Archiv der Kategorie:
Theologie und Kirchengeschichte

Reformationstag. Suche nach der Gnade in einer gnadenlosen Welt. Kommentar von Matthias Drobinski, SZ

31. Oktober 2017

An diesem Reformationstag wird viel Erbauliches gepredigt über Martin Luther. Trotzdem klingen manche Reden von Pfarrern und Bischöfen flach – weil sie alles Grausame aus dem Nachdenken über Gott eliminieren.

…Martin Luthers großartige Antwort war: Der Christengott ist kein Gott des innerweltlichen Triumphes, des Himmelreiches auf Erden, kein „Spiritual Leader“ fürs angenehmere Leben. Der gnädige Gott ist für ihn der gekreuzigte, leidende Gott, grausamstmöglich hingerichtet und erniedrigt, aller Menschenwürde beraubt…

Mehr dazu.

Evangelische Identität in säkularem Umfeld. Evangelischer Bund lud zur 109. Generalversammlung nach Wien ein.

11/2017

zum Stand der Ökumene:
…„Es sei erstaunlich und eine kulturelle Leistung, wie viel in den wenigen Jahrzehnten ökumenischen Engagements erreicht worden ist.“ Dennoch bestünden nach wie vor große Differenzen in Fragen des Glaubens und auch der Ethik, die auch zu enttäuschten Erwartungen geführt hätten….

zu VELKD und WGRK:
„…„Insgesamt lässt sich bei den Generalversammlungen dieser Bünde ein immer größer werdendes Gewicht von individual- und sozialethischen Diskussionen ausmachen“, so Lenski. Kontroverse Diskussionspunkte mit beachtlicher Sprengkraft seien unter anderem die Themen „Frauenordination“ und „Sexuelle Vielfalt“…“

Mehr dazu.

„Sagen Sie Adolf Hitler, es reiche nun…!“ Pastor Kaj Munk, die Stimme des dänischen Widerstandes.

11/2017, Von Hartmut Ludwig

„Sagen Sie Adolf Hitler, es reiche nun…!“

Pastor Kaj Munk, die Stimme des dänischen Widerstandes, erschoss die SS 1944

In der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 brannten die Synagogen in Deutschland, Geschäfte der Juden wurden zerstört, Wohnhäuser abgebrannt, Juden ermordet, tausende jüdische Männer in Konzentrationslager verschleppt. Die Kirchen schwiegen dazu. In Berlin ging nur der Hilfsprediger der Bekennenden Kirche Helmut Gollwitzer in seiner Predigt am Bußtag, dem 16. November, auf den Pogrom ein. Mit dem Pogrom begann die forcierte Vertreibung und Ermordung der Juden.

 

Am 17. November 1938, eine Woche nach dem Pogrom in Deutschland, erschien von dem dänischen Pastor Kaj Munk ein „Offener Brief“ an den italienischen Diktator Benito Mussolini in der großen Tageszeitung „Jyllands-Posten“:
„Was da dieser Tage in Deutschland geschehen ist, muss allen menschlich Fühlenden das Herz zerreißen. Dass ein so starkes und stolzes und edles Volk wie das deutsche sich so herabwürdigen kann zur Terrorisierung von Wehrlosen und zur Schändung von Gotteshäusern ist genau so entsetzlich, wie es bestürzend ist. … Sagen Sie Ihrem Freund Adolf Hitler, es reiche nun… Sagen Sie ihm, dass nun eine humane Regelung in der Judenfrage getroffen werden muss und auf keinen Fall mehr wahnsinniges Wüten, sonst wird – das ist das erste Gebot – Gott ihn und sein Volk strafen.“

Kaj Munk beschwor Mussolini, Hitler von der Judenverfolgung abzubringen. Der eigentliche Adressat des Briefes war aber das dänische Volk. Munk artikulierte Abscheu und Entsetzen der Mehrzahl der Dänen gegenüber dem Judenmord.

Kaj Munk, geboren am 13. Januar 1898, studierte Theologie in Kopenhagen. Sören Kierkegaards Kirchenkritik verstärkten Munks Zweifel, ob er Pfarrer werden könne. Viel lieber wollte er Dichter und Schriftsteller werden. Theologisch orientierte er sich an der Tradition der lutherischen Staatskirche und dem dänischen Theologen Grundtvig (1783-1872). Von 1924 bis 1944 war er Pfarrer in Vedersø(Westjütland). Er war einer der bekanntesten Dichter Dänemarks. Sein Werk umfasste Lyrik, Erzählungen, Balladen, Schauspiele, Dramen, Kirchenlieder und eine Autobiografie.

Kaj Munk liebte Deutschland und bewunderte dessen kulturelle Tradition. 1931 bewarb er sich um die Stelle des Pfarrers der dänischen Gemeinde in Berlin. Im Januar 1934 reiste er mit seiner Frau über Flensburg, Berlin und Rom nach Ägypten und Jerusalem. Im November 1936 rezensierte er das Buch des deutschen Erfolgsautors Gustav Frenssen „Der Glaube der Nordmark“ unter dem Titel „Das christenfeindliche Deutschland“. Munk schrieb: „Das Zentrale im Christentum ist Jesus. Nicht weniger, nein, aber wahrhaftig auch nicht mehr… Jesus war ein Jude.“

Anfang Januar 1938 war er erneut in Berlin und verfasste in wenigen Tagen das Drama „Er sitzt am Schmelztiegel“ – ein Protest gegen die Judenverfolgung im „Dritten Reich“ und gegen die deutschchristliche Irrlehre, der historische Jesus von Nazareth sei kein Jude, sondern ein „Arier“ gewesen. Der Titel ist ein Choral aus dem dänischen Gesangbuch. Inspiriert hat den Textdichter der Prophet Maleachi 3,2, dass am Tag des Gerichts Gottes ein Läuterungsprozess stattfindet. Die Erde befinde sich dann wie im Schmelztiegel.

Im Mittelpunkt des Stückes stehen zwei Archäologen, überzeugte Nazis. Professor Dorn will bewiesen haben, dass Christus „Arier“ war. Der andere Archäologe, Professor Mensch, fand eine antike Tonscherbe mit einem Gesicht. Dorn schlägt ihn Hitler für den Deutschlandpreis vor. Sie geraten in Streit: Wenn er an der Meinung festhalte, dass auf der Tonscherbe Jesus zu sehen sei, werde er den Preis nicht erhalten. Professor Mensch kontert: Dann werde er es über ganz Deutschland hinausschreien, dass er ein Bild von Christus gefunden habe, der ein Jude war. Dorn droht, ihn dann ins Irrenhaus zu bringen. Der Kollege lenkt zum Schein ein. Am folgenden Tag ist die Preisverleihung in der Aula der Berliner Universität, an der viele hohe NS-Funktionäre teilnahmen. Bevor Hitler die Tonscherbe erhielt, kam es zu einem Disput über die Wahrheit. Hitler erklärte, dass es für ihn nur eine Wahrheit gibt: das Vaterland. Alle andere Wahrheit werde er niederschlagen. Professor Mensch erklärte: „Siehe, Deutschland, sieh hier sein Angesicht, ihn, für den du deine Kirchen gebaut hast, und nach dessen Namen du deine Kultur benennst. … Ist das Bildnis hier für uns zu gefährlich? Ja, es ist zu gefährlich. … Was die rassenreine Menge damals gegen diesen Menschen schrie, das müssen wir nun auch. … Rufen Sie mit, meine Herren: Kreuzige ihn! Dabei schmetterte er die Tonscherbe zu Boden.“ Eisige Stille. Die Nazis verließen betreten die Aula.

Die Bekennende Kirche in Deutschland hat die NS-Judenverfolgung nie thematisiert, geschweige denn verurteilt. Erst 1938 hat sie sich – von wenigen Ausnahmen abgesehen – um getaufte Juden gekümmert. Auch nach dem Krieg hat sie das Thema weitgehend verschwiegen. Erst zwei Jahrzehnte nach 1945 begann sie, sich mit dem christlichen Antijudaismus kritisch auseinanderzusetzen.

In Dänemark fand sich 1938 keine Bühne für das Drama, so dass die Erstaufführung von „Er sitzt am Schmelztiegel“ in Norwegen erfolgte. Doch dann wurde es ein großer Erfolg: Bis zur Besetzung des Landes durch die deutsche Wehrmacht im April 1940 sahen das Stück 160.000 Dänen. Kaj Munk galt als die Stimme des dänischen Widerstandes gegen die deutsche Besatzung: „Wenn das Unrecht auf den Straßen schreit, kann meine Kirche nicht stumm verharren.“ Ein unpolitisches Christentum lehnte Munk ab. „Was ist das für eine sinnlose Forderung, dass die Kirche vorsichtig sein soll? War Christus etwa vorsichtig? Waren etwa die Märtyrer vorsichtig?“ In einer Rede vor Studenten in Kopenhagen im November 1942 sagte Munk: „Eine Kirche, die für sich selbst da ist, ist es nicht wert, da zu sein.“

Als die Deutschen in Dänemark im August 1943 den militärischen Ausnahmezustand verhängen wollten und damit Presse- und Versammlungsfreiheit noch weiter eingeschränkt würde, kam es zum Bruch zwischen der Besatzungsmacht und dänischen Regierung. Als bekannt wurde, dass die Deutschen die dänischen Juden in Vernichtungslager abtransportieren wollen, retteten dänische Widerstandskreise im Oktober in einer Nacht- und Nebelaktion mehr als 7000 von ihnen in Fischerkähnen über den Öresund nach Schweden. Am 5. Dezember 1943 predigte Kaj Munk trotz deutschen Verbots im Kopenhagener Dom: „Wenn man hier im Lande mit der Verfolgung einer gewissen Gruppe unserer Landsleute anfängt, nur um ihrer Abstammung willen, dann ist es christliche Pflicht der Kirche zu rufen: ‚Das ist gegen das Grundgesetz im Reiche Christi. … Geschieht das noch einmal, dann wollen wir mit Gottes Hilfe versuchen, das Volk zum Aufruhr zu bringen.“ Einen Monat später, am Abend des 4. Januar 1944, verhaftete ein von Berlin entsandtes SS-Kommando Munk in seinem Pfarrhaus. Am Morgen des 5. Januar fand man ihn erschossen in einem abgelegenen Waldstück. Kaj Munk gehört in eine Reihe mit den Märtyrern während der NS-Zeit und bleibt ein Vorbild im Glauben.

Leseratschlag:

– Kaj Munk: Er sitzt am Schmelztiegel – Drama, aus dem Dänischen übersetzt und herausgegeben von Paul Gerhard Schoenborn, NordPark Verlag Wuppertal,
ISBN: 978-3-943940-32-9

– Paul Gerhard Schoenborn: Kaj Munk, der politische Pfarrer und Dichter, den die SS erschoss, NordPark Verlag Wuppertal, ISBN: 978-3-935421-99-7

»Theologie im Konzert der Wissenschaften« – Theologische Literaturzeitung, Kongressbericht

22.05.2017
»Theologie im Konzert der Wissenschaften«. Symposium zu Ehren von Dekan Prof. Dr. Dr. Harry Noormann, 21.–22. April 2017 in Hannover
Veranstalter: Forschungsforum »Religion im kulturellen Kontext« der Leibniz Universität Hannover; Prof. Dr. Marco Hofheinz, Leibniz Universität Hannover; Prof. Dr. Monika Fuchs, Leibniz Universität Hannover

Mehr dazu.

Nationalsozialismus in Franken. Wo die Nazis Stimmen holten

30. August 2017, SZ
Rainer Hambrecht analysierte den frühen Aufstieg der NSDAP in Franken – schon vor 41 Jahren. Erst jetzt ist sein Buch erschienen. Mit unbequemen Fakten

Interview von Olaf Przybilla

…Es gab dort sehr wohl ein paar evangelische
Pfarrer, die sich gegen die Nazis aufgelehnt
haben. Aber Rückendeckung der Kirchenleitung
hatten sie nicht. Der den Nationalsozialismus
predigende Pfarrer war in
Westmittelfranken keine Ausnahme….
mehr dazu (über kostenlosen Testzugang)

Evangelische Kirche feiert 70. Jahrestag des „Darmstädter Worts“: Ein „Manifest der Erneuerung“

19.08.2017
DARMSTADT – Orientierungshilfen für kirchliches Handeln in der Nachkriegszeit soll das „Darmstädter Wort“ geben, das der Bruderrat der Evangelischen Kirche in Deutschland am 8. August 1947 im Diakonissenhaus des Elisabethenstiftes verfasst hat. Im Rückblick auf die Nazizeit heißt es darin: „Wir sind in die Irre gegangen in unserem politischen Wollen und Handeln“. Diese Irrwege werden präzise und selbstkritisch benannt. Eine treibende Kraft bei der Formulierung des „Manifestes der moralischen Erneuerung“ war Martin Niemöller, der erste Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN)…

Mehr dazu.

70 Jahre Darmstädter Wort. Dem Evangelium verpflichtet. Von Präses Rekowski.

08/2017

Vor 70 Jahren, am 8. August 1947, verabschiedete der Bruderrat der EKD das „Darmstädter Wort“. Es bekennt das Versagen der evangelischen Kirche gegenüber dem Nationalsozialismus und formuliert Grundsätze für eine Entwicklung von Kirche und Gesellschaft. Präses Manfred Rekowski über die bleibende Bedeutung dieser Erklärung.

Mehr dazu.

Christliche Sauerei? „Judensau“-Skulpturen an deutschen Kirchen.

08/2016

Intervention zum aktuellen Umgang mit symbolischen Wurzeln des Antisemitismus:
Es ist ein Kreuz mit den Saubildern an und in deutschen Kirchen. An mehr als 25 Kirchen existieren Skulpturen mit der Darstellung einer Sau, an deren Zitzen Juden – erkennbar an den ihnen im Mittelalter verordneten spitzen Hüten – saugen und sich am After des Tieres zu schaffen machen.
Diese Skulpturen stammen aus dem 13., 14. und 15. Jahrhundert und sind Ausdruck einer extremen Judenfeindschaft, deren Folge viele Pogrome und schließlich die Verbreitung eines Antisemitismus waren…

Mehr dazu.

Physische Gewalt in der griechisch-römischen Antike – Ein Forschungsbericht von Lennart Gilhaus, H Soz Kult

08/2017
Physische Gewalt ist ein ubiquitäres Phänomen und wurde in den letzten 20 Jahren auch als Forschungsgegenstand in den Altertumswissenschaften entdeckt. Im Zuge dieser Entwicklung wurde das primäre Interesse der Forschung auf den kulturspezifischen Umgang mit der Gewalt gelenkt. Der Forschungsbericht stellt neuere Studien zu Gewalt in den verschiedenen Teilbereichen der antiken Gesellschaften vor. Als Ergebnis muss man allerdings feststellen, dass Gewaltphänomene in einem Bereich meist isoliert von anderen betrachtet werden und zahlreiche Desiderate bestehen, etwa im Bereich der Alltagsgewalt. …

Mehr dazu.

Markstein für ein neues Denken. Dekanat feiert 70. Jahrestag des Darmstädter Worts.

25.07.17/ Von Daniel Baczyk, Darmstädter Echo

 
DARMSTADT – Die Tinte auf der Kapitulationserklärung war noch nicht trocken, die Trümmerwüsten der deutschen Städte rauchten noch, da verkündete der württembergische evangelische Landesbischof am 10. Mai 1945 in Stuttgart einer dankbar lauschenden Menschenmenge: „Das Herz des deutschen Volkes schlug für den Frieden, der Krieg war ein Parteikrieg. Eben deshalb sollte man nicht das ganze deutsche Volk als verantwortlich für die Gewalt- und Schreckensmethoden eines Systems ansehen, das von einer weit überwiegenden Mehrheit innerlich abgelehnt worden ist.“…

Mehr dazu.

Anm. F.S.: Das Ev. Dekanat Darmstadt-Stadt also feiert das „Darmstädter Wort“. Seit der Einführung der Reformation in Hessen (und ergo auch in Darmstadt) ist das Darmstädter Wort das bedeutendste kirchengeschichtliche Ereignis, das mit der Stadt und gleichermaßen der Landeskirche verbunden ist. Martin Niemöller war wohl der Initiator, der die Granden unter den Nachkriegstheologen nach Darmstadt holte: Karl Barth und Hans-Joachim Iwand. Das von ihnen wesentlich entworfene Wort wurde dann am 08. August 1947 vom Bruderrat der Bekennenden Kirche veröffentlicht. So viel Erneuerung, so viel Erkenntnis aus der Geschichte, so viel Bekenntnis des eigenen Versagens traute sich die EKD allerdings nicht zu. Genauso wenig wie sich die heutige EKHN zutraut, eine entsprechende Gedenkveranstaltung auf Landeskirchenebene auszurichten. Kirchenpräsident Jung ist eben nicht Niemöller.