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Seismograf seiner Epoche. Kurt Martis Essays für die Zeitschrift «Reformatio» sind in der Schweizer Literatur einzigartig.

Nicht mehr ganz aktuell, aber bedeutend: 21. Februar 2010, von Manfred Papst

Vor uns liegt ein Buch, das aussieht wie eine Bibel oder ein umfängliches Brevier: 1422 Seiten, Dünndruck, schwarzer Einband, gerundete Ecken, drei Lesebändchen. Es enthält sämtliche «Notizen und Details», die der Berner Schriftsteller und Pfarrer Kurt Marti in den Jahren 1964 bis 2007 für die Zeitschrift «Reformatio» verfasst hat. Die Edition ist ein verlegerisches Wagnis, das man kaum genug loben kann. Denn in jedem dieser über 250 Texte, deren Rubrikentitel auf Ludwig Hohls «Nuancen und Details» anspielt, erweist sich der Autor als unbestechlicher Seismograf seiner Zeit. Jede einzelne dieser Glossen und Betrachtungen, jeder einzelne dieser Essays und Aphorismen ist lesenswert. In ihrer Summe aber bilden sie ein Zeugnis, das in der Schweizer Literatur nach 1945 seinesgleichen nicht hat: 44 Jahre hellwacher Zeitzeugenschaft!

Beeindruckend ist die Vielfalt von Martis Themen: Er spricht von Theologie und Literatur, Philosophie und Ökologie, Politik und Gesellschaft. In seiner ersten Glosse geht es um fromme Schnulzen, Stadtplanung und den windigen Bestsellerautor Paul Carrell; seine letzte handelt von Eventkultur, dem Verhältnis von Glauben und Vernunft und zwei Arten von Fundamentalismus. Marti argumentiert kompetent, aber ohne Allüre. Sein Stil ist glasklar. Er ist aufmerksamer Beobachter und unerschrockener Denker, Aufklärer und Gottesmann zugleich. Zur Rezension in der NZZ.