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Kirche angesichts von Individualisierung und Säkularisierung. Die fünfte EKD-Erhebung über Kirchenmitgliedschaft. Heinrich Bedford-Strohm (Hrsg. […]): Vernetzte Vielfalt

01/2016

2016 könnte das Jahr der Ortsgemeinden werden. Jedenfalls dann, wenn sich die Landeskirchen mit ihren Synoden und in ihren Entscheidungen an den Ergebnissen der fünften Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung der EKD orientierten. Dies würde jedoch in manchen Bereichen einen radikalen Gesinnungswandel und den Willen zu Korrekturen voraussetzen. Denn der vor einigen Wochen im Gütersloher Verlagshaus erschienene, fast 550 Seiten starke offizielle Auswertungsband lässt schon bei einer ersten Durchsicht keine Zweifel daran, wo die größte Bindungskraft und Stärken der evangelischen Kirche liegen: in den parochial organisierten Ortsgemeinden!… Mehr dazu.

Wormser Wort: Die Antwort des Ratsvorsitzenden der EKD. Eine Entgegnung und etliche Kommentare von UnterzeichnerInnen.

05/2015, die Petition „Wormser Wort“ wurde mittlerweile von 1100 Personen unterzeichnet. Auf die Zusendung des Inhalts und des Ergebnisses reagiert nun der Ratsvorsitzende. Wir veröffentlichen zunächst den Wortlaut. im Anschluss veröffentlichen wir eine erste Stellungnahme. Wer von den Lesern die Antwort des Ratsvorsitzenden ebenfalls kommentieren möchte, ist eingeladen, dazu die Kommentarfunktion zu nutzen. 

Es schreibt der persönliche Referent des Ratsvorsitzenden:

„Der Ratsvorsitzende hat Ihr Schreiben persönlich zur Kenntnis genommen und mich gebeten, Ihnen zu antworten:

In der Petition „Wormser Wort“ wird engagiert gerungen um die Frage nach zukünftigen Ausrichtungen und Gestaltungen der evangelischen Kirche. Mitglieder unserer Kirche haben Zeit und Kraft investiert, um das gemeinsame Nachdenken mit einem neuen Impuls zu versehen. Dieses Engagement begrüßen wir und sehen uns mit den Unterstützerinnen und Unterstützern der Petition verbunden in der gemeinsamen Aufgabe, kirchliches Leben in der Gegenwart und für die Zukunft zu gestalten. Gerade in einer Kirche, die wie die reformatorisch geprägten Kirchen aus einem Reformimpuls heraus entstanden ist, stellt das Nachdenken über angemessene Strukturen und auftragsgemäßes Handeln eine bleibende, zentrale Aufgabe dar. In der Petition werden die aus den Diskussionen um das Impulspapier „Kirche der Freiheit“ hervorgegangenen Überlegungen in einer Weise dargestellt, die der Richtigstellung bedarf:

1. An keiner Stelle wird im Kontext des Reformprozesses die Fusion von Gemeinden und die Reorganisation von Strukturen anders verstanden denn als Reaktion auf abnehmende Zahlen von Gemeindegliedern oder finanzierbaren Personalstellen. Nicht die Reorganisation kommt zuerst und dann die rückläufigen Zahlen – als ob der Reformprozess den Umbau verursachte oder dieser ohne ihn unnötig sei.

2. Die Forderungen der Petition scheinen von einer Kirche auszugehen, die sich den gesellschaftlichen Veränderungsprozessen entziehen könnte. Es ist u.E. jedoch eine Illusion, dass unsere Kirche durch die gravierenden Veränderungen ihres Umfelds unverändert bleiben könnte. Gerade die in der jüngsten KMU bestätigten Entwicklungen setzen eine Bündelung von Kräften voraus, um elementare Aufgaben weiterhin wahrnehmen zu können. Über die Richtung der Reorganisation kann man natürlich streiten, aber alles möglichst unverändert zu lassen, entspricht nicht der Dramatik der Herausforderungen.

3. Die Petition arbeitet verschiedentlich mit der Gegenüberstellung von Reorganisationsprozessen und dem „eigentlichen Auftrag“, nämlich der Kommunikation des Evangeliums. Diese Gegenüberstellung verkennt, dass ein kontinuierlicher und langfristig stabiler Verkündigungsdienst eine verlässliche materielle Basis benötigt. M.a.W.: Die Sorge um die Erfüllung des Kernauftrags der Kirche hat immer auch eine materielle und rechtliche Komponente, die durch beständige Reorganisation sicher gestellt werden muss.

4. In der Petition wird der Eindruck erweckt, als wäre hier eine zentralistische Institution am Werk, die analog zu einem großen Unternehmen die evangelische Kirche in Deutschland von oben neu aufstellen wolle. Das wird den Reformbemühungen in keiner Weise gerecht. In den Landeskirchen werden vielfältige Diskussionen um die notwendigen Veränderungen geführt. Dass darin die von der EKD angestoßenen Überlegungen einfließen und weiterentwickelt werden, entspricht dem guten Zusammenwirken innerhalb unserer Kirche.

Mit freundlichen Grüßen

Johannes Goldenstein“

 

Stellungnahme:

Scheinwelten
Es wichtig festzuhalten, dass sich die demografische Entwicklung und andere wichtige Rahmenbedingungen unsere Kirche verändern und also auch Auswirkungen auf die Organisation und den kirchlichen Alltag haben werden. Es gehört zu den Schwierigkeiten der innerkirchlichen Diskussion, dass die „Reformer“ gerne in Abrede stellen, dass Kritiker der Reform die Voraussetzungen der Reform überhaupt nicht zur Kenntnis nehmen. Das ist falsch. Es geht um unterschiedliche Antworten auf die Herausforderungen der Zeit.

Dazu einige Beispiele:
1.Vor 15 Jahren erklärte beispielsweise die Kirchenleitung der EKHN, dass ein Dekanat mindestens 20.000 Mitglieder brauche um „lebensfähig“ zu sein. Bis dahin gab es viele Dekanate, die deutlich kleiner waren, insbesondere im ländlichen Bereich. Entsprechend wurden Dekanate zusammen gelegt. Einige Jahre später erklärte die gleiche Kirchenleitung, dass ein Dekanat 40.000 Gemeindeglieder brauche, um „lebensfähig“ zu sein. Inzwischen ist diese Größe auf 70.000 Mitglieder hoch gesetzt. Die damit verbunden Reorganisationen sind zeitaufwändig, teuer und haben für die Präsenz der Kirche vor Ort und die alltägliche Arbeit wenig feststellbare Verbesserungen, aber sehr viele Nachteile gebracht. Die Festlegung der Gemeindegliederzahl eines Dekanats lässt sich nicht einfach aus „abnehmenden Zahlen und finanzierbaren Personalstellen“ ableiten. Die Zahlen haben jedenfalls mit demographischen Herausforderungen nichts zu tun.

2. Ähnliches gilt für die Größe von Gemeinden und die damit in Beziehung gesetzte Feier des Gottesdienstes. Jahrzehntelang wurde in Diasporadörfern ein sonntäglicher Gottesdienst gehalten, zu dem 10-15 Gemeindeglieder erschienen. Inzwischen hat man die Gemeinden und Pfarrer überzeugt, dass solche Gottesdienste getrost ausfallen können. Die Menschen werden aufgefordert in Nachbardörfer zum Gottesdienst zu gehen. Aus unserer Sicht ist das ein großer Verlust für unsere Kirche. Die jüngste KMU scheint die Auswirkungen dieser Reduktion kirchlicher Arbeit aufzuzeigen. Professor Pollack, einer der wissenschaftlichen Begleiter der Studie, weist auf diesen Zusammenhang eindrücklich hin: „Im Gegensatz zu einer weit verbreiteten Annahme ist der Glaube jedoch kein von der Institution Kirche isolierter rein individueller Akt. Er bedarf vielmehr der institutionellen Unterstützung, und er verkümmert, wenn ihm die kommunikative Unterstützung durch Interaktionen im Raum der Kirche, durch Kontakte zum Pfarrer, durch den Gottesdienst fehlt. Das haben unsere Analysen, die repräsentativ sind und höchsten sozialwissenschaftlichen Standards genügen, immer wieder gezeigt: Intensive kirchliche Praxis und das Bekenntnis zum Glauben an Gott korrelieren hoch.“

3. Es ist ein Merkmal der Reformprozesse, dass sie sich vielfältig selbst überholen. Eine Reform löst die nächste aus. Bei der ersten Dekanatsfusion gab es lange Diskussionen und vielfältige Anfragen aus den Gemeinden. Dann wurde in Synoden von Seiten der Kirchenleitung vorgetragen, man solle doch diesen Reformschritt tun, um endlich wieder zur „eigentlichen Arbeit“ zu kommen. Doch schon wenige Jahre später wurden neue Reformen angestrebt, die die eigentliche Arbeit wiederum behindert haben. So ist zum Beispiel das religionspädagogische Amt der EKHN inzwischen zweimal Mal umgezogen. Die angekündigten Kosteneinsparungen sind nie eingetreten, dafür sind aber deutlich höhere Kosten für Umbau und Neubaumaßnahmen entstanden. Die beschlossenen Evaluationen wurden in der Regel nicht durchgeführt, bzw. waren schon durch weitere Reformen obsolet.

4. Inzwischen hat sich der rheinische Präses Rekowski bei den Pfarrern für Versäumnisse in der Personalpolitik erstmals öffentlich entschuldigt. Wenn Sie schreiben, dass die Kirche ihre Kräfte bündeln müsse, um elementare Aufgaben weiterhin wahrnehmen zu können, dann muss man leider feststellen, dass in der Zeit der Reorganisation von Seiten der Kirchenleitung und den ev. Landeskirchen bewusst auf die Werbung des pastoralen Nachwuchses verzichtet worden ist. Es stellt sich in der Tat die Frage, ob nicht eine Diskussion notwendig ist, welches die „elementaren Aufgaben“ der Kirche sind. Der Gottesdienst und die Verkündigung jedenfalls gehören dazu. Die Reorganisation unserer Kirche weist an dieser Stelle Defizite auf, die dringend behoben werden müssen.

5. Dass bei den Reformprozessen in vielfältiger Weise eine Zentralisierung der Arbeit vorgenommen wurde, ist eine Kritik, die vielfältig erhoben worden ist. Es ist Teil des Problems, dass die leitenden Stellen dies bestreiten. Deshalb findet man auch keine Verantwortlichen für die vielen Mängel der Reformen. Niemand ist verantwortlich für den fehlenden Pfarrnachwuchs, obwohl die Probleme frühzeitig benannt wurden. Niemand ist für die Probleme der Doppik verantwortlich, obwohl dringend Handlungsbedarf besteht. Damit freilich kommt ein besonderes Problem der Reformprozesse in den Blick: Die Qualität der Kirchenleitungen. Da sie sich gegen Kritik von außen weitgehend immun gemacht haben, wie auch der Brief von Herrn Goldenstein zeigt, fehlt an der entscheidenden Stelle die Reformfähigkeit.

(BB) (Name des Autors ist der Redaktion bekannt)

 

 

„Wer Ostern kennt, kann nicht verzweifeln“. Osterbotschaft des EKD-Ratsvorsitzenden Heinrich Bedford-Strohm.

2. April 2015

Logo der EKD „Wer Ostern kennt, kann nicht verzweifeln.“ Dieser Satz stammt von dem Theologen Dietrich Bonhoeffer, der vor 70 Jahren, am 9. April 1945, kurz nach Ostern, hingerichtet wurde. „Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt.“ Auf dieses Wort Jesu aus dem Johannesevangelium hat Bonhoeffer auch im tiefsten Dunkel vertraut. … Zum Text.

Bayerischer Landesbischof Bedford-Strohm reagiert auf katholische Kritik an EKD-Dokument „Rechtfertigung und Freiheit“

Nicht nur von protestantischer Seite, etwa von den Kirchenhistorikern Prof. Thomas Kaufmann und Prof. Heinz Schilling, wird das EKD Dokument kritisch gesehen.

21.07.2014 In einem Beitrag für das Online-Portal katholisch.de hat der bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm die von der EKD kürzlich veröffentlichte Schrift „Rechtfertigung und Freiheit“ verteidigt.

Von katholischer Seite war die Schrift allerdings deutlich kritisiert worden. Kurienkardinal Walter Kasper bemängelte, dass in der EKD-Schrift die Ergebnisse langjähriger ökumenischer Arbeit, wie etwa die 1999 von Lutheranern und Katholiken feierlich unterzeichnete „Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ mit keinem Wort erwähnt würden. Zum Beitrag.

Paderborn, 2. April 2014.
Für Katholiken bleibe es schwierig, das im Jahr 2017 anstehende Jahresgedenken an die Reformation mit dem Wort „Jubiläum“ zu schmücken, sagte Erzbischof Becker in seinem Grußwort zur Tagung. Denn mit der Reformation habe eine Phase der Spaltung der Kirche begonnen… Zum Pressemitteilung des Erzbistums Paderborn.

Anm. F.S.: Welches Verständnis Walter Kasper von Ökumene hat kommt in seiner Anregung zur Gestaltung des Reformationsjubiläum vom 10.11.2013 gerade auch auf dem Hintergrund der Erläuterung von Erzbischof Becker (s.o.) überdeutlich zum Ausdruck: „Der frühere Präsident des Päpstlichen Einheitsrates, Kardinal Walter Kasper, hat angeregt, dass die evangelische und die katholische Kirche beim Reformationsgedenken 2017 einen gemeinsamen Gottesdienst feiern sollten. „Darin sollten wir ein Bekenntnis unserer Schuld ablegen, dass wir das Gebot der Einheit nicht erfüllt haben“, sagte Kasper am Freitagabend in Münster. Zur Quelle. Man möchte also offensichtlich eine Schuldfrage klären. Und wer der Schuldige ist, ist für die zitierten katholischen Stimmen eindeutig.

Für Kritiker der „gemeinsamen Erklärung zu Rechtfertigungslehre“, etwa dem renommierter Münchner Prof. Friedrich-Wilhelm Graf, gilt die gemeinsame Erklärung von 1999 hingegen als Beispiel für eine „Ökumene der leeren Lehrversprechungen“. Mehr zu seiner fundierten, Kritik und den Hintergründen dieser lutherisch-katholischen Vereinbarung finden Sie hier. Erklärt solche innerprotestantische Kritik an der Ökumene der letzten beiden Jahrzehnte, dass die EKD zu dieser früheren Vereinbarung (von 1999) mittlerweile bewusst auf Abstand geht?