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Warum die Gier-Debatte falsch liegt. Sind „nur“ Menschen gierig oder Strukturen ungerecht? von Prof. em. Franz Segbers

05/2016, Ev. Aspekte

Offensichtlich unterstellte der Ermittler eine persönliche Verantwortung der leitenden Manager für die Finanzkrise. Auch die öffentliche Meinung hatte schnell eine individualistische Deutung der Finanzkrise gefunden: Das mag der Fall sein beim amerikanischen Investor Bernard Madoff, der durch betrügerische Finanzspekulationen einen Schaden von 50 Mrd. Dollar verursacht hatte. Nicht anders beim Chef der HSH Nordbank Dirk Jens Nonnenmacher. Die Strafkammer sah zwar alle Tatbestände der Untreue als erfüllt an, konnte aber keine „gravierende und evidente Pflichtverletzung“ erkennen. Gleichwohl belasten die Verluste der Bank die Landeshaushalte in Kiel und Hamburg mit ca. 15 Mrd. Euro. Doch die Neigung, die Krise durch Gier oder individuelles Fehlverhalten erklären zu können, zeugt von einer Blindheit gegenüber systemischen Risiken. Die Finanzkrise ist keine Folge individuellen Fehlverhaltens. Der Finanzkapitalismus ist strukturell sündhaft.

Die systemische Ursache der Finanzkrise besteht darin, dass allein die Renditen zum Maßstab für den wirtschaftlichen Erfolg geworden sind.

Was hat Vorrang – die Renditeansprüche der Kreditgeber oder das Leben der Menschen? …

Zum Artikel.

„Gieriges Geld“ – Solidarisches Wirtschaften als Alternative. Vortrag bei der Ökumenischen Versammlung. Von Prof. Dr. Ulrich Duchrow

Hier nur die Thesen des Vortrages von Prof. Duchrow.

1. „Gieriges Geld“ ist ein anderes Wort für „Kapital“: in Geld gemessenes
Vermögen, das investiert werden muss mit dem einzigen Ziel, mehr in Geld
gemessenes Privateigentum hervorzubringen, das wieder zu dem gleichen
Zweck der Akkumulation investiert werden muss usw. usw.

2. Dieses Kapital/Gieriges Geld bestimmt mit Geist, Logik und Praxis nicht allein
die herrschende Wirtschaftsordnung, sondern unsere gesamte Zivilisation –
einschließlich der ego-zentrierten, kalkulierenden Mentalität, Psychologie,
Spiritualität und Verhaltensweise der Menschen in den verschiedenen Klassen.
Kapital ist sogar der Gott der herrschenden Religion.

3. Da Kapital gierig wachsen muss, erzeugt es den Wachstumszwang in der
Wirtschaft. In industrieller Form muss diese Wirtschaft den Konsum, den
Ressourcenverbrauch und die Belastung der Natur durch Abfälle,
Klimaerwärmung, Vergiftung usw. ebenfalls steigern. Auf einem begrenzten
Planeten kann Kapitalismus/die kapitalistische Zivilisation nur zu dessen
Zerstörung führen. Grüner Kapitalismus ist die neue große Illusion – gerade
auch der Mehrheit der Gewerkschaften und Kirchen in Deutschland.
Das heißt, die kapitalistische Zivilisation muss nicht allein aus ethischen,
sondern aus Überlebensgründen langfristig überwunden und durch eine Leben
ermöglichende Kultur ersetzt werden.

4. Aus welchen Quellen kann sich eine solche Überwindung speisen? Da die
kapitalistische Zivilisation ihre Ursprünge in der frühen Geld-
Privateigentumswirtschaft seit dem 8. Jh. v.u.Z. hat, können wir zurückgreifen
auf die Kritik an dieser in allen Religionen seit den altisraelitischen Propheten
und der Tora, dem Buddhismus, Taoismus, Konfuzianismus, bestimmten
Strängen der griechischen Philosophie, der Jesusbewegung und dem Islam.

5. In allen diesen Religionen und Philosophien ist heute zu beobachten, dass
Befreiungstheologien und -philosophien die kritischen Elemente der alten
Schriftquellen wieder aufgreifen und damit die mehrheitliche Anpassung der
aktuellen Religionen an die kapitalistische Zivilisation kritisieren sowie mit
den sozialen Bewegungen zusammen an Alternativen arbeiten.

6. In diesem Zusammenhang sind die neuen Dokumente der Vollversammlung
des ÖRK in Busan und des Papstes (Evangelii Gaudium) zu lesen und
fruchtbar zu machen. Zentral dafür ist es, den ökumenischen „Pilgerweg der
Gerechtigkeit und des Friedens“ für die nächsten acht Jahre als Exodus aus der
herrschenden kapitalistischen Zivilisation (weg von den „Fleischtöpfen
Ägyptens“), als Weg durch die Wüste und zum Sinai der neuen, dem Leben
dienenden zivilisatorischen Grundordnung und Lebensweise zu machen, um
schrittweise eine neue Wirtschaftsweise des „Genug für alle“ (dem „Manna“
bei der Wüstenwanderung) zu praktizieren.

7. Kern der neuen Wirtschaftsweise ist eine neue Geld-, Eigentums- und
Arbeitsordnung, Kern der neuen Lebensweise ist Kooperation und Solidarität.

Geld_Gier ÖV14 Vortrag als pdf.

Kirche ist kein Thema mehr für Hans-Joachim Maaz ?

Hans-Joachim Maaz, Psychater und Psychoanalytiker aus Halle/ Saale , lange Zeit Chefarzt des Diakoniekrankenhauses Halle und bekannt geworden durch seine DDR-Kritik, sieht in seinem neuesten Buch: „Die narzistische Gesellschaft. Ein Psychogramm„, Verlag C.H. Beck, München 2012 die gegenwärtige Politik und Gesellschaft  als  narzistischen Kompensationsprozess. Er fragt: „Was ist unsere Demokratie noch wert, wenn die Spekulanten der Finanzwirtschaft über die gesellschaftliche Entwicklung entscheiden? Wenn bloße spekulative Bewertungen an der Börse die reale und redliche Arbeit von Millionen Menschen rein virtuell vernichten können, sind wir gesellschaftlich auf dem Niveau eines Spielcasinos angekommen.  Und wer sind die Märkte, die die Politiker vor sich herjagen, weshalb ist die reale Macht an irrationale Prozesse abgegeben worden? Meine Antwort lautet: Wenn selbstwertgestörte Menschen in die Politik gehen, um ihr narzistisches Defizit durch Macht aufzuwerten, sind sie nicht ihrer selbst mächtig, sondern gejagt vom Erfolgszwang, der ihnen von außen diktiert wird. Und dort entfalten vor allem die versammelten Kräfte narzistisch begründeter Gier ihre Wirkungsmacht, um den Mangel an Selbstwert ein ‚goldenes‘ Kostüm zu schneidern.“

Die Rolle der Kirchen wird in dem Büchlein nicht erwähnt, wohl aber an verschiedenen Stellen Erfahrungen von Seelsorgern angesprochen, die in einem Atemzug mit Psychologen und Therapeuten genannt werden.