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Pyrrhussieg führt zu neuem Arbeitsrecht.

von Martin Schuck

Es mutet seltsam an: Da bekommt die katholische Kirche Ende letzten Jahres vor dem Bundesverfassungsgericht Recht und darf von ihren Bediensteten verlangen, ihre Lebensführung so zu gestalten, dass sie katholischen Vorstellungen entspricht. Konkret ging es um die Kündigung eines Chefarztes an einem katholischen Krankenhaus, nachdem dieser nach einer Scheidung wieder geheiratet hatte. Nach katholischem Recht ist eine Ehe unauflöslich und eine Wiederheirat deshalb nicht möglich; wird sie dennoch vollzogen, lebt der wiederverheiratete Geschiedene in schwerer Sünde und muss von einem katholischen Arbeitgeber nicht weiterbeschäftigt werden.
Wenige Monate, nachdem das Bundesverfassungsrecht im Sinne der katholischen Kirche geurteilt hat, ändert der Verband der Diözesen Deutschlands seine „Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse“ und lässt den katholischen Einrichtungen größere Spielräume für den Umgang mit Bediensteten, die den Loyalitätsforderungen in ihrer Lebensführung nicht entsprechen. Die wichtigste Änderung in der Neufassung besteht darin, dass bei Nichterfüllung der Beschäftigungsanforderungen nicht mehr, wie bisher, automatisch die Kündigung erfolgt, sondern nur dann ausgesprochen wird, wenn eine konkrete Prüfung des Einzelfalls ergibt, dass „ein erhebliches Ärgernis in der Dienstgemeinschaft oder im beruflichen Wirkungskreis“ zu erwarten ist. Nicht geprüft wird bei Pastoralreferenten, Religionslehrern und bischöflichen Beauftragten; ihnen droht weiterhin automatisch die Kündigung.
Die Neuordnung beschränkt sich darauf, die bisherige Zwangsläufigkeit der Kündigung durch eine Erweiterung der Ausnahmeregelungen abzumildern. Nach wie vor gilt, dass alle in einer katholischen Einrichtung Beschäftigten gemeinsam dazu betragen, „dass die Einrichtung ihren Teil am Sendungsauftrag der Kirche erfüllen kann“. Die jetzt beschlossene Lockerung ist deshalb keine grundsätzliche Abkehr überkommener Überzeugungen, sondern lediglich eine Kurskorrektur aus pragmatischen Erwägungen. Beobachter stellen schon länger fest, dass die katholische Kirche und vor allem die Caritas in ihren Einrichtungen händeringend nach Fachkräften suchen und dabei immer weniger nach der Konfession fragen. Von daher war die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ein Pyrrhussieg, denn es nährte die Befürchtung, dass aufgrund der damit bestätigten Rechtslage sich immer weniger qualifizierte Personen der restriktiven Praxis in katholischen Einrichtungen aussetzen würden.
Gerade die liberalere Haltung gegenüber wiederverheirateten Geschiedenen dürfte aber der Grund dafür sein, warum nicht alle Bischöfe die neue „Grundordnung“ in ihrer Diözese übernehmen wollen. Wenn Wiederverheirate in der kirchlichen Dienstgemeinschaft geduldet werden, gibt es keinen Grund mehr, sie bei der Eucharistie weiterhin auszuschließen.

aus: „Evangelischer Kirchenbote. Sonntagsblatt für die Pfalz“, Ausgabe 20/2015 vom 15. Mai, Abruck mit freundlicher Genehmigung des Autors.

Ohne direkte Beteiligung verfällt die Demokratie. Von der Notwendigkeit der Onlie-Petition „Wormser Wort“.

01/2015, von Friedhelm Schneider

Das Volk wird von Entscheidungen ausgegrenzt
„Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter – Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt.“(Jean Claude Juncker). Der heute oberste Parlamentarier der EU sagt, wie Exekutive, wie die Macht heute funktioniert. Und dass Politiker wie er vom Volk erwarten, dass sie ihr Recht jederzeit und bei jeder Gelegenheit immer neu kämpfen müssen. Das Recht hat man also nicht mehr. Das war einmal. Wenn man dies ernst nimmt, dann weiß man, dass die Demokratie heute nicht mehr das ist, was sie einmal in den 60iger oder 70iger Jahren einmal war. Was unserer Nachkriegsgeneration ohne eigenes Zutun, ohne Anstrengung oder gar Kampf in die Wiege gelegt wurde, betrachteten wir als dauerhaftes Eigentum. Haben wir uns da etwa getäuscht? Schon Goethe mahnte: „Was Du ererbt von Deinen Vätern – erwirb es, um es zu besitzen“. Hinsichtlich der demokratischen Staatswesens heißt das: sie fiel uns zwar in den Schoß, aber an uns ist es, die Demokratie zu bewahren. Und dafür müssen wir etwas tun. Etwas mehr tun, als alle vier Jahre an ein Kreuzchen zu setzen. Die Zeiten, wo man die Demokratie quasi umsonst, ohne eigenes Zutun und Mitwirkung hatte, sind vorbei. Dank an Herrn Junker für die Aufklärung!

Sorgenkind Legislative
Was ist geschehen? Die Gewichtung und Machtverteilung zwischen Legislative, Exekutive und Jurisdiktion wurden in den zurückliegenden Jahrzehnten deutlich verschoben. Und zwar weg von den Volksvertretern, der Legislative: „Das Parlament wird von der Regierung nicht mehr ernst genommen; manchmal nimmt es sich selbst nicht mehr ernst. So war und ist es seit langer Zeit bei den Anti-Terror-Gesetzen. So war und ist es bei den EU-Gesetzen und Verträgen. So war und ist es bei den Auslandseinsätzen der Bundeswehr; hier mussten Parlamentarier gar ihre Zustimmungsrechte erst einmal im Wege der Organklage beim Bundesverfassungsgericht erstreiten.“…“In der Summe ergab sich aber eine für die repräsentative Demokratie problematische Entwicklung: Das Machtverhältnis verschob sich von der Legislative zur Exekutive. Aus der Gewaltenteilung wurde eine Gewaltenneuverteilung“.“Das Bundesverfassungsgericht hat mit seiner Rechtsprechung versucht, dem Bundestag neue Kraft zu geben. Mehr als Hilfe zur parlamentarischen Selbsthilfe können die Karlsruher Verfassungsrichter allerdings nicht leisten. Die vormundschaftsgerichtliche Betreuung des Bundestags durch das deutsche höchste Gericht kann und darf nur eine vorübergehende sein. Sein Selbstwertgefühl muss das Parlament schon selbst wiederfinden“. So der Jurist Prof. Heribert Prantl, SZ.

Und in der Kirche…
Diese bisherigen Erkenntnisse und Schlüsse zu den Verschiebungen bei den Staatsorganen darf man bei Kenntnis der Lage getrost auch auf die Kirchenorgane, die Kirchleitungen, die Synoden und die Gerichte übertragen. Betrachtet man die getroffenen Beschlüsse, kann man konstatieren: auch in der Kirche sind die Synoden die Sorgenkinder. Auch in der Kirche wurde als Begründung der Machtverschiebung eine Krise proklamiert – der Mythos Finanzkrise ausgerufen. Das macht es den Leitungen leicht, sämtliche Beschlüsse auf ein einziges Argument zu reduzieren: „es muss gespart werden“. Aber diese schlichte Argumentation, diese Senkung des Diskursniveaus auf niedrigstes Level in den Synoden müssen die Synodalen ja auch akzeptieren! Man kann zurecht fragen: warum tun sie das? Warum fordern sie nicht wenigstens ein Niveau, das er Komplexität der Organisation Kirche halbwegs angemessen ist? Aber nicht nur das Niveau der Diskurskultur hat enorm gelitten. Auch die Strukuren wurden den neuen Machtverhältnissen angepasst, so wurde in der EKHN die Legislative in die Exekutive integriert, z.B. in der personellen Überschneidung von landeskirchlichem Dekanatssynodalvorstand (DSV) und Kirchenleitung (KL). Weitere Belege für die Entmachtung der Synoden sind Geheimhaltungsstrategien oder gezielte Umgehung der demokratischen Willensbildung wie etwa beim erweiterten Soidarpakt, in dem an höchster Stelle, der Kirchenkonferenz der EKD, weit reichende Entscheidungen für den Kurs der Finanzpolitik und letztlich der kirchlichen Gesamtstrategie aller Landeskirchen getroffen wurden.

Zum Machtausbau der Exekutive zählt auch, dass man wie in der Politik Verstöße gegen die eigenen gesetzlichen Grundlagen bzw. Grundordnungen durchaus zu begehen bereit ist. Bei schwerwiegenden Verstößen der Exekutive gegen die Grundordnungungen waren Klagen in der Kirche nicht selten erfolgreich. Auch in der Kirche entscheiden – ähnlich wie beim Staat – die kirchlichen Verfassungsgerichte durchaus auch für die Kläger. Man muss dies Recht nur auch nutzen!

Was aber ist zu tun, wenn die Verfassung von den Politikern (s.o. Junker) nicht mehr Ernst genommen wird? Denn wie in der Politik läuft es doch oft auch in der Kirche: ‚Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter.‘ Was dann? Dann muss das Kirchen-Volk seine Stimme erheben und laut und vernehmlich reden. Dann kommt der Wir-sind-das Volk-Ruf in der Kirche. Das Schicksal der Kirchen auch daran entscheiden, inwieweit und wie stark die Basis selbst sich für die Interessen der Kirchengemeinschaft einsetzt. 

Wenn die Politik dergestalt degeneriert und verkommt, was heißt das für die Demokratie und die demokratischen Kräfte in Staat und Kirche? Das heißt

1. Information ist die erste Bürger- resp. Christenpflicht. Man darf offiziellen Verlautbarungen nicht mehr unbesehen trauen, sondern muss alles prüfen. „Die Demokratie ist schön. Sie macht aber viel Arbeit“ wusste Karl Valentin. Das heißt

2. Nur wenn eine hinreichend große Zahl an Bürgern und Christenmenschen sich ausreichend Gehör verschaffen, nur dann werden in den geschwächten Synoden Entscheidungen getroffen, die dem Willen der Bürger bzw. in der Kirche dem Willen der Kirchenmitglieder tatsächlich auch entsprechen. Eine Möglichkeit dabei ist auch die Online-Petition, die wir von den Wort-Meldungen für das Wormser Wort einsetzen. In der Kirche ist das ein neues Instrument. Wichtig ist, dass die Basis die Notwendigkeit dieser neuen Form der demokratischen Meinungsäußerung erkennt – und massenhaft wahrnimmt!