Revisted: Geschichte und Hintergründe der Eliminierung der Befreiungstheologen in Lateinamerika. Von Prof. Noam Chomsky, MIT

2010, Von Noam Chomsky *

„…Außer gegen Kuba richtete sich die Plage des Staatsterrorismus in der westlichen Hemisphäre 1964 auch gegen Brasilien, das durch einen Staatsstreich in einen der ersten in einer ganzen Reihe von neofaschistischen Nationalen Sicherheitsstaaten verwandelt und eine bis dahin in dieser Hemisphäre nicht gekannte Plage der Repression entfesselt wurde. Dahinter stand immer Washington, weshalb sich dort eine besonders gewalttätige Form des staatlich gelenkten internationalen Terrorismus entwickelte. Die Kampagne [in Brasilien] war in hohem Maße ein Krieg gegen die Kirche. Es war mehr als nur symbolhaft, dass sie im November 1989, nur wenige Tage nach dem Fall der Berliner Mauer, ihren Höhepunkt fand in der Ermordung von sechs führenden lateinamerikanischen Intellektuellen. Diese sechs Jesuitenpriester wurden durch ein salvadorianisches Elitebataillon ermordet, das gerade frisch von einem Lehrgang an der John F. Kennedy Special Forces School in North Carolina kam. Wie erst im letzten November bekannt wurde – offensichtlich ohne auf ein sonderliches Interesse zu stoßen –, war der Mordbefehl durch den Armeechef und seinen Stab unterzeichnet worden, die alle so eng mit dem Pentagon und der US-Botschaft verbunden waren, dass es kaum vorstellbar ist, dass Washington nichts von den Plänen dieses Musterbataillons gewusst haben soll. Diese Eliteeinheit hatte bereits eine Blutspur hinterlassen mit den in diesem fürchterlichen Jahrzehnt der 1980er Jahre in El Salvador üblichen Opfern. Das erste war Erzbischof Romero, die „Stimme der Unterdrückten“, dessen Mörder aus eben diesen Kreisen kamen.

Die Ermordung der Jesuitenpriester war ein vernichtender Schlag gegen die Befreiungstheologie, jene bemerkenswerte Wiederbelebung des Christentums, initiiert von Johannes XXIII. auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil, das er 1962 eröffnet hatte. Eine Veranstaltung, mit der eigentlich „eine neue Ära in der Geschichte der katholischen Kirche eingeleitet“ werden sollte, wie es der herausragende Theologe und Historiker Hans Küng damals ausdrückte. Inspiriert durch das Zweite Vatikanische Konzil, nahmen die lateinamerikanischen Bischöfe die „Option für die Armen“ an und erneuerten den radikalen Pazifismus des Evangeliums, der praktisch gegenstandslos geworden war, seit Kaiser Konstantin der Große das Christentum zur offiziellen Religion des Römischen Reiches gemacht hatte. „Eine Revolution“, so Küng, die aus der „verfolgten Kirche“ eine „verfolgende Kirche“ machte. Nachdem Zweiten Vatikanischen Konzil wurde versucht, die Lehre des Christentums aus der Zeit vor Konstantin dem Großen neu zu beleben. Priester, Nonnen und Laien trugen die Botschaft des Evangeliums zu den Armen und Verfolgten [Lateinamerikas], schlossen sie in „Basisgemeinden“ zusammen und ermutigten sie, ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen und gemeinsam das Elend des Überlebenskampfs im brutalen Herrschaftsbereich der USA zu überwinden. Die Reaktion auf diese schwere Ketzerei folgte schon bald. Die erste Salve war der noch zu John F. Kennedys Lebzeiten geplante und 1964 durchgeführte Militärputsch in Brasilien, mit dem eine leicht sozialdemokratisch angehauchte Regierung gestürzt und ein mit Folter und Gewalt herrschendes Regime errichtet wurde. Die Kampagne endete mit der Ermordung der jesuitischen Intellektuellen vor 20 Jahren. Es ist viel darüber diskutiert worden, wer den Anstoß zum Fall der Berliner Mauer für sich reklamieren kann, aber es wird kein Wort darüber verloren, wer die Verantwortung trägt für die brutale Zerschlagung des Versuchs, die Kirche des Evangeliums wiederzubeleben. Washingtons School of the Americas, berüchtigt wegen ihrer Ausbildung lateinamerikanischer Mordkommandos, warb voller Stolz damit, dass die Befreiungstheologie „mit Unterstützung der US-Armee besiegt wurde“ – sicher nicht ohne Unterstützung des Vatikan, der dazu die sanfteren Mittel des Kirchenausschlusses und der Unterdrückung abweichender Lehre einsetzte. 

Zum Vortrag „Die üble Geißel des Terrorismus“ – von Noam Choamsky.

Am 23. März 2010, dem 110. Geburtstag des Psychoanalytikers Erich Fromm (1900-1980), wurde der Sprachwissenschaftler und politische Intellektuelle Noam Chomsky mit dem Erich-Fromm-Preis 2010 ausgezeichnet. Die Internationale Erich-Fromm-Gesellschaft würdigte damit Chomskys akademisches Lebenswerk, vor allem aber »sein von öffentlichen Meinungen unabhängiges Urteil«. Wir dokumentieren die schriftliche Fassung von Chomskys Rede. Redaktionelle Anmerkungen erscheinen in eckigen Klammern. 

 

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