beschäftigung mit der Reformation hilft, sie freizulegen und als heutige Möglichkeit wiederzuentdecken. Die organisationsgeschichtlichen Folgen der reformatorischen Christentumsgeschichte sind, zumal wenn man sie in einen europäischen Horizont rückt, ausgesprochen komplex. Sie haben das Ihre dazu beigetragen, die spezifisch europäischen Umformungsprozesse, die wir Moderne nennen, zu forcieren. Sie haben dazu beigetragen, in spezifisch europäischer Manier ‚die Kirche im Dorf’ zu lassen und sie zugleich für die Welt zu öffnen. An diese Zusammenhänge zu erinnern heißt, darauf zu insistieren, dass es von einem reformatorischen Kirchenverständnis her keine Alternative dazu gibt, alles uns Mögliche dafür zu tun, die Kirche am Lebensort der Menschen zu erhalten. Die Beschäftigung mit der Reformation kann also dazu helfen, angesichts unübersichtlicher Optionen Kriterien für Prioritäten zu finden.
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