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EKHN-Synode: Das neue Zuweisungssystem für Gemeinden – Ein Sieg der Synode über ein fragwürdiges Gebaren der Kirchenleitung.

Von Jürgen Relator

„Der Entwurf eines Kirchengesetzes zur Änderung der Rechtsverordnung über die Zuweisungen an Kirchengemeinden und Dekanate“, so die offizielle Bezeichnung, war nicht nur ein papierenes, bürokratisches Monster, sondern deckte auch das Vorhaben der Kirchenleitung auf, kleine Gemeinden durch finanzpolitischen Druck in Fusionen treiben zu wollen.
Das z. Z. noch gültige Zuweisungssystem hatte eine Halbwertszeit von gerade mal sechs Jahren. Nach damals schon heftigen synodalen Debatten präsentierte die Kirchenleitung im Jahre 2008 zunächst voller Stolz das derzeit geltende Zuweisungssystem. Es wurde mit großer kirchensynodaler Mehrheit mit der Intention beschlossen, eine Balance zwischen der Grundversorgung insbesondere kleiner Kirchengemeinden und den berechtigten Interessen großer Kirchengemeinden zu schaffen.
Kleine, vorwiegend ländliche Kirchengemeinden mit weniger als 281 Mitgliedern erhalten für ihre Arbeit eine Mindestzuweisung in Höhe von 12.000 €. Dies sicherte die Arbeit in den kleinen Gemeinden. Dabei wurde der Tatsache Rechnung getragen, dass insgesamt die Hälfte der EKHN-Gemeinden unterhalb einer Größe von ca. 1160 Gemeindegliedern liegt.
Für die Kirchenleitung war dies jedoch stets ein Dorn im Auge, da hierdurch Fusionen benachteiligt wurden im Blick auf sich zusammenschließende Gemeinden und ihrer finanziellen Einbußen gegenüber vorheriger Einzelgemeinden. Außerdem beklagten sich Gemeinden mit mehreren Gottesdienstorten (sog. Kirchspiele) berechtigterweise über eine finanzielle Benachteiligung im Vergleich mit mehreren kleineren selbständigen Gemeinden.
Die Synode beauftragte die KL, ein Modell vorzulegen, das diese Unwuchten ausgleichen sollte. Gefordert wurden nach Möglichkeit eine Fusionsneutralität, sowie eine Sicherstellung der Gottesdienstorte, und zwar unabhängig ob in einer eigenständigen Gemeinde, in einem Kirchspiel oder in einer fusionierten Gemeinde.

Vorlage eines neuen Entwurfes

In der Frühjahrssynode 2013 legte die KL einen neuen Entwurf vor. Dieser sah vor:
a) Wegfall des Mindestbetrages (12.000 €)
b) 50% Grundzuweisung mit vereinheitlichtem Pro-Kopf-Betrag
c) 50% Grundzuweisung nach zugewiesenen Gemeindepfarrstellen im Dekanat
So kam es zu einem „dualen“ Pro-Kopf-Tarif, der eine Umverteilung zwischen den Dekanaten mit sich brachte. Durch die Koppelung der Zuweisung an die Pfarrstellenbemessung wurden damit viele Dekanate doppelt bestraft: Neben der Kürzung von Pfarrstellen nun auch noch das Abschmelzen der finanziellen Zuweisungen für die Gemeinden! Hierdurch wurde nicht nur die Arbeit zahlreich betroffener kleiner Gemeinden in ihrer Existenz und Substanz massivst gefährdet und in Frage gestellt, sondern sogar die avisierten Fusionsprämien glichen den geplanten Aderlass finanzieller Mittel nicht mehr aus.
In einem weiterentwickelten Papier zur Herbstsynode 2013 eröffnete die KL im Falle von „Gemeindeunterfinanzierungen“ die Möglichkeit, Unterstützung aus einem Überbrückungsfonds (ÜF) in Anspruch zu nehmen (bei eigenem Rücklagenverzehr!) und bei dann keiner dauerhaften finanziellen Perspektive trotz ÜF eine Pauschale in Höhe von 4000 € gewährt zu bekommen.
Zahlreiche Gemeinden wandten sich daraufhin mit Briefen und Eingaben an die KL und warnten, dass diese beträchtlichen Kürzungen erhebliche negative Auswirkungen auf das volkskirchliche Leben in der EKHN haben werden. Es wurde evident, dass das neu kreierte Zuweisungssystem darauf ausgerichtet war, kleine (meist ländliche) Kirchengemeinden in Fusionen zu treiben mit dem Ziel Gottesdienstorte zu „konzentrieren“. Weitere finanzielle Investitionen in kleine Gemeinden wurden als unökonomisch und nicht zukunftsträchtig erachtet. O-Ton Kirchenleitung: „Die Grundversorgung kleinerer Gemeinden zur Sicherstellung des gottesdienstlichen und gemeindlichen Lebens sowie der Erfüllung des volkskirchlichen Auftrages widerspricht dem Anliegen einer gerechten Verteilung der Finanzmittel. Im Hinblick auf den demographischen Wandel hat die Grundversorgung kleiner Gemeinden gesamtkirchlich gesehen keine Zukunftsperspektive.“ – Welch eine verräterische und verachtenswerte Ekklesiologie!
Auch Dekanatssynoden waren besorgt über die Tatsache, dass es in manchen Gemeinden nur noch eine Frage der Zeit sein wird, wann nicht einmal mehr die Finanzierung der gottesdienstlichen Grundversorgung aufrechterhalten werden kann. Die von der Kirchenleitung formulierte Zielsetzung „flächendeckender und lebensbegleitender Präsenz sowie Vielfalt kirchlichen Lebens und kirchlicher Angebote vor Ort“ sahen ländliche Gemeinden und Dekanatssynoden in dem vorgelegten Zuweisungsentwurf konterkariert.

Erste Lesung unterbrochen

Die erste Lesung über den umstrittenen Entwurf wurde in der Herbstsynode 2013 nach heftig formulierter Kritik unterbrochen. Aus der Synode selbst kamen Alternativentwürfe, wobei das Modell der beiden Alzeyer Synodalen Tobias Kraft und Dr. Manfred Sauer eine weite Akzeptanz und Verbreitung fand. In acht oberhessischen Dekanatssynoden wurde das Modell begrüßt und übernommen. (Es sah einen Wegfall der Mindestzuweisung, dafür eine Grundzuweisung für jeden Gottesdienstort vor, zudem einen gestaffelten Pro-Kopf-Tarif in sechs statt bisher vier Größenintervallen. Beim untersten Größenintervall wurde der Tarif deutlich erhöht.) In ihren Beratungen formulierten die Dekanatssynoden ihre Bestürzung über das System der KL und die sich abzeichnenden Auswirkungen der geplanten Kürzungen der Grundzuweisungen, weil sie eine ernsthafte Existenzgefährdung für ihre kleineren Gemeinden bedeuteten. Die Mitglieder der Dekanatssynoden befürchteten zudem eine kaum zu verantwortende Schwächung der kirchlichen Arbeit und einen weiteren Abwendungsprozess bisheriger Kirchenmitglieder von ihren Gemeinden.

Gegenentwurf: Das „Alzeyer Modell“

Das im Entwurf der Alzeyer Synodalen ersichtliche Berechnungsergebnis ließ ein Zuweisungssystem erkennen, das weder Gemeindefusionen hemmt noch präferiert, sondern den Verantwortlichen vor Ort die eigene Entscheidung überlässt.
Gleichzeitig federte es weitgehend entstehende „Unwuchten“ ab, führt zu mehr Gerechtigkeit im Ausgleich zwischen den Grundversorgungsbedürfnissen der kleinen Gemeinden und den Interessen der größeren Gemeinden.
Gleichermaßen führte es zu einem Ausgleich zwischen selbstständig kleinen Kirchengemeinden und größeren Kirchengemeinden mit Außenorten bzw. zusätzlichem Predigtstellen. Die Zuweisung war dabei gekoppelt an die jeweilige Entwicklung der Gemeindegliederzahlen, gerade und auch bei den kleinen Gemeinden, und die zu Grunde gelegte Berechnungsmethode ist einfach und transparent nachvollziehbar.
Zudem war es fast aufkommensneutral (Abweichung +1,7%).

Einigkeit über Sockelbetrag für gottesdienstliche Grundversorgung

In der Frühjahrssynode 2014 wurde die erste Lesung dann abgeschlossen. Dabei wurde deutlich, dass die Kirchenleitung die geäußerte Kritik durchaus aufgegriffen hat. Zwar erachtete die KL das „Alzeyer Modell“ als fusionshemmend, was sich aber in der Praxis nicht stringent nachvollziehbar darstellen ließ. Unterstützt durch einen zusätzlichen Antrag des Vorsitzenden des Finanzausschusses Carsten Simmer herrschte aber über die Notwendigkeit eines Sockelbetrages für die gottesdienstliche Grundversorgung in kleineren Kirchengemeinden weitgehend Einmütigkeit. Finanzdezernent Striegler kündigte an, die Höhe eines Sockelbetrages für die Beratungen der Zweiten Lesung im Herbst auszuloten und gemäß dem Antrag des Synodalen Simmer „Fusionsverluste“ durch einen Einmalbetrag kompensieren zu wollen. Auch Kirchenpräsident Jung betonte die Absicht der Kirchenleitung bei der Weiterarbeit an dem Zuweisungssystem darauf zu achten, dass weder Fusionshemmnisse noch Fusionsförderungen zum Tragen kommen sollen. Die Beratungen wurden bis zur Herbstsynode in den Ausschüssen weitergeführt.
Nach einer weiteren Vorlage der KL bezugnehmend auf den Antrag Simmer sollte zunächst der Sockelbetrag für einen Gottesdienstort nur bei fusionierten Gemeinden zum Tragen kommen. Die Frage, ob hierbei noch einmal der Versuch der KL gestartet wurde, die von ihr so sehr gewünschten Fusionen auf diesem Wege nun doch durchzusetzen, bleibt (mit vornehmer Zurückhaltung) offen. Jedenfalls informierten die Alzeyer Synodalen den federführenden Verwaltungsausschuss, dass diese Berechnungsmethode das Ansinnen der Synode aushebeln würde. Auch der Synodale Simmer erkannte, dass dies nicht dem Duktus seines Antrages entsprach. So wurde klar, dass die Gottesdienstpauschale jeder Gemeinde zuerkannt werden muss. Berechnungsbeispiele belegten die Tatsache, dass die Ergebnisse für die Gemeinden denen des „Alzeyer Modells“ sehr ähnelten und man sich somit auf eine Kompromisslinie einigen konnte.
So übernahm der Verwaltungsausschuss selbst die alternative Vorlage für die Herbstsynode 2014.
Das Modell sieht vor, dass jeder Gemeinde eine Gottesdienstpauschale von 5000 € gezahlt wird. Zudem gibt es eine Grundzuweisung nach Gemeindegliederzahl (z. Z. 23,45 €), mindestens aber 3000 €. Zusätzliche Predigtstellen werden mit Pauschalen bedacht, die sich nach der Häufigkeit des Gottesdienstes richten: wöchentlich 5000 €, 14-täglich 3000 €, monatlich 2000 €.
Ein evtl. eintretender Fusionsnachteil wird mit einer Ausgleichszahlung (Kapitalisierungsfaktor 25 Jahre) kompensiert. Hier entstehen ansehnliche Summen, die manche Gemeinden sicherlich über eine Fusion werden nachdenken lassen. Doch liegt hier auch ein nicht zu unterschätzendes Konfliktpotential in der dann fusionierten Gemeinde, die möglicherweise aus mehreren Dörfern besteht: Wie wird dieses gewonnene Geld „gerecht“ verteilt? Z. B. bei einer nötigen Baumaßnahme an der Kirche in Dorf A wird es investiert, bei einer späteren Baumaßnahme in Dorf B fehlt es dann vielleicht und schafft Missgunst im dann fusionierten Kirchenvorstand.
Zudem bevorteilt das System durch einen nicht gestaffelten Pro-Kopf-Tarif die größeren Gemeinden deutlich.

Einmütige Verabschiedung in der Synode

Dennoch: Nach einer kurzen Debatte – weniger über das System und seiner Zahlen selbst – sondern eher um Definitionsfragen hinsichtlich eines Gottesdienstortes wurde das vorgelegte Zuweisungssystem mit wenigen Enthaltungen beschlossen!! Dies bewirkte beim Leiter der Kirchenverwaltung und Finanzdezernent ltd. OKR Striegler ein ungläubiges sich verwundern. Sein Erstaunen artikulierte er wortreich vor der Synode – eine eher peinliche Reaktion bei dieser Vorgeschichte und dem letztlich damit deutlich werdenden Versagen seiner eigenen Leute.
Gottlob, dass die Modelle seines Hauses nicht zum Zuge kamen, das hätte nicht nur ein finanzielles Desaster bei vielen kleinen Gemeinden zur Folge gehabt, sondern auch einen nicht wiedergutzumachenden Vertrauensverlust von Ev. Kirche verursacht. Schade für die teure (Arbeits)Zeit, die Kraft, die Nerven und den Verdruss, die das Modell der KL gekostet und ausgelöst hat. Ich denke, der Imageschaden der KL in den kleinen Gemeinden wird noch lange und nachhaltig spürbar sein.