Schlagwort-Archive: Kirchenreform

Ergänzender Rückblick: Bericht der Ökumenischen Visite in der Evangelischen Kirche im Rheinland 11. – 21. Juni 2015

01/2018

…Wenn es um quantitatives Wachstum geht, sollte es nicht nur um die Zahl der Kirchensteuerzahler
gehen, sondern auch um die der Gottesdienstbesucher und aktiven Gemeindeglieder,
denn das spiegelt die Situation der Kirche besser wider. Die theologische
Rede der Kirche sollte stärker trinitarisch sein, d.h., sie sollte auch wieder klarer
und deutlicher von Jesus Christus und dem Wirken des Heiligen Geistes sprechen. Die
Kirche sollte mehr darüber nachdenken, wie sie strukturellen Ballast abwerfen und mit
„leichtem Gepäck“ weitergehen kann…

Mehr dazu.

Anm. F.S.: Erstaunlich, wie nah die Vertreter der aus völlig anderen gesellschaftlichen,
staatlichen und kirchlichen Zusammenhängenden Teilnehmer der „Ökumenischen Visite“ der
Linie der EKiR und der EKD (Kirche der Freiheit) sind. Ob da der Heilige Geist gewirkt
hat? Oder doch eher der Kopierer?

Martin Urban: „Ach Gott, die Kirche!“ Eine Buchbesprechung von Klaus Nagorni

Pfarrvereinsblatt 11-12/2016

Protestantischer
Fundamentalismus und
500 Jahre Reformation.
dtv Verlagsgesellschaft München, 2016,
272 Seiten, 14,90 Euro
Kirche werde „mehr und mehr zur Kirche der Ahnungslosen. Die Institution wird konservativer, ihre Fundamentalisten werden lauter“. Hingegen sei beim „Dialog mit den Intellektuellen über ein für unsere Zeit angemessenes Weltbild“ nur Fehlanzeige festzustellen… „Die Kirche der Reformation muss ihren Fundamentalismus überwinden und wieder die Kirche der Aufklä- rung werden“. Er will „die Gebildeten unter den Kirchensteuerzahlern ermuntern, den Mund aufzumachen“, denn „sie könnten die Profanierung der Institution zum bloßen Sozialverein verhindern“.

vgl. S.59 / 507 (print)

„Kirche der Freiheit“ oder Kirche der Verantwortung? Ein engagierter Christ begründet seinen Kirchenaustritt.

06/2015, Beitrag mit freundlicher Erlaubnis aus den „Zwischenrufen“ übernommen

Der Autor dieses Textes, Matthias Burchardt, ist Akademischer Rat am Institut für Bildungsphilosophie der Universität zu Köln. Neben seiner Kritik an Transformationsprozessen im Bildungswesen (Pisa, Bologna) gilt sein Augenmerk auch den sog. „Reformen“ in der Ev. Kirche.
Der nachfolgende Text ist zwar aus dem Jahr 2008, aber immer noch aktuell, zumal die von Burchardt befürchteten destruktiven Auswirkungen der neoliberalen „Modernisierung“ immer deutlicher zu Tage treten.

Begründung meines Kirchaustrittes
Aus Protest gegen das Impulspapier ›Kirche der Freiheit‹ und dessen Umsetzung durch die EKD trete ich bis auf weiteres aus der Evangelischen Kirche aus.
1. Die ›Kirche der Freiheit‹ ist durchdrungen vom Jargon und den Modellen des Neoliberalismus. Ich betrachte das Dokument als sinnfälliges Symptom einer Immunschwäche der leitenden Kircheninstitution gegenüber einer gesellschaftlichen Tendenz, die von Soziologen treffend als ›ökonomischer Totalitarismus‹ bezeichnet wird.
2. ›Ökonomischer Totalitarismus‹ ist die Homogenisierung aller Lebensbereiche einer Gesellschaft durch das Regime des Managements. Dieses Regime expandiert das Kosten-Nutzen-Kalkül als alternativlose Rationalität, setzt Individuen und Gemeinschaften einem externen Marktdruck aus, indem es ein Kraftfeld der Konkurrenz um knappe Sozialchancen errichtet, auf dem nur derjenige besteht, der ›Alleinstellungsmerkmale‹ ausbildet und seine Humanressourcen besser ausschöpft als die Wettbewerber. Diese Doktrin der Selbstvermarktung unter der kaum verhohlenen Drohung eines ›Rechts des Stärkeren‹ macht Menschen krank und erzeugt soziale Verwerfungen. McKinsey, federführend beim EKD-Papier, ist keine unabhängige Beratungseinrichtung, sondern interessierter Akteur, der die Transformation der Gesellschaft in diesem Sinne vorantreibt.
3. Es ist eine Illusion, die aufgrund der Erfahrungen mit der neoliberalen ›Modernisierung‹ im Bildungsbereich als solche durchschaubar wäre, dass durch eine ökonomistische Optimierung der ›Organisation‹ die eigentlichen Zwecke der Kirche erfolgreicher verfolgt werden könnten. Genau das Gegenteil wird der Fall sein: Die im Papier ›Kirche der Freiheit‹ intendierten Mittel werden die ursprünglichen Zwecke korrumpieren und schließlich liquidieren. Die metrischen Verfahren der Qualitätssicherung beispielsweise wirken implizit normativ, und was in einer Brötchenfabrik möglicherweise funktioniert, wirkt dort fatal, wo Qualität – wie in der Kirche oder in der Bildung – nicht quantifizierbar oder nach den Kriterien der Kundenzufriedenheit oder der Prozesseffizienz zu definieren ist. Der Horizont legitimierbarer Zwecke schrumpft zusammen auf das, was sich messen und zum Gegenstand von Zielvereinbarungen machen lässt (z.B. Taufquoten steigern).
4. Ich plädiere für eine ›Kirche der Verantwortung‹, die sowohl programmatisch als auch institutionell eine Alternative zur inhumanen und nihilistischen Totalisierung des Management-Kalküls bietet. Gerade in den sich ankündigenden Zeiten der wirtschaftlichen Krise und den damit verbundenen sozialen Ungerechtigkeiten sollte m. E. die Verantwortung der Kirche darin bestehen, in ihren Beschäftigungsverhältnissen einen humaneren Lebensentwurf zu verwirklichen als es in Wirtschaftsunternehmen, Schulen, Krankenhäusern oder Universitäten der Fall ist. Mehr noch ist die Kirche aber als eine Sinnmacht gefordert, die die drängenden existenziellen und sozialen Fragen vor dem Hintergrund der Offenbarung stellt und der historischen Stunde entsprechend und d.h. auch unzeitgemäß beantwortet. Eine Optimierung von Funktionen ist eben nicht identisch mit der Stiftung von Sinn.
Meine Kritik richtet sich ausdrücklich nicht gegen die engagierten Vertreter der Kirche in meiner Gemeinde. Trotzdem erscheint es mir vor dem Hintergrund der angeführten Thesen ein Gebot meines Gewissens zu sein, ein Zeichen gegen diese bedenkliche Entwicklung zu setzen. An meinem christlichen Bekenntnis halte ich fest!

im Dezember 2008,
Matthias Burchardt

Dogmatische Arbeitsbeschaffungsmaßnahme? Arbeitsbericht zur Neuauflage der Bekenntnisschriften in der Badischen Landeskirche.

05/20115, Wolfgang Vögele

– Was sollen wir denn damit?
– Da haben wir noch nie hineingeschaut!
– Das soll ich einmal unterschrieben haben?

Solche Aussagen kann man hören, wenn Pfarrer und Älteste zum ersten Mal einen Blick in neue Ausgaben und Auflagen der Bekenntnisschriften werfen. Bekenntnisschriften führen bekanntlich ein Schattendasein im evangelischen Legitimationsuntergrund – weit verbreitetes und ausgedehntes Wurzelwerk bei geringer Blütengröße. Dabei schaffen die Grundordnungen der evangelischen Landeskirchen eigentlich ein solides normatives Dreieck zwischen Bibel, Bekenntnisschriften und Kirchenrecht. Die ausgewogene Balance dieses Dreiecks geht allerdings in den letzten Jahren zunehmend verloren. Um die theologische Dignität der Bekenntnisschriften zu würdigen und anzuerkennen, ist zunächst ihre Kenntnis vonnöten….

Glaubensvisionen haben im Moment ja gar keine Konjunktur, die Zukunft scheint in der Gegenwart der evangelischen Kirche ihren Ort verloren zu haben. Denn in den Konsistorien ächzt man unter der Last der grauen Wirklichkeit und hat bisher kein Mittel gegen die bleibend hohen Austrittszahlen gefunden: Milieuanalysen, Kirchenmitgliedschaftsuntersuchungen, Reformprogramme oder das Pfeifen im Walde (Minderheit mit Zukunft!) haben alle nicht geholfen. Aus der EKD kommt der Vorschlag, die Confessio Augustana als das früheste und gemeinsame Grundbekenntnis der Reformation als gemeinsame Grundlage der evangelischen Landeskirchen zu implementieren[11]. So würde die EKD von der „Kirchengemeinschaft“ zur Kirche mit gemeinsamem Bekenntnis promoviert. Diesem Vorschlag ist schon mit guten historischen und aktuellen Gründen widersprochen worden. Er nimmt einfach das Differenzmoment nicht ernst genug. Man muss im Übrigen kein Prophet sein, um vorauszusehen, dass dieser Vorschlag zwischen der Kritik an dem damit verbundenen Zentralismus und den bekannten irrationalen Regionalisierungskräften zerrieben werden wird.

Visionär wäre die Weiterführung von Leuenberg zu einem europäischen evangelischen Bekenntnis, das über die landeskirchlichen und nationalen Grenzen hinausreicht. Aber im Moment sind Kräfte und Personen nicht zu erkennen, die dafür Kraft, Kreativität und langen Atem besitzen würden. Der Heilige Geist hat im Moment eine Menge zu tun. Zum Artikel.

Veränderte Herausforderungen für Pfarrerinnen und Mitarbeiter im Verkündigungsdienst

Der Vortrag wurde vom Vorsitzenden des Thüringer Pfarrvereins Pfarrer Martin Michaelis auf Einladung des Generalbischofs der Evangelischen Kirche Augsburgischen Bekenntnisses in der Slowakei Miloš Klátik während der jährlich stattfindenden Studientagung der Dreikirchenpartnerschaft am 10. Oktober 2014 in Belušské Slatiny, Slowakei gehalten. Die Studientagung stand unter dem Thema: „Veränderte Herausforderungen für Pfarrerinnen und Mitarbeiter im Verkündigungsdienst“.

Der Vortrag wird auf Wunsch der Teilnehmer der gastgebenden Kirche in slowakischer Sprache auch im Informationsheft des slowakischen Pfarrvereins „Melanchthon“ erscheinen.

1. Erscheinungsbilder unserer Zeit
Was ist das: unsere Zeit? Die Zeit in der ich bisher gelebt habe. Die Zukunft kenne ich noch nicht. Aufgewachsen und ausgebildet in der DDR mit anschließender Dienstzeit im Pfarramt in den 25 Jahren nach der Wende, versuche ich mir zu erklären, was da geschehen ist und geschieht.
Die Zeit im Sozialismus haben wir zu überdauern, manche auch zu überstehen gesucht, eben angepasst oder standhaft. Es war ein Weg zwischen Protest und Anpassung, sich in die Gegebenheiten fügen oder doch etwas anderes wenigstens versuchen, oder beides, eigentlich immer in dem Gefühl, dass ein solches System nicht von Dauer sein kann, wenngleich den Ideologen ein Nach-dem-Sozialismus/Kommunismus undenkbar war. Den langen Atem der Kirchengeschichte empfand ich damals als das Durchtragende, Verlässliche, auch Hoffnung Gebende.
Die Kirchen gehörten mehr und mehr in gesellschaftliche Nischen. Manche wollten dort nicht sein, andere zog es genau dahin. Es gab einen dem politischen Druck geschuldeten nie dagewesenen Mitgliederschwund in den Gemeinden. Geradezu trotzig haben wir an Glauben und Kirche festgehalten. Kirchen nutzbar und Pfarrhäuser bewohnbar gehalten, soweit das irgend ging. Kaum eine Pfarrstelle wurde aufgegeben, allenfalls gab es sogenannte Dauervakanzen. Wir wollten alles für die Zeit danach erhalten, irgendwie. Sich in geringe Entlohnung fügend gab es fast genug Nachwuchs, darunter so manchen etwas ausgefallenen Pfarrer.
Dann kam die Wende mit ihren ungeahnten und überwältigenden Möglichkeiten, mit Kirchensteuern und endlich höheren Gehältern, der Konzentration auf die Sanierung der Gebäude. Zwischen Größenwahn und Zukunftsangst wurden Projekte begonnen.
Bald darauf machte der Begriff von der Spaßgesellschaft die Runde. Nur wer witzig ist, sollte andere animieren können und damit ein Recht zum Überleben haben. Die FDP schrieb sich als Wahlziel die 18% auf die Schuhsohlen, verzehrte sich in zahllosen Gags, um zuletzt mit dem Wahlslogan „Wir sind dann mal weg, wie die Zensuren.“ auch dem letzten Wähler klar zu machen, wo man kein Kreuz mehr zu machen braucht. Sich selbst erfüllende Prophezeiungen nennt man das wohl.
Nun macht die Rede vom „demographischen Wandel“ die Runde. Kein Politiker und keine Kirchenleitung kommen um diese Worte herum.

Alles wird in Geld umgerechnet. Die im Umlauf befindliche Geldmenge übertrifft bei weitem das Bruttosozialprodukt, also das, was tatsächlich geleistet werden kann. Das Geld- und Anlagesystem, auf das wir uns bisher verlassen haben, steht kurz vor dem Kollaps, vielleicht. Genau weiß man das immer erst hinterher.

Alten- und Pflegeheime schießen wie Pilze aus dem Boden. Krankenhäuser werden zu Konzernen. Alles muss sich rechnen. Wir teilen die Gesellschaft in Gesunde, Kranke, Behinderte und Sterbende. Hier hat jeder seinen Platz, da lassen wir uns nichts nachsagen. Der Gesunde am Arbeitsplatz, der Kranke im Krankenhaus, der Behinderte in der Einrichtung, die Alten im Altersheim und die Sterbenden im Hospiz. Jeder hat seinen Platz. Da gehört er dann auch hin. Woanders möchten wir sie nicht sehen.

2. Die Reaktionen der evangelischen Kirche
Der Freude über die Grenzöffnung und dem Aufbruch folgte bald der Finanzdruck, der damit verbundene Zwang, den vermeintlich versäumten Pfarrstellenabbau nachzuholen, das Berechnen von Pfarrstellen, von Arbeitszeiten und Gemeindegliederzahlen, Dinge, die uns zuvor kaum interessiert hatten. Dem Bevölkerungsschwund und der veränderten Altersstruktur muss Rechnung getragen werden. Wir berechnen die Zukunft mit ihren finanziellen Möglichkeiten und noch wichtiger, dem, was nicht mehr möglich sein wird. Das wichtigste Hilfsmittel ist das Lineal, das nicht etwa an die tatsächlichen Einnahmen, sondern an die vorausberechnete Tendenz für die letzten Jahre angelegt und in die nächsten Jahrzehnte verlängert wird. Wer mit dem Geld und der Zukunft argumentiert, hat die Definitionshoheit. In nie dagewesenem Ausmaß werden Pfarrstellen gestrichen und Pfarrhäuser verkauft. Es scheint dazu keine Alternative zu geben. Wir begeben uns in eine Kürzungs- und Fusionshysterie, die weder vor Landeskirchen, noch vor Gemeinden und kirchlichen Werken halt macht.

der vollständige Text, vgl. S. 5ff

Kurswechsel in der evangelischen Kirche? Bemerkenswerte Einsichten zum Management in der Kirche bei Bischöfin Ilse Junkermann, EKM

Hier in den Wort-Meldungen kommen Führungskräfte der evangelischen Kirche selten zu Fragen der Führungstheorie (des Managements also) zu Wort. Der Grund liegt darin, dass in besagtem Personenkreis im letzten Jahrzehnt selten ein der Kultur des Protestantismus entsprechender Ansatz vertreten wurde. Leitend war vielmehr ein Reformkonzept der Reduktion auf Kernkompetenzen („sollte sich die bewusst auf Kernkompetenzen… konzentrieren“), der Reduktion von Komplexität („…komplexe Strukturen gehören im Berich der Kirche noch zur Alltagsrealität. Mehr Effektivtät heißt hier das Ziel“). Das alles auf der Basis von „Strukturreformen, Verbesserungen in den internen Abläufen, systematisches Mitarbeitermanagement“.  Alles Zitate, die das inhaltliche Fundament einer auf linearen Wachstumszielen und Reduktion von Komplexität beruhenden Reform beschreiben. Zitate, die entnommen sind einem „Gottes Hände tragen uns“ überschriebenen Artikel der Süddeutschen Zeitung vom 08.03.2002. Autor: Peter Barrenstein. Inhaltlich kennt man das Konzept vom Impulspapier „Kirche der Freiheit“.

Das war ein Weg mit enormen Risiken. Wir greifen das Beispiel Komplexität heraus, auf das Bischöfin Junkermann in ihrem Bischofsbericht rekurriert. Die Gefahren hier:  „‚Höhere Fähigkeiten erwachsen nur aus mehr Komplexität.’Dieser Umstand wird häufig übersehen. In zahlreichen, einschlägigen Büchern findet man Passagen, die sinngemäß lauten, dass man die Komplexität eines Systems reduzieren müsse, um es unter Kontrolle zu bringen. Das ist nur die halbe Wahrheit. Selten wird die damit einhergehende Gefahr erwähnt, das System selbst und seine wichtigsten Eigenschaften und Fähigkeiten zu zerstören.“ (Fredmund Malik, Management, S. 46). Genau dies scheint aber in der Kirche eingetroffen zu sein, dass nämlich wichtigste Eigenschaften und Fähigkeiten durch die sog. Reformen zerstört wurden. Denken wir nur an die intrinsiche Motivation der Mitarbeiterschaft. Denken wir an Vertrauen. Vieles mehr wäre zu nennen.

Auf diesem Hintergrund ist der folgende Abschnitt des Bischofsberichts von Bischöfin Ilse Junkermann, EKM, überaus bemerkenswert. Denn dort wird der Frage komplexer Systeme nicht ausgewichen. Und man wird der von ihr entwickelten Theorie folgen können. Leider fehlen Schlussfolgerungen für die Praxis. Als da wären:

1.  eine kritische Haltung  und Abwendung von den bisherigen Kirchenreformen. Das wird so leider nicht offen benannt.

2. die aktuelle Lage der ev. Kirche. Ein Kurswechsel der Kirchenpolitik beginnt leider nicht bei null, sondern mathematisch ausgedrückt, im Minusbereich:  Die Reformen haben bisweilen erhebliche Schäden angerichtet, die Situation ist verfahren.

Was zu tun wäre, beschreibt und fordert die Pfarrvertretung der EKiR dieser Tage. Die Bischöfin sollte sich also der Erklärung der EKiR- Pfarrvertretung anschließen. Denn eine gute Theorie ist nur der erste Schritt. (F.S.)

„In der Wüste bereitet dem Herrn den Weg!“ – Bericht der Bischöfin Ilse Junkermann vor der Synode der EKM am 19. bis 22. November 2014 in Erfurt

„2.1. Sich bewegen in komplexem Gelände – Der wissenschaftliche Fokus
Was wir im Rückblick erkennen, gilt auch für unser Ausschau halten: Wir können beim Gehen eines Weges nicht vorher wissen, was unterwegs für gute Lösungen entstehen werden. Das mag jetzt in Ihren Ohren wie eine Floskel klingen. Doch darin liegt eine tiefe Wahrheit, die wir nicht ernst genug nehmen können beim Ausschau halten. Vor wenigen Wochen ist mir eine wissenschaftliche Reflexion aus der Prozesstheorie und Komplexitätsforschung begegnet, die diese Wahrheit sehr einleuchtend belegt und die ich Ihnen in der gebotenen Kürze für unseren Ausblick heute darstellen möchte. In ihrem jüngst erschienen Band „Gemeinde neu denken. Geistliche Orientierung in wachsender Komplexität“ 5 legt das Gemeindekolleg der Vereinigten Evangelisch- Lutherischen Kirche Deutschlands, das seit 2008 im Zinzendorfhaus in Neudietendorf seinen Sitz hat, ein bemerkenswertes Buch vor. Sein Leiter, Direktor Professor Dr. Reiner Knieling und Studienleiterin Pfarrerin Isabel Hartmann stellen darin die These auf, dass wir in der Kirche sehr häufig Entscheidendes verwechseln. Wir verwechseln, so ihre These, „komplizierte Probleme“ mit „komplexen Problemen“. Deshalb geraten wir mit unseren Problemlösungsstrategien leicht in Sackgassen…

Wir haben als Kinder unserer Zeit alle miteinander durch den wissenschaftlich-technischen Fortschritt gelernt, dass viele Probleme aus dem komplizierten Terrain in den letzten Jahren gelöst werden konnten. Deshalb sind wir versucht, alles für ‚kompliziert’ zu halten und damit für prinzipiell lös- und machbar, auch in der Kirche.
Der Dreischritt für die Bewegung im komplexen Gelände nach Hartmann / Knieling ist aber ein anderer. Er lautet: Probieren – Wahrnehmen – Reagieren. Ich zitiere: „Auf komplexem Terrain ist die Lösung nicht vorhersagbar, sondern sie entwickelt sich auf dem Weg. … Auf dem gemeinsamen Weg von Versuch und Irrtum und Reflexion und neuem Versuch und Irrtum tauchen Ideen auf, erwachsen Lösungswege und Handlungen.“  Der Fachbegriff in der wissenschaftlichen Debatte dafür ist „Emergenz“ – von lateinisch: emergere, d. h. „auftauchen (lassen)“ bzw. „entstehen“. Diese Emergenz bedeutet, ich zitiere weiter, „dass das, was sich entwickelt, mehr ist als die Summe der einzelnen Teile, aus denen es besteht“ …

Reiner Knieling und Isabel Hartmann plädieren in ihrem Buch für die „Förderung einer Kultur, in der Lösungen entstehen können, die nicht einfach aus dem Repertoire des Bestehenden generiert werden, sondern aus der Komplexität selbst heraus emergieren.“

Sie beschreiben Aspekte dieser emergenz-freundlichen Kultur. Dazu gehören Dinge, mit denen wir uns erst anfreunden müssen. Es sind Dinge wie:

Zaudern und Innehalten: Ich zitiere: „Zaudern ist ein erster Schritt, die Komplexität als solche ernst zu nehmen. Zaudern hegt Verdacht gegen Lösungen, die den Eindruck der Machbarkeit erwecken. … Zaudern ist eine geistliche Haltung, die aus dem Vertrauen auf Gott erwächst“

Intuition: Durch Gespür den Dingen auf die Spur kommen. Die Intuition hat – auch in der Kirche – häufig keine gute Presse, wer von „Intuition“ redet, macht sich verdächtig, ein Schwärmer zu sein. Die wissenschaftliche Debatte, z. B. in der Bildungsforschung, aber auch in der Ökonomie und in der Philosophie ist hier weiter. Für bestimmte Fragestellungen ist Intuition ein sehr präzises Werkzeug.
Und ein 3. Aspekt: Netzwerkorientierung für die Bewegung im komplexen Gelände: Netzwerke brauchen nicht initialisiert werden, sie sind bereits vorhanden. Netzwerke haben keine Grenzen und keine Formalitäten. Sie basieren auf Vertrauen…“  Zum Bischofsbericht:

EKiR: Die Zustimmung der SuperintendentInnen zu den „Reformen“ in der EKiR bröckelt: Ein Querschnitt durch die Berichte auf den Herbstsynoden der Kirchenkreise der EKiR.

NKF, Verwaltung, Sparkurs: das sagen die SuperintendentInnen
Ein Querschnitt durch Berichte von Superintendentinnen und Superintendenten der EKiR.

Beitrag vom 17. November 2014 von Andreas Reinhold

Der November ist traditionell der Monat der Herbstsynoden in den Kirchenkreisen der EKiR. Und zu den festen Riten der Kreissynoden gehören die Berichte der Superintendenten bzw. der Superintendentinnen. Die fallen in Ausführlichkeit und Stil natürlich sehr unterschiedlich aus. Inhaltlich kommt man aber in diesem Jahr an bestimmten Themen nicht vorbei. Dazu gehören u.a. auch das Neue Kirchliche Finanzwesen (NKF), die Verwaltungsstrukturreform und die aktuellen Sparvorschläge der Landeskirche.

Zum Überblick bei Andreas Reinhold, KirchenBunt.

Kommentar F.S.: Erstaunlich, dass selbst SuperintendentInnen angesichts der Resultate der der EKiR verordneten Schock-Strategie mittlerweile ihre Zweifel nicht mehr verhehlen.

Synode EKM: „Kalte Enteignung“ von Gemeinden. Kritik an Verpachtungssystem der mitteldeutschen Kirche

21.11.2014 — epd

Magdeburg/Erfurt (epd). Bauern und Pfarrer haben das Vergabesystem für Pachtland der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) scharf kritisiert.

Die jetzige Regelung störe den Frieden in den Gemeinden, sagte der Präses der Synode des Kirchenkreises Egeln in Sachsen-Anhalt, Erik Hannen, der «Magdeburger Volksstimme» (Donnerstagsausgabe). Stattdessen sollten die Gemeindekirchenräte bei der Vergabe eingebunden werden. Die Kirchengemeinden seien Opfer einer «kalten Enteignung» geworden, beklagte Hannen… Mehr dazu.

Wormser Wort: Nein zum bisherigen Umbauprozess der Kirche durch die EKD

1. Der Reformprozess ist ein Um- und Abbauprozess.

Kirche der Freiheit“ wurde 2006 von der EKD als Reformprogramm eingeführt. Tatsächlich handelt es um einen tiefgreifenden Umbau: die evangelischen Kirchen werden hierarchisiert, zentralisiert, bürokratisiert, ökonomisiert. Sie verlieren ihren Kern. Die Flut der seitdem gleichzeitig in Gang gesetzten „Jahrhundertprojekte“ Doppik/NKF, Fusionen auf allen Ebenen, Kompetenzverlagerungen von der Basis auf die Mittlere Ebene und der Zentralisierung führte zu einer bis dahin unbekannten Selbstbeschäftigung. Viel zu wenig Ressourcen, viel zu wenig Zeit bleibt für den eigentlichen Auftrag: die Kommunikation des Evangeliums.

2. Scheitern ist vorprogrammiert.

Auch aus Managementsicht sind die Umbauprozesse höchst fragwürdig. Sie basieren auf einer fragwürdigen Strategie des Gesundschrumpfens (Downsizing). Die wiederum auf einer aus den 90er Jahre stammenden, simplifizierenden Annahme beruht: die Zahl der Kirchenmitglieder schrumpfe um 30 Prozent, die Finanzen würden sich im selben Zeitraum gar halbieren. Die Fakten sprechen dagegen: Es gibt keine direkte Korrelation zwischen Mitgliederzahlen und Kirchensteueraufkommen. Die Kirchensteuereinnahmen sind langfristig gesehen bisher konstant oder sogar steigend. Aufgrund der von Langzeitprognosen abgeleiteten falschen Strategie musste der Umbauprozesss zwangsläufig in die Irre laufen. Selbst die Versprechen ökonomischer Effizienz können nicht eingehalten werden: die Ausgaben für die genannten Maßnahmen sind immens, die Wirkungen äußerst bescheiden. Die Kosten-Nutzen-Relation des Umbauprozesses ist negativ.

3. Die Mitarbeitenden werden demotiviert.

Motiviertes Personal war ein entscheidendes Potential der Kirche. Der Umbauprozess von „Kirche der Freiheit“ leitet den Personalabbau ein, der namentlich im Bereich von Gemeindepädagogen und PfarrerInnen schon heute, vor der Pensionierungswelle der geburtenstarken Jahrgänge, seine Wirkungen zeigt. Die Personalführung ist bedenklich: übliche Grundsätze, wie der, wonach Arbeitsaufträge so zu gestalten sind, dass sie den Mitarbeitenden erfolgreiches Arbeiten ermöglichen, werden sträflich verletzt. Die Eigenverantwortung der Mitarbeitenden wurde beschnitten, die Selbstregulierungskräfte gelähmt. Demotivation und Frust waren vorprogrammiert. Qualität und Wirksamkeit kirchlicher Arbeit haben darunter gelitten. Das schwächt die Kirchen enorm.

4. Der Mensch gerät aus dem Blick.

In den letzten drei Jahrzehnten erleben wir eine zunehmende Beherrschung aller Lebensbereiche durch die Ökonomie und ihrer Gesetze. Mit den Umbauprozessen drangen sie auch in die Kirchen ein. Durch die Unterwerfung unter die Normen des „freien“ Marktes gerät aber die Arbeit der Kirche in Gefahr. Denn wo nur die Normen des heutigen „freien“, nicht aber sozialen Marktes regieren, gerät der Mensch ins Abseits. Die Verkürzung des Menschen auf seine ökonomischen Funktionen widerspricht dem christlichen Selbstverständnis. Wo bleibt der Glaube, der Lebenssinn? Wo sind die protestantische Kirchen mit ihrer „großen Erzählung“, die Denkfreiheit ermöglicht ? Der Reichtum der Kirche beruht nicht in erster Linie auf Kapital, sondern auf Gemeinsinn, Köpfen und Konzepten.

5. Die Kirche verliert ihr Fundament.

Die Kirche gründet im Wort Gottes. Dieses Fundament ist in Gefahr. Die Kirche lebt nicht mehr aus der Freiheit des Wortes, sondern unterwirft sich dem Gesetz und der fremden Logik des Marktdenkens und wird so zu einem Religionskonzern. Im kirchlichen Umbauprozess wird die Strategie kirchlichen Handelns nicht aus einer theologischen Argumentation abgeleitet, sondern aus Algorithmen und Finanzprognosen.

6. Die Kirche verliert ihre Glaubwürdigkeit.

Die Reformen wurden mit hochtrabenden Versprechungen beworben. Diese haben sich in der Praxis als unhaltbar erwiesen. Mit schönen Worten wird verschleiert, mit Zahlen und mathematischen Formeln wird getrickst. So wird zwar Transparenz beschworen, aber wie im Falle des sog. „Erweiterten Solidarpakts“ Geheimhaltung praktiziert. Dadurch fühlen sich Menschen getäuscht, sowohl Mitarbeitende als auch Kirchenmitglieder.

7. Umkehr ist nötig.

Die Lage ist ernst. Die Mitarbeiterschaft ist enttäuscht, frustriert, demotiviert. Gut ist hingegen die wirtschaftliche Lage der Kirchen: sieben fette Jahre liegen hinter uns. Leider wurde diese gute finanzielle Lage nicht sinnvoll genutzt: weder wurde in die Kommunikation des Evangeliums investiert, noch die Verwaltung im Sinne einer dienenden Serviceeinrichtung modernisiert.

Heute müssen wir zehn Jahre Umbauprozesse beklagen, die die Kirchen geschwächt haben. Verlorenes Vertrauen muss wieder gewonnen werden. Wir brauchen ein Moratorium, um den aktuellen Status schonungslos offen zu legen und zur Besinnung zu kommen. Umkehr ist nötig.

Unterzeichenen Sie hier die Petition.

18.1.2015 Sprachliche verbesserungen eingeführt und Link zur Petition  gesetzt (Alexander John)

Von der Wirtschaft lernen heißt siegen lernen ?!

oder: was Kirche von der Wirtschaft hätte lernen können.

von Friedhelm Schneider, Pfr., Immobilienfachwirt

Überarbeitete Version eines Vortrags beim Tag des Pfarrvereins der EKM in Neudietendorf, 18. Juni 2014.

Liebe Schwestern und Brüder, sehr geehrte Damen und Herren,

ein Schelm, wer bei einem solchen Thema Böses denkt: „Von der Wirtschaft lernen, heißt siegen lernen.“ Sie in Thüringen stellen sofort die Analogie her zu einem Wort, das in früheren Zeiten lange Jahre zur Propaganda der DDR- Führung gehörte. Das lautete: „Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen.“ Es galt so lange, bis Gorbatschow Mitte der 80iger Jahre die Peristroika propagierte. Ab diesem Zeitpunkt geriet das Wort in der DDR-Regierung in Misskredit und wurde zur subversiven Parole ‚bösartiger‘ Regimekritiker.

Erwarten Sie also Parallelen zur kirchlichen Lage heute, wenn sie den Titel so analog formulieren? In der Tat haben Kräfte dominiert, die der Betriebswirtschaft Kräfte für Wachstum gegen den Trend und Erstarkung der Kirche zuschrieben. Betriebswirtschaft hatte in der Kirche spätestens ab der Jahrtausendwende die Theologie als Leitwissenschaft abgelöst. Gewähr für die Ablösung bot (und bietet) auch das biedermannmäßig aus der Wirtschaft anklopfende und arglos eingelassene Berater-Personal: Unternehmensberater wie Peter Barrenstein von McKinsey oder die Direktorin Marlehn Thieme der Deutschen Bank. Letztere aus einem Unternehmen, das zu Zeiten als Marlen Thieme in Führungspositionen der Kirche kam mit 25% Rendite prahlte, sich dann aber vor 2 Jahren kleinlaut aus triftigem Grund selbst einen Kulturwandel verordnen musste. Seither sitzt das Personal der Wirtschaft in den Führungsetagen der Kirche, im Rat der EKD und der Steuerungsgruppe zum Kirchenreformprozess1. Man wird eingedenk schon dieser wenigen Fakten der EKD nicht zu nahe treten, wenn man ihr das Wort „Von der Wirtschaft lernen heißt siegen lernen“ als ihre Parole in den Mund legt. Auch wenn es so nie ausgesprochen wurde, prägt es doch das Denken in den kirchlichen Führungsetagen. Es mag sich um eine ‚passagere‘ Position der EKD handeln, die den Zenit schon überschritten hat, sind doch die Erfahrungen mit diesem Ansatz der Leitwissenschaft Betriebswirtschaft mittlerweile so umfangreich wie ernüchternd. Und man kann wohl behaupten, dass die Phase, in der dieser Ansatz die Köpfe in der EKD beherrschte, schon der jüngsten Kirchengeschichte angehören. Wie sagte Thies Gundlach, der Cheftheologe der EKD, jüngst in einem Vortrag? Er möchte nicht der letzte Mohikaner sein, der zum Impulspapier „Kirche der Freiheit“ steht2

Die Analogie zum DDR- Slogan, liegt für Kritiker also durchaus nahe. Es stellt sich nun die Frage: was aber heißt dies Wort in unserem Munde? Im Munde derer, die den sog. Reformprozess, der im Gefolge von „Kirche der Freiheit“ von der EKD über die Landeskirchen gezogen wurde falsifizieren und kritisieren? Der eigentlich kein Reformprozess darstellt, sondern der ein veritabler Umbauprozess ist. Was heißt es, wenn wir diesen Satz heute aufgreifen – und ihn positiv gegen seine früheren geheimen Befürworter wenden? Lassen Sie mich dazu etwas ausholen, und den Blick aufs Ganze richten, bevor wir den Ausschnitt analysieren:

Wir leben heute in einer Zeit in der die früher in Zeiten sozialer Marktwirtschaft propagierte funktionale Trennung der Systembereiche der Gesellschaft (Wirtschaft, Politik, Religion etc.) an ihr Ende gekommen ist. Denn die „Wirtschaft“ beschränkt sich nicht mehr auf ihren Sektor der Produktion von Gütern und Dienstleistungen. Das hat einen praktischen Grund: Im Finanzkapitalismus ist Kapital im Überfluss an Banken und Börsen vorhanden und sucht Anlagechancen und Höchstrendite. Dazu müssen die Grenzen der Ökonomie zu den anderen Funktionsbereichen überschritten werden. Zu diesem Zweck werden solche anderen Bereiche, wie z.B. die der Daseinsvorsorge, usurpiert. Privatisierung war das Zauberwort und totaler Service das Zuckerstückchen, mit dem der Bevölkerung dies schmackhaft gemacht wurde. Nach Post, Bahn und Telecom in den 90iger Jahren, kamen ab 2000 die engeren Bereiche der Daseinsvorsorge: Schule, Universität, Gesundheitswesen (mittelfristig Rückkehr zum DDR-System der Poliklinik) und Justiz an die Reihe (Privatisierung von Vollzugsanstalten in Hessen durch Roland Koch). Übereinstimmend wurde in allen Bereichen das ehemals organisatorisch starke Fachpersonal entmachtet: durch Entzug von Beteiligungsrechten (Universität/Schule), durch Wandel des Bildungssystems von Humoldt’scher Bildung zu Kompetenzvermittlung und damit Infragestellung der klassischen Lehrerkompetenzen, durch die Deklassierung des Ärztestandes zu einer Art Scheinselbständigkeit, durch die Überlastung des Personals mit einem kaum zu bewältigenden Arbeitspensum (Justiz) unter der die Qualität der Arbeit, die Rechtssicherheit, wie auch die Gesundheit der Personen leidet.

Diese Ökonomisierung schlich sich ein mit allerlei quasi-eschatologischen Versprechungen, z.B. der Steigerung der Servicequalität, der Illusion einer „totalen“ Qualität (TQM), etc. Wie weit Versprechen (Ideologie) und Wirklichkeit auseinanderklaffen, möge ein kleines, aber sprechendes Beispiel demonstrieren. Günther Wallraff studierte in bekannter Manier in einem Incognito-Selbstversuch die Praxis eines Alten- und Pflegeheims in München, dem kathol. Josephstift am Luise-Kisselbachplatz. Die Zustände waren nach der entsprechenden TV- Sendung ziemlich verheerend. Und dabei prangt ein Qualitätssiegel des TQM an einer Wand der Einrichtung. Darin wird die Note 1, sehr gute Qualität also, bescheinigt. Was hier an einem Beispiel dargelegt ist, können Sie getrost auf das gesamte Gesundheitswesen übertragen. Das System des TQM ist essentieller Bestandteil neoliberaler Transformationprozesse. Deren harter Kern aber in nichts anderem als Personalabbau bis zur Grenze der Leistungsfähigkeit des Restpersonalbestandes, Ausbeutung der Gesundheit des Personals, Reduktion der Angebote/Dienstleistungen auf (billigen) Standardprodukten (Kernleistungen), Steigerung der Profite der Investoren. Das steht konträr zur Sozialen Marktwirtschaft und produziert Widerspruch in entwickelten europäischen Gesellschaften. Um diesen Widerspruch zu unterdrücken, wird ein völlig neues Weltbild, ein ökonomisches Denken, geprägt, das allen anderen Funktionsbereichen aufgedrückt wird. Alle müssen sich an der neuen Nomenklatur orientieren. Alle lassen sich an den neu gesetzten Kriterien messen und bewerten. Diese neuen Kriterien kommen daher als hohle „Plastikwörter“, Anglizismen gaukeln eine besondere Aura vor, Euphemismen vernebeln die eigentlichen Aussagen. Und so sind Fehlinformation, Vernebelung und Geheimhaltung wesentlicher Bestandteil des Akzeptanzmanagements des schönen neuen neoliberalen Weltkonzeptes.

Ein neues Denken, das auch in der Kirche Fuß fassen konnte. Mit dem Reformprozess genannten Umbauprozess. Prof. em. Jürgen Moltmann beklagte in einem Vortrag jüngst den „Einzug ökonomischen Denkens in die Kirche“. Er zieht folgerichtig die Verbindung zu Barmen I: …Wo liegen heute jene »Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten« aus Barmens Erster These verborgen, die wir zu Götzen machen? Er fragt und antwortet: „Sind wir wieder in der Situation von vor 1933? Nein, das sind wir nicht! Wir sind in einer ganz anderen Situation. Es droht uns nicht eine ideologische Politisierung der Kirche wie durch die Nazis und die Deutschen Christen damals. Es droht uns aber eine nicht minder gefährliche ideologische Ökonomisierung der Kirchen, wie wir sie auch in anderen Bereichen der Daseinsvorsorge, so z.B. auch an den deutschen Universitäten erleben. Wie kann Kirche „effektiver“ gemacht werden? Wie kann die Zahl der Taufen, Konfirmationen und kirchlichen Amtshandlungen erhöht werden? Wie kann die Kirche auf ihr „Kerngeschäft“ verschlankt werden? Wie kann die „Kirche im Angebot“ attraktiver werden? Der religiöse „Service“ der Kirche an ihren „Kunden“ muss verbessert werden. Damit entmündigt man die aktiven Brüder und Schwestern zu passiven „Kunden“ und macht aus selbstständigen Gemeinden betreutes Leben in den Kirchen.“ 3

Man kann eine solche Position wie die von Jürgen Moltmann also politisch durchaus verstehen. Dennoch: diese Form der Pauschalkritik erscheint uns zu undifferenziert, erfasst nicht die ganze Wirklichkeit und ist damit in gewisser Weise selbst angreifbar. Gerade, wenn es wie hier nicht um die politisch-volkswirtschaftliche Ebene, sondern um die Frage der Organisationsreform der Kirche geht. Und sie enthält nicht die Chuzpe, die vermeintlichen Ökonomen mit den Waffen der Ökonomie selbst zu schlagen. Das haben Sie nun aber mir mit dem Vortragstitel, wenn ich das recht verstehe, aufgetragen. Und daran will ich mich gerne versuchen. Denn nur so können wir zur tieferen Erkenntnis kommen, dass ökonomische Argumente wie am Beispiel einleitend gezeigt bei den sog. Reformprozessen vielleicht nur vorgeschoben sein könnten, es in Wirklichkeit und im Hintergrund aber um etwas anderes, Tiefgreifenderes geht. Dass es mit dem Prozess „Kirche der Freiheit“ nicht nur um einen Reformprozess, sondern um einen veritable Umbauprozess geht. Lassen Sie uns also etwas genauer hinschauen und differenzieren, um am Ende dann doch wieder einen Ansatz zu finden, die vorhandenen positiven, hilfreichen Aspekte der Ökonomie für die Organisationsführung trotz aller negativen Erfahrungen mit den gesellschaftlichen Ökonomisierungsprozessen oder der sog. „Reformprozesse“ wieder schätzen zu lernen. Und der dem Titel des Vortrages inhärente Dialektik zu ihrem Recht zu verhelfen.

Dies geschieht nicht in erster Linie um der intellektuellen Herausforderung des Titels willen. Wir müssen dies tun, weil die empirische Kirche ihren Schatz in irdenen Gefäßen bewahrt. Weil die Kirche als Organisation auch mit professionellen, profanen Instrumenten geleitet und dem Evangelium gemäß gestaltet sein will. Dabei darf ihre Gestalt dem Inhalt nicht widersprechen (Barmen III + IV). Als Organisation muss sie also damit auch auf die Möglichkeiten zurückgreifen, die gute Organisationsgestaltung bereit hält und ermöglicht. Und dazu sagt man in der Regel „Management“. Gutes, richtiges Management, das wäre es, was die Kirche wieder bräuchte. Sie bräuchte es ebenso wie Bereiche der „Wirtschaft“ selbst. Die deren Verlust etwa durch das Eingeständnis von Kulturproblemen teilweise auch selbst thematisiert, wie z.B. die Deutsche Bank.

Vom Reformbedarf des klassischen Kirchenmodells nach Barmen…

Betrachten wir die Geschichte des Reformprozesses in den ev. Kirchen: es ging in den 90igern zunächst um einen Reformprozess nach außen, mit dem die Kirche die Differenzierungsprozesse der Gesellschaft nachvollziehen wollte (vgl. „Person und Institution“, EKHN). Kirche musste aber zum anderen auch innerorganisatorisch einen Reformprozess anstrengen. Die Administration war strukturell (hierarchisch), instrumentell (IT) und personell veraltet. Schon die einfache Datenverarbeitung war mit einer hohen Fehlerquote behaftet (notorisch: einfache Datenreihen wie Meldelisten), die Informationsbasis für Entscheidungen mangelhaft. Wissensmanagement war in den Verwaltungen ein Fremdwort. Wissen bspw. war personell gebunden und nicht für die gesamte Organisation verfügbar. Und Wissen war veraltet. Betriebswirtschaftliches Know-How? Fehlanzeige. Worauf wäre es angekommen? Auf die gezielte, eklektische Übernahme von Instrumenten und Strategien aus dem Wissensgebiet des Managements.

1. Finanzmanagement hätte primär organisiert werden müssen als Management der Kosten und nicht – wie in der Doppik vorherrschend – des Vermögens. Es wäre um die gezielte, richtige Investition gegangen und nicht um das Sparen der in kirchlichen Kreisen zur Galionsfigur aller kirchlichen Finanzpolitik erhobenen schwäbischen Hausfrau. Fehlende Investitionen verbunden mit Personalabbau (Desinvestition) etwa im Bereich der Jugendarbeit kommen denn auch in der jüngsten, 5. KMU (Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung) schmerzlich im Traditionsabbruch zum Ausdruck! Und es mag dem einen oder anderen Finanzdezernenten vielleicht mittlerweile dämmern, dass die zukünftigen Verluste infolge Kirchenaustritten etwa infolge des Traditionsabbruchs deutlich höher sein könnten, als die Verzinsung der in den zurückliegenden Jahren durch ‚Einsparungen‘ beim Personal gebildeten Rücklagen.

2. Es wäre im Personalmanagement um Führendes Dienen gegangen und nicht um die Rückkehr zum Kadavergehorsam. Es wäre um den Schutz des Schatzes der früher üblichen intrinsischen Motivation gegangen und nicht Überlastung und überzogenem Personalabbau. Kommt es, wie die 5. KMU belegt, auf die Pfarrerin und den Pfarrer an, dann muss die/der auch in Reichweite verfügbar sein.

3. Es wäre im Immobilienmanagement um ein Management der Ressourcen und Kosten gegangen und nicht des völlig undifferenzierten Verscherbelns von oft nur vermeintlichen „Lasten“. Mehr dazu inhatlich etwa auf diesem Portal.

Fehler und Defizite des Managements sind also offensichtlich. Es fehlte an der analytischen Kraft, die Fragen der eigenen, individuellen Organisation zu klären und daraus ein individuelles Handlungskonzept für die Kirche zu entwickeln. Stattdessen segelte man im Windschatten der neoliberalen Umbauprozesse anderer Institutionen der Daseinsvorsorge (s.o.). Ohne einige gravierende Unterschiede zu beachten. Wie z.B. den, dass die anderen Institutionen der Daseinsvorsorge als Zwangsmitgliedschaft gestaltet sind. Entkommen nicht möglich. Wo dieser Mitgliedschaftszwang nicht bestand, wie im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und Fernsehen, musste er von der Politik hergestellt werden. In dieser von der Mitgliedermeinung unabhängigen Lage der anderen Institutionen ist aber die Kirche gerade nicht. Allerdings wird das Verhallten der Kirche offensichtlich vielfach genau so erlebt. Vielen Mitgliedern wurde daher die ehemals fremde Heimat zur nichtssagenden und -bietenden Fremde. Wo wir stehen wird anschaulich, wenn auch eine nur geringfügige Irritation, wie etwa in diesem Jahr das Missverständnis um die Kirchensteuer auf Kapitalerträge, bereits zu heftigen Erschütterungen in Form einer Austrittswelle führt (und nebenbei auch zu einer unbekannnt-promten Reaktion des EKD- Finanzdezernenten Begrich in Form einer eigens flugs zur Sache erstellten Broschüre).

Der labile Zustand der Kirche in der Phase neoliberaler Umbauprozesse ist also nicht allein externen gesellschaftlichen Prozessen geschuldet, sondern in erster Linie eigenem falschen Management. Was richtiges Management in der Kirche ist, zeigt sich dann, wenn die Frage nach der Mitte, der Mitte des Denkansatzes, geklärt ist. Wir müssen in der Kirche wissen, woher wir kommen und was unsere Aufgabe ist. Ist die Mitte theologisch ausgefüllt, dann können die passenden und aktuellen, den Stand der Technik abbildenden ökonomischen Instrumente – wie schon immer in der Kirchengeschichte – problemlos angewandt werden. Die Theologie ist dabei Standbein, die Instrumente des Managements sind Spielbein. Ich selbst formulierte dies in meinem Buch „Kirchliches Immobilienmanagement“ im Jahr 2004: „Setzt die Kirche diese Erkenntnis in Managementhandeln um, werden in der freien Wirtschaft übliche… Managementstrategien relativiert, teilweise transformiert. Dies Anderssein der Kirche oder der entsprechenden Managementstrategien, dieses „sich-der-Welt-nicht-gleich-machen“ heißt aber nicht, dass das Handeln deswegen nicht erfolgreich sein könnte. Ganz im Gegenteil“4. Bildet die Theologie die Mitte, dann sind dieser Mitte alle Funktionen der Organisation zuzurechnen, die diese Mitte in und mit ihrer Arbeit oder auch symbolisch repräsentieren (s. Grafik).

Der Leitung und Verwaltung kommt in diesem Modell eine strikt dienende, eine Servicefunktion zu. Ihre zentrale Aufgabe besteht darin, dass die Mitte richtig und ausreichend gefüllt wird: dass Arbeit in möglichst großem Umfang mit ausreichend ausgebildetem und motiviertem (!) dass ausreichend Personal vorhanden ist und unterstützt und gefördert wird. Dieses Managementmodell korrespondiert mit Barmen III (und IV). Dabei ist aus Managementsicht – und übrigens auch aus finanzieller Sicht (s.u.) – unerheblich, ob die Arbeit an der Basis in der Gemeinde oder aber in Diensten (Funktionspfarrstellen etc.) erfolgt. Entscheidend ist, dass das, was dort passiert, beim Adressaten ankommt und – auf welche Weise auch immer – wirkt.5

klassisches Kirchenmodell nach Barmen

Das also wäre das Modell gewesen, nach dem die Kirche nach innen hin hätte reformiert werden müssen. Und zwar auch aus theologischer Sicht wie auch aus Sicht richtigen und guten Managements. Vielversprechende Ansätze dazu waren ab der Jahrtausendwende vorhanden.

… zum Kirchenmodell des EKD-Umbauprozesses „Kirche der Freiheit“

Spätestens seit Mitte der Nuller Jahre ist die Entwicklung der frühen Reformansätze der Kirche gekippt: wie zuvor schon in anderen Institutionen (Bildung, Gesundheitswesen) sollte später auch die Kirche nicht nur eklektisch von der Wirtschaft, vom Management, lernen, sondern vielmehr nach der Struktur von Wirtschaftsunternehmen umgebaut werden. Dieser Prozess war weder theologisch oder gesellschaftlich-soziologisch motiviert, noch war er von einem systemisch-kybernetischen Managementansatz geprägt, der gezielte Schwachstellen und Stärken identifiziert hätte und dazu passgenaue Lösungen entwickelt hätte. Wie sollten das die organisationsunkundigen Berater von außen auch leisten können? Sie hätten es nicht gekonnt, selbst wenn sie es gewollt hätten. Aber darum ging es ja gar nicht. Es ging nicht um die Optimierung der reformbedürftigen Organisation Kirche. Es ging den „Reformern“ vielmehr darum, alle Institutionen der Daseinsvorsorge dieses Landes mit einem Einheitskonzept umzubauen, sie „marktkonform“ zu machen. Wie später dann sogar die Demokratie selbst „marktkonform“ gemacht werden sollte/ wird. Im Zuge dieses vereinheitlichenden Ökonomisierungskonzepts wurden den ehemals demokratisch bottom-up aufgebauten Institutionen mit Top-down-Strukturen übergestülpt; die mittlere Ebene wurde zur zentralen Leitungsebene der Region mit vielen bzw. allen Kompetenzen, die früher die Gemeinden hatten. In der Kirche ging es also nicht mehr um inhaltlich theologisch motivierte verbessernde Reformen eines in der Nachkriegszeit über 50 Jahre bewährten Systems. Sondern es ging um einen Umbau der Kirche nach Mustern der Wirtschaft unter Anleitung von neoliberalen Beraterteams. Das Agenda-Setting wurde mit dem Impulspapier „Kirche der Freiheit“ besorgt. Was dabei herauskam? Ein hierarchisches Modell, bei dem EKD- Gremien als Spitze Entscheidungen treffen, die die Landeskirchen umzusetzen haben. Das konnte jüngst auch anhand des „Erweiterten Solidarpakts“ der EKD- Kirchenkonferenz nachgewiesen werden. Ein Modell bei dem Leitung ihre Dominanz über den personellen Ausbau der Administration stärkt. Ein Modell, bei dem die Mitarbeiter, die die eigentliche Arbeit vor Ort in Verkündigung, Seelsorge, Pädagogik, Musik, etc. leisten, abgebaut und an den Rand gedrängt werden. Sie müssen mit und von dem leben, was in der Mitte der Organisation, also bei Leitung und Administration, an finanziellen und sonstigen Ressourcen übrig bleibt. Der Verwaltungswasserkopf hingegen wird immer stärker aufgebläht. Was bleibt ist ein „Haus der Kirche“, das belegt ist von Regionalverwaltung im EG, der Dekanatsverwaltung im OG und 2 Fachstellen im Souterrrain.

Grafisch kann man das so fassen:

Reformmodell

Hier hat die Kirche ihre Mitte verloren. Sie weiß nicht mehr, was sie eigentlich zusammenhält. Ein fremdes institutionelles Umbaukonzept bildet das neue Zentrum der Kirche. Wie weit weg ist Barmen III, nach dem die Kirche auch „die Gestalt ihrer […] Ordnung“ nicht „ihrem Belieben oder dem Wechsel der jeweils herrschenden weltanschaulichen und politischen Überzeugungen überlassen“ darf.

Fazit: Von der Wirtschaft lernen, heißt siegen lernen. Der mit dem Impulspapier „Kirche der Freiheit“ initiierte Umbauprozess der Kirche propagiert Betriebswirtschaft als Lösung für die Reformprobleme der Kirche. Was sich allerdings hinter diesem Konzept verbarg, war ein marktkonformes Umbaukonzept der Institutionen des Staates. Dies wurde – wie in allen Fällen modifiziert – auch in der Kirche angewandt. Betrachtet man das bis heute sichtbare Ergebnis nach ökonomischen Kriterien, fällt es ausgesprochen schlecht aus. Der finanzielle Aufwand dafür war und ist und bleibt hoch, dabei ist die Wirkung entsprechend der empirischen Studie der 5. KMU negativ. Gemäß dem Rationalprinzip der Ökonomie müssen Resultate aber bei gleichem Mitteleinsatz besser/ höher werden, wenn sie wirtschaftlich genannt werden sollen. Insofern war der Umbauprozess also der Sache nach nicht zu viel, sondern zu wenig ‚ökonomisch‘. Vor allem aber fehlte es am Ansatz guten und richtigen Managements: Reformen der Kirche, die dem Rationalprinzip der Ökonomie standhalten sollen, müssen immer systemisch-kybernetisch angelegt sein. So gilt heute: nach dem Umbauprozess ist vor der Reform. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

 

 

Anmerkungen und Erläuterungen:

Diese beiden o.g. Grafiken sind sehr plakativ und für den einen oder anderen provokativ. Und wie das so ist bei Grafiken und Bildern: sie können die Wirklichkeit natürlich nicht vollständig fassen. Daher hier noch einige ergänzende Charts, die die oben aufgestellten Thesen belegen.

Zur Alternative Gemeindepfarrstellen oder Funktionspfarrstellen aufgrund von Finanzmangel.

Oft wurden Gemeinde- und Funktionspfarrstellen von kirchenleitdender Seite aufgrund angeblicher Finanzknappheit gegeneinander in Stellung gebracht. Dabei ist die Behauptung fehlender Mittel falsch. Und die im kirchlichen Dienst am Menschen arbeitenden sollten sich nicht in eine falsche Frontstellung gegeneinander begeben. Dies lehrt ein Blick in die Jahresrechnung der EKHN, hier am Bsp. des Jahres 2008. Bei einem Haushaltsvolumen von 520 Mio. entfallen auf den Gemeindepfarrdienst ganze 58 Mio. €. Selbst wenn man die Versorgungsleistungen addiert kommt noch nicht einmal auf 15% des Haushaltsvolumens. Quelle: Jahresbericht der EKHN 2008.

Nimmt man Gemeinde- und Funktionspfarrstellen zusammen und rechnet die Kosten, die kirchensteuerfinanziert sind (staatlich finanzierte Stellen werden also nicht berücksichtigt), dann macht ihr Anteil gerade mal ca. 20% vom Haushaltsvolumen aus. Pfarrstellen im Verwaltungsbereich oder Leitung (wie ganze Dekanestellen sind dabei aus Gründen betriebswirtschaftlich klarer Differenzierung nicht berücksichtigt).

Auf diesem Hintergrund wird deutlich, dass die Alternative: Gemeinde- oder Funktionspfarrstellen ziemlich obsolet ist. Die Frage ist berechtigt: was sind denn die anderen 80 Prozent? Zu dieser Frage vgl. die Jahresberichte der EKHN.

Das alles heißt nicht, dass man nun diesen Anteil zementieren müsste, dass nicht auch dort, bei Gemeinde und Funktion Veränderungen nötig wären. Es sind generell Veränderungen erforderlich, die auf eine höhere Wirkung zielen. Nicht nur in Leitung und Administration, sondern auch bei Gemeinde und Funktion. Aber man kann mit Sicherheit davon ausgehen, das

s Gemeinde und Funktion schon heute innerhalb aller Leistungen der Kirche relative zu anderen, etwa der Administration, die höchsten Wirkungen erzielt. Insofern trifft diese Forderung auch Gemeinde und Funktion, aber die anderen Bereiche in deutlich stärkerem Maße. Und man muss ergänzen: man kann höhere Wirkung bei dieser Art von Arbeit nicht per ordre de mufti verordnen oder per Impulspapier erzeugen. Da könnte das Konzept des Führenden Dienens schon deutlich weiter helfen. Wir werden später davon im Vortrag von Dr. Hartmann hören. Ich bin gespannt.

Dies Diagramm zeigt die Entwicklung des Anteils der Gemeindepfarrdienst in der EKHN in einer Statistik von 2000 bis 2012. Als Quelle dienen die Jahresberichte der EKHN. Der Anteil von ca. 15% ist also kein Einzelfall, sondern ab 2004 das Durchschnittsmaß.

Eine Langfristbetrachtung dieser Kennziffer „Anteil Pfarrgehälter am HH-Volumen“ anhand weniger Einzelfälle zeigt am Bsp. Der EKHN eine klare Abwärtstendenz ab Anfang der 80iger Jahre mit damals ca. 33%, im Jahr 2000 bei ca. 23% und heute bei ca. 15%. Wobei es sich dabei nur um die direkten Kosten, also Gehälter und Versorgungsleistungen, handelt. Hintergrund ist, dass die Kirchensteuereinnahmen, gestiegen sind, die Gehälter aber – wie in allen Branchen in Deutschland – ab 2000 mehr oder weniger eingefroren wurden. Das Weihnachtsgeld wurde gestrichen oder durch deutlich geringere andere Zahlungen ersetzt, die Durchstufungen zu höheren Gehaltsstufen wurden gestrichen, teilweise auch die Gehaltsendstufe A 14 auf A 13 abgesenkt (z.B. Hannover). Man beachte, dass zusätzlich eine ganze Reihe von Leistungen, die haushaltstechnisch an anderen Stellen als bei den Gehältern verbucht werden, bei dieser Betrachtung noch nicht berücksichtigt sind. So z.B. die Schönheitsreparaturen, Heizkostenzuschüsse, Weiterbildung etc.). Auch dort gab es bisweilen drastische Einschnitte zu Lasten der Pfarrer. Die PfarrerInnen sind in der Entwicklung seit den 80iger Jahren also auch finanziell vom Zentrum in die Peripherie katapultiert worden.

1Eberhard Cherdron, Martin Schuck, Evangelische Existenz heute; in Dt. Pfarrerblatt 10/2012

4Friedhelm Schneider, Kirchliches Immobilienmanagement, Darmstadt 2004, S.36

5 Achtung: hier darf das Kundenmuster nicht einfach auf die kirchlichen Leistungen übertragen werden