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Kapitalismus als Religion. Interview mit Prof. Ulrich Duchrow.

07/2017

Keine Religion sieht den Sinn des Lebens in der Anhäufung materieller Güter, doch wirtschaftliches Wachstum und Konsum bestimmen das gesellschaftliche und private Leben. Ist der Kapitalismus unsere wahre Religion? Der Theologe Ulrich Duchrow hat ein spannendes Büchlein über die drei Kapitalismuskritiker Martin Luther, Karl Marx und Papst Franziskus geschrieben. Er gibt im Interview Auskunft.

Mehr dazu.

„Gieriges Geld“ – Solidarisches Wirtschaften als Alternative. Vortrag bei der Ökumenischen Versammlung. Von Prof. Dr. Ulrich Duchrow

Hier nur die Thesen des Vortrages von Prof. Duchrow.

1. „Gieriges Geld“ ist ein anderes Wort für „Kapital“: in Geld gemessenes
Vermögen, das investiert werden muss mit dem einzigen Ziel, mehr in Geld
gemessenes Privateigentum hervorzubringen, das wieder zu dem gleichen
Zweck der Akkumulation investiert werden muss usw. usw.

2. Dieses Kapital/Gieriges Geld bestimmt mit Geist, Logik und Praxis nicht allein
die herrschende Wirtschaftsordnung, sondern unsere gesamte Zivilisation –
einschließlich der ego-zentrierten, kalkulierenden Mentalität, Psychologie,
Spiritualität und Verhaltensweise der Menschen in den verschiedenen Klassen.
Kapital ist sogar der Gott der herrschenden Religion.

3. Da Kapital gierig wachsen muss, erzeugt es den Wachstumszwang in der
Wirtschaft. In industrieller Form muss diese Wirtschaft den Konsum, den
Ressourcenverbrauch und die Belastung der Natur durch Abfälle,
Klimaerwärmung, Vergiftung usw. ebenfalls steigern. Auf einem begrenzten
Planeten kann Kapitalismus/die kapitalistische Zivilisation nur zu dessen
Zerstörung führen. Grüner Kapitalismus ist die neue große Illusion – gerade
auch der Mehrheit der Gewerkschaften und Kirchen in Deutschland.
Das heißt, die kapitalistische Zivilisation muss nicht allein aus ethischen,
sondern aus Überlebensgründen langfristig überwunden und durch eine Leben
ermöglichende Kultur ersetzt werden.

4. Aus welchen Quellen kann sich eine solche Überwindung speisen? Da die
kapitalistische Zivilisation ihre Ursprünge in der frühen Geld-
Privateigentumswirtschaft seit dem 8. Jh. v.u.Z. hat, können wir zurückgreifen
auf die Kritik an dieser in allen Religionen seit den altisraelitischen Propheten
und der Tora, dem Buddhismus, Taoismus, Konfuzianismus, bestimmten
Strängen der griechischen Philosophie, der Jesusbewegung und dem Islam.

5. In allen diesen Religionen und Philosophien ist heute zu beobachten, dass
Befreiungstheologien und -philosophien die kritischen Elemente der alten
Schriftquellen wieder aufgreifen und damit die mehrheitliche Anpassung der
aktuellen Religionen an die kapitalistische Zivilisation kritisieren sowie mit
den sozialen Bewegungen zusammen an Alternativen arbeiten.

6. In diesem Zusammenhang sind die neuen Dokumente der Vollversammlung
des ÖRK in Busan und des Papstes (Evangelii Gaudium) zu lesen und
fruchtbar zu machen. Zentral dafür ist es, den ökumenischen „Pilgerweg der
Gerechtigkeit und des Friedens“ für die nächsten acht Jahre als Exodus aus der
herrschenden kapitalistischen Zivilisation (weg von den „Fleischtöpfen
Ägyptens“), als Weg durch die Wüste und zum Sinai der neuen, dem Leben
dienenden zivilisatorischen Grundordnung und Lebensweise zu machen, um
schrittweise eine neue Wirtschaftsweise des „Genug für alle“ (dem „Manna“
bei der Wüstenwanderung) zu praktizieren.

7. Kern der neuen Wirtschaftsweise ist eine neue Geld-, Eigentums- und
Arbeitsordnung, Kern der neuen Lebensweise ist Kooperation und Solidarität.

Geld_Gier ÖV14 Vortrag als pdf.

Bundespräsident Pfarrer Gauck verteidigt Neoliberalismus

Bundespräsident Joachim Gauck hat vor der Gefahr eines zu stark regulierenden Staates gewarnt. Er verteidigte den positiven Nutzen von Wettbewerb. “Ungerechtigkeit gedeiht nämlich gerade dort, wo Wettbewerb eingeschränkt wird”, sagte er bei einer Festveranstaltung zum 60-jährigen Bestehen des Walter-Eucken-Instituts in Freiburg. Der Ökonom Eucken gilt als einer der geistigen Väter der sozialen Marktwirtschaft.

Der Bundespräsident bezeichnete es mit Verweis auf die sogenannte Freiburger Schule liberaler Wirtschaftswissenschaftler als “merkwürdig”, dass der Begriff “neoliberal” heute so negativ besetzt sei. Die Denkschule Euckens und seiner Mitstreiter sei eigentlich genau das Gegenteil “jenes reinen Laissez-faire, das dem Neoliberalismus heute so häufig unterstellt wird”. Er wünsche sich in der öffentlichen Debatte daher “mehr intellektuelle Redlichkeit”, sagte Gauck, der seine Rede ein “Plädoyer” nannte. Mehr dazu.

Hier zwei kurze Darstellungen zur Klärung der Unterschiede zwischen Sozialer Marktwirtschaft und dem heute (!) üblichen Verständnis von Neoliberalismus

1. vom früheren Staatssekretär in NRW Werner Lieb:

Das Konzept der „sozialen Marktwirtschaft“ geht auf die „Freiburger Schule“ der Ökonomen Walter Eucken, Alfred Müller-Armack, Wilhelm Röpke und Alexander Rüstow zurück. Nachdem durch Weltwirtschaftskrise und Faschismus der Kapitalismus in Deutschland in eine schwere Legitimationskrise geraten war, sollte die „soziale Marktwirtschaft“ zum einen das Gegenkonzept zu den Vergesellschaftungs- und Mitbestimmungsforderungen der Sozialdemokraten, Sozialisten und Gewerkschaften sein, das Privateigentum an Produktionsmitteln sichern und die abhängig Beschäftigten mit dem Kapitalismus aussöhnen. Zum anderen sollte es in Abkehr von der reinen Lehre des Wirtschaftsliberalismus durch staatliche Interventionen, Konjunkturprogramme, Anti-Kartellgesetzgebung und den Ausbau des Sozialstaats die negativen Folgen eines ungezügelten Wettbewerbs verhindern. Die These: Die Marktwirtschaft bedürfe „erheblicher sozialer, politischer, raumplanerischer und konjunkturpolitischer Sicherung.“ Die Wahlkampfparole des CDU-Kanzlers „Wohlstand für alle“ war das Versprechen, dass die soziale Marktwirtschaft den gesellschaftlichen Reichtum gerechter verteilen werde. Im Gegensatz zu den heutigen Neoliberalen forderten die „Freiburger“ eine „quantitative Steigerung der für öffentliche Dienste bestimmten Finanzmittel“.

2. von Prof. Ulrich Duchrow:

„… Das macht es auch nötig, klar zu sagen, was wir in diesem Buch mit Neoliberalismus meinen. Wir schließen uns den differenzierten Definitionen von Bernhard Walpen an. In einer ersten Näherung sagt er: »Was den Neoliberalismus am meisten eint, ist zunächst seine Ablehnung des ›Kollektivismus‹, worunter nicht nur Kommunismus, Marxismus und Sozialismus verstanden wird, sondern auch Sozialdemokratie und – erst nach dem Zweiten Weltkrieg – Keynesianismus und Wohlfahrtstaat.« (63) Das heißt, negativ eint die Formen des Neoliberalismus die Ablehnung der sozialen Wohlfahrtsfunktionen des Staates. Der Staat soll kein Sozialstaat sein.“ vgl. hier.

Hat Herr Gauck also etwas missverstanden?