Archiv für den Monat: November 2016

Hoffnung im utopielosen Zeitalter. Von Martin Schuck

11/2016

Vor einigen Wochen habe ich aus aktuellen Anlässen wie dem 90. Geburtstag Jürgen Moltmanns und dem Tod seiner Frau Elisabeth Moltmann-Wendel wieder einmal in der „Theologie der Hoffnung“ geblättert. Ich hatte das Buch als Theologiestudent in den 1980er Jahren gelesen und noch ein einziges Mal hineingeschaut, als ich die Festschrift zu Moltmanns 70. Geburtstag besprochen hatte. Das ist jetzt 20 Jahre her.
Was mir bei meiner kurzen Re-Lecture sofort auffiel, war der relativ geringe Umfang des Werkes: nur 316 Seiten. Aus der Erinnerung heraus hätte ich auf mindestens 500 Seiten getippt. Aber so war das eben vor einem guten halben Jahrhundert: In der Nachkriegszeit war es möglich, mit relativ dünnen Büchern ganze Theologengenerationen zu beeinflussen – und manchmal reichte sogar ein einziger Aufsatz.
In den Jahren vor 1989 war es jedenfalls so, dass Moltmanns Buch in all denjenigen Kreisen, die irgendwie politisch links waren, also den Barthianern, den Sölle-Anhängern, den Friedensbewegten, den Dritte-Welt-Aktivisten, den Ökologen, den religiösen Sozialisten und wie sie alle hießen, zur Pflichtlektüre gehörte. Man hatte vermutlich selten davor und niemals mehr danach so sehr das Gefühl, das Richtige gemacht zu haben, wie in diesen Jahren, wenn man sich einen Abend lang mit Kommilitonen zusammensetzte und über Moltmanns „Theologie der Hoffnung“ diskutierte. Für viele, die damals den Anschluss an den Barthianismus suchten, war Moltmann die ideale Lektüre; Moltmann argumentierte barthianisch ohne den Meister allzu oft zu zitieren, und man konnte wissen, worum es barthianischer Theologie im Kern geht, ohne die quälend langen Kapitel der KD lesen zu müssen.
Moltmann zog die gesamte Theologie von der Eschatologie her auf. Das passte erstens gut in die theologische Forschungslandschaft, denn seit dem frühen 20. Jahrhundert war die Eschatologie zu einem bevorzugten Thema der Neutestamentler geworden, und deren Forschungsergebnisse warteten förmlich auf Systematisierung und vor allem Aktualisierung; Moltmann konnte beides bieten. Zweitens aber traf Moltmann 1964, bei Erscheinen des Buches, auf die Anfangsphase einer weltweit sich formierenden Protestbewegung, die in die unterschiedlichsten kulturellen Milieus einsickerte und sich anschickte, diese neu zu formatieren. Diese Neuformatierung betraf auch die Kirchen, und Moltmanns Konzept einer „Exodusgemeinde“, das er im Schlusskapitel entfaltete, wirkte gleichzeitig analytisch und prophetisch: Tatsächlich gab es bereits kleine kirchliche Gruppen, die im (politischen) Aufbruch ihr Selbstverständnis entdeckten, und für all die anderen sollte dieses Konzept Ansporn sein, sich angesichts einer wenig ruhmreichen Vergangenheit in der Zukunft auf die richtige Seite zu schlagen.
Moltmann entwickelt das Thema Zukunft aus dem Ertrag seiner Analyse der gesellschaftlichen Rolle der Kirche im Verlauf der Geschichte. Die Kirche sei während der Neuzeit zwar immer weiter aus der integrierenden Mitte der Gesellschaft, wo sie sich im Mittelalter befunden hatte, entlassen worden; jedoch habe ihr ebendiese Gesellschaft andere Rollen zugewiesen, aber in diesen Rollen sei das Christentum – Achtung, hier wird es barthianisch – zur „Religion“ degeneriert und damit gesellschaftlich stillgelegt worden. Moltmann nennt drei dieser Rollen: Zum ersten war die Kirche Retterin und Bewahrerin individueller und privater Humanität. Die kirchliche Lehre, so Moltmann im Blick auf die Theologie seit der Aufklärung, habe eine „Metaphysik der Subjektivität“ behauptet, mittels derer die Humanität des Menschen in der Industriekultur gerettet werden sollte. Als zweite Rolle sieht Moltmann die Kirche als Instanz zur Kultivierung von Mitmenschlichkeit, indem sie eine Geborgenheit gebende „Gemeinschaft“ erschafft. Hier unterzieht Moltmann die Sozialphilosophie von Ferdinand Tönnies (1855-1936), der zwischen unpersönlicher Gesellschaft und der von menschlicher Nähe geprägten Gemeinschaft unterschieden hatte, einer scharfen Kritik. Tönnies hatte in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts eine beträchtliche Wirkungsgeschichte; ohne die von ihm geprägte Begrifflichkeit wäre beispielsweise die Ekklesiologie Dietrich Bonhoeffers nicht zu verstehen. Mittels dieser romantisierenden Begrifflichkeit jedenfalls wird erklärt, wie die Gemeinde zum Zufluchtort der Innerlichkeit wird und den Menschen aus den für „entseelt“ gehaltenen Institutionen der Gesellschaft retten kann. Christliche Gemeinden werden so zwar zu Inseln echter Mitmenschlichkeit, allerdings wird durch sie die Öffentlichkeit der Gesellschaft weder beunruhigt und schon gar nicht verändert. Kirchen sind demnach, so Moltmann, systemstabilisierend. Das führt auch schon zur dritten Rolle der Kirche, nämlich eine Institution innerhalb der Gesellschaft zu sein, die für Menschen eine Entlastungsfunktion bereitstellt; im Falle der Kirche ist es eine religiöse Entlastung, da der Einzelne seine Glaubensentscheidung delegieren kann. Moltmann nennt dies „institutionalisierte Unverbindlichkeit“ und behauptet, auf diese Weise werde „das Christliche“ zwar zu einer gesellschaftlichen Selbstverständlichkeit, verliere allerdings jede gesellschaftliche Relevanz.
Moltmann fordert einen Ausbruch aus der Zumutung dieser Rollen und regt eine neue eschatologische Ausrichtung der Christen an, die ihre Pointe in der Antizipation einer Zukunft findet, die ihre emanzipatorischen Inhalte im Wesentlichen aus der Kritik am Bestehenden konstruiert. Wichtig sei deshalb, gegen die kirchliche Rolle als Stabilisator der gesellschaftlichen Verhältnisse Widerstand zu leisten und die Gemeinde zu einer „nicht-assimilierbaren Gruppe“ werden zu lassen, die die Gesellschaft durch ihr auf Zukunft gerichtetes Handeln stört und verändert. Vom kommenden Reich Gottes her werde diese Gemeinde zur „Exodus-Gemeinde“ die sich auf den Weg mache zur kommenden Gerechtigkeit.
Ich weiß nicht, wie viele Theologen heute noch Jürgen Moltmann lesen. Das Gütersloher Verlagshaus hat jedenfalls anlässlich Moltmanns 90. Geburtstags eine neunbändige Ausgabe seiner Werke veröffentlicht und versteht diese als „eine Einladung, einen der einflussreichsten theologischen Denker der Gegenwart im Horizont der aktuellen Weltprobleme kennen zu lernen und seine bleibende Bedeutung zu entdecken“, so der Werbetext. Nach der Lektüre der „Theologie der Hoffnung“ muss sich, gemäß dieser „Einladung“, natürlich gleich die Frage anschließen, wohin das nach Moltmanns Ansicht damals auf Zukunft ausgerichtete Handeln der Gemeinde sich heute orientieren kann angesichts von völlig veränderten gesellschaftlichen Diskursen über Hoffnung? Nicht nur in den gesellschaftlichen Debatten, sondern auch in den Kirchen hat sich eine Haltung gegenüber der Zukunft breit gemacht, der es kaum noch darum geht, Veränderungspotentiale auszuloten. Wo heute von Hoffnung geredet wird, geht es meist um die Hoffnung, dass es schon nicht so schlimm kommen werde wie vermutet. Zu den Merkwürdigkeiten unserer Zeit gehört es nun, dass diese veränderte Zielrichtung von Hoffnung auch Auswirkungen auf die Haltung der Christen zur Zukunft hat. Moltmanns Vorstellung einer „Exodus-Gemeinde“ wirkt angesichts einer nahezu vollständigen Diakonisierung der Kirche, die sich weiterhin systemstabiliserend positioniert und nichts so sehr fürchtet, wie, um mit Moltmann zu reden, „nicht-assililierbar“ zu sein, merkwürdig aus der Zeit gefallen.
Es spricht also vieles dafür, dass wir in ein völlig utopieloses Zeitalter eintreten, in dem sich nur noch die Älteren daran erinnern, dass einmal ernsthaft über gesellschaftliche und politische Utopien diskutiert werden konnte. Jürgen Habermas hat es unlängst angesichts der fehlenden Alternativen bei den etablierten Parteien treffend auf den Punkt gebracht: „Wenn eine glaubwürdig und offensiv vertretene Perspektive fehlt, bleibt dem Protest nur noch der Rückzug ins Expressive und Irrationale.“
Martin Schuck

Synode der ELK Württemberg: TOP 6 – Strategische Planung.

11/2016

Landesbischof Dr. h. c. Frank Otfried July hat am Nachmittag den aktuellen Stand der „Strategischen Planung“ vorgestellt. Fünf Ziele verfolgt die Evangelische Landeskirche in Württemberg im kommenden Jahr besonders

  • In der Wertediskussion Präsenz zeigen,
  • Ehe und Familien stärken,
  • Digitalisierung gestalten
  • Personalwesen im OKR überprüfen, weiterentwickeln und ggf. verbessern und
  • ein zukunftsfähiges Kommunikationskonzept für die Landeskirche erarbeiten

Mehr dazu: Gehen Sie auf: 1. Sitzungstag, scrollen dann  zu TOP 6;  Dort auch download der Präsentation.

EKiR: Teure Umbauprojekte lassen die Gemeinden verarmen. Trotz steigender Kirchensteuereinnahmen. Immer weniger Geld für die Arbeit mit Menschen.

11/2016, Von Hans-Jürgen Volk

Die Finanzlage zahlreicher Gemeinden und etlicher Kirchenkreise – zumal in strukturschwachen Regionen des Rheinlandes – ist mittlerweile alarmierend. Immer weniger Geld ist vorhanden für die Arbeit vor Ort mit den Menschen. Dass dies trotz einem Allzeithoch bei den Kirchensteuereinnahmen geschieht, ist ein deutlicher Hinweis auf fragwürdige kirchenpolitische Entscheidungen der rheinischen Kirche. Indizien sprechen dafür, dass Finanzdruck bewusst als kirchenpolitisches Instrument eingesetzt wird, um Strukturveränderungen zu erzwingen. Hinter einer freundlichen Fassade verbergen sich oft subtil-autoritäre Strategien und Verhaltensweisen, die einer christlichen Kirche unwürdig sind.

Mehr dazu.

ELK Bayern: Gemeinden sind Verlierer. Rückgang der Schlüsselzuweisungen von 38% auf 24% der Kirchensteuereinnahmen.

20.11.2016, Bayerisches Sonntagsblatt

Wie der Gemeindebund Bayern die volkskirchlichen Strukturen erhalten will.

Der Gemeindebund Bayern will im kirchenpolitischen Gerangel um Personalstellen und Kirchensteuerzuweisungen die Interessen der Ortsgemeinden vertreten. Wir sprachen mit dem 1. Vorsitzenden, dem Pegnitzer Dekan Gerhard Schoenauer, und dem 2. Vorsitzenden, Pfarrer Karl-Friedrich Wackerbarth aus Prien am Chiemsee….

…Schoenauer: Die Gemeinden sind momentan die Verlierer. Die sogenannten Schlüsselzuweisungen, von denen sie alles bezahlen müssen, gingen von circa 38 Prozent der Kirchensteuereinnahmen auf 24 Prozent zurück.Mehr dazu.

EKHN: „Der Kirche geht das Geld aus“, FR

26./27.11.2016, FR
Der Kirche geht das Geld aus, so titelt Peter Hanack, Frankfurter Rundschau (auf S. F20- Hessen).

Der Artikel beginnt: „Es waren elf gute Jahre. Die Einnahmen überstiegen regelmäßig die Ausgaben, die Rücklagen der EKHN wuchsen… sagte der Kämmerer Thomas Striegler am Freitag in Frankfurt.“ Nun aber stagnierten die Einnahmen….

„Deshalb hat die EKHN bereits 2007 einen Sparkurs beschlossen“…

„Sorgen bereiten der EKHN die steigenden Verpflichtungen für die Altersversorgung.“

Anm. F.S.: Noch liegen aufgrund der Umstellung auf die Doppik keine Jahresabschlüsse für 2015 oder 2016 vor, aber Thomas Striegler macht schon mal neue Prognosen. Das ist nicht schwer, denn die alten Prognosen und der darauf aufbauende Sparkurs wird ja weiter geführt. Wie das schon in der Vergangenheit der Fall war. Unbeschadet der tatsächlichen hohen Wachstumsraten in der Vergangenheit (Statistik). Immerhin im Nachhinein erfährt mancher (Dekan/Dekanin), der/die schon immer und noch immer behauptet (!), die Einnahmen würden sinken, dass die EKHN elf gute – richtig wäre: fette! –  Jahre hinter sich hat. Und die PfarrerInnen erfahren, dass sie wieder mal das Problem darstellen. Und zwar wegen ihrer Altersversorgung. Was sollen die Pfarrer von einer Finanzabteilung halten, der es unter normalen Bedingungen nicht gelingt, die Organisation dauerhaft und beständig und also unter Berücksichtigung der zukünftigen Verpflichtungen zu führen? Paradox: früher, ohne das Instrument der Doppik, hat das funktioniert. Und jetzt gelingt es nicht mal in 11 fetten Jahren den eigenen Laden so auszustatten, dass man über das Thema Altersversorgung kein Wort verlieren muss? Sondern dass in der Presse Überschriften erscheinen, wie die des hier erwähnten Artikels? „Der Kirche geht das Geld aus“.  Das ist einfach mehr als peinlich!

 

Die EKHN berichtet: Haushalt mit Problemsignalen

…Der hessen-nassauische Finanzdezernent Heinz Thomas Striegler bezeichnete den Etat als einen „Haushalt mit ersten Problemsignalen“. Nach Jahren von steigenden Kirchensteuern blieben sie derzeit hinter den Erwartungen zurück. Sie deckten sich nicht mit den guten Konjunkturdaten in Deutschland und den hohen Steuereinnahmen des Staates. Als Grund dafür sieht Striegler unter anderem den Rückgang der Mitgliederzahlen…

Mehr dazu.

F.S.: Ist der Mitgliederrückgang Grund für das – seit fast 20 Jahren laufende – Sparkonzept? So der Finanzdezernent der EKHN, Thomas Striegler. Wahrscheinlicher ist aber: der Mitgliederrückgang ist nicht Grund, sondern Folge dieses Sparkonzepts! Weniger Leistung (Kontakte…) – mehr Austritte. Das zeigte jedenfalls auch die jüngste Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung (5. KMU).  Nun, der Finanzdezernent und Leiter der Kirchenverwaltung kann sicher nicht alles lesen. Er ist ja auch durch das Doppik-Projekt der EKHN über Jahre hin stark gebunden. Dennoch noch einmal die Anregung: wie wäre es mit gezielten und gut bedachten Investitionen?

 

ELK Bayern: Sparen statt richtig investieren: Neue Vokabeln für (ver)alte(te) Strategie der Finanzpolitik

11/2016, epd-Gespräch

„Handlungsfähig bleiben“

Trotz der guten Finanzlage stellt sich die Landeskirche schon jetzt auf Zeiten zurückgehender Einnahmen ein. Im laufenden Jahr 2016 rechnen die Experten mit rund 730 Millionen Euro an Kirchensteuern.

Als Tandem planen Oberkirchenrat Erich Theodor Barzen, Leiter der Finanzabteilung im Landeskirchenamt, und Joachim Pietzcker, Vorsitzender des Finanzausschusses der Landessynode, den kirchlichen Haushalt und suchen nach Wegen, wie die Kirche auch in Zukunft trotz zurückgehender Finanzkraft handlungsfähig bleiben kann. In einem epd-Gespräch erläutern die beiden Finanzexperten das neue Planungs-Instrument der „Vorsteuerung“ und wagen Prognosen für die Zukunft…. Mehr dazu.

Landessynode ELK Bayern: Gemeindepatenschaften: Freiwillige Unterstützung von finanzschwachen Gemeinden durch finanzstarke Patengemeinden abgelehnt.

11/2016

Die LS (Landessynode) lehnt den Antrag in der vorliegenden Form ab. Sie schließt sich
der Stellungnahme des LKR an. Die LS regt verstärkte Kontakte von
Kirchengemeinden in Dekanaten und in der Landeskirche an, um eine
Kultur der Solidarität und des Austausches zu fördern.
(einmütig bei 2 Enthaltungen)

 

Mehr dazu vgl. A106. 

EKHN-Synode: BERICHT VON DER THEMENVISITATION „HERAUSFORDERUNGEN IN LÄNDLICHEN RÄUMEN“.

11/2016

1. Dorfkirchen erhalten und profilieren
Die große Bedeutung der Kirchengebäude ist in der Themenvisitation einmal mehr deutlich geworden. Sie haben einen hohen Symbolwert, der weit über die gottesdienstliche Nutzung hinausreicht. Wenn die alten Kirchengebäude unterhalten und bei Bedarf renoviert werden, während andere Bauten zunehmend verfallen, wird das als ermutigendes Zeichen verstanden. Wenn die Kirche bleibt, während andere gehen, hat das eine Ausstrahlung, die wirkt.

4. Umstrukturierungen begleiten
Dass jeder Verlust von kirchlicher Präsenz in der Fläche eine ohnehin schon geschwächte Dorfgesellschaft schmerzt und über das kirchliche Leben hinaus von Bedeutung ist, hat die Themenvisitation verdeutlicht. Und dennoch wird es angesichts des spürbaren Rückgangs der Gemeindegliederzahlen in den sog. schrumpfenden Regionen kaum möglich sein, die derzeitige kirchliche Infrastruktur auf Dauer komplett aufrecht zu erhalten…

Zum Bericht.