01/2017, Manffred Alberti
Kritische Anmerkungen zur Vorlage/Drucksache 24 der Landessynode 2017
Die Rheinische Landeskirche stellt die Kirchenmitgliedschaft ihrer Gemeindeglieder auf eine neue Grundlage: Zukünftig soll jedes Gemeindeglied frei wählen können, zu welcher Gemeinde es gehören will und wer seinen Kirchensteueranteil bekommt. Das ist die Konsequenz der auf der Landessynode im Januar 2017 zu behandelnden Vorlage 24 zur Zulassung neuer Formen von Gemeinden. In Zukunft soll es nicht nur die normalen Parochialgemeinden geben, zu denen alle Gemeindeglieder gehören, die in einem bestimmten Gebiet wohnen, sondern es sollen gleichberechtigt Personalgemeinden entstehen, zu denen sich Gemeindeglieder frei ummelden können. Personalgemeinden können Gemeinden mit einer bestimmten theologischen Ausrichtung sein, z.B. sehr fromm, mit konservativer Liturgie, Jugendgemeinden oder auch fremdsprachige Gemeinden. Gleichzeitig sollen aber auch Gemeinden sich als Profilgemeinden (mit besonderen geistlichen, kirchenmusikalischen, kulturellen oder jugendbezogenen Schwerpunkten) profilieren, um daran interessierte Personen für sich anzuwerben. Die Rheinische Landeskirche nimmt mit dieser grundsätzlichen Änderung der Gemeindemitgliedschaft eine Anregung der EKD-Schrift „Kirche der Freiheit“ von 2006 auf, die „die frei gewählte Zugehörigkeit der Kirchenmitglieder zu einer bestimmten Gemeinde“ ebenso wie den „Wettbewerb unter den Gemeindeformen und -angeboten“ empfiehlt. Damit wird den Gemeinden erstmals die Möglichkeit eröffnet, durch Abwerben von Gemeindegliedern anderer Gemeinden neue Gemeindeglieder und neue Finanzmittel zu bekommen. Umgemeindungen waren auch bisher möglich, hatten aber keine Auswirkungen auf die Kirchensteuerzuweisung.
Was beim ersten Hören wie ein wünschenswerter Fortschritt in Richtung auf Offenheit, auf bessere Orientierung an den Wünschen der Gemeindeglieder und auf gesunden Wettbewerb klingt, offenbart aber sehr schnell gravierende Nachteile.
Zentrale Aufgaben einer Kirche sind die Verkündigung des Evangeliums und daraus folgend die diakonische Arbeit. Beide Aufgaben entziehen sich aber einem Wettbewerb um neue Gemeindeglieder. Verkündigung kann und muss auch anstößig sein und darf sich nicht den Wünschen von Gemeindegliedern unterordnen. Diakonische Arbeit und auch Seelsorge geschehen im Stillen und eignen sich nicht als Werbeträger, um neue Gemeindeglieder von außerhalb zu gewinnen.
Wenn aber Gemeinden, um ihre Existenz zu sichern, ihr Profil nach werbewirksamen Gesichtspunkten ausrichten müssen, dann verändert sich die evangelische Kirche. Innenstadtgemeinden mit repräsentativen Kirchen, begnadeten Predigern, mit exzellenter Chorarbeit und öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen werden leicht Gemeindeglieder aus anderen Gemeinden und Kirchenkreisen abwerben können. Immerhin ließe sich mit einhundert abgeworbenen Gemeindegliedern eine Halbtagskraft für die eigene Gemeindearbeit finanzieren. Gemeinden in sozialen Problembezirken mit diakonischen Schwerpunkten oder seelsorglich ausgerichtete Gemeinden können dagegen kaum etwas Werbewirksames ausstrahlen: Sie sind die Verlierer, die zudem ihre sozial besser gestellten Gemeindeglieder leicht an die attraktiven Innenstadtgemeinden verlieren. Die Starken werden stärker, die (sozial) schwachen Gemeinden werden noch schwächer. So verändert sich Kirche: Von einer solidarisch verbundenen Gemeinschaft der Gemeinden zu einem zerstörerischen Wettbewerb einer gegen den anderen.
Damit verändert sich auch die Arbeit der Pfarrer und Pfarrerinnen. Ob man es will oder nicht: Die Zahl der abgemeldeten oder der neu angeworbenen Gemeindeglieder wird zum Maßstab für die Qualität der pfarramtlichen Arbeit. Auch hier sind die diakonisch und seelsorglich engagierten Pfarrerinnen und Pfarrer die Verlierer: Ihre gute Arbeit im Sinne des Evangeliums hat keine öffentlichkeitswirksame Relevanz. Sie werden sich immer wieder vor Gemeindegliedern, Presbytern und ihrem vorgesetzten Superintendenten rechtfertigen und mit andauernden Diskussionen um einen „Trainerwechsel“ leben müssen. Eine gedeihliche evangeliumsgemäße Gemeindearbeit kann unter solchem Wettbewerb nicht gelingen.
Die Zukunft: Pfarrer werden einen nicht unerheblichen Teil ihrer Arbeitszeit dem Werben um alte und neue Gemeindeglieder widmen müssen. Trauungen Auswärtiger nur noch nach Gemeindewechsel, Chancen auf einen Kindergartenplatz nur für Gemeindeglieder, Chor- und Frauenhilfsmitglieder aus anderen Gemeinden sollten sich und möglichst ihre Familien ummelden, damit die Arbeit auch nächstes Jahr noch fortgeführt werden kann. Verwandte, Bekannte und Freunde der Pfarrerin von außerhalb werden sich zu einer Umgemeindung gedrängt fühlen, um die Pfarrstelle zu sichern. Und es wird Streit in Familien getragen, ob man nun zu der Gemeinde gehören will, in deren Chor die Mutter singt, oder ob man lieber die tolle Jugendarbeit einer anderen Gemeinde unterstützen möchte, von der der Sohn so begeistert ist. Vielleicht teilt sich die Familie auf oder man wechselt nächstes Jahr wieder. Die Verwaltung freut sich über viele neue Arbeit.
Unvermeidlich wird der Gemeindewettbewerb auch Streit zwischen benachbarte Gemeinden bringen: Neid, Eifersucht, Verärgerung und Streit lassen sich im Konkurrenzkampf nicht vermeiden. Aus einer Kirche sich solidarisch finanzierender Gemeinden wird eine streitende Kirche. Der konkurrierende Streit der Gemeinden zerstört viel Attraktivität und stößt ab.
Den Wettbewerb der Gemeinden dadurch anzufachen, dass sie durch neue Gemeindeglieder mit ihren Kirchensteueranteilen zusätzliche Finanzmittel bekommen können, dürfte manche Kirchenkreise in eine Zerreißprobe führen. Der Wettbewerb um Gewinne hinterlässt Verlierer. Die Verkündigung des Evangeliums eignet sich nicht für Konkurrenzkämpfe wie in der Wirtschaft oder im Fußball: Es darf keine erste Bundesliga öffentlichkeitswirksamer Großstadtgemeinden geben, während die Gemeinden mit gemeindegliedernaher seelsorglicher und diakonischer Arbeit in der Kreisklasse spielen. Sofern sie überhaupt überleben können. Denn die EKD empfiehlt für die kleiner werdenden (Verlierer-) gemeinden, sie doch als Regionalgemeinden zusammenzufassen.
Anscheinend hat die EKD – Mitgliedschaftsanalyse von 2014, die sehr deutlich die (parochiale) Ortsgemeinde als weitaus wichtigste Verknüpfung der Gemeindeglieder zu ihrer Kirche herausstellte, im Rheinland noch keinen Widerhall gefunden. Erstaunlich, wo sich selbst führende Köpfe der EKD inzwischen längst von dem Denkmodell der „Kirche der Freiheit“ von 2006 mit ihren vermeintlich werbewirksamen Leuchtfeuern losgesagt haben.
Hinweis: Eine kritische Bestandsaufnahme der EKD-Reformen „Kirche der Freiheit“ von 2006 mit ihren Auswirkungen auf die Gemeinden in verschiedenen Landeskirchen (Z.B. der EKiR) finden Sie in dem Buch von Gisela Kittel / Eberhard Mechels (Hg): Kirche der Reformation? Erfahrungen mit dem Reformprozess und die Notwendigkeit der Umkehr, neukirchener theologie, Göttingen 2016
LS 2017, Drucksache 24
Vorlage der Kirchenleitung an die Landessynode
… 4. Öffnung für neue Formen
Zu diesem Zweck eröffnet die Landessynode neben der vertrauten Organisationstruktur
der Kirchengemeinden die Option, in neuen Formen Gemeinde
zu sein. Diese neuen Gemeindeformen sind Gemeinden, die den Kernbestand
des evangelischen Gemeindeverständnisses (siehe C 1) erfüllen,
und die sich jenseits der Kirchengemeinde im Sinne von Art. 5.1 (Parochie)
im Laufe der letzten Jahrzehnte gebildet haben und bilden. Sie sind durch
die Gruppenzugehörigkeit ihrer Gemeindemitglieder (Frömmigkeitsstile,
gemeinsame Sprache und/oder Herkunft, persönliche Lebensumstände,
kulturelle Milieus, gemeinsam geteilte Arbeitswelt, Zugehörigkeit zu einer
bestimmten Generation) oder einen besonderen kirchlichen Ort (z.B. Citykirche)
begründet. Neben der Organisationsform der Kirchengemeinde werden
für neue Gemeindeformen folgende Modelle (5.1.- 5.4.) ermöglicht.
5. Modelle in Ergänzung zur Parochie… Mehr dazu.