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Wirtschaften in einer endlichen Welt. Ethische und theologische Reflexionen. Von Jörg Herrmann, Direktor der Ev. Akademie der Nordkirche.

03/2016

* Vortrag im Rahmen des 48. Kolloquiums für norddeutsche Rotarierinnen und Rotarier unter dem Thema „Akzeptanzprobleme der Marktwirtschaft“ am 14./15. November 2015 im Haus Rissen in Hamburg
„Dem Eigennutz eine gemeinwohlverträgliche Gestalt“ geben, das ist ein zentrales Motiv evangelischer Ethik, das schon die Neuordnung der Wirtschaft nach dem Krieg mitgeprägt hat, ich meine das Konzept der sozialen Marktwirtschaft, das nicht zuletzt unter dem Einfluss der evangelischen Sozialethik und der katholischen Soziallehre entwickelt wurde. Dabei war die Vorstellung leitend, dass die Wirtschaft um des Menschen willen da ist und nicht umgekehrt. Als Zweck der Wirtschaft wurde nicht der Profit gesehen, sondern die Herstellung sinnvoller Güter und Dienstleistungen. Ein soziale Ausgleich durch das Steuersystem wurde für wichtig gehalten und klare Rahmenordnungen für die Märkte. Diese Grundorientierung ist verblasst. Der Soziologe Wolfgang Streeck beschreibt diese Entwicklung als eine „langgezogene Wende vom Sozialkapitalismus der Nachkriegszeit zum Neoliberalismus des beginnenden 21. Jahrhunderts“[25]. Die Stichworte lauten: Globalisierung, Liberalisierung, Deregulierung und Privatisierung. Ich denke, es ist nicht ganz abwegig, die wirtschaftlichen und sozialen Probleme, die uns gegenwärtig beschäftigen, nicht zuletzt als Folge der neoliberalen Transformation und der damit verbundenen Schwächung von Rahmenordnungen zu verstehen. Ich meine die Finanzkrise, die Wirtschaftskrise, die Euro-Schuldenkrise und die damit einhergehenden sozialen Verwerfungen in Europa wie u.a. die extrem hohe Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa.
Durch die politischen Veränderungen seit 1989 sah sich die EKD herausgefordert, mit ihrer Denkschrift „Gemeinwohl und Eigennutz“ 1991 erstmals ausführlich an das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft zu erinnern.[26] Die EKD hob dabei die Fähigkeit des Konzeptes hervor, wirtschaftliche Freiheit und sozialen Ausgleich zu integrieren. Deutlich kritischer gegenüber den neoliberalen Trends positionierte sich das 1997 veröffentlichte gemeinsame Wort von EKD und Deutscher Bischofskonferenz „Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit“.[27] Darin wird ausdrücklich davor gewarnt, die Wettbewerbsfähigkeit auf Kosten der sozialen Sicherung zu stärken. Das war eine deutliche Absage an ein neoliberales Verständnis von Marktwirtschaft

Das die katholische Kirche die Wirtschaftsentwicklung gelegentlich kritischer beurteilt, wurde dann wenige Jahre später überdeutlich. Am 24. November 2013 veröffentlichte Papst Franziskus sein erstes apostolisches Schreiben unter der Überschrift „Evangelii gaudium“.[38] Darin findet sich der Spitzensatz: „Diese Wirtschaft tötet.“[39] Marc Beise kommentiert in der Süddeutschen Zeitung: „Drei Wörter: ‚Diese Wirtschaft tötet‘, härter geht das nicht. Falscher auch nicht.“[40] Ist der Papst von allen guten Geistern verlassen? Bemerkenswert ist zunächst, dass der Ökumenische Rat der Kirchen die Lage nicht viel anders beurteilt. Etwa zeitgleich im Winter 2013 verabschiedete der Ökumenische Rat auf seiner zehnten Vollversammlung in Busan/Süd­korea ein Dokument, in dem es heißt: „Unsere ganze derzeitige globale Realität ist so voll Tod und Zerstörung, dass wir keine nennenswerte Zukunft haben werden, wenn das vorherrschende Entwicklungsmodell nicht radikal umgewandelt wird und Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit zur treibenden Kraft für die Wirtschaft, die Gesellschaft und die Erde werden.“[41]… Zum Vortrag.

35. öffentliche Bundesversammlung von Wir sind Kirche 24. – 26. Oktober 2014 in Essen

»Alles ist relativ, außer Gott und der Hunger«

Dieses Wort von Pedro Casaldaliga, Altbischof von São Félix in Brasilien und einer der profiliertesten Vertreter der Befreiungstheologie, ist Ausgangspunkt für unser Gespräch über eine Kirche, die prophetisch sein muss. Papst Franziskus hat in seinem Lehrschreiben „Evangelii Gaudium“ eine Kirche der offenen Türen und Fenster gefordert. Besonders eine seiner Aussagen „Diese Wirtschaft tötet“ hat viele begeistert und manche verstört… Mehr dazu.

„Diese Wirtschaft tötet.“ – Wirtschaftsethische Stellungnahme zu einigen zentralen Aussagen des Apostolischen Schreibens „Evangelii Gaudium“ von Papst Franziskus. Von Prof. Ingo Pies.

Prof. Dr. Ingo Pies, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Lehrstuhl für Wirtschaftsethik

abstract des kritischen Diskussionspapiers von Prof. Pies:

Das apostolische Schreiben „Evangelii Gaudium“ wurde in den ersten Spontanreaktionen der Presse als marktfeindlich eingestuft. Dies ist ein Interpretationsfehler. Er kommt dadurch zustande, dass Papst Franziskus für seine pastorale Botschaft eine Bildersprache wählt. Hier werden individualethische Metaphern verwendet, um institutionenethische Problemlagen zu beschreiben. Dies erweckt irreführenderweise einen tendenziell
anti-modernistischen und anti-marktwirtschaftlichen Eindruck, der die argumentative
Stoßrichtung des apostolischen Schreibens nicht zutreffend charakterisiert.

Der vollständige Artikel.

„Nein zur neuen Vergötterung des Geldes“ – Apostolisches Schreiben „Evangelii Gaudium“

Apostolisches Schreiben „Evangelii Gaudium“
(„Die Freude des Evangeliums“) von Papst Franziskus vom November 2013

Mit dem Satz „Die Freude des Evangeliums erfüllt das Herz und das gesamte Leben
derer, die Jesus begegnen“ beginnt die Einleitung von Franziskus I. zu seinem apostolischen Schreiben, das er zunächst auf Italienisch verfasst hat. Der so angestimmte Grundton ist im Dokument immer wieder zu hören. Es folgen fünf Teile: „Die missionarische Umgestaltung der Kirche“, „In der Krise des gemeinschaftlichen Engagements“, „Die Verkündigung des Evangeliums“, „Die soziale Dimension der Evangelisierung“ und „Evangelisierende mit Geist“.
Für den Kontext in dieser Dokumentation sind die Zwischenüberschriften im
Zweiten Teil von besonderem Interesse. So lauten vier Unterkapitel „Nein zu einer
Wirtschaft der Ausschließung“, „Nein zur neuen Vergötterung des Geldes“, „Nein zu
einem Geld, das regiert, statt zu dienen“ und „Nein zur sozialen Ungleichheit, die
Gewalt hervorbringt“. Es folgen einige Auszüge, am Ende jeden Zitates ist die
Absatzziffer in Klammer angegeben. Mehr dazu lesen Sie S. 8.

„Gieriges Geld“ – Solidarisches Wirtschaften als Alternative. Vortrag bei der Ökumenischen Versammlung. Von Prof. Dr. Ulrich Duchrow

Hier nur die Thesen des Vortrages von Prof. Duchrow.

1. „Gieriges Geld“ ist ein anderes Wort für „Kapital“: in Geld gemessenes
Vermögen, das investiert werden muss mit dem einzigen Ziel, mehr in Geld
gemessenes Privateigentum hervorzubringen, das wieder zu dem gleichen
Zweck der Akkumulation investiert werden muss usw. usw.

2. Dieses Kapital/Gieriges Geld bestimmt mit Geist, Logik und Praxis nicht allein
die herrschende Wirtschaftsordnung, sondern unsere gesamte Zivilisation –
einschließlich der ego-zentrierten, kalkulierenden Mentalität, Psychologie,
Spiritualität und Verhaltensweise der Menschen in den verschiedenen Klassen.
Kapital ist sogar der Gott der herrschenden Religion.

3. Da Kapital gierig wachsen muss, erzeugt es den Wachstumszwang in der
Wirtschaft. In industrieller Form muss diese Wirtschaft den Konsum, den
Ressourcenverbrauch und die Belastung der Natur durch Abfälle,
Klimaerwärmung, Vergiftung usw. ebenfalls steigern. Auf einem begrenzten
Planeten kann Kapitalismus/die kapitalistische Zivilisation nur zu dessen
Zerstörung führen. Grüner Kapitalismus ist die neue große Illusion – gerade
auch der Mehrheit der Gewerkschaften und Kirchen in Deutschland.
Das heißt, die kapitalistische Zivilisation muss nicht allein aus ethischen,
sondern aus Überlebensgründen langfristig überwunden und durch eine Leben
ermöglichende Kultur ersetzt werden.

4. Aus welchen Quellen kann sich eine solche Überwindung speisen? Da die
kapitalistische Zivilisation ihre Ursprünge in der frühen Geld-
Privateigentumswirtschaft seit dem 8. Jh. v.u.Z. hat, können wir zurückgreifen
auf die Kritik an dieser in allen Religionen seit den altisraelitischen Propheten
und der Tora, dem Buddhismus, Taoismus, Konfuzianismus, bestimmten
Strängen der griechischen Philosophie, der Jesusbewegung und dem Islam.

5. In allen diesen Religionen und Philosophien ist heute zu beobachten, dass
Befreiungstheologien und -philosophien die kritischen Elemente der alten
Schriftquellen wieder aufgreifen und damit die mehrheitliche Anpassung der
aktuellen Religionen an die kapitalistische Zivilisation kritisieren sowie mit
den sozialen Bewegungen zusammen an Alternativen arbeiten.

6. In diesem Zusammenhang sind die neuen Dokumente der Vollversammlung
des ÖRK in Busan und des Papstes (Evangelii Gaudium) zu lesen und
fruchtbar zu machen. Zentral dafür ist es, den ökumenischen „Pilgerweg der
Gerechtigkeit und des Friedens“ für die nächsten acht Jahre als Exodus aus der
herrschenden kapitalistischen Zivilisation (weg von den „Fleischtöpfen
Ägyptens“), als Weg durch die Wüste und zum Sinai der neuen, dem Leben
dienenden zivilisatorischen Grundordnung und Lebensweise zu machen, um
schrittweise eine neue Wirtschaftsweise des „Genug für alle“ (dem „Manna“
bei der Wüstenwanderung) zu praktizieren.

7. Kern der neuen Wirtschaftsweise ist eine neue Geld-, Eigentums- und
Arbeitsordnung, Kern der neuen Lebensweise ist Kooperation und Solidarität.

Geld_Gier ÖV14 Vortrag als pdf.