eingestellt 07/2015, von Wolf-Rüdiger Schmidt
Wenn es nicht an der Potsdamer Universität ein Abraham Geiger Kolleg gäbe, an dem Rabbiner studieren können und ausgebildet werden, würde an den großen Gelehrten und liberalen Lehrer des Judentums kaum noch irgendwo in Deutschland erinnert. Noch nicht einmal die Stadt, in der Abraham Geiger im Wesentlichen seine durchaus radikalen Positionen entwickelte, nämlich Wiesbaden, verweist an irgendeiner Stelle, mit irgendeinem Namen oder Platz auf diesen bedeutenden Vertreter einer Wissenschaft des Judentums, der wie kaum ein anderer die innere Entwicklung der jüdischen Gemeinden weltweit geprägt hat.
Wer ist dieser Abraham Geiger, der von 1810 bis 1874 lebte? Zunächst war er ein bedeutender Wissenschaftler und Gelehrter, der mit 22 Jahren bereits durch eine prämierte Forschungsarbeit unter dem Titel „Was hat Mohammed aus dem Judenthume aufgenommen?“ den Islamwissenschaften einen entscheidenden, bis ins 20. Jahrhundert ausstrahlenden Impuls gab. Geiger ist darüber hinaus so etwas wie ein radikaler theologischer Schrittmacher. Er verfolgte in seiner wissenschaftlichen Arbeit konsequent den Gedanken der geschichtlichen Entwicklung der Religionen, besonders auch des Judentums. Das trifft tief ins Herz jeder Religion, die ihre Texte als übergeschichtlich, geoffenbart und heilig verehrt.
Geiger – das lässt sich nicht übersehen – ist als Nachfolger der Haskala, der jüdischen Aufklärung, auch ein großer Provokateur, an dem sich das Judentum des 19.Jahrhunderts bis heute nachwirkend spaltet – ganz gegen seinen eigenen Willen. Geiger war zudem ein wortgewaltiger Prediger. Er wollte den beginnenden Kampf zwischen Reform und Treue zum Gesetz, zur Tora, zwischen Liberalität und Orthodoxie in seiner Person, in einer Gemeinde, der Einheitsgemeinde zusammen halten. … zum Artikel.