Schlagwort-Archive: Moratorium

Auch Mitglied der Pfarrvertretung der EKKW fordert Bilanzierung der Reformen und Moratorium des Reformprozesses.

 Die EKKW und ihre Zukunftsdebatte, von Pfr. Konrad Schullerus, Pfarrvertretung der EKKW (Ev. Kirche Kurhessen-Waldeck).

Nach einer Analyse der zurückliegenden Kirchenreformen in der EKKW und des weiteren Reformkonzets des Zukunftsaussschusses zieht der Autor folgendes Fazit:

„Was tun, sprach Zeus?

Was die Prioritäten kirchlichen Handelns betrifft, ist die EKKW weiter als 1992, dank der Arbeit des Strukturausschusses II. Bei der Umsetzung der von diesem erarbeiteten Prioritäten allerdings ist sie nicht wirklich voran gekommen. Die von Vizepräsident Bielitz schon 1992 angemahnte Zielperspektive kirchlichen Handelns – man könnte auch von strategischer Ausrichtung sprechen oder von der Form, in der die Kommunikation des Evangeliums sinnvoll Gestalt gewinnen soll – fehlt nach wie vor. Es gibt vor allem Sparbeschlüsse, die aufgrund einer fragwürdigen Prognose getroffen worden sind und den genannten Prioritäten mehr oder minder zuwiderlaufen, ohne dass Zielkonflikte als solche benannt werden.

M.E. wäre dringend ein Moratorium angesagt, um Zeit zum Nachdenken zu gewinnen. Ich rege folgende Fragestellungen und Vorgehensweise an, wobei einige der Überlegungen des Zukunftsausschusses durchaus aufgegriffen werden können:

1.Was haben die bisherigen Reformen – Kirchenkreisfusionen, Pfarrstellenabbau, neue Finanzverfassung, Einführung der Doppik – gebracht, und was haben sie gekostet? Es erscheint mir wenig sinnvoll, neue Reformprojekte loszutreten, ohne die Folgen der bisherigen Projekte angeschaut und daraus gelernt zu haben. Für alle zukünftigen Projekte ist vorher eine Kosten-Nutzen-Analyse vorzunehmen.

2….

3. Keine Planung kommt ohne Prognosen aus, das ist klar. Prognosen aber werden nun mal mit steigendem Prognosehorizont zunehmend unsicher. Wo werden Überprüfungszeiträume eingebaut? Wie müssen Beschlüsse aussehen, die nicht von vornherein auf irreversible Fakten hinauslaufen, sondern modifizierbar, anpassbar bleiben, je nach tatsächlicher Entwicklung der Lage?…“

Lesen Sie die weiteren Vorschläge und den gesamten Artikel auf den Seiten 11ff.

EKiR: Flurschaden durch Reformen. Pfarrverein fordert Moratorium.

Erklärung des Vorstandes des Evangelischen Pfarrvereins im Rheinland
zu den Vorschlägen der Kirchenleitung zur Haushaltskonsolidierung

Moderne, komplexe Gesellschaften fordern von den Akteuren ständig Entscheidungen, deren Tragweite und Folgekosten nicht realistisch vorhergesagt werden können. Umso wichtiger ist es, dass die Verantwortung gepflegt wird, Entscheidungen zu korrigieren, wenn sich gravierende Folgen ergeben, die nicht bedacht wurden oder gar nicht vermutet werden konnten.

Wenn in der Evangelischen Kirche im Rheinland (EKiR) wie aktuell zu beobachten, die Entscheidungen für ein neues kirchliches Finanzwesen (NKF) und eine Verwaltungsstruktur-Reform Folgen zeitigen, die die Entscheidungsträger nicht bedacht haben oder nicht voraussehen konnten, dann müssen diese Entscheidungen überdacht und die eingeleiteten Prozesse korrigiert oder gar eingestellt werden.

Es kann nicht sein,

  • dass eine auf Qualitätssicherung zielende Verwaltungsreform die Aufwendungen für Verwaltung so heftig steigert, dass dadurch die Qualität der inhaltlichen Arbeit für Menschen erheblichst geschwächt wird,
  • dass eine der Sorge um die Menschen verpflichtete und deshalb als Körperschaft öffentlichen Rechts hoch geachtete Institution wie die EKiR ihr Personal von Seelsorge und Begleitung auf Verwaltung umschichtet,
  • dass eine von der Basis her arbeitende Gemeinschaft wie die Evangelische Kirche diese Basis durch Leitungsentscheidungen entmachtet und damit viele Kolleginnen und Kollegen, Schwestern und Brüder entmutigt werden,
  • dass eine christliche Gemeinschaft sich mehr von der „Sorge um morgen“ leiten lässt als von den Aufgaben der Gegenwart,
  • dass eine sich auf die Reformation berufende Kirche keine Kosten scheut, wenn es um Verwaltung geht, gleichzeitig aber inhaltlich-theologische Arbeit bespart und ihre öffentlich wirksamen Bildungseinrichtungen streicht und schwächt (ganz abgesehen von der Frage, wie die gesparten Gelder denn angelegt, d.h. die Vermögenswerte erhalten werden sollen!),
  • dass eine ecclesia semper reformanda ihre gegenwärtig nötigen Anpassungs- und Veränderungsprozesse auf die Aspekte von Verwaltung und Betriebswirtschaft reduziert und die Probleme auf dieser Ebene meint lösen zu können…  Zur Erklärung des Vorstands mit Download des Vorabdrucks.

Wormser Wort: Nein zum bisherigen Umbauprozess der Kirche durch die EKD

1. Der Reformprozess ist ein Um- und Abbauprozess.

Kirche der Freiheit“ wurde 2006 von der EKD als Reformprogramm eingeführt. Tatsächlich handelt es um einen tiefgreifenden Umbau: die evangelischen Kirchen werden hierarchisiert, zentralisiert, bürokratisiert, ökonomisiert. Sie verlieren ihren Kern. Die Flut der seitdem gleichzeitig in Gang gesetzten „Jahrhundertprojekte“ Doppik/NKF, Fusionen auf allen Ebenen, Kompetenzverlagerungen von der Basis auf die Mittlere Ebene und der Zentralisierung führte zu einer bis dahin unbekannten Selbstbeschäftigung. Viel zu wenig Ressourcen, viel zu wenig Zeit bleibt für den eigentlichen Auftrag: die Kommunikation des Evangeliums.

2. Scheitern ist vorprogrammiert.

Auch aus Managementsicht sind die Umbauprozesse höchst fragwürdig. Sie basieren auf einer fragwürdigen Strategie des Gesundschrumpfens (Downsizing). Die wiederum auf einer aus den 90er Jahre stammenden, simplifizierenden Annahme beruht: die Zahl der Kirchenmitglieder schrumpfe um 30 Prozent, die Finanzen würden sich im selben Zeitraum gar halbieren. Die Fakten sprechen dagegen: Es gibt keine direkte Korrelation zwischen Mitgliederzahlen und Kirchensteueraufkommen. Die Kirchensteuereinnahmen sind langfristig gesehen bisher konstant oder sogar steigend. Aufgrund der von Langzeitprognosen abgeleiteten falschen Strategie musste der Umbauprozesss zwangsläufig in die Irre laufen. Selbst die Versprechen ökonomischer Effizienz können nicht eingehalten werden: die Ausgaben für die genannten Maßnahmen sind immens, die Wirkungen äußerst bescheiden. Die Kosten-Nutzen-Relation des Umbauprozesses ist negativ.

3. Die Mitarbeitenden werden demotiviert.

Motiviertes Personal war ein entscheidendes Potential der Kirche. Der Umbauprozess von „Kirche der Freiheit“ leitet den Personalabbau ein, der namentlich im Bereich von Gemeindepädagogen und PfarrerInnen schon heute, vor der Pensionierungswelle der geburtenstarken Jahrgänge, seine Wirkungen zeigt. Die Personalführung ist bedenklich: übliche Grundsätze, wie der, wonach Arbeitsaufträge so zu gestalten sind, dass sie den Mitarbeitenden erfolgreiches Arbeiten ermöglichen, werden sträflich verletzt. Die Eigenverantwortung der Mitarbeitenden wurde beschnitten, die Selbstregulierungskräfte gelähmt. Demotivation und Frust waren vorprogrammiert. Qualität und Wirksamkeit kirchlicher Arbeit haben darunter gelitten. Das schwächt die Kirchen enorm.

4. Der Mensch gerät aus dem Blick.

In den letzten drei Jahrzehnten erleben wir eine zunehmende Beherrschung aller Lebensbereiche durch die Ökonomie und ihrer Gesetze. Mit den Umbauprozessen drangen sie auch in die Kirchen ein. Durch die Unterwerfung unter die Normen des „freien“ Marktes gerät aber die Arbeit der Kirche in Gefahr. Denn wo nur die Normen des heutigen „freien“, nicht aber sozialen Marktes regieren, gerät der Mensch ins Abseits. Die Verkürzung des Menschen auf seine ökonomischen Funktionen widerspricht dem christlichen Selbstverständnis. Wo bleibt der Glaube, der Lebenssinn? Wo sind die protestantische Kirchen mit ihrer „großen Erzählung“, die Denkfreiheit ermöglicht ? Der Reichtum der Kirche beruht nicht in erster Linie auf Kapital, sondern auf Gemeinsinn, Köpfen und Konzepten.

5. Die Kirche verliert ihr Fundament.

Die Kirche gründet im Wort Gottes. Dieses Fundament ist in Gefahr. Die Kirche lebt nicht mehr aus der Freiheit des Wortes, sondern unterwirft sich dem Gesetz und der fremden Logik des Marktdenkens und wird so zu einem Religionskonzern. Im kirchlichen Umbauprozess wird die Strategie kirchlichen Handelns nicht aus einer theologischen Argumentation abgeleitet, sondern aus Algorithmen und Finanzprognosen.

6. Die Kirche verliert ihre Glaubwürdigkeit.

Die Reformen wurden mit hochtrabenden Versprechungen beworben. Diese haben sich in der Praxis als unhaltbar erwiesen. Mit schönen Worten wird verschleiert, mit Zahlen und mathematischen Formeln wird getrickst. So wird zwar Transparenz beschworen, aber wie im Falle des sog. „Erweiterten Solidarpakts“ Geheimhaltung praktiziert. Dadurch fühlen sich Menschen getäuscht, sowohl Mitarbeitende als auch Kirchenmitglieder.

7. Umkehr ist nötig.

Die Lage ist ernst. Die Mitarbeiterschaft ist enttäuscht, frustriert, demotiviert. Gut ist hingegen die wirtschaftliche Lage der Kirchen: sieben fette Jahre liegen hinter uns. Leider wurde diese gute finanzielle Lage nicht sinnvoll genutzt: weder wurde in die Kommunikation des Evangeliums investiert, noch die Verwaltung im Sinne einer dienenden Serviceeinrichtung modernisiert.

Heute müssen wir zehn Jahre Umbauprozesse beklagen, die die Kirchen geschwächt haben. Verlorenes Vertrauen muss wieder gewonnen werden. Wir brauchen ein Moratorium, um den aktuellen Status schonungslos offen zu legen und zur Besinnung zu kommen. Umkehr ist nötig.

Unterzeichenen Sie hier die Petition.

18.1.2015 Sprachliche verbesserungen eingeführt und Link zur Petition  gesetzt (Alexander John)

Nein sagen oder Nein hören? Ein Kommentar zum 73. Pfarrertag in Worms

von Friedhelm Schneider

Titel und Motto: „Manchmal musst Du Nein sagen können“ bot dem Hauptredner Heiner Geißler eine Steilvorlage nicht nur allgemein psychologisch oder spachphilosophisch an das gestellte Thema heranzugehen, sondern konkret ökonomische, politische aber auch kirchliche Entwicklungen darzustellen und anschließend zu – pardon – geißeln. Geboten ist Nein- Sagen gemäß Geißler heute nicht aus einer naiven Trotz-Haltung, sondern aus der ökonomischen, politischen und kirchlich-theologischen,  der reinen und praktischen Vernunft heraus. Und das an etlichen Stellen.

Dabei mochten die Gastgeber und rund 300 Hörerinnen und Hörer wohl am meisten an den kirchlichen Themen rund um die sogenannten kirchlichen Reformprozesse interessiert sein. Denn gerade hatte die 5. KMU durch eine empirische Studie ans Licht gebracht, dass die die Kirche ins gesellschaftliche Abseits schiebenden Veränderungsprozesse durch die sog. Reformen eben nicht verhindert oder wenigstens abgeschwächt werden konnten, sondern durch die Reformen im Gegenteil noch beschleunigt wurden. Namentlich der Abbruch der kirchlichen Tradition bei den Jugendlichen ist fatal. Schon zuvor hatte sich ein prominenter Protagonist der Reformen, Thies Gundlach, von dem Impulspaier Kirche der Freiheit spektakulär distanziert. Und zuvor hatte die Artikelserie „Fragen und Probleme rund um kirchliche Reformprozesse“ im Dt. Pfarrerblatt die eklatanten Strategiedefizite der kirchlichen Reformprozesse aus Theorie und Pfarramtspraxis heraus beschrieben. Und die kirchlichen Prozesse als Teil einer einheitlichen Mustern folgenden Reform aller Bereiche der Daseinsvorsorge (Bildung, Gesundheit) erkannt. Alle erforderlichen Fakten lagen also auf dem Tisch. Und Heiner Geißler greift auch virulente kirchliche Themen auf und liefert in seinem Vortrag dem Pfarrertag auch noch eine inhaltliche Steilvorlage. Und der Pfarrertag? Er hört sich das alles brav an, diskutiert am Nachmittag noch einige Themen und das war’s dann auch. Du musst Nein sagen können? Vorsichtiges Nein- Sagen überließ man einzelnen, etwa dem neuen Vorsitzenden des Pfarrverbandes Andreas Kahnt. Was war mit dem gastgebenden Pfarrrverein der EKHN oder der versammelten Pfarrerschaft ? Ein Wort zu den verfehlten Reformen? Ein Wort zu den fatalen Fehlinvestitionen in meist sinnlose Strukturprozesse oder Doppik? Ein Wort zur Überlastung des Personals durch die Umbauprozesse? Was war mit einer Resolution, einem Moratorium? Kein Wort. Das Nein-Sagen überließ man einzelnen wie dem Redner Heiner Geißler. Der angemessene Titel für den Pfarrertag hätte angesichts des Schweigens also lauten müssen: Du musst manchmal Nein hören können. Kein Trost, dass die PfarrerInnen selbst ihr überwiegendes nur Nein-Hören selbst durch wachsende berufliche Belastungen schon erleiden und in Zukunft verstärkt werden ausbaden müssen…