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Die Flüchtlingsfrage – in der ganzheitlichen Praxis vertane Chance für Diakonie und Kirche.

03/2016

Von Friedhelm Schneider

Eher selten äußert sich die geistliche Leitung der Landeskirchen gleichzeitig und unisono zu politischen Fragestellungen. Hinsichtlich der Flüchtlingsströme ist dies wohl zunächst aus einem humanitären Impuls heraus erfolgt. Einige Landeskirchen stellen sogar aus den sprudelnden
Kirchensteuern Finanzmittel für die Flüchlingsarbeit bereit. In diesen Fällen will man es also nicht bei Worten belassen, sondern wirken. Das geschieht an der Basis ohnehin in ertaunlich vielfältigen Aktivitäten, die Menschen den Flüchtlingen gegenüber entwickelt haben.

Hilfe für die Flüchtlinge heißt konkret: Unterkünfte, Verpflegung, Rechtsberatung, Sprachunterricht, Kommunikationsangebote. Das sind in der Regel staatliche Aufgaben. Allerdings kann (oder will) der Staat diese Leistungen nicht selbst erbringen, sondern stellt dafür die Finanzmittel zur Verfügung oder baut auf das Engagement Freiwilliger. Finanzmittel werden hauptsächlich für die Unterbringung bereitgestellt  damit freie Träger, Verbände, Investoren, Unternehmer diese Aufgaben erfüllen können.
Ist auch das eine Aufgabe der Kirchen? Eigentlich und auf den ersten Blick nicht. Man denkt dabei aber an freie Träger, also an die Diakonie. Inwieweit aber ist die Diakonie als
vertrauenswürdiger Akteur als Partner der staatlichen Stellen in den Kommunen und
Landratsämtern in Sachen Flüchtlingsunterkünften aktiv? Inwieweit kommt sie Ihrer Aufgabe nach? Wird die Aufgabe in der Diakonie überhaupt als Aufgabe wahrgenommen? Werden nicht nur die Aufgaben und Risiken, werden auch die Chancen, die humanitären wie auch die wirtschaftlichen Chancen wohlgemerkt, wahrgenommen? Seit Mitte letzten Jahres werden bei Investoren Hochglanzbroschüren für den Markt von Flüchtlingsunterkünften lanciert (z.B. Horinnzonte20xx; Dr. Klein Wohnungswirtschaftsplatttform 02/2015).. Aber bei der Diakonie herrscht – so der Eindruck – Desinteresse.

Ein aktuelles Beispiel aus Mittelfranken: der in die Jahre gekommene Eigentümer eines
Gasthofs an der romantischen Straße mit einer stattlichen Zahl von Fremdenzimmern will seinen Betrieb aus Altersgründen verkaufen. Als Kaufinteressenten treten auf mehrere Privatpersonen/-unternehmer, die das Haus für die Unterbringung von Flüchtlingen nutzen wollen. Die Mieterträge sind so hoch, dass sich die Investition in einem Jahr amortisiert hat. Das bringt auch windige Interessenten auf dem Plan, bei denen die Sachbearbeiter des Landratsamtes Magenschmerzen bekommen. Man kann sich vorstellen, wie erfreut man dort über entsprechende (wie gesagt:hochverzinsliche) Investitionen der Diakonie wäre. Allein:
seitens der Diakonie herrscht Funkstille. Die Arbeit – und das Geschäft – überlässt man
anderen. Das ist bürokratisierte Diakonie. Sie unterscheidet sich nicht von bürokratisierter
Kirche. Welche Synergien hätte Diakonie und Kirche in Kooperation in dieser
Aufgabenstellung entwickeln können? Diakonie investiert und betreibt, Kirche bietet
die Infrastruktur der Kommunikationsangebote. Besagter – auch kirchlich engagierter – Gasthofbesitzer hätte in einer diakonisch geführten Flüchtlingsunterkunft sogar selbst Integratiosangebote ehrenamtlich und uneigennützig angeboten und bereitgestellt. Er wäre sicher nicht der einzige aus der Kirchengemeinde gewesen.

Wenn ich recht sehe, exisitert solches diakonisch-kirchliche Unternehmertum nicht. Und
dies Manko gereicht Diakonie und Kirche zum Schaden. Gerade wenn man prognostiziert, dass
die Kirchensteuern sinken werden, müsste man sich – aus unternehmerischer Sicht – mehr einfallen lassen als simples Downsizing, als das Schließen von Einrichtungen, das Herunterfahren von Angeboten, die Entlassung von Personal oder den Abbau von Stellen. So reagieren Verwaltungsjuristen. Woran es den Verwaltungen fehlt ist: unternehmerischer Geist, der nicht überall, aber doch gerade dort aktiv wird, wo die Kirche in Erfüllung humanitärer Aufgaben wirtschaftlich gewinnbringend handeln kann.Wenn man so denkt, dann kann die Flüchtlingsaufgabe auch als unternehmerische Chance, ja als Chance für die Organisationsentwicklung der eigenen, bürokratisierten Organisation selbst gesehen und wahrgenommen werden. Als Chance, seine originiäre Aufgabe zu erfüllen, dafür satt mit stattlichen Mitteln unterstützt zu werden und durch die Arbeit gesellschaftliche und staatliche Anerkennung zurückzugewinnen.

Eine ähnliche Situation gab es übrigens schon einmal, Anfang der 90iger Jahre. Damals war die Diakonie als Verband ebenfalls nicht aktiv. In die Lücke sprangen jedenfalls im Rhein-Main-Gebiet Kirchengemeinden. Sie haben genau die Aufgabe erfüllt, die oben beschrieben wurde. Sie wurden in der Kirche von keiner Seite unterstützt, sondern waren auf sich selbst gestellt. Doch sie hatten mit ihrer Arbeit Erfolg. Sie gründeten damals den Verband christlicher Flüchtlingshilfen im Rhein-Main-Gebiet. Der Träger Diakonie hätte das Modell also noch nicht einmal neu entwickeln müssen, die Erfahrungen und Kennzahlen waren vorhanden.
Für dies mal dürfte diese Chance des unternehmerischen Wirkens von Diakonie in Kooperation mit Kirche, also einer ganzheitlichen Herangehensweise an das Problem, verpasst sein. Nicht nur im Gasthof in Mittelfranken. Der wurde an einen Privatinvestor verkauft. Dem die Flüchtlinge egal sind. Der aber weiß, dass er mit den Mieterträgen eines Jahres den Gasthof schon finanziert hat. Ob und wann es ein nächstes Mal gibt – wer weiß. Ob die Diakonie dann aus den Erfahrungen gelernt haben wird…?