Gedanken zu einem Interview mit Papst Franziskus – Mittelklasse der Heiligkeit (Thema des Monats )

Von: Martin Schuck

Der Vatikankorrespondent Andreas Englisch bezeichnete vor einigen Wochen in einer Fernsehsendung Jorge Mario Bergoglio als »Albtraum der Kurie«. Tatsächlich bricht dieser seit seiner Wahl zum Papst Denkblockaden und Diskussionsverbote auf. Deutlich wurde das nicht nur in dem Interview vom 19. August 2013 mit dem Jesuitenpater Antonio Spadaro, das weltweit in allen jesuitischen Zeitschriften veröffentlicht wurde, sondern schon bald nach seinem Amtsantritt durch die Berufung einer Expertengruppe von acht Kardinälen aus allen Kontinenten und aktuell durch sein erstes apostolisches Schreiben »Evangelii gaudium«.

Der achtköpfige Kardinalsrat hat den Auftrag, Franziskus bei der Umstrukturierung der röm.-kath. Kirche zu beraten; da mit Giuseppe Bertello, dem früheren Nuntius von Mexiko, nur ein einziger Kurienkardinal dieser Gruppe angehört, deutet sich ein Perspektivenwechsel an: Seit dem Pontifikat Pius’ IX. (1846-1878) wurde vom Vatikan aus die Architektur der Weltkirche bestimmt, jetzt aber sollen Vertreter aus den einzelnen Regionen dieser Kirche die Architektur des Vatikan neu ordnen. Die Tatsache, dass mit dem Münchner Erzbischof Reinhard Marx ein konservativer Vertreter scholastischer Lehramtstheologie in diesem Gremium sitzt, deutet darauf hin, dass keine revolutionären Umwälzungen in der Theologie zu erwarten sind. Bei genauerem Hinsehen verkörpert Marx das europäische Pendant des Südamerikaners Bergoglio: konservativ in der Auslegung katholischer Morallehre, aber mit einem Blick für strukturelle Ungerechtigkeit der gegenwärtigen turbokapitalistischen Wirtschafts- und Finanz­ordnung.

Als Papst Franziskus hat Bergoglio rasch begonnen, die Kirche mit dem Maßstab des Lateinamerikaners zu vermessen. Bergoglio ist ein Vertreter derjenigen Generation von Bischöfen, die von Johannes Paul II. eingesetzt wurden, um mit der Theologie der Befreiung aufzuräumen. Die nicht ganz einfache Mission dieser in den späten 1980er und 1990er Jahren eingesetzten Bischöfe bestand darin, die lateinamerikanische Kirche, deren Bischofskonferenz sich bei ihrer Vollversammlung in Medellin 1968 in ihrem Handeln für eine »vorrangige Option für die Armen« verpflichtet hatte, glaubhaft zu repräsentieren, ohne dabei theologisch von der Linie des Lehramtes abzuweichen und politisch auf linke Abwege zu geraten. Dieses Kunststück ist Bergoglio hervorragend gelungen, indem er persönliche Bescheidenheit mit Dialogbereitschaft und Durchsetzungsfähigkeit zu verbinden wusste.
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