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Protestantismus

Religionsphilosophischer Salon. Die Flüchtlinge in Deutschland: Die Reformation neu denken. Die Reformation muss weitergehen. Drei Fragen an Prof. Gräb.

Oktober 2015.

Im Angesicht der Flüchtlinge: Die Reformation muss weitergehen.

1. Die Reformation Martin Luthers zielte auf den Wandel des Bewusstseins: Nicht mehr eingeschliffene religiöse Traditionen sollten unbefragt respektiert werden, sondern die Grundideen einer befreienden Botschaft, Evangelium genannt. Bisher hat sich alles Reformationsgedenken vor allem auf diese explizit religiöse Veränderung bezogen. Wäre es heute nicht dringend geboten, den Reformationsbegriff zu weiten und ihn auf die Veränderungen unserer Gesellschaft angesichts der Flüchtlinge zu beziehen? Also etwa eine Reformation des Denkens insgesamt zu fördern und zu pflegen unter dem Motto: Die Flüchtlinge auch als Partner wahrzunehmen? Als Partner im kulturellen Dialog, von dem beide Seiten profitieren?

In meinen Augen war das Entscheidende an der Reformation Luthers sein Plädoyer für das „Priestertum aller Glaubenden“. Das war der große Schritt in die religiöse Autonomie, mit der dann die Aufwertung der Ethik, der moralischen Selbstbestimmung, schließlich auch das demokratische Prinzip und die Selbstverantwortung in Fragen des allgemeinen Wohls einhergingen. Das „Priestertum aller Gläubigen“ war Luthers größte und folgenreiste Idee, gewiss eine Idee, damals im 16. Jahrhundert keineswegs realisiert, bis heute nicht vollständig realisiert. Aber das, was wir jetzt angesichts der doch immer noch auf beeindruckende Weise anhaltenden Hilfsbereitschaft erleben können, gehört in die Geschichte der Verwirklichung der reformatorischen Einsicht, dass es auf jeden und jede ankommt, dass jeder und jede gleich unmittelbar zu Gott ist, frei ist zum Tun des Guten und Gerechten, weil wir wissen, dass für uns gesorgt ist und wir uns im Grunde unseres Dasein anerkannt und geborgen wissen können. Das war die befreiende Botschaft der Reformation, das Evangelium. Sie trägt im Grunde auch heute noch. Nur gilt es, wie Sie richtig sagen, sie in die Gesellschaft zu tragen…  Mehr dazu.

Womit punkten Protestanten? Anregungen eines kathol. Christen. Von Prof. Volker Lignau, Kaiserslautern.

09/2015
„…unabhängig davon, welcher Poition man persönlich zuneigt, zeigt sich hier jedoch der eigentlich protestantische Punktgewinn: es gibt eine urprotestantische Streikultur….“

Ob diese Erkenntnis der Wirklichkeit heute noch standhält, wäre anhand der Synodenprotokolle der zurückliegenden Jahre kritisch zu überprüfen. Ein reizvolles Thema für eine Promotion! F.S.

Zum Vortrag: Womit punkten Protestanten?

 

Katholische Theologin Johanna Rahner wirft Protestanten Profilneurose vor

epd.

Die katholische Theologieprofessorin Johanna Rahner hat den deutschen Protestanten eine „konfessionelle Profilneurose“ vorgeworfen. Derzeit machten die Protestanten nicht den besten Eindruck, sagte Rahner der Wochenzeitung „Die Zeit“. „Man scheint immer noch nicht sagen zu können, was protestantisch heute heißt, ohne sich am Katholizismus abzuarbeiten“, ergänzte die Theologin, die im Sommersemester den Tübinger Lehrstuhl des katholischen Kirchenkritikers Hans Küng übernommen hat.

Im Blick auf den 500. Jahrestag der Reformation gehe die Profilierungsnot so weit, dass Martin Luther zum „Erfinder der Demokratie, der Freiheit und der Toleranz“ stilisiert werde, sagte Rahner. Sie empfahl stattdessen, das Erbe der Reformation als ein gemeinsames Erbe des Christentums wahrzunehmen… Zum Artikel.

Castellio und der Streit um Toleranz. Von Christoph Fleischmann

Sebastian Castellio arbeitete in Basel als Buchdrucker und Korrektor. Die umstrittene Hinrichtung des Ketzer Michael Servet in Genf 1553 führte zu einem Streit um die Toleranz in der Reformation. Castellio ließ unter Pseudonym die Schrift „Über Ketzer und ob man sie verfolgen soll“ drucken. Darin forderte Castellio ein höheres Maß an Toleranz. Man müsse in jeder Stadt seine religiösen Überzeugungen wechseln, wie Münzen. Im Sinne der Humanisten schlägt Castellio zwischen offensichtlichen Wahrheiten, wie dem Monotheismus und nicht offensichtlichen Wahrheiten, wie Taufe, Abendmahl und den freien Willen zu unterscheiden. Da diese Fragen sich nicht eindeutig beweisen lassen, sollte hier Toleranz herrschen.

Hören Sie hier den Radiobericht oder lesen Sie hier den Artikel zu Castellio und den Streit um den Umgang mit Andersgläubigen.

Das Reformationspapier der EKD ist zu einseitig auf die Rechtfertigungslehre ausgerichtet

Das Reformationsjubiläum nähert sich. Die beiden Professoren Thomas Kaufmann und Heinz Schilling kritisieren die einseitige Ausrichtung auf die Rechtfertigungslehre.

Beide sehen dahinter ein dogmatisches Programm. Dahinter steckt der Wunsch die Kirche würde an der Begeisterung der Rechtfertigungslehre gesunden.

Doch das Programm weist damit erhebliche Schwächen auf. Viele Mitreformatoren sahen die Rechtfertigungslehre nicht als Zentrum ihres Programms an. Sie werden in ihrer Diversität vergessen und dem großen Lutherkult geopfert.

Auch die politischen Auswirkungen der Reformation werden mit der dogmatischen Brille vergessen. Doch gerade hier wäre eine Möglichkeit in einer säkularen Gesellschaft die Bedeutung der Reformation als umwälzendes Ereignis begreifbar zu machen.

Lesen sie die ausführliche Kritik in diesem Artikel.

Luther und die Juden – Beitrag der VELKD

Luthers Schriften über die Juden sind ein belastendes Erbe der Reformation. Noch heute geben die widerwärtigen Entgleisungen Luthers Anlass sich rechtfertigen zu wollen. Anlässlich der Lutherdekade ist es sinnvoll sich auch mit diesem unangenehmen Thema zu beschäftigen. Die VELKD hat daher Professor Weymann gebeten einen Beitrag zu verfassen. Entstanden ist die äußerst gelungene Schrift „Luthers Schriften über die Juden – Theologische und politische Herausforderungen“.

Die kurze Schrift gibt einen guten Überblick zu den verschiedenen Äußerungen, die Luther zu den Juden getroffen hat. Auch die Reaktionen seiner Mitreformatoren werden in den Blick genommen. Schon hier zeigt sich das Luthers krasse Verfehlungen zum Glück nicht ohne Widerspruch blieben.

Auf der dogmatischen Ebene zeigt Weymann klar die Widersprüche zwischen Luthers Forderungen zum Umgang mit den Juden und der zwei Regimente Lehre. Vor allem die schlimmsten Empfehlungen Luthers nach Enteignung, Lehrverbote, Zwangsarbeit und Ausweisung lassen sich nicht mit der Grundüberzeugung, das der Staat kein Zwang auf die Religion ausüben darf vereinen. Somit lässt sich „Luther gegen Luther anführen“.

Abschließend gelingt es Weymann trotz der schweren Belastung Perspektiven für einen christlich jüdischen Dialog zu gewinnen.

Michael Hanekes Film »Das weiße Band« und das evangelische Pfarrhaus

Michael Hanekes Film »Das weiße Band« und das evangelische Pfarrhaus »Wenn Ihr durch die Züchtigung gereinigt sein werdet …«

Von: Gunther Schendel

Hanekes preisgekrönter Film »Das weiße Band« nimmt die Verhältnisse in einem fiktiven norddeutschen Dorf kurz vor Ausbruch des 1. Weltkriegs ins Visier. Dem evangelischen Pfarrhaus schenkt Haneke dabei besondere Beachtung; an seinem Beispiel möchte er zeigen, wohin die Verabsolutierung einer Religion oder Ideologie führt, nämlich zur Unmenschlichkeit. Gunther Schendel analysiert das Bild, das der Film vom evangelischen Pfarrhaus zeichnet, und fragt danach, ob sich dieses Bild kirchengeschichtlich verifizieren lässt. Zur Filmkritik im Dt. Pfarrerblatt.

Was prägt Protestanten wirklich? – Auch ein Beitrag zum Thema „Pfarrhaus“

In der letzten Ausgabe der wort-meldungen zu der Position des Zukunftsausschusses der EKKW

zitiert Dekan i.R. Lothar Grigat aus einem Buch, das darstellt,  wie singulär das evangelische Pfarrhaus in der europäischen Kulturgeschichte als Träger der protestantischen Kultur dasteht.

Lesen Sie zum Thema Beitrag der protestantischen Kultur für Europa aus der Sendung von Christoph Fleischmann:

„Das Christentum ist eine schwierige Religion, und der Protestantismus ist seine schwierigste Form. Der Protestantismus ist schwierig, weil wir Protestanten radikal nur das Wort, die Rede von Gott haben – und auch das Sakrament ist auf das Wort verwiesen. Wir haben nur das nackte Wort, da helfen auch alle Symbole, alle gestalteten Mitten, alle Kollarhemden und auch alle liturgischen Riten nicht. Wir haben nur das Wort und sollen reden von dem Gott, der uns liebt und den wir lieben, voller Zweifel und Zaghaftigkeit, voller Leidenschaft und Kraft, voller Mut es riskieren, Gott und uns selbst mit der Rede von ihm aufs Spiel zu setzen – und genau so evangelisches Profil zeigen.“

„Der Theologieprofessor Klaas Huizing, selbst auch Schriftsteller, glaubt, dass die protestantische Konzentration auf das Wort aus der Kirche heraus weit in die Kultur hineingewirkt hat. Er erinnert an die These des Germanisten Heinz Schlaffer, der gesagt hat, die Geschichte der deutschen Literatur ist mehr oder minder im Pfarrhaus erfunden worden. Das geht schon los bei den […] theologischen Meisterdenkern, bei Hamann etwa, der hat schon gesagt: „Gott ist ein Schriftsteller“. Und das war, wenn man heute auf diese These zurückblickt, die ja nun weit 200 Jahre zurückliegt, das war sehr, sehr, sehr hellsichtig. Ich glaube, da hat sehr früh ein Verständnis eingesetzt, dass man sagt: „Wir haben es hier in der Bibel mit literarischen Texten zu tun.“ Und man ist völlig frei, gewissermaßen diese Spur aufzunehmen und selbst neue Texte zu schreiben. Diese Entdeckung der literarischen Qualität der Bibel hat

freigesetzt die Produktivität bei den Schriftstellern und Schriftstellerinnen. Und das ist wirklich empirisch deutlich nachweisbar, dass das im deutschen Protestantismus, in der deutschen Literatur so gewesen ist, und dann kamen nachher noch einige österreichischen Katholiken dazu und sehr viele jüdische Schriftsteller, aber im Grund muss man sagen: Es ging zunächst mal mit dem protestantischen Pfarrhaus los.“ Zum Text der Sendung.