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Lasst den Dörfern ihre Kirchen. 15 Thesen zum kathol. Reformprozess von Prof. Gerhard Henkel (Humangeograph) und Prof. Johannes Meier (Kirchengeschichtler)

30. November 2014,Von Gerhard Henkel und Johannes Meier; erschienen in: Christ in der Gegenwart

Wir danken für die Freigabe der Verlinkung des Artikels für den Leserkreis der www.wort-meldungen.de. An dieser Stelle nur ein kurzer Auszug. Vollständiger Text, s.u.

In vielen Bistümern werden aufgrund des Priestermangels Pfarreien aufgelöst. Die Kirche wiederholt damit die Fehler der kommunalen Gebietsreformen und zerstört damit das in Jahrhunderten gewachsene Denken, Fühlen und Handeln der Dorfbewohner für ihre Kirche. Davon sind der Humangeograf mit Schwerpunkt Land- und Dorfentwicklung Gerhard Henkel und der Kirchengeschichtler Johannes Meier überzeugt. Ihre Argumente und Thesen zu den Folgen der Zusammenlegung von Gemeinden sowie zu konkreten Alternativen stellen wir zur Diskussion…

Problemfall Bürokratie
1. Gemeindefusionen dienen in keiner Weise der Seelsorge vor Ort oder gar einem aktiveren Gemeindeleben…

2. Die Kirchengebäude, vor Jahrhunderten von Dorfbewohnern errichtet und – auch in Zeiten der Armut – gepflegt und modernisiert, Mittelpunkte und Symbole des Glaubens und Gemeindelebens, sollen dem Dorf weggenommen und einer anonymen Großgemeinde übereignet werden..

Das größte Eigentor
3. Die kirchlichen Gemeindefusionen wiederholen die gravierenden Fehler der kommunalen Gebietsreformen der zurückliegenden Jahrzehnte in einigen Bundesländern…

4. Der Amtskirche fehlt das Vertrauen in die Gläubigen der Ortskirchen, auf deren Gefühle, Kompetenzen und Kräfte, und in lokale demokratische Gremien…

5. Die Kirche verliert heute immer mehr Gläubige, vor allem im mittleren und jugendlichen Alter. Dazu tragen zurückliegende und aktuelle Missstände in der Amtskirche bei, besonders aber deren Verschleierung und Vertuschung..

Alternative: Verbandsgemeinde
6. Es ist durchaus sinnvoll, die bestehenden Kirchengemeinden organisatorisch miteinander zu vernetzen und von Verwaltungsarbeit zu entlasten. Dieses kann und sollte man zentralisieren. Aber man braucht dazu keine Fusionen…

7. Man kann vorhersehen und teilweise schon beobachten, was nach Fusionen passiert: In der Amtskircheden anonymen Großgemeinden können nicht alle Kirchen, Pfarrheime und Pfarrhäuser „gehalten“ werden…

Unerhörter Weckruf
8. Die zentralen Raumordner im Umfeld der Bischöfe argumentieren gerne mit den Kosten. Manchmal heißt es auch, man wolle die Kirche „demografiefest“ machen. Hehre und hohle Schlagwörter, die Wesentliches außer Acht lassen…

9. Strukturreformen sollten vor allem die Seelsorge und das Mitmachen vor Ort wieder stärken, was in Zeiten zunehmender Kirchenferne – auch auf dem Lande – schwer genug ist…

10. Kommt es zu den Fusionen von Kirchengemeinden, werden die bestehenden Defizite der Landpastoral nur vergrößert…

Leitbild Bürger
11. In unserer Gesellschaft gibt es – nicht nur in der Jugend – ein wachsendes Unbehagen an der Praxis der Demokratie. Durchsteuern von oben nach unten ist nicht zeitgemäß…

12. Die Verantwortlichen in den deutschen Bistümern müssen sich fragen lassen, welche Lehre der Kirche ihr Denken bestimmt…

Was Papst Franziskus möchte
13. In diesem Sinne äußert sich auch Papst Franziskus in seinem Apostolischen Schreiben „Evangelii gaudium“…

14. Die Gesellschaft braucht die Kirche, der ländliche Raum braucht die Kirche. Aber die Kirche nimmt dies und ihren Auftrag zu wenig wahr…

Positives Kirchturmdenken
15. Mit der Auflösung der Ortspfarreien schadet die Kirche nicht nur sich selbst, sondern auch dem Land und seinen Menschen…  Zum vollständigen Text.

Entscheidend ist der Pfarrer vor Ort. Von Prof. Enno Bünz

Prof. Dr. Enno Bünz, Leipzig. Mit freundlicher Genehmigung des Autors.
Leserbrief in der SZ vom 06.10.14, S.15 zum Thema „Pfarrreifusionen – Schwere Last für die Kirchen“

„Dieses vehemente Plädoyer, die Kirche im Dorf zu lassen, habe ich mit großer Zustimmung gelesen. Das Gotteshaus vor Ort ist weit über die rein kirchliche Funktion hinaus ein identitätsstiftender Faktor, und dazu gehört ein Blick in die Geschichte, der bei Henkel zu kurz kommt. Theodor Fontane hat einmal treffend geschrieben, nur die Dorfkirchen „stellen sich uns vielfach als die Träger unserer ganzen Geschichte von Pfarreien dar“. Nicht nur in der Mark Brandenburg umspannen die alten Kirchengebäude mit ihrer historischen Ausstattung vielfach die gesamte Ortsgeschichte von der Dorfgründung bis zur Gegenwart. Bei den vielen dörflichen Kirchengründungen seit dem Mittelalter ging es keineswegs nur darum, ein Kirchengebäude zu errichten, sondern ebenso wichtig war es, den Pfarrgeistlichen dauerhaft zu finanzieren. Dafür musste mit Landbesitz und Einkünften eine Pfründe ausgestattet werden. Erst im Laufe des 19. Jahrhunderts ist das Pfründenwesen abgeschafft worden, und die Pfarrer (katholische wie evangelische) wurden zu Gehaltsempfängern der Bistümer oder Landeskirchen. Die Einführung der Kirchensteuer schuf dafür Grundlagen und ermöglichte übrigens, dass die Pfarrer nun einheitlich besoldet wurden, während sie vorher als Pfründenbezieher von Ort zu Ort recht unterschiedliche Einkommenssituationen vorfanden. Dieses System der Kirchenfinanzierung hatte sicherlich seine Nachteile und Schattenseiten (arme und reiche Pfarrer), sorgte aber dafür, dass die Gemeinden ganz andere Gestaltungsmöglichkeiten hatten als heute, wo über den Weg der (staatlich eingezogenen) Kirchensteuer ein Großteil der finanziellen Ressourcen nicht mehr vor Ort verbleibt. Vor diesem Hintergrund ist die Feststellung des Verfassers, „Amtskirche beseitigt Volkskirche“, besonders schmerzlich, denn die Amtskirche hat eine Verantwortung für die Kirche vor Ort.

Zur schonungslosen Analyse der heutigen kirchlichen Lage gehört allerdings auch der Befund, dass die Zahl der Priesterweihen in der katholischen Kirche seit über einem halben Jahrhundert massiv zurückgegangen ist und dass dieser Trend mittlerweile auch in der evangelischen Kirche wirkt. Zunehmend haben die Amtskirchen massive Probleme, alle Pfarrstellen zu besetzen. Dass die Kirchenbindung spürbar nachlässt, schlägt sich nicht nur in einer schwindenden Zahl von Berufungen nieder, sondern in einer immer geringeren Teilnahme der Gläubigen am kirchlichen Leben, auch auf dem Dorf, und in einer wachsenden Zahl von Kirchenaustritten in beiden Großkirchen. Darauf geht Herr Henkel in seinem pointierten Artikel nicht weiter ein.
Es geht aber nicht nur um das Gotteshaus auf dem Dorf, dem sich die Gemeinde verbunden fühlt, und es kommt auch nicht nur auf die lokalen kirchlichen Gremien an, in denen sich die Gemeindemitglieder engagieren können. Entscheidend ist der Pfarrer vor Ort, der das Wort Gottes verkündet und die Gläubigen anspricht. Das schafft Kirchenbindung. Wenn es darauf nicht mehr ankommt, reichen Fördervereine für die Erhaltung der Dorfkirchen.“