Schlagwort-Archive: I mpulspapier „Kirche der Freiheit“

Synoden-Entscheidungen über die künftige Entwicklung der evangelischen Kirchen – halten sie einer Prüfung auf Urteilsheuristik stand? von Pfarrerin Dr. Katharina Dang, Berlin.

01/2016

Daniel Kahnemann,  gilt als einer der wichtigsten Psychologen unserer Zeit und das
Erscheinen seines Buches „Schnelles Denken, Langsames Denken“ 2011 in New York
und 2012 auf Deutsch sei ein Großereignis, so ein Zitat von Steven Pinker auf dem
Umschlag des im Pantheon Verlag 2014 erschienenen Buches. Kahnemann fasst darin
als fast Achtzigjähriger die Forschungsergebnisse und Erfahrungen seines Berufslebens
allgemeinverständlich zusammen. Auf Religion geht er nur in einem Absatz ein. Er sieht
wie so viele seiner Kollegen bestimmte Prägungen menschlichen Denkens in der
Evolution aus dem Tierreich begründet und ist kein Christ, sondern wenn schon, dann
Jude. Die Probanden für seine Forschungen waren, wie an Universitäten üblich, in der
Regel Studenten. Beschäftigt haben ihn Entscheidungsfindung in der Wirtschaft, im
Finanzwesen und von Ärzten sowie Alltagsentscheidungen von Bürgern. Warum
funktionieren Lotterien? Warum wird was versichert?
Trotzdem hat mich vieles in seinem Buch an unsere evangelische Kirche in Deutschland
und den seit der Programmschrift „Kirche der Freiheit“ 2006 forcierten „Reformprozess“
erinnert.
Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Wie es nicht anders sein kann, wenn sich
Kirchenleitende an der Wirtschaft orientieren, müssen sie auch die Fehler machen, die in
der Wirtschaft gemacht werden…. Zum download: Daniel Kahnemann Kirche-1

„Kirche der Freiheit“ oder Kirche der Verantwortung? Ein engagierter Christ begründet seinen Kirchenaustritt.

06/2015, Beitrag mit freundlicher Erlaubnis aus den „Zwischenrufen“ übernommen

Der Autor dieses Textes, Matthias Burchardt, ist Akademischer Rat am Institut für Bildungsphilosophie der Universität zu Köln. Neben seiner Kritik an Transformationsprozessen im Bildungswesen (Pisa, Bologna) gilt sein Augenmerk auch den sog. „Reformen“ in der Ev. Kirche.
Der nachfolgende Text ist zwar aus dem Jahr 2008, aber immer noch aktuell, zumal die von Burchardt befürchteten destruktiven Auswirkungen der neoliberalen „Modernisierung“ immer deutlicher zu Tage treten.

Begründung meines Kirchaustrittes
Aus Protest gegen das Impulspapier ›Kirche der Freiheit‹ und dessen Umsetzung durch die EKD trete ich bis auf weiteres aus der Evangelischen Kirche aus.
1. Die ›Kirche der Freiheit‹ ist durchdrungen vom Jargon und den Modellen des Neoliberalismus. Ich betrachte das Dokument als sinnfälliges Symptom einer Immunschwäche der leitenden Kircheninstitution gegenüber einer gesellschaftlichen Tendenz, die von Soziologen treffend als ›ökonomischer Totalitarismus‹ bezeichnet wird.
2. ›Ökonomischer Totalitarismus‹ ist die Homogenisierung aller Lebensbereiche einer Gesellschaft durch das Regime des Managements. Dieses Regime expandiert das Kosten-Nutzen-Kalkül als alternativlose Rationalität, setzt Individuen und Gemeinschaften einem externen Marktdruck aus, indem es ein Kraftfeld der Konkurrenz um knappe Sozialchancen errichtet, auf dem nur derjenige besteht, der ›Alleinstellungsmerkmale‹ ausbildet und seine Humanressourcen besser ausschöpft als die Wettbewerber. Diese Doktrin der Selbstvermarktung unter der kaum verhohlenen Drohung eines ›Rechts des Stärkeren‹ macht Menschen krank und erzeugt soziale Verwerfungen. McKinsey, federführend beim EKD-Papier, ist keine unabhängige Beratungseinrichtung, sondern interessierter Akteur, der die Transformation der Gesellschaft in diesem Sinne vorantreibt.
3. Es ist eine Illusion, die aufgrund der Erfahrungen mit der neoliberalen ›Modernisierung‹ im Bildungsbereich als solche durchschaubar wäre, dass durch eine ökonomistische Optimierung der ›Organisation‹ die eigentlichen Zwecke der Kirche erfolgreicher verfolgt werden könnten. Genau das Gegenteil wird der Fall sein: Die im Papier ›Kirche der Freiheit‹ intendierten Mittel werden die ursprünglichen Zwecke korrumpieren und schließlich liquidieren. Die metrischen Verfahren der Qualitätssicherung beispielsweise wirken implizit normativ, und was in einer Brötchenfabrik möglicherweise funktioniert, wirkt dort fatal, wo Qualität – wie in der Kirche oder in der Bildung – nicht quantifizierbar oder nach den Kriterien der Kundenzufriedenheit oder der Prozesseffizienz zu definieren ist. Der Horizont legitimierbarer Zwecke schrumpft zusammen auf das, was sich messen und zum Gegenstand von Zielvereinbarungen machen lässt (z.B. Taufquoten steigern).
4. Ich plädiere für eine ›Kirche der Verantwortung‹, die sowohl programmatisch als auch institutionell eine Alternative zur inhumanen und nihilistischen Totalisierung des Management-Kalküls bietet. Gerade in den sich ankündigenden Zeiten der wirtschaftlichen Krise und den damit verbundenen sozialen Ungerechtigkeiten sollte m. E. die Verantwortung der Kirche darin bestehen, in ihren Beschäftigungsverhältnissen einen humaneren Lebensentwurf zu verwirklichen als es in Wirtschaftsunternehmen, Schulen, Krankenhäusern oder Universitäten der Fall ist. Mehr noch ist die Kirche aber als eine Sinnmacht gefordert, die die drängenden existenziellen und sozialen Fragen vor dem Hintergrund der Offenbarung stellt und der historischen Stunde entsprechend und d.h. auch unzeitgemäß beantwortet. Eine Optimierung von Funktionen ist eben nicht identisch mit der Stiftung von Sinn.
Meine Kritik richtet sich ausdrücklich nicht gegen die engagierten Vertreter der Kirche in meiner Gemeinde. Trotzdem erscheint es mir vor dem Hintergrund der angeführten Thesen ein Gebot meines Gewissens zu sein, ein Zeichen gegen diese bedenkliche Entwicklung zu setzen. An meinem christlichen Bekenntnis halte ich fest!

im Dezember 2008,
Matthias Burchardt