Dirk Kratz ist Sozialpädagoge an der Universität Hildesheim. Für seine Doktorarbeit Entfremdete Hilfe interviewte er Langzeitarbeitslose und untersuchte, inwieweit die Unterstützung vom Amt ihnen tatsächlich hilft. Zur Dissertation.
Dirk Kratz hat untersucht, was Langzeitarbeitslosen wirklich hilft. Er sagt: Die Betreuung läuft grundlegend falsch. Arbeitslose werden behandelt wie kleine Schulkinder.
Ein Interview von Alexandra Endres; 24. Februar 2014
Kratz: Das kann so weit gehen, dass die Arbeitssuchenden behandelt werden wie kleine Schulkinder. Sie werden zum Beispiel in Maßnahmen gesteckt, in denen sie einfache mathematische Aufgaben lösen oder ihre Rechtschreibung verbessern sollen. Aber dadurch lernen sie vor allem, dass ihre jahrzehntelange Berufserfahrung wertlos ist, dass man sie nur als Problemfälle wahrnimmt.
ZEIT ONLINE: Sie haben ausführlich mit Langzeitarbeitslosen gesprochen. Was sind die größten Probleme?
Kratz: Ihre komplette bisherige Berufsbiografie wird vom Amt entwertet. Das sind ja alles Erwachsene, mit einer eigenen Lebens- und Berufserfahrung. Man könnte diese Erfahrung als Basis nutzen, aus der sich etwas Neues entwickeln kann. Aber in der standardisierten Fallbearbeitung der Jobcenter findet sie gar nicht mehr statt. Die Erfahrungen der Leute werden als Defizit angesehen, als etwas, das es zu beheben gilt…
ZEIT ONLINE: Könnte es nicht sein, dass in solchen Fällen ganz objektiv Rechen- und Rechtschreibschwächen bestehen – neben aller Berufserfahrung?
Kratz: Das lässt sich nicht immer objektiv sagen. Der Punkt ist: Die Defizite werden einfach unterstellt, und sie sollen dann durch Qualifikationsmaßnahmen behoben werden. In Wahrheit aber werden sie verstärkt, weil die Vermittlung nicht funktioniert. Dadurch entfernen sich die Leute noch weiter vom Arbeitsmarkt. Ihre Berufserfahrung veraltet, ihr Selbstbewusstsein leidet. Sie finden noch schwerer einen Job. Zum Interview der ZEIT.