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Bildung

„Auf den Pfarrer kommt es an“, Strukturen sind unbedeutend. Signifikante Parallelen zur 5. KMU in der Hattie-Studie, einer Meta-Studie zu Bildungspolitik.

Die Hattie-Studie. Von Martin Spiewak, DIE ZEIT

14. Januar 2013

Kleine Klassen bringen nichts, offener Unterricht auch nicht. Entscheidend ist: Der Lehrer, die Lehrerin. Das sagt John Hattie. 

… Dabei begründet nicht allein die megalomanische Dimension seines Projektes Hatties Ruf oder die Kälte seines wissenschaftlichen Blicks (»Meinungen gibt es genug; was zählt, ist messbare Evidenz«). Die größte Sprengkraft liegt in seinen Erkenntnissen. Denn diese stehen geradezu quer zur bildungspolitischen Debatte in vielen Ländern. »Wir diskutieren leidenschaftlich über die äußeren Strukturen von Schule und Unterricht«, kritisiert Hattie. »Sie rangieren aber ganz unten in der Tabelle und sind, was das Lernen angeht, unwichtig.«

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Anm F.S.: Die Paralleleln zur Reformdiskussion und zu früheren Fehlanalysen in der Kirche sind evident:

1. Die Person des Pfarrers ist ebenfalls von hoher, bislang in der Reformagenda völlig unterschätzten Bedeutung. Das bestätigt jüngst die 5. KMU, Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung. Konträr dazu das Reformkonzept nach „Kirche der Freiheit“: Die Reformer erklärten die PfarrerInnen zum (Finanz-) Problem und sehen einen extrem hohen Stellenabbau vor. Der Prozess ist in Gang.

2. Die Reformer der Kirche diskutieren über äußere Strukturen und versprechen sich und versprachen anderen große Erfolge durch Strukturreformen. Hattie: »Sie rangieren aber ganz unten … und sind, was das Lernen angeht, unwichtig.«
vgl. dazu auch aus der Kirche: Struktur-k(r)ampf in der evangelischen Kirche , Dt. Pfarrerblatt 8/2012, oder heute Bischof Cornelius-Bundschuh, Baden.

Besoldung: Mindestlohn für Richter und Staatsanwälte per Verfassungsgerichtsurteil. Und: Kita-Streik für uns alle.

5. Mai 2015, ein Kommentar von Wolfgang Janisch, SZ

Das Bundesverfassungsgericht hat erstmals ein Mindesteinkommen für die mehr als 25 000 Richter und Staatsanwälte in Deutschland festgeschrieben…

Sind 3300 Euro pro Monat zu wenig für Juristen im Staatsdienst? Ja, urteilt das Verfassungsgericht. Es zieht nun erstmals eine Untergrenze – die sich aus einer komplexen Formel ergibt.

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KITA-STREIK: Ein Streik für uns alle

06.05.2015, ein Kommentar von Stephan Hebel in der FR.

Erzieherinnen leiden unter der Legende von der armen öffentlichen Hand. Sie täten gut daran, zu streiken, bis der Staat sich von privatem Reichtum holt, was die Kommunen für die öffentliche Daseinsvorsorge brauchen. 

Über den Zusammenhang von Bildungsqualtiät und Schuldauer. Von Prof. Dr. Rainer Dollase. Und: Ansturm aufs neunstufige Gymnasium in Bayern.

04/2015, von Prof. Dr. Rainer Dollase, Uni Bielefeld, Abt. Psychologie

G 8 Befürworter verwickeln sich immer mehr in argumentative Widersprüche

…Und noch ein Widerspruch: man schickt die Abiturienten in jüngeren Jahren auf die Uni – wo sie dann länger brauchen, also das fehlende Jahr auf der Uni quasi nachholen. Übrigens: ein Jahr Schule würde rund 5.600 Euro kosten, ein Jahr Studium 8.400 Euro. Von Spareffekt kann also gar keine Rede sein, wenn man ein Jahr kürzer in der Schule ist, aber Jahre länger an der Uni.
Wie konnte es zu solchen Widersprüchen kommen?…

Der Versuch, durch G8 die gleiche Qualität wie mit G9 zu erzeugen, ist in Nordrhein-Westfalen ohnehin gescheitert. In Nordrhein-Westfalen wird jetzt auf Druck einer entsprechenden G9-Initiative versucht, G8 tatsächlich leichter zu machen, d.h. weniger Qualität zu verlangen. Das ist ein spätes Eingeständnis einer früheren Fehlentscheidung: G8 bekommt man nur mit Qualitätssenkung…

Gleichzeitig zerstört man eine kulturelle Eigenheit des deutschen Gesellschaftssystems, das sehr stark vom Vereinsleben und von außerschulischen Bildungsanbietern geprägt wird, wie man es in den angelsächsischen Ländern kaum kennt.Die Empirie ist hier auch ganz eindeutig: informelle und nonformale Bildung steigert die Qualität der Kompetenzen…

Zum Artikel.

Anm. F.S. Die Parallelen zu kirchlichen Reformprozessen, nicht nur hinsichtlich der „Spareffekte“,  sind unübersehbar.

22. April 2015, SZ

München – Eine Mehrheit der bayerischen Eltern und Schüler wünscht sich offensichtlich das neunstufige Gymnasium zurück. Der Andrang für den zweijährigen Modellversuch Mittelstufe Plus ist jedenfalls gewaltig. Zwar läuft die Anmeldefrist noch bis zum 4. Mai, aber schon jetzt ist an vielen der 47 Projektschulen klar, dass mehr als die Hälfte der Sechstklässler im kommenden Schuljahr ins neunjährige Gymnasium einschwenkt.
…  Zum Artikel.

Bildung. Umfrage unter Lehrern macht deutlich: Probleme mit dem Handschreiben in der Schule nehmen zu.

04/2015

BERLIN. Die Lehrerinnen und Lehrer in Deutschland sehen immer häufiger, dass Schülerinnen und Schüler Probleme mit dem Handschreiben haben. Dies geht aus einer Umfrage hervor, die der Deutsche Lehrerverband (DL) gemeinsam mit dem Schreibmotorik Institut, Heroldsberg, durchgeführt hat. Danach meinen vier Fünftel (79 Prozent) der an der Erhebung beteiligten Lehrerinnen und Lehrer an weiterführenden Schulen, die Handschrift ihrer Schülerinnen und Schüler habe sich im Schnitt verschlechtert.

Sogar 83 Prozent der befragten Grundschullehrerinnen und Grundschullehrer gaben an, dass sich die Kompetenzen, die Schüler als Voraussetzung für die Entwicklung der Handschrift mitbringen, in den vergangenen Jahren verschlechtert haben. Nach Einschätzung der an der Umfrage beteiligten Lehrkräfte haben die Hälfte der Jungen (51 Prozent) und ein Drittel der Mädchen (31 Prozent) Probleme mit der Handschrift.
DL-Präsident Josef Kraus forderte die Kultusminister der Länder auf, das Thema Handschreiben verstärkt in den Blick zu nehmen „Wir benötigen mehr Förderung der Grob- und Feinmotorik schon in den Kindertagesstätten und dann in den Grundschulen.“ … Mehr dazu.

Ökonomie als Schulfach: Wirtschaftslobby kämpft um die Köpfe unserer Kinder

03. März 2015, von Till van Treeck 

Die Arbeitgeber-Perspektive ist zweifellos wichtig für die ökonomische Bildung. Doch Unternehmen verbreiten zunehmend Unterrichtsmaterialien, die einseitig sind und wirtschaftswissenschaftliche Kontroversen einfach ausblenden. Die Politik sollte der Wirtschaftslobby nicht unsere Kinder überlassen.


Politik muss Wirtschaftslobby streng kontrollieren

Die Materialien von „Handelsblatt macht Schule“ und „Wirtschaft und Schule“ werden auch auf den Internetseiten der „Bundesarbeitsgemeinschaft Schule Wirtschaft“ beworben. Für Fragen rund um das unter Sigmar Gabriels Schirmherrschaft verliehene Schulbuch-Siegel wird dort direkt an das Institut der deutschen Wirtschaft verwiesen.

Zwar ziehen mittlerweile gewerkschaftsnahe Initiativen mit Materialien zur sozioökonomischen Bildung nach, diese werden aber nicht in gleicher Weise von Bundesministerien geadelt. Die bisherigen Hüter des Kontroversitätsgebots – Landes- und Bundeszentralen für politische Bildung und die etablierten Schulbuchverlage – haben jedenfalls Konkurrenz bekommen, und so tobt im Dschungel des Internets längst ein Kampf um die Köpfe der Kinder.

In der ökonomischen Bildung sind dringend eine bessere Qualitätskontrolle sowie mehr Transparenz und Kontroversität gefragt. Die Politik sollte sich nicht zum Anwalt einseitiger Arbeitgeberinteressen machen lassen.  Mehr dazu.

Die Bologna-Katastrophe: Interview mit dem kath. Theologen Professor Marius Reiser

Veröffentlicht am 30.04.2012

Ein Interview mit Professor Marius Reiser aus dem Jahre 2A009. Im gleichen Jahr gab er aus Protest gegen „Bologna“ seine Professur für Neues Testament (Fachbereich Katholische Theologie) an der Universität Mainz auf. Im Interview analysiert Professor Reiser ohne jede Illusion die Fehler des Bologna-Systems, insbesondere die Hintergründe der Verschulung, des Prüfungs(un)wesens und der restlichen real existierenden Bildungsplanwirtschaft. Chapeau!

College-Kultur in den USA: Der Efeu welkt

Harvard, Yale oder Princeton galten lange als Ideal der Universitätskultur. Doch die amerikanischen Eliteuniversitäten sitzen auf der Anklagebank – wegen Rassismus, sexueller Gewalt und einer Erziehung zur Anpassung. Den Angriff auf den Kern hat im Sommer der Anglist und Literaturkritiker William Deresiewicz geführt. Anfang August stand auf dem Titelbild des Magazins The New Republic die Fahne der Harvard University in Flammen. “Don’t send your kid to the Ivy League”, schrie die Überschrift, Unterzeile: “A better education – and a better life – lies elsewhere.” Online wurde der Text auf einen Schlag zum meistgelesenen in der Geschichte des Magazins. Und im Herbst ließ Deresiewicz dann das Buch folgen, das die These ausführlich ausrollt (Excellent Sheep: The Miseducation of the American Elite and the Way to a Meaningful Life. Free Press, New York 2014). Sie lautet, sehr kurz gefasst: Die Fixierung darauf, es durch die brutalen Auswahlschleusen bis hoch in die Ivy League und dadurch mutmaßlich ins Lager derjenigen zu schaffen, die sich über Geld keine Sorgen mehr machen müssen, produziere überangepasste Strebernaturen, töte Neugier, Abenteuergeist und Kreativität und stürze ganze Familien ins Unglück. Mehr dazu.

Nein zu ‚Reformen‘ nicht nur in der Kirche: „Tätiger Widerspruch. Über die Bologna-Reform und ihre Folgen.“ Von Prof. Volker Gerhardt, Berlin

Tätiger Widerspruch. Über die Bologna-Reform und ihre Folgen.

in: Forschung und Lehre 11/2014

Zum Autor: Professor Volker Gerhardt lehrte bis zu seiner Emeritierung 2014 Praktische Philosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er wirkte mit in zahlreichen Universitäts-, Akademie- und Fachkommissionen. Von 2002 bis 2012 war er Mitglied im Nationalen Ethikrat. Letzte Buchveröffentlichung: Der Sinn des Sinns. Versuch über das Göttliche, München 2014 (C.H. Beck).

Kritik am Niedergang der Universität

Die Andeutungen lassen erkennen, dass unter dem permanenten Anspruch auf Reform zwar vieles anders und manches gewiss auch besser geworden ist. Dennoch ist es den Universitäten von Jahrzehnt zu Jahrzehnt schlechter gegangen. Daran hat das Strohfeuer der Exzellenzinitiative nichts geändert. Jetzt aber hat die Studienreform nach dem Bologna-Modell das Zeug, den deutschen Universitäten den Geist auszutreiben, also eben das, was sie im neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhundert zum Vorbild für anspruchsvolle Universitätsgründungen in aller Welt gemacht hat…

»Die Studienreform nach dem Bologna-Modell hat das Zeug,
den deutschen Universitäten den Geist auszutreiben.«

So kam es zu der verhängnisvollen Verwechslung von Vergleichbarkeit und Vereinheitlichung. Insbesondere die Hochschulpolitiker in Deutschland sahen in den Richtwerten für den Vergleich, verbindliche Vorgaben für die Angleichung, aus der nichts anderes als eine Nivellierung werden konnte. So kam es zu einer durchgreifenden Neuorganisation von oben. Sie wurde mit der institutionellen Härte kurzer Fristen und mit dem herben Charme finanziell begünstigter, aber eben auch sanktionsbewehrter Leistungsvereinbarungen durchgesetzt. Den Flankenschutz bot die bürokratische Neuerfindung der Akkreditierungsbüros, die immerhin Arbeitsplätze für Personen schafften, die für ihre gescheiterte Universitätskarriere entschädigt und als Prüfer und Berater eben der Institution wirken konnten, die ihnen die erwünschte Tätigkeit versagt hatte…

Ein regelrechtes Schurkenstück muss man es nennen, dass die Einführung der Bologna-Studiengänge als „kostenneutral“ ausgegeben wurde. Jeder konnte wissen, dass der Erfolg der neuen Formen der Lehre an zusätzliche Leistungen für Betreuung, Begleitung und Beratung der Studierenden gebunden ist. Darauf aber waren die Personaletats der Hochschulen nicht eingestellt, und sie wurden selbst dann nicht angehoben, als der Mangel himmelschreiend war. ..

… Und so ist es mit der Überrollung durch Bologna zu einer weiteren Überlast für die ohnehin überlasteten Universitäten gekommen… Aus dem Studium ist ein Prüfungsmarathon geworden, der die Beteiligten erschöpft, ohne ihnen das Gefühl zu geben, ein Ziel erreicht zu haben. Der sprunghaft gestiegene administrative Aufwand lähmt überdies die Verwaltung in den Fakultäten und Instituten. Nun liegt der Niederschlag der Reform wie Mehltau auf den einzelnen Disziplinen. Was gut gemeint war, hat im Effekt großen Schaden angerichtet. Deshalb kann es bei dieser Reform nicht bleiben.

in: Forschung und Lehre 11/2014

Das Verschwinden des Wissens. Von Konrad Paul Liessmann, Philosoph, Wien

Das Verschwinden des Wissens. Von Konrad Paul Liessmann, Philosoph. Der Artikel ist ein leicht gekürztes Kapitel aus seinem neuen Buch «Geisterstunde – Die Praxis der Unbildung», gerade erschienen im Paul-Zsolnay-Verlag, Wien

15.9.2014, NZZ


Das Ziel von Bildungsprozessen ist nicht mehr eine wie auch immer definierte Bildung, sondern der umfassend kompetent gewordene Mensch, der mit Fähigkeiten ausgestattet ist, die es ihm angeblich erlauben, in jeder Situation die angemessenen Entscheidungen zu treffen…

Das Kompetenzkonzept ist ein Kind der Ökonomie

Historisch gesehen wurzelt das Kompetenzkonzept nicht in der Pädagogik oder Bildungstheorie, sondern in der Ökonomie. Die ersten Kompetenzmessungsmodelle wurden mit dem Ziel entwickelt, Prüfungsverfahren für die unterschiedlichsten Fähigkeiten, Fertigkeiten und Persönlichkeitsmerkmale von Menschen zu gewinnen, um deren Einsatz für Unternehmen zu optimieren.

Durchaus in diesem Geist wurde dieses Konzept dann in die Pädagogik übertragen und machte dort Karriere…

Zukünftige Bildungsforscher werden in der Umstellung auf die Kompetenzorientierung vielleicht den didaktischen Sündenfall unserer Epoche sehen, die Praxis der Unbildung schlechthin, und womöglich zur Einsicht kommen, dass Kompetenz genau das bedeutet, was der Philosoph Odo Marquard einst manchen «kompetenten» Vertretern seiner eigenen Zunft unterstellt hatte: Sie seien für nichts zuständig, zu manchem fähig und zu allem bereit. Aber vielleicht ist es genau das, was intendiert ist. In der Kompetenzorientierung zeigt sich die Praxis der Unbildung in ihrer hypertrophen Gestalt.

Zum Artikel.

Vgl. dazu ähnliche Beiträge in den Wortmeldungen, wie z.B. den Artikel von Ekkehard von Kuenheim (BMW): Wider die Ökonomisierung der BIldung.

Star-Dirigent Nagano sorgt sich um Klassik. Ein Interview.

25.10.2014 WZ, Das Interview führte Chris Melzer

Der Dirigent füllt die Konzertsäle und fürchtet dennoch, dass Mozart & Co. an Bedeutung verlieren.

Wen sehen Sie in der Verantwortung?

Nagano: Verantwortlich dafür, dass klassische Musik nicht weiter verdrängt wird, sind wir alle – jeder an seiner Stelle. Als Dirigent darf und will ich mich nicht darauf verlassen, dass meine Konzerte ausverkauft sind. Wenn ich Menschen für Musik begeistern will, weil ich felsenfest davon überzeugt bin, dass sie ihr Leben verändern kann, dann muss ich die Musik zu ihnen bringen: in ungewöhnlichen Konzerten an zum Teil ungewöhnlichen Orten mit ungewöhnlichen, neuen Ideen, die ihnen zeigen, dass diese große Musik nicht nur noch immer aktuell ist, sondern heute vielleicht bedeutender als je zuvor.

Also liegt es an den Künstlern selbst?

Nagano: Wir Künstler brauchen auch die Unterstützung politischer Entscheidungsträger, weil ernste Kunst, für die man sich anstrengen muss, eine Gesellschaft immer etwas kostet. Sie ist, in rein monetärer Hinsicht, nicht unmittelbar gewinnbringend. Wenn Politiker nur motiviert und kreativ genug wären, um unser Musikerziehungssystem ein Stück weit wiederzubeleben und die klassische Musik in ihrer Bedeutung für die Ausbildung der Kinder und Jugendlichen wieder etwas nach vorne zu rücken, wäre unglaublich viel gewonnen. Zum vollständigen Interview.