Prof. Dr. Enno Bünz, Leipzig. Mit freundlicher Genehmigung des Autors.
Leserbrief in der SZ vom 06.10.14, S.15 zum Thema „Pfarrreifusionen – Schwere Last für die Kirchen“
„Dieses vehemente Plädoyer, die Kirche im Dorf zu lassen, habe ich mit großer Zustimmung gelesen. Das Gotteshaus vor Ort ist weit über die rein kirchliche Funktion hinaus ein identitätsstiftender Faktor, und dazu gehört ein Blick in die Geschichte, der bei Henkel zu kurz kommt. Theodor Fontane hat einmal treffend geschrieben, nur die Dorfkirchen „stellen sich uns vielfach als die Träger unserer ganzen Geschichte von Pfarreien dar“. Nicht nur in der Mark Brandenburg umspannen die alten Kirchengebäude mit ihrer historischen Ausstattung vielfach die gesamte Ortsgeschichte von der Dorfgründung bis zur Gegenwart. Bei den vielen dörflichen Kirchengründungen seit dem Mittelalter ging es keineswegs nur darum, ein Kirchengebäude zu errichten, sondern ebenso wichtig war es, den Pfarrgeistlichen dauerhaft zu finanzieren. Dafür musste mit Landbesitz und Einkünften eine Pfründe ausgestattet werden. Erst im Laufe des 19. Jahrhunderts ist das Pfründenwesen abgeschafft worden, und die Pfarrer (katholische wie evangelische) wurden zu Gehaltsempfängern der Bistümer oder Landeskirchen. Die Einführung der Kirchensteuer schuf dafür Grundlagen und ermöglichte übrigens, dass die Pfarrer nun einheitlich besoldet wurden, während sie vorher als Pfründenbezieher von Ort zu Ort recht unterschiedliche Einkommenssituationen vorfanden. Dieses System der Kirchenfinanzierung hatte sicherlich seine Nachteile und Schattenseiten (arme und reiche Pfarrer), sorgte aber dafür, dass die Gemeinden ganz andere Gestaltungsmöglichkeiten hatten als heute, wo über den Weg der (staatlich eingezogenen) Kirchensteuer ein Großteil der finanziellen Ressourcen nicht mehr vor Ort verbleibt. Vor diesem Hintergrund ist die Feststellung des Verfassers, „Amtskirche beseitigt Volkskirche“, besonders schmerzlich, denn die Amtskirche hat eine Verantwortung für die Kirche vor Ort.
Zur schonungslosen Analyse der heutigen kirchlichen Lage gehört allerdings auch der Befund, dass die Zahl der Priesterweihen in der katholischen Kirche seit über einem halben Jahrhundert massiv zurückgegangen ist und dass dieser Trend mittlerweile auch in der evangelischen Kirche wirkt. Zunehmend haben die Amtskirchen massive Probleme, alle Pfarrstellen zu besetzen. Dass die Kirchenbindung spürbar nachlässt, schlägt sich nicht nur in einer schwindenden Zahl von Berufungen nieder, sondern in einer immer geringeren Teilnahme der Gläubigen am kirchlichen Leben, auch auf dem Dorf, und in einer wachsenden Zahl von Kirchenaustritten in beiden Großkirchen. Darauf geht Herr Henkel in seinem pointierten Artikel nicht weiter ein.
Es geht aber nicht nur um das Gotteshaus auf dem Dorf, dem sich die Gemeinde verbunden fühlt, und es kommt auch nicht nur auf die lokalen kirchlichen Gremien an, in denen sich die Gemeindemitglieder engagieren können. Entscheidend ist der Pfarrer vor Ort, der das Wort Gottes verkündet und die Gläubigen anspricht. Das schafft Kirchenbindung. Wenn es darauf nicht mehr ankommt, reichen Fördervereine für die Erhaltung der Dorfkirchen.“