SAMSTAG, 30. APRIL 2016, transparentonline
von Rüdeger Baron
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Fazit
Gerade die Theologen und Kirchenvertreter, denen die Verbrechen an den Juden und die Mitschuld der Kirche besonders nahe gegangen waren, ignorierten oder verharmlosten die Umstände, unter denen die Juden in Palästina ihren Staat errichteten, und die Verbrechen an der einheimischen palästinensischen Bevölkerung.[22] Dies kann man sich nur so erklären, dass sie meinten, mit ihrer Begeisterung und Unterstützung für Israel die Schuld, die sie besonders empfanden, ein Stück weit abtragen zu können.
Aus dem absolut notwendigen Eingeständnis der Mitschuld der Kirche an der brutalsten Judenverfolgung der Geschichte und aus dem Bemühen um ein neues, respektvolles Verhältnis zum Judentum wurde so praktisch eine Unterwerfung. Die evangelische Kirche passte sich wieder einmal dem Zeitgeist an und zwar auch in ihrer Theologie. War es bis zum Zusammenbruch des „Dritten Reiches“ in Deutschland üblich, Nationalist und Antisemit zu sein, so setzte sich in den Sechziger- und Siebzigerjahren allmählich ein Israelbild durch, das den Staat und seine Politik über jeden Zweifel erhaben machte. Daran hatte auch die evangelische Kirche mit vielfältigen Einlassungen und Aktivitäten im kirchlich-politischen Feld erheblichen Anteil. Statt einfach zuzugeben, dass damals auch die Kirche dem grassierenden Rassismus verfallen war (entgegen allen Lehren über die Gottesebenbildlichkeit jedes einzelnen Menschen), wird ein neues theologisches Denkgebäude errichtet, um die einstigen Opfer in den Himmel zu heben – und wiederum werden die Konsequenzen für die Betroffenen ignoriert.[23]
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