Schlagwort-Archive: Bologna- Reform

Bologna-Prozess: „Überbürokratisiertes Monster“

07/2016, Deutschlandfunk

Die Kultusminister und Hochschulrektoren wollen das System der Credit Points flexibler gestalten. In den gemachten Vorschlägen sieht zumindest Mathias Brodkorb, Kultusminister in Mecklenburg-Vorpommern, eher eine weitere Verschlimmerung. Ohnehin seien diese Beschlüsse nicht bindend, sagte er im DLF. Mehr Großzügigkeit in der Abschlussanerkennung könnte eine Lösung sein.
Mathias Brodkorb im Gespräch mit Manfred Götzke… Mehr dazu.

Bildung-Wissen EU:

…Anstatt also nach dem Scheitern das Bachelor-/Master-Konstrukt in Frage zu stellen und zu sinnvollen Strukturen (zurück) zu kommen, die es übrigens in den ältesten Fakultäten (Medizin, Jura und katholische Theologie sowie den deutlich jüngeren Lehramtsstudiengängen sowie Pharmazie mit erstem und zweitem Staatsexamen) immer noch gibt, wird ein “überbürokratisiertes Monster” weiter gefüttert. … Mehr dazu.

Lehrerbildung raus aus Bologna! Stellungnahmen zum Lehrerausbildungsgesetz NRW. Von Prof. Dr. Ursula Frost, Prof. Dr. Ulrich Heinen und Prof. Dr. Hans Peter Klein

Veröffentlicht am 26.02.16
Bei einer Expertenanhörung im Landtag NRW zur Novellierung des Lehrerausbildungsgesetzes wurden markante und denkwürdige Stellungnahmen vorgebracht. Diese mahnten eine grundsätzliche Revision der durch Bolognareform und Kompetenzorientierung zunehmend wissenschafts- und bildungsfeindlichen Lehramtsstudiengänge an. Nicht Bologna sei alternativlos: „Alternativlos ist nur Humanität“, so Ursula Frost von der Universität zu Köln. Tatsächlich habe die Bolognareform die selbst gesetzten Ziele nicht erreicht, sei rechtlich und theoretisch fragwürdig und praktisch schädlich. „Kompetenz“ widerspreche dem Anspruch universitärer Bildung, mit ihr würde eine Verhaltenssteuerung künftiger Lehrerinnen und Lehrer angestrebt, die sich so kritiklos den ministeriell gewünschten gewünschten Vorgaben anpassen sollten…  Zur Stellungnahme.

Systemwechsel von der sich selbstverwaltenden Gruppenuniversität zur „unternehmerischen“ Hochschule. Von Wolfgang Lieb.

21. September 2015,

Funktionale Privatisierung staatlicher Aufgaben – am Beispiel öffentlicher Hochschulen
von Wolfgang Lieb

Damit kein Missverständnis aufkommt, ich wende mich nicht gegen einen Wettbewerb um die besten Forschungsleistungen. Einen solchen Wettbewerb unter Wissenschaftlern hat es immer gegeben. Wissenschaft – zumal an einer von der Allgemeinheit getragenen Hochschule – ist genuin auf den Wettstreit um die richtige Antwort – pathetisch gesagt – auf den Wettstreit um Wahrheit angelegt.
Hinter dem Wettbewerb im Leitbild der „unternehmerischen Hochschule“ steht aber nicht das Bild vom Wettstreit um Wahrheit: Es ist das Bild einer Hochschule, die wie ein Unternehmen ihre „Produkte“ und „Waren“ – also ihre Forschungsleistungen sowie ihre Aus- und Weiterbildungsangebote – auf dem Markt an kaufkräftige Nachfrager abzusetzen hat: nämlich an zahlungskräftige Forschungsförderer und Auftraggeber, an Stifter und Sponsoren – und an Studierende, die nunmehr „Kunden“ sein sollen und deshalb für die eingekaufte „Ware“ namens Studium zur Kasse gebeten werden sollten….  Zum Bericht.

Studium vor Bologna: „Man hatte mehr Freiheit“

18. Mai 2015, von Roland Preuß, SZ

Mathias Brodkorb (SPD), Wissenschaftsminister in Mecklenburg-Vorpommern, hat das Studium nach der Bologna-Reform heftig kritisiert.
Früher habe man im Studium „mehr Freiheit und Kombinationsmöglichkeiten“ gehabt, nun sei „alles überreguliert“.
1999 hatten sich 29 europäische Staaten in Bologna auf ein gemeinsames Studiensystem verpflichtet, um den europaweiten Austausch von Studenten voranzutreiben. Mittlerweile ist der „Bologna-Raum“ auf 47 Nationen angewachsen.
 Zum Artikel

Bemerkungen zur Situation der Theologiestudierenden. „12-14 Semester sind durchschnittlich…“ Von Volker Henning Drecoll.

04/2015, Dt. Pfarrerblatt

Die Kirchen klagen über mangelnden theologischen Nachwuchs. Dass die Situation keineswegs rosig ist, kann Volker Drecoll bestätigen. Das gilt auch für die aktuellen Rahmenbedingungen in Studium und Beruf. Dennoch könnte sich das Pfarramt der Zukunft flexibler präsentieren und damit den interessierten Studierenden Anreize für die Berufs- und Lebensplanung bieten. …

„Verheerend ist die faktische Auswirkung des Bologna-Prozesses an den Universitäten insgesamt. Durch die Betonung des Bachelors verschieben sich die Gewichte im Studium zugunsten des Grundstudiums. Das Hauptstudium reduziert sich auf wenige Semester,..

Das wirkt studienverlängernd. 12-14 Semester sind durchschnittlich…

Die Studiensituation gerät an vielen Stellen unter Druck – und es gibt keinen wichtigen Spieler im System, der Druck herausnimmt. Landeskirchen, Schulkontexte, Hochschullehrer, alle üben in verschiedener Weise Druck aus. Frei nach dem Motto: viel hilft viel, mehr hilft noch mehr…“

Die Steigerung der Anforderung an die TheologiestudentInnen, die kürzlich mit dem Ergebnis des Examens der ELK Bayern schlagartig sichtbar wurde, scheint nur die Spitze des Eisbergs zu sein. Der Druck auf  die StudentInnen nimmt nach Volker Decroll generell zu.  Das kontrastiert mit der weiten Öffnung zum Pfarramt etwa durch Ausweitung der pfarramtlichen Tätigkeiten für Prädikanten. Das kontrastiert ebenfalls mit „light- Studiengängen“ wie z.B. dem in Marburg, also dem einfachen Weg des Masterstudiengangs Theologie im Anschluss an einen Bachelor oder aus einem anderen Beruf heraus als „Spätberufene“. Auf der EKD-Seite entscheidet man sich für diesen Weg „nach der Karriere“:

„Späte Pfarrer
Menschen entscheiden sich nach ihrer Karriere fürs Predigen als Beruf

03. September 2014


2007 startete das kostenpflichtige Angebot an der Marburger Uni. Alle drei Jahre beginnt ein Kurs mit 25 Leuten. „Wir haben genau die bunte Mischung, die wir wollten“, sagt Annegret Schnath vom Fachbereich Evangelische Theologie: Mediziner, Juristen, Journalisten, Lehrer, Ökotrophologen, zwischen dreißig und siebzig Jahre alt. Einige bessern ihr Wissen auf. Etwa ein Fünftel will tatsächlich Pfarrer werden. Viele Landeskirchen hatten bisher Vorbehalte, die „späten Pfarrer“ einzustellen. Aber vielen „bricht der Pfarrernachwuchs weg“, wie Schnath erklärt….

Anm. von F.S.

 

Die Bologna-Katastrophe: Interview mit dem kath. Theologen Professor Marius Reiser

Veröffentlicht am 30.04.2012

Ein Interview mit Professor Marius Reiser aus dem Jahre 2A009. Im gleichen Jahr gab er aus Protest gegen „Bologna“ seine Professur für Neues Testament (Fachbereich Katholische Theologie) an der Universität Mainz auf. Im Interview analysiert Professor Reiser ohne jede Illusion die Fehler des Bologna-Systems, insbesondere die Hintergründe der Verschulung, des Prüfungs(un)wesens und der restlichen real existierenden Bildungsplanwirtschaft. Chapeau!

Nein zu ‚Reformen‘ nicht nur in der Kirche: „Tätiger Widerspruch. Über die Bologna-Reform und ihre Folgen.“ Von Prof. Volker Gerhardt, Berlin

Tätiger Widerspruch. Über die Bologna-Reform und ihre Folgen.

in: Forschung und Lehre 11/2014

Zum Autor: Professor Volker Gerhardt lehrte bis zu seiner Emeritierung 2014 Praktische Philosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er wirkte mit in zahlreichen Universitäts-, Akademie- und Fachkommissionen. Von 2002 bis 2012 war er Mitglied im Nationalen Ethikrat. Letzte Buchveröffentlichung: Der Sinn des Sinns. Versuch über das Göttliche, München 2014 (C.H. Beck).

Kritik am Niedergang der Universität

Die Andeutungen lassen erkennen, dass unter dem permanenten Anspruch auf Reform zwar vieles anders und manches gewiss auch besser geworden ist. Dennoch ist es den Universitäten von Jahrzehnt zu Jahrzehnt schlechter gegangen. Daran hat das Strohfeuer der Exzellenzinitiative nichts geändert. Jetzt aber hat die Studienreform nach dem Bologna-Modell das Zeug, den deutschen Universitäten den Geist auszutreiben, also eben das, was sie im neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhundert zum Vorbild für anspruchsvolle Universitätsgründungen in aller Welt gemacht hat…

»Die Studienreform nach dem Bologna-Modell hat das Zeug,
den deutschen Universitäten den Geist auszutreiben.«

So kam es zu der verhängnisvollen Verwechslung von Vergleichbarkeit und Vereinheitlichung. Insbesondere die Hochschulpolitiker in Deutschland sahen in den Richtwerten für den Vergleich, verbindliche Vorgaben für die Angleichung, aus der nichts anderes als eine Nivellierung werden konnte. So kam es zu einer durchgreifenden Neuorganisation von oben. Sie wurde mit der institutionellen Härte kurzer Fristen und mit dem herben Charme finanziell begünstigter, aber eben auch sanktionsbewehrter Leistungsvereinbarungen durchgesetzt. Den Flankenschutz bot die bürokratische Neuerfindung der Akkreditierungsbüros, die immerhin Arbeitsplätze für Personen schafften, die für ihre gescheiterte Universitätskarriere entschädigt und als Prüfer und Berater eben der Institution wirken konnten, die ihnen die erwünschte Tätigkeit versagt hatte…

Ein regelrechtes Schurkenstück muss man es nennen, dass die Einführung der Bologna-Studiengänge als „kostenneutral“ ausgegeben wurde. Jeder konnte wissen, dass der Erfolg der neuen Formen der Lehre an zusätzliche Leistungen für Betreuung, Begleitung und Beratung der Studierenden gebunden ist. Darauf aber waren die Personaletats der Hochschulen nicht eingestellt, und sie wurden selbst dann nicht angehoben, als der Mangel himmelschreiend war. ..

… Und so ist es mit der Überrollung durch Bologna zu einer weiteren Überlast für die ohnehin überlasteten Universitäten gekommen… Aus dem Studium ist ein Prüfungsmarathon geworden, der die Beteiligten erschöpft, ohne ihnen das Gefühl zu geben, ein Ziel erreicht zu haben. Der sprunghaft gestiegene administrative Aufwand lähmt überdies die Verwaltung in den Fakultäten und Instituten. Nun liegt der Niederschlag der Reform wie Mehltau auf den einzelnen Disziplinen. Was gut gemeint war, hat im Effekt großen Schaden angerichtet. Deshalb kann es bei dieser Reform nicht bleiben.

in: Forschung und Lehre 11/2014

Bologna-Absolventen verfügen über keine hinreichende Persönlichkeitsbildung. Professor Dieter Lenzen, Präsident der Universität Hamburg

Bologna und die Folgen | Dieter Lenzen

Ein Interview in Forschung & Lehre 7/2014


F&L: Die Universität heute muss für Sie eine Einrichtung sein, die beides, Berufsausbildung und Bildung durch Wissenschaft, vermittelt. Allerdings schreiben Sie auch, das deutsche Hochschulsystem sei für das erstere gar nicht geeignet, da sich das wissenschaftliche Personal bis dato primär an Forschung und Lehre und nicht am Ausbildungsgedanken orientiert habe. „Bis dato“? Was soll sich hier Ihrer Meinung nach ändern?

Dieter Lenzen: Bildung durch Wissenschaft kann nicht eine praktische Berufsausbildung sein, wie sie an Oberstufenzentren, in Vollzeitberufsschulen und ähnlichen Einrichtungen zu Recht und in Deutschland sehr erfolgreich betrieben wird. Wenn Hochschulen Berufsausbildung in diesem engeren Sinne auf mittlerem Niveau von Berufen wie denjenigen des Technischen Assistenten durchführen sollen, dann haben sie das falsche Personal. Dieses ist eine Aufgabe für Berufsschullehrer. Berufsausbildung kann sich aber auch erfüllen im Medium von „Bildung durch Wissenschaft“. Niemand hat bislang beweisen können, dass dieses Konzept fehlerhaft gewesen wäre. Denn schon nach einigen Jahren neuer Bologna-Absolventen mehrt sich die Klage, dass die jungen Leute über keine hinreichende Persönlichkeitsbildung verfügen. Genau das wollte und sollte die klassische Hochschule mit dem Humboldtschen Gedanken „Bildung durch Wissenschaft“ realisieren. Persönlichkeitsbildung durch eine „Hingabe an die Sache“, um Max Horkheimer zu zitieren, ist die beste Vorbereitung auf berufliches Tun, die man sich außerhalb einer Spezialausbildung vorstellen kann… Zum Interview.