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Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Siglitz zu „Fesseln der Buchführungssysteme“. Parallelen zu kaufmännischen Systemen. Oder: Gefahren der Doppik in der Kirche.

07/2015

Joseph Stiglitz zu staatlichen Buchhaltungssystemen (in: Chancen der Globalisierung, 2006, S. 200)

„Die Buchführung ist wichtig, weil sie Entscheidungen beeinflusst… Orientieren sich Länder stärker am grünen NSP (grünes Nettosozialprodukt), würden sie mehr für Umweltschutz ausgeben… Auch die Berechnungsweise von Defiziten muss geändert werden… die insbesondere jene Fälle vermerken, in denen Verkäufe von Vermögenswerten … in irreführender Weise dazu benutzt werden, die Defizite  niedriger erscheinen zu lassen, als sie tatsächlich sind. Länder können ihre Defizite verringern, in dem sie Wälder abholzen, Staatsvermögen verkaufen oder ihre natürlichen Ressourcen zu einem Bruchteil ihres vollen Wertes zu verschleudern. … Um den Fesseln der Buchführungssysteme zu entgehen, privatisieren viele Länder zu ungünstigen Bedingungen, so dass sie sich, völlig unnötig, selbst arm machen und ihre Zukunft gefährden.“

Über die Gefahren der Doppik hinsichtlich ihres Informationsgehaltes hatten wir in den Wort-Meldungen schon des Öfteren berichtet. U.a. auch anhand der Ausführungen von Koryphäen der Managementlehre wie Fredmund Malik (St. Gallen) oder Harvard-Prof. George Sandel.

Wir führen diese grundsätzlichen Betrachtungen hier fort mit Aussagen des Nobelpreisträgers Joseph Stiglitz zu volkswirtschaftlichen Systemen. Die Erkenntnisse können aber ohne größere Abstriche auf die Kirche und das kirchliche Buchhaltungssystem übertragen werden.

Die Frage ist: wie wird ein Schuldner zur Herausgabe seines Vermögens getrieben? Nun waren Kirche (und Gemeinden) bislang keine Schuldner. Ein reales Defizit (etwa an Liquidität) bestand nicht und besteht nicht: noch sprudeln die Kirchensteuereinnahmen.

Damit das System funktioniert, muss das Defizit also zunächst noch geschaffen werden. Und da kommt das Buchhaltungssystem ins Spiel. Die Kameralistik gibt das nicht her. Zu diesem Zweck braucht es die Doppik. Jetzt braucht es Abschreibungen auf vorher mit großem Sielraum festgelegte Immobilienwerte. Und jetzt droht das rechnerische Defizit. Die solcherart arm gerechneten Einrichtungen oder Gemeinden müssen dann genau das tun, was auch Staaten (vom IWF) abverlangt wird: sie müssen ihre Defizite verringern, indem sie Kirchenvermögen verkaufen. Genau das ist landauf-landab in der Kirche geschehen, etwa flächendeckend in der EKiR schon heute sichtbar mit Gemeindeimmobilien, oder in mehr oder weniger allen Landeskirchen mit Tagungshäusern aller Art. Damit wurden nun aber weder die realen immobilienwirtschaftlichen Aufgaben in den Blick genommen, die ein echtes Controlling hätte erstellen können. Noch kamen die wahren „Defizite“, die eigentlichen Probleme der Kirche in den Blick. Ganz im Gegenteil.
Erstaunlich: dass selbst ökonomische Laien allein mithilfe des gesunden Menschenverstandes die Problematik erkennen konnten, wenngleich ihnen die Worte fehlten, das Problem zu verbalisieren. Daher hat die Kirche weit in die Basis hinein Vertrauen durch falsches Management, basierend auf einem falschen Buchführungssystem, verspielt.
In Landeskirchen, die die Doppik noch nicht eingeführt haben, die also noch im status problembehafter Piloten sind, wie etwa die EKHN, ist man sich dieser eigentlichen Problematik offensichtlich noch immer nicht bewusst. Hier sorgen bislang allein grobe handwerkliche Schnitzer bei der Implementierung für Frust.  Aber das dicke Ende wird erst noch kommen. Wenn die neue Buchhaltung Doppik Verkaufsentscheidungen von Vermögen (Gebäude, Grundstücke) erzwingt für Defizite, die allermeist nur in den Büchern stehen.

Am Erstaunlichsten von allem: die Kirche hat sich diese Fesseln selbst angelegt. Und für die eigenen Fesseln auch noch Unsummen an Kirchensteuermitteln verschwendet. F.S.

 

Was George Sandel mit der Doppik/NKF in der Kirche zu tun hat

George Sandel: Was man für Geld nicht kaufen kann, Berlin 2012

Als Papst Benedikt die USA besuchte, las er Messen in Stadien in New York und Washington. Für die kostenlos ausgegebenen Karten entwickelte sich ein Schwarzmarkt, bei dem bis zu 200 Dollar für eine Karte geboten wurde. Die Kirche protestierte: „Die Feier eines Sakraments sei mit Geld nicht aufzuwiegen“. – Dies ist nur eines vieler Beispiele, wie Markt- und ökonomistisches Denken in alle Bereiche des Lebens eingedrungen sind: in die Politik, die Medizin, die Bildung, Sport – und auch in Kirche und Religion.

Für Den Autor und Harvard- Professor Sandel stellt sich anhand etlicher Beispiele aus der Lebenswirklichkeit die Frage: wollen wir eine (zu begrüßende) Marktwirtschaft oder eine die Gesellschaft im Kern bedrohende Marktgesellschaft? Bisher verhinderte ein prekärer Diskurs die Dominanz von Argumenten über das gute Leben in die Politik – und ließ banales, marktkonformes, gegenüber Werten neutrales Denken triumphieren. Was es daher heute braucht ist eine Debatte darüber, in welchen Bereichen Märkte dem Gemeinwohl dienen und wo sie eben nichts zu suchen haben. Denn: Märkte und Kommerz verhalten sich gegenüber dem Charakter der von ihnen erfassten Güter eben nicht neutral, sondern verändern ihn. Im eingangs genannten Beispiel der Papstmesse wird das offensichtlich. Die Reaktion zeigte, dass man erkannt hat, dass Güter beschädigt oder entwertet werden, wenn man sie kommerzialisiert, im Beispiel also die Eucharistie käuflich zu erwerben ist. Das wird in dem besonderen Fall zwar besonders eindrücklich, trifft aber generell zu: Der Charakter der Güter verändert sich unter Marktbedingungen. Diese Erkenntnis führt zwangsläufig zu der Frage, wie weit denn der Markt reichen dürfe. Und wo dem Markt Grenzen gezogen werden müssen, damit die Gesellschaft selbst keinen Schaden nimmt. Denn Marktdenken führt anders als herrschende (und für Crashs verantwortliche) Ökonomen gerne behaupten, in anderen Sektoren als der Ökonomie selbst eben gerade nicht zu höherer, sondern zu geringerer Wirksamkeit. Sandel belegt das bspw. mit Studien zur intrinsischen Motivation aus der Schweiz. Sie haben gegenüber der marktkonformen extrinsischen Motivation eine geringere Wirkung. Damit sind wir mitten in einer in der kirchlichen Reformdebatte heiß diskutierten Frage. Weil die kirchlichen Reformen ja gerade die intrinsische Motivation zerstört wie etwa Prof. Michael Welcker oder Prof. Isolde Karle u.a. nicht müde werden zu betonen. Und folglich die von den Reformern intendierte Wirksamkeit kirchlicher Arbeit gerade schwächen.

Ein weiteres zentrales kirchliches Reformthema ist durch die Darstellung von Sandel ebenfalls berührt, wenngleich dort selbst nicht erwähnt: die Frage des Rechnungswesens. Denn Märkte und Kommerz verändern den Charakter der von ihnen erfassten Güter – so Sandel. Das gilt in der Kirche analog für das Rechnungswesen. Eine Umstellung von der (erweiterten!) Kameralistik auf die Doppik ist wie wir in Beiträgen im Monatsthema Mai 2013 darlegen konnten, organisatorisch eine Herausforderung, ein „Jahrhundertprojekt“. Und es verursacht hohe Kosten bei einem nicht feststellbaren Nutzen (vgl. den Beitrag von Prof. Bogumil, Bochum, im Dt. Pfarrerblatt). Allein diese Fakten wiegen überaus schwer. Viel schwerer wiegt aber die Tatsache, dass mit der Doppik ein Marktdenken in die Kirche eindringt, das dem Charakter der Kirche diametral entgegenläuft. Und das sich dem Gegenstand gegenüber nicht neutral verhält, sondern seinen Charakter verändert. „Die Feier eines Sakraments sei mit Geld nicht aufzuwiegen“, stellten die Kirchen in den USA anlässlich des Schwarzmarktes für die Karten zur Papstmesse fest. Analog gilt noch viel mehr: „Der Wert der/einer Landeskirche lässt sich monetär nicht bewerten!“. Genau das geschieht aber in der Bilanz. Die Bilanz bewertet die Summe dessen, was Kirche ausmacht und zu kirchlichem Handeln gehört, monetär. Aus theologischer Sicht geht das aber gar nicht! Spätestens dann, wenn eine ernsthafte theologische Debatte um die Doppik einsetzt, spätestens dann wird die Doppik nicht nur als (im Vergleich zu einer erweiterten Kameralistik) nutzlos und teuer, sondern als im Kern schädlich erkannt werden.  Denn Doppik/NKF ist kein Beleg einer sich auch in der Administration endlich modernisierenden, auch wirtschaftlich handelnden Organisation, sondern Symbol einer angepassten Marktkirche – und damit eine Parallele zu der von Sandel beschriebenen gesellschaftsschädigenden Marktgesellschaft. 

Pfr. Friedhelm Schneider