Schlagwort-Archive: Islamophobie

Studie der Universität Jerusalem: Hasswellen gegen muslimische Einwanderer erschweren Integration.

19. November 2015,  Studie: Die Folgen des Terrors

Hasswellen gegen muslimische Einwanderer erschweren deren Integration. Dies haben Wissenschaftler der Universität Jerusalem herausgefunden, welche sich mit den Folgen der Anschläge am 11. September 2001 in den USA beschäftigt haben.

Von Alexander Hagelüken

Die Ökonomen Gould und Klor zeigen sich erstaunt darüber, dass bisher niemand systematisch untersucht habe, wie sich diese Hasswelle auf die Einwanderer ausgewirkt hat. Sie haben sich Behördendaten aus den Jahren 1990 bis 2010 vorgenommen und ermitteln daraus einen eindeutigen Trend: Die durch den Terror erzeugte Hasswelle hat in den muslimischen Einwanderergruppen offenbar den Traditionalismus gefördert. Die Einwanderer blieben mehr unter sich und assimilierten sich weniger, heißt es in dem Aufsatz, der in Kürze im britischen Economic Journal erscheinen wird…. Mehr dazu.

„Die vertauschten Opfer.“ Sicht auf den Islam von einem Vertreter der Nouvelle Philosophie aus der Warte des französischen Laizismus.

23.02.2015, von Pascal Bruckner

Im Jahr 1910 veröffentlichte Alain Quellien, französischer Mitarbeiter im Kolonialministerium die Schrift „La politique musulmane dans l’Afrique Occidentale“1. Das an Fachleute gerichtete Werk ist eine moderate Lobrede auf die „praktische und nachgiebige“ Religion des Korans, die von den Eingeborenen besser angenommen werde als das Christentum, das „zu kompliziert, zu abstrakt, zu streng für die schlichte und materialistische Mentalität des Negers“ sei. Der Autor stellt fest, dass der Islam die europäische Herrschaft durch seine zivilisierende Art begünstigt, die Völker „vom Fetischismus und unwürdigen Praktiken“ abbringt und möchte darum dem Vorurteil ein Ende bereiten, das diesen Glauben der Barbarei und dem Fanatismus gleichsetzt. So geißelt er die „Islamophobie“, die unter dem kolonialen Personal grassiere: „Loblieder auf den Islam zu singen ist ebenso einseitig wie ihn geradewegs zu verunglimpfen“. Man müsse ihn im Gegenteil tolerieren und unvoreingenommen behandeln… Zum Essay.

Der Politikwissenschaftler Olivier Roy über wichtige Erkenntnisse gegen die „gegenwärtige Hysterie“ in Frankreich hinsichtlich des Islam

24.01.2015; Olivier Roy ist französischer Professor für Politikwissenschaften am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz.

Es arbeiten mehr Muslime …
… für die französischen Sicherheitsdienste als für al-Qaida. Doch das will niemand wissen…

Die Frage nach dem Zusammenleben hatte sich bereits vor dem Attentat auf Charlie Hebdo gestellt, aber sie war noch „lokalisierbar“: die populistische Obsession gegen die Einwanderung, die Ängste einer konservativen Rechten oder die Religionsfeindschaft von linker Seite, die sich in einen Identitätsdiskurs verwandelt hat, den der Front National (FN) sich angeeignet hat.
Doch nun hat sich die Debatte über Islam und Muslime in Frankreich (nein, es handelt sich nicht um einen französischen 11. September – ein bisschen Haltung und Zurückhaltung bitte!) verselbstständigt. Vereinfacht gesagt, dominieren zwei Diskussionen den öffentlichen Raum. Der bestimmende Diskurs … geht davon aus, dass Terrorismus ein extremer Ausdruck des „wahrhaften“ Islam ist. Dieser lässt sich auf die Ablehnung des Anderen zurückführen zugunsten der religiösen Norm (Scharia) und des Dschihad…

Die Haltung wiederum, die sich nur schwer Gehör verschaffen kann und die ich als „islamprogressiv“ bezeichnen würde, wird von mehr oder weniger gläubigen Muslimen und vor allem der antirassistischen Bewegung „Nicht in meinem Namen“ vertreten: Der Islam der Terroristen ist nicht mein Islam, ja es ist überhaupt kein Islam, denn der ist eine Religion des Friedens und der Toleranz. (Das übrigens ist ein Problem für die vielen Atheisten muslimischen Ursprungs, die zwischen dem Verdammungsüberangebot des Fundamentalismus und der Nostalgie eines „andalusischen“ Islam, den es nie gab, schwanken.)
Die wirkliche Bedrohung hier ist die Islamfeindlichkeit und die darüber legitimierte Ausgrenzung, ohne dass dabei die Radikalisierung der Jugendlichen entschuldigt wird. Die Aneinanderreihung beider Erzählungen und Diskussionen führt in die Sackgasse…

Trotzdem hört man nicht auf, von der famosen muslimischen Gemeinschaft zu sprechen, bei den Linken wie bei den Rechten – sei es, um den Integrationswillen von Muslimen zu denunzieren, sei es, um Opfer der Islamophobie zu konstruieren.
Die einander entgegengesetzten Diskurse vereinen sich im gemeinsamen Phantasma von einer imaginären muslimischen Gemeinschaft. Doch genau die gibt es nicht. Es gibt nur eine muslimische Bevölkerung. Allein diesen einfachen Umstand zur Kenntnis zu nehmen wäre ein wichtiger Schritt gegen die gegenwärtige Hysterie und gegen die, die noch kommen wird.

Zum vollständigen Artikel.

Zur Funktion des Rassismus in unserer Gesellschaft. PEGIDA ist das Symptom eines größeren Problems. Antworten von der Sprach- und Islamwissenschaftlerin Sabine Schiffer

6. Januar 2015 um 10:14 Uhr

Jens Wernicke im Gespräch mit der Sprach- und Islamwissenschaftlerin Sabine Schiffer

JW: Frau Schiffer, Sie beschäftigen sich bereits seit vielen Jahren mit der Darstellung des Islams in den Medien [PDF – 193 KB] und konstatieren hier massive Verzerrungen sowie eine Art „Feindbildkonstruktion“. Wie kommen Sie zu dieser Einschätzung und woran machen Sie diese fest?

Das ist nicht nur mein Forschungsergebnis. Wissenschaftler wie Kai Hafez, Irmgard Pinn, Reinhard Schulze, Farid Hafez, Wolfgang Frindte, Iman Attia, Werner Ruf und viele andere mehr kommen zum gleichen Ergebnis: „Unser“ Islambild stammt vor allem aus der Auslandsberichterstattung der letzten 30 Jahre.

Die stereotyp ausgewählten Fakten aus der so genannten islamischen Welt haben dabei zunächst starke Frames, also stereotypisierte Wahrnehmungen, und hierauf aufbauend schließlich ein handfestes Feindbild geformt. Die daraus resultierenden Ängste wurden dann spätestens ab dem Mord am niederländischen Filmemacher Theo van Gogh 2004 auch auf die in Deutschland lebenden Muslime projiziert.

JW: Können Sie das bitte belegen und ein wenig ausführen? Sie wissen ja, „Verschwörungstheorien“ sind zurzeit sehr schlecht im Kurs …

Als ich in den 1990er Jahren begann, dieses Thema zu bearbeiten, habe ich noch jede Behauptung von Intentionen hinter dem stereotypen und verzerrten Bild des Islams in unseren Medien und unserer Gesellschaft zurückgewiesen. Ich hielt das alles lange für ein großes Missverständnis, was nicht verharmlosend klingen soll. Inzwischen ist aber gut recherchiert und belegt, dass es Intentionen für ein Feindbild Islam gab und gibt.
Eine Art offiziellen Auftakt zur Nutzung der weltweiten Islamphobie waren dabei 1990 die Rede und der Aufsatz von Berhard Lewis „The Muslim Rage“, deren Thesen sein Freund und Kollege Samuel Huntington später noch in Buchform goss. Dies ist kein zufälliger Zeitpunkt, denn während es immer Ressentiments gegen Islam und Muslime gab – Stichwort „Iranische Revolution“ und historische Ereignisse wie „die Türken vor Wien“ -, ersetzte nach dem Wegfall des Ost-West-Konflikts in den 1990er Jahren das Feindbild Islam zunehmend den alten Antagonismus. Und zwar mit geopolitischem Impetus, wie beispielsweise Daniele Ganser es mit Blick auf Ressourcen und Ressourcenwege beschreibt.
Das Center for American Progress hat Geldströme untersucht und am Beispiel des bereits erwähnten Middle East Forums nachgewiesen: Das Interesse am Nahen Osten ob seiner geostrategischen Bedeutung auf der einen und Islamismus sowie das Feindbild Islam auf der anderen Seite müssen zusammengehörig verstanden und analysiert werden. Der Vater von Daniel Pipes, Richard, war einst als Direktor des Zentrums für Russische Studien noch für den US-amerikanischen Antikommunismus sowie das Feindbild Russland zuständig, der Sohn ist dies nun offenbar für das Feindbild Islam. Die Bilder wechseln also, die Strategien hingegen bleiben gleich…

JW: Aber die Demonstranten behaupten doch, nicht gegen Muslime, sondern nur Islamisten zu sein

Ob sie das selber glauben, weiß ich nicht. Die publizierten Äußerungen verraten jedenfalls eine große Verallgemeinerungstendenz. Aber in der Tat dienen Islam und Muslime vor allem zur Projektion. Um sie geht es faktisch überhaupt nicht. Und da das viele Muslime noch nicht begriffen haben, lenken sie mit der gut gemeinten Aufklärung über ihre Sicht auf den Islam nur noch mehr Aufmerksamkeit auf ihre Religion und sich, die dann für Ressentiments jedweder Couleur „verantwortlich“ gemacht wird…

JW: Das klingt jetzt alles nicht sehr ermutigend. Was ist Ihrer Meinung nach zu tun?

Wir brauchen vor allem eine kritische Auseinandersetzung mit der Funktion von Rassismus in unserer Gesellschaft. Und wir brauchen mehr Berichterstattung über die ökonomischen und geopolitischen Zusammenhänge hinter Entwicklungen wie Terrorismus, so genannten Auslandseinsätzen etc. Und auch eine kritischere Begleitung von NATO, WTO oder IWF wäre vonnöten, um komplexere Zusammenhänge so zu erfassen, dass sie alsdann nicht mehr auf „die Juden…“ oder „die Muslime…“ abgelenkt werden könnten…
Noch zentraler scheint mir aber der Bildungsbereich zu sein, der zunehmend ausgehöhlt statt gestärkt wird. Wir müssen uns in Bildungsfragen breiter aufstellen statt Bildung zu reduzieren. Zum Geschichtsunterricht gehört dabei eben auch das Wissen unserer arabo-islamischen Wurzeln neben den griechischen, römischen usw. usf. Das mag vielleicht unrealistisch klingen, ist es aber nicht. Ich denke vielmehr: Wenn wir es nur wollen, ist alles möglich. Die jetzigen Entwicklungen sind schließlich ja auch keine Naturgewalt, sondern wurden von Menschen gemacht.  Zum vollständigen Interview.