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Die protestantische Basis emanzipiert sich. Von Friedhelm Schneider.

06.07.2015

Nachdem schon früh einige der Pfarrvereine fast prophetisch gegen den EKD- Kirchenumbauprozess argumentiert hatten, nachdem im letzten Jahr auch leitende Geistliche hinsichtlich der sog. „Reformen“ von Zweifeln beschlichen wurden, formuliert nun auch die protestantische Basis ihren Widerspruch. In unterschiedlichen Landeskirchen hatten sich schon Gemeindebünde gegründet. Dieser Teil der Basis ändert nun offensichtlich seine Aktionsform: Dass eine einzige Gemeinde mit einer Demonstration im Landeskirchenamt viel Unsicherheit in den sonst sich eher arrogant gebenden Führungsetagen erzeugen kann, belegt die Aktion der Kirchengemeinde Rommerskirchen in der EKiR vom 25.Juni.

Neben solchem öffentlichkeitswirksamen Protest emanzipiert sich an der Basis die Landessynode der württembergischen Landeskirche immer stärker vom offiziellen Reformkurs. Schon bei der letzten Synodentagung war der eigenständige Weg unübersehbar. Sie tut dies nicht öffentlichkeitswirksam, sondern völlig unauffällig. Und trotzdem ist das kein buissiness as usual. Am Beispiel der aktuellen Synode vom Juli 2015 kann man die wiedergewonnene Selbständigkeit der Synode an etlichen zentralen Themen der Synode festmachen, weswegen wir die Ergebnisse in dieser Ausgabe etwas ausführlicher darstellen:
1. Finanzpolitik
Die Synode votiert mit den Stimmen aller Fraktionen (Gesprächskreise), die Kirchensteuermehreinnahmen den Gemeinden zur Verfügung zu stellen. Damit kommen die Mittel dorthin, wo sie hingehören – und wo sie schließlich auch herkommen: an die Basis.
Das ist zwar noch nicht die Garantie, dass die Mittel dort auch wirkungsorientiert eingesetzt
werden. Aber die Bedingung der Möglichkeit ist immerhin gegeben. Die Schwaben sagen also der (bei Nordlichtern übrigens gerne missverstandenen!) Finanzpolitik der schwäbischen Hausfrau „ade“. Gut so!
2. Personalmanagement
Dass die Landeskirche bei der Schlüsselposition, den PfarrerInnen viel Vertrauen zerstört habe, wird hier unumwunden eingeräumt, wurde zuvor schon von Thomas Striegler und Jens Böhm/ EKHN eingeräumt. (Eigentlich mehr Skandal als nur Fehler!) Die württembergische Synode zieht aus den Folgen der damaligen Fehlentscheidungen Konsequenzen. Sie erkennt die Problematik der wachsender Belastungen und zurückgehender Attraktivität Pfarrdienstes und stellt einen qualifiziert begründeten Antrag zur Entschärfung der Lage.
3. Kontrolle der Arbeit der Führungskräfte
Die Synode schaut den Führungskräften auf die Finger. Und verlangt, dass Beschlüsse der
Synode von der Leitung ernst genommen und umgesetzt werden. So wird OKR Prof. Dr. Ulrich Heckel vorgeführt. Er hat den Synodenbeschluss der Bilanzierung der Reduktion der CO2 Emmissionen aus dem Jahr 2011 (!) bis 2015 bis heute nicht umgesetzt. Seine Erklärung: „Die Bilanzierung… liegt den Verantwortlichen am Herzen.“ In der Synode wissen jetzt alle um die Herzensnöte  des Oberkirchenrats. Man weiß auch: der Mann hat sich bemüht. Merke: nur qualifizierte Kontrolle wird Qualität der Arbeit in den Landeskirchenämtern steigern.
4. Rückgewinnung einer an Barmen orientierten theologischen Basis
Die Synode beschließt eine Stelle für Friedenspädagogik am pti. Damit werden Entscheidungen
wieder auf die Basis theologischer Argumentationen gegründet.

Der Weg der Emanzipation der Synode ist aufgrund der Informationsasymetrie zw. Synodalen und Leitung nicht einfach. Nicht immer ist bspw. die Kontrolle von Behauptungen Leitender sofort möglich, wie das Beispiel des Dr. Hardecker zeigt. Dann stehen Flaschaussagen unwidersprochen im Raum. Die Synode kann aber im Nachhinein prüfen und die betreffende Person auf der nächsten Tagung mit seinen Behauptungen und den abweichenden Fakten, wie etwa hier im Falle der angeblichen Steigerung der Studierendenzahlen, konfrontieren.

Die Gemeindebasis demonstriert, die Synode emanzipiert sich von der Leitung. Die Basis
überlässt also das Schicksal ihrer Kirche oder Gemeinde nicht mehr allein der – früher immer unterstellten – Weisheit der Führung. Das Vertrauen in die Leitungen ist dahin. Das sind zwei wichtige Entwicklungen im Protestantismus. Sie könnten in anderen Gemeinden und anderen landeskirchlichen Synoden Schule machen.  Die Beispiele nähren die Höffnung, dass das Reformationsjubläum 2017 doch noch ein echt protestantisches Ereignis werden kann.

Burn-out bei Beamten mit A13/14 (LehrerInnen) kostet den Staat durchschnittlich 375 000 Euro. Frage: Was kostet der Burn-out bei PfarrerInnen?

6. Mai 2015,  Lehramtsstudium, SZ

Aussuchen statt ausbrennen

…Ein Lehrer mit Burn-out kostet den Freistaat durchschnittlich 375 000 Euro. Alle erkrankten Lehrer schlagen in Bayern mit 250 Millionen im Jahr zu Buche… Zum Artikel.

Wie hoch liegen die Kosten der Kirche für Burn-out bei PfarrerInnen?

von Friedhelm Schneider

Erkenntnisse über gewisse Gegenstände gewinnt man immer wieder auch durch Quantifizierungen! Z.B. ist die Berechnung der Kosten für Burn-out-Fälle aus organisatorischer Sicht überaus aufschlussreich. Im Freistaat Bayern mit seinen ca. 30.000 Lehrerinnen und Lehrern in Voll-und Teilzeit ist dies passiert. Das Ergebnis – 250 Millionen im Jahr – kann erschrecken. Gutes Management könnte dies aber auch als Herausforderung betrachten, denn diese Kosten sind ja kein Schicksal. Sondern – in gewissem Umfang – vom Management (hier also der Regierung) selbst gemacht. Zu den Ursachen findet man an anderen Stellen der Wort-Meldungen eine Menge Material.

Wir wollen diese Erkenntnisse an dieser Stelle freilich auf die Situation der Kirche, speziell der PfarrerInnen übertragen.

Ab Ende der 90er Jahre wurde abfällig von der Pfarrerkirche gesprochen, PfarrerInnen zum Problem und soll man sagen – zum Sündenbock – erklärt. Thomas Begrich, der EKD Finanzdezernent fuhr über Jahre durch die Lande und erklärte anhand von Charts, dass im Jahre 2030 sämtliche Kirchensteuereinnahmen für die Pfarrgehälter drauf gingen – und dass man gegensteuern müsse (ich selbst sah diese Präsentation auf zwei unterschiedlichen Veranstaltungen, einmal 2008 in Bad Boll und ein zweites Mal 2011 in Wiesbaden). Die Lösung der Zukunft der Kirche sah er im Pfarrstellenabbau. Und an der Zukunft wurde gearbeitet. Und sie wird so ausssehen, dass die PfarrerInnenzahl bis zum Jahr 2028 in etwa halbiert sein wird. Die PfarrerInnen haben nicht mehr allein die gegen die Kirche wirkenden gesellschaftlichen Veränderungen zu bewältigen. Nein. Auch die innerkirchlichen Veränderungsprozesse werden auf ihrem Rücken ausgetragen. Die Vakanzquote steigt, die sog. Pastorationsdichte sinkt, also das Verhältnis Pfarrer zu Gemeindegliederzahl wird größer. Permanente Strukturereformen kosten Zeit und Nerven. Das Konfliktpotential im innerkirchlichen Umgang, im Umgang mit Haupt- und Ehrenamtlichen, steigt.  Das alles bei Individualiiserungsprozessen in der Gesellschaft, die einen deutlich höheren Grad an individueller Fallbearbeitung mit höherem Zeitaufwand erfordern. Wen wundert es, dass auch die Pfarrer neben Lehrern zu dem Berufsstand mit hohen Burnout-Quote gehören?
Was erforderlich gewesen wäre: ein hohes Maß an Unterstützung (moralisch, aber auch in Form eines Serviceverständnisses von Kirchenverwaltung) für die PfarrerInnen angesichts der externen, gegen die Kirche laufenden Prozesse. Das Gegenteil war der Fall.  Insofern ist es nicht an den Haaren herbeigezogen, die Ursachen nicht zu individualisieren und als Problem der Betroffenen auszuweisen, sondern die systembedingten Ursachen der Burn-out-Problematik in den Blick zu nehmen. Dass es Fehler in der Personalabteilung(en) gab, wird mittlerweile von Leitungskräften unumwunden zugegeben, so etwa von Thomas Striegler (Leiter der Kirchenverwaltung/ EKHN) und Jens Böhm, Personaldezernent). Allerdings ist die Fehlerliste noch – vorsichtig ausgedrückt – rudimentär. So fehlt dabei eben die genannte Position „Vermeidung von Burn-out“ – Fällen. Diese Vermeidung ist nicht nur aus persönlicher Sicht der Betroffenen geboten. Sondern auch aus organisatorischer Sicht, insbesondere dann, wenn sich die Kirche im Zuge des „Reformprozesses“ wirtschaftliche Effizienz auf die Fahnen schreibt. Die Verursachung nicht erforderlicher Ausgaben (hier für Burn-out-Fälle) widerspricht nämlich eklatant dem ökonomischen Prinzip.

Aber nun zu den Fakten. Ein Versuch der Quantifizierung der Burn-out-Kosten für PfarrerInnen.

Da hilft die Berechnung des Landes Bayern zu den Kosten von Burn-outfällen bei den Lehrkräften. Sie liegen nach diesen Angaben bei 375.000 p.P. Im Falle von Pfarrern dürften die Kosten ziemlich identisch ausfallen. Die absoluten Zahlen für das Land Bayern werden mit 250 Mio. € beziffert, bei 30.000 LeherInnen. Auf die Kirche übertragen könnte man ganz grob und vorläufig (also vor detaillierten Berechnungen durch die Finanzabteilungen oder, weil es sich um eine Verschwendung von Mitteln handelt, der Rechnungsprüfungsämter !) überschlagen:

diese Kosten in Höhe von ca. 250 Mio. fallen im Freistaat Bayern bei einer Anzahl von 30000 Lehrkräften an. Die Statistik der Kirchen weisen ca. 20000 PfarrerInnen aus (ebenfalls Voll- und Teildienst). Rein mathematisch sind  die Kosten der Kirchen für Burn-out-Fälle der PfarrerInnen also mit rund 160 Mio. € zu beziffern. Abzüglich der Fälle, wo man die Ursachen in individuellen Dispositionen sehen kann, sind dann die Restkosten den Personaldezernaten bzw. dem Gesetzgeber EKD (Pfarrdienstrecht) anzulasten.

 

Substanzerhaltungsaufwand für Gebäude einer durchschnittlichen Kirchengemeinde bei rund 200.000 €/ Jahr (so Bistum Freiburg) ?

03/2015, von Friedhelm Schneider

In der Zeitschrift für Kirche und Recht (KuR, S. 515ff) erschien 2014 der Aufsatz „Bewertung und Bilanzierung kirchlicher Gebäude“ von Dipl. Finanzwirt Linus Becherer.

Der Autor bewertet den finanziellen Aufwand einer Kirchengemeinde für den herkömmlichen Gebäudebestand aus Kirche, Pfarrhaus, Gemeindehaus und Kindergarten und stellt die bilanziellen Folgen (und erwartete Wirkungen bei den Betroffenen) dar. Damit werden also auch die Absichten der an „kirchlichen Notwendigkeiten orientierte(n) vollständige(n) Bewertung und Bilanzierung der kirchlichen Immobilien bzw. des kirchlichen Vermögens und der Schulden“ deutlich. Das Ergebnis gilt selbstredend nicht allein für das Bistum Freiburg, sondern für alle katholischen Bistümer und evangelischen Landeskirchen, darüber hinaus aber auch für Kommunen und Staat in gleicher Weise.

Die Ermittlung des Aufwandes zur Erhaltung der Gebäude erfolgte nach der Immobilienwertvordnung, ein Verfahren, das mit pauschalen Ansätzen operiert. Angeblich würde sich das rechnerische Ergebnis mit dem empirischen Befund aus der Praxis im Bistum Freiburg decken. Danach wird für die Erhaltung p.a. benötigt 
für eine Kirche (2235 qm BGF) 61.149 €
für ein Pfarrhaus (640 qm BGF) 20.121 €
für ein Kindergarten (1071 qm BGF) 48.709 €
für ein Gemeindehhaus (2031 qm BGF) 67.266 €

Fazit: „Somit müßte die Kirchengemeinde jährlich rund 200.000 € zurückstellen, um die langfristigen baulichen Verpflichtungen der Immobilien gerecht zu werden. Allerdings sind die Kirchengemeinden auf Grund ihrer finanziellen Gesamtsituation in der Regel gar nicht in der Lage diese Rückstellungen zu bilden und einzustellen. Deshalb obliegt es den örtlichen Gremien selbst einen Betrag festzulegen, der in der Bilanz berücksichtigt wird.“

Wie also geht die Kirchengemeinde mit dem Problem der Darstellung in der Bilanz um? In diesem Fallbeispiel stellt sie den größeren Teil des rechnerischen Betrages, der faktisch mit Haushaltsmitteln etc. nicht erbracht werden kann, auf der Passivseite als Fremdkapital ein (Verbindlichkeiten aus Bausbstanzerhaltung, im Beispiel: 110.000 €), auf der Aktivseite als „fehlendes Vermögen für Bausubstanzerhaltung“. Unterstellt wird also, die Kirchengemeinde könne 90.000 € tatsächlich als Finanzanlagen (aktiv) zurückstellen. Der größere Betrag wird als „fiktive  Verschuldung“ in die Bilanz eingestellt. Bei einem Wertansatz kirchlicher Gebäude mit 1 € pro Objekt ist die Kirchengemeinde damit schon bei der Eröffnungsbilanz in den Miesen.

Als wesentliches Ergebnis der Operation wird festgehalten

„Die wirtschaftliche Situation in der Bilanz der Kirchengemeinde wird transparent dargestellt, so dass sichtbar wird, ob und ggf. in welchem Umfang sie sich den heutigen Gebäudebestand noch leisten (fett und kursiv im Original!) kann.“

Solche Zahlen sagen also: die Kirchengemeinde kann sich den Gebäudebestand nicht leisten. Sie muss sich in der Folge von den „Lasten der Gebäude“ (das alte Thema der Kirche in neuem Gewand) befreien. Hätte man diese Bilanz vor 30 aufgestellt, was wäre dann passiert? Die Gemeinde hätte schon vor 30 Jahren angefangen, Ihre Immobilien zu verkaufen… In vielen Fällen hätte sie dann ihre Tafelsilber schon frühzeitig verscherbelt. Das gilt insbesondere für das Bistum Freiburg – einer Region mit den heute höchsten (und in den letzten Jahren mit am stärksten gestiegenen) Immobilienpreisen in Deutschland. Gut also, dass man auf die Idee der Bilanzierung erst heute kommt und nicht schon vor 30 Jahren kam. So wurden zumindest in der zurückliegenden Zeit Schäden durch unnötige Desinvestitionen verhindert. Denn die Wertsteigerungen der zurückliegenden Jahre hätten bei einem früheren Verkauf ja nicht realisiert werden können.

Hier geht es aber mehr noch um die Bewertung der Gebäude und ihres Instandhaltungsaufwandes. Dazu kann man aus drei Perspektiven Stellung nehmen.

1. Immobilienwirtschaftliche Perspektive.  Die Immobilienwirtschaftliche Perspektive unterscheidet sich von der finanzwirtschaftlichen dadurch, dass sie nicht pauschalen Ansätzen operiert, sondern auf der Basis von realen Daten vorauschauend kalkuliert. Zusätzliches Instrument ist dann die Definition von angestrebten Instandhaltungsniveaus für die Gebäude. Die Immobilien müssen nicht – wie die finanzwirtschaftliche Perspektive unterstellt – immer auf höchstem Niveau instand gehalten werden. Eine entsprechende Untersuchung in einem Kirchenkreis der EKiR (Kkrs Ottweiler) im Jahr 2005 von K.IM. Kirchliches Immobilienmanagement hat bestätigt, dass der Bestand auf der Basis der immobilienwirtschaftlichen Perspektive mit deutlich weniger finanziellem Aufwand auf ausreichendem Niveau gehalten werden kann als die doppische Pauschalbewertung/NKF rechnerisch fordert.  

2. Man vergleiche dazu die Erkenntnis der kirchlichen Bauämter der ehemaligen DDR. In Ostdeutschland lag die letzte Bau- und Sanierungsepoche kirchlicher Gebäude vor der Wende 80 Jahre zurück – es war die Kaiserzeit. Die empirisch belegte Erkenntnis:  gerade kirchliche Immobilien (historische Gebäude) müssen hinsichtlich der Substanzerhaltung nicht nur mit hohem Aufwand (s. die Berechnung einer reichen Diözese) auf höchstem Niveau erhalten werden, sondern können über Jahrzehnte auf niedrigem (bzw. in der DDR_Zeit niedrigstem) Stand mit geringstem Aufwand erhalten werden. (Darunter gäbe es dann als Strategie noch die sog. „Überwinterung“, die Erhaltung ohne Budget.) Nimmt man diese Erfahrung aus Ostdeutschland, dann entpuppen sich auf finanzwirtchaftliche Weise errechnete fiktive bilanzielle Millionenprobleme („fehlendes Vermögen für Bauinstandhaltung“) als reine Panikmache.

3. Näher und greifbarer als die beiden ersten Betrachtungen liegt dem Badener Bürger und Christ wahrscheinlich der Vergleich mit dem eigenen Häusle, für das er unter Berücksichtigung unterschiedlicher Größe gegenüber dem Pfarrhaus einen deutlich niedrigeren Ansatz im eigenen Budget einplant. Was er kopfrechnend selbst überschlagen und erkennen kann.

Fazit: Der Blick in die Bilanz reicht ganz offensichtlich nicht, um die Realität der Immobilienlage realitätsnah zu erkennen, darzustellen und daraus eine plausible Immobilienstrategie für die Kirche abzuleiten. Kein professioneller Immobilienbesitzer würde allein mit bilanziellen oder finanzwirtschaftlichen Zahlen seinen Bestand steuern. Auch die Kirche will dies nicht. Mit der Bilanz wird offensichtlich eine ganz andere, leicht durchschaubare  Absicht verfolgt. Aber: man erkennt die Absicht und man ist verstimmt. Leute mit gesundem Menschenverstand, von denen es vor Ort sehr viele Menschen gibt, werden sich durch solche bilanzielle Dramatisierungen und Panikmache also nicht blenden lassen. Was aber bei und mit solchen Operationen passieren wird: die betroffenen Menschen werden verstimmt, sie werden den Glauben verlieren. Nicht den Glauben an Gott, aber den Glauben an die (real existierende) Kirche. Man vergleiche dazu das Anwachsen der Kirchenmitglieder, die sich der Kirche nur noch wenig Verbundenen  in der 5. KMU (evangelischerseits) und die Kirchenaustrittszahlen. Diese Ergebnisse resultieren natürlich nicht hauptsächlich aus der aus der bilanziellen Darstellung abgeleiteten falschen Immobilienstrategie, aber sie werden dadurch gefördert.

Last exit Kultussteuer?

von Friedhelm Schneider

Abbauprozess gemeindlicher und funktionaler Dienste bei steigenden Einnahmen – das war die EKD-Kirchenpolitik der zurückliegenden 8 Jahre. Die Kirchen brauchen sich zeitgleich seit 2005 über mangelnde Steuereinnahmen nicht beklagen. Die entsprchenden Einnahmen stiegen innerhalb der EKD von 2005 mit 3,617 Mrd. € bis 2013 auf – sagen wir es offen: sagenhafte – 4,842 Mrd. €.  Gleichzeitig wurde gegenüber Gemeinden und funktionalen Diensten im selben Zeitraum eine rigorose Sparpolitik durchgesetzt und betrieben. Mithin fand ein Abbauprozess bei steigenden Einnahmen statt. Mit den so „freigesetzten“ Finanzmitteln wurde ein seit der Nachkriegszeit vom Umfang her unbekannter, offensichtlich auf Dauer angelegter Umbauprozess der Kirchenstrukturen mit dem Ziel einer katholisierenden, hierarchischen Top-Down-Struktur ins Werk gesetzt. Wen wundert es, dass sich da aus evangelisch-theologischer Sicht Widerspruch regt? Widerspruch auch gegen ein Finanzierungsinstrument Kirchensteuer, mit deren Hilfe solche theolgisch fragwürdigen „Reformen“ erst möglich wurden? Jochen Teuffel ist nicht das einzige, aber ein profiliertes Beispiel für theologisch motivierte Kritik an der Kirchensteuer.

Ob die Quellen der Kirchensteuer freilich weiter üppig sprudeln, wird offiziell bezweifelt. Und zwar nicht nur, weil diese sehr stark von der Konjunktur abhängt. Bei der postwendenden, massenhaften Austrittsreaktion auf die als genialer Coup geplante Kirchensteuer auf Kapitalerträge könnte es sich um mehr handeln als bloßes Missverstehen. Es könnte ein Menetekel sein. Wer zahlt freiwillig Kirchensteuer, um aufgeblähte Kirchenstrukturen oder einen ausgeprägtem Verwaltungwswasserkopf zu finanzieren? Die 5. KMU zeigt recht anschaulich, dass die Bindekraft der Kirchen gerade in den zurückliegenden „Reformjahren“ deutlich gelitten hat. Und zwar besonders unter jungen Menschen, die somit morgen als Kirchensteuerzahler ausfallen. Hat man also die Überschüsse falsch investiert? Der eine oder andere der Finanzverantwortlichen hat mittlerweile wohl kalte Füße und bezweifelt die zukünftige Tragfähigkeit des Systems der Kirchensteuer. Ein Indiz dafür ist der offiziöse Vorschlag einer Kultussteuer nach italienischem Muster, von der sich die Kirche finanziell wohl gewisse Vorteile erhoffen kann – in der Zeit nach der Kirchensteuer. Vorgetragen wird sie in einer landeskirchlichen Broschüre, in der auch der Finanzdezernent der EKD Thomas Begrich eine tragende Rolle spielt. In der EKD rüstet man sich also schon für die Zeit danach. Dass sich die Kirche mit einem solchen Vorstoß Kultussteuer nicht viel neue Freunde schaffen wird, dürfte unmittelbar einleuchten. Aber noch ist es nicht so weit. Alternativen zum „last exit“ Kultussteuer wären gefragt. Eine mögliche zeigt die kleine Gemeinde Geilsheim/Bayern. Weitere, insbesondere kreative Alternativen wären vonnöten, gewiß. Enwickeln können wird man sie aber nur dann, wenn man sich in den Möglichkeitsmodus begibt. Und also Zwangsformen ablegt. Gerade das aber fällt der Verwaltung extrem schwer. Weswegen man an solchen Lösungen wohl selbst wird arbeiten müssen.

 

Kultussteuer – Ein Plädoyer. Von Michael Eberstein


Immerhin müssten alle ihre Steuer bezahlen, also auch Menschen, die sonst der Kirche fern bleiben. Ihnen liegt vielleicht einfach am Erhalt des Gebäudes. Oder der Möglichkeit, an Kulturangeboten wie Konzerten teilhaben zu können. Einen anderen, vielleicht auch größeren Teil, würden diese Menschen auch anderen Kultureinrichtungen und -anbietern zukommen lassen, womöglich auch sozialen Einrichtungen…

Zugegeben, eine solche Steuer brächte die Kirchen in die Verlegenheit, ihre Aufgaben und Projekte überzeugend zu vertreten, um in der Konkurrenz mit anderen Anbietern mithalten zu können. Denn was sollte schlecht sein an „Prüft aber alles, und das Gute behaltet.“ (1.
Thess 5,21).

scrollen Sie die Broschüre durch bis auf S. 20. Dort finden Sie den Beitrag.

 

Von der Wirtschaft lernen heißt siegen lernen ?!

oder: was Kirche von der Wirtschaft hätte lernen können.

von Friedhelm Schneider, Pfr., Immobilienfachwirt

Überarbeitete Version eines Vortrags beim Tag des Pfarrvereins der EKM in Neudietendorf, 18. Juni 2014.

Liebe Schwestern und Brüder, sehr geehrte Damen und Herren,

ein Schelm, wer bei einem solchen Thema Böses denkt: „Von der Wirtschaft lernen, heißt siegen lernen.“ Sie in Thüringen stellen sofort die Analogie her zu einem Wort, das in früheren Zeiten lange Jahre zur Propaganda der DDR- Führung gehörte. Das lautete: „Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen.“ Es galt so lange, bis Gorbatschow Mitte der 80iger Jahre die Peristroika propagierte. Ab diesem Zeitpunkt geriet das Wort in der DDR-Regierung in Misskredit und wurde zur subversiven Parole ‚bösartiger‘ Regimekritiker.

Erwarten Sie also Parallelen zur kirchlichen Lage heute, wenn sie den Titel so analog formulieren? In der Tat haben Kräfte dominiert, die der Betriebswirtschaft Kräfte für Wachstum gegen den Trend und Erstarkung der Kirche zuschrieben. Betriebswirtschaft hatte in der Kirche spätestens ab der Jahrtausendwende die Theologie als Leitwissenschaft abgelöst. Gewähr für die Ablösung bot (und bietet) auch das biedermannmäßig aus der Wirtschaft anklopfende und arglos eingelassene Berater-Personal: Unternehmensberater wie Peter Barrenstein von McKinsey oder die Direktorin Marlehn Thieme der Deutschen Bank. Letztere aus einem Unternehmen, das zu Zeiten als Marlen Thieme in Führungspositionen der Kirche kam mit 25% Rendite prahlte, sich dann aber vor 2 Jahren kleinlaut aus triftigem Grund selbst einen Kulturwandel verordnen musste. Seither sitzt das Personal der Wirtschaft in den Führungsetagen der Kirche, im Rat der EKD und der Steuerungsgruppe zum Kirchenreformprozess1. Man wird eingedenk schon dieser wenigen Fakten der EKD nicht zu nahe treten, wenn man ihr das Wort „Von der Wirtschaft lernen heißt siegen lernen“ als ihre Parole in den Mund legt. Auch wenn es so nie ausgesprochen wurde, prägt es doch das Denken in den kirchlichen Führungsetagen. Es mag sich um eine ‚passagere‘ Position der EKD handeln, die den Zenit schon überschritten hat, sind doch die Erfahrungen mit diesem Ansatz der Leitwissenschaft Betriebswirtschaft mittlerweile so umfangreich wie ernüchternd. Und man kann wohl behaupten, dass die Phase, in der dieser Ansatz die Köpfe in der EKD beherrschte, schon der jüngsten Kirchengeschichte angehören. Wie sagte Thies Gundlach, der Cheftheologe der EKD, jüngst in einem Vortrag? Er möchte nicht der letzte Mohikaner sein, der zum Impulspapier „Kirche der Freiheit“ steht2

Die Analogie zum DDR- Slogan, liegt für Kritiker also durchaus nahe. Es stellt sich nun die Frage: was aber heißt dies Wort in unserem Munde? Im Munde derer, die den sog. Reformprozess, der im Gefolge von „Kirche der Freiheit“ von der EKD über die Landeskirchen gezogen wurde falsifizieren und kritisieren? Der eigentlich kein Reformprozess darstellt, sondern der ein veritabler Umbauprozess ist. Was heißt es, wenn wir diesen Satz heute aufgreifen – und ihn positiv gegen seine früheren geheimen Befürworter wenden? Lassen Sie mich dazu etwas ausholen, und den Blick aufs Ganze richten, bevor wir den Ausschnitt analysieren:

Wir leben heute in einer Zeit in der die früher in Zeiten sozialer Marktwirtschaft propagierte funktionale Trennung der Systembereiche der Gesellschaft (Wirtschaft, Politik, Religion etc.) an ihr Ende gekommen ist. Denn die „Wirtschaft“ beschränkt sich nicht mehr auf ihren Sektor der Produktion von Gütern und Dienstleistungen. Das hat einen praktischen Grund: Im Finanzkapitalismus ist Kapital im Überfluss an Banken und Börsen vorhanden und sucht Anlagechancen und Höchstrendite. Dazu müssen die Grenzen der Ökonomie zu den anderen Funktionsbereichen überschritten werden. Zu diesem Zweck werden solche anderen Bereiche, wie z.B. die der Daseinsvorsorge, usurpiert. Privatisierung war das Zauberwort und totaler Service das Zuckerstückchen, mit dem der Bevölkerung dies schmackhaft gemacht wurde. Nach Post, Bahn und Telecom in den 90iger Jahren, kamen ab 2000 die engeren Bereiche der Daseinsvorsorge: Schule, Universität, Gesundheitswesen (mittelfristig Rückkehr zum DDR-System der Poliklinik) und Justiz an die Reihe (Privatisierung von Vollzugsanstalten in Hessen durch Roland Koch). Übereinstimmend wurde in allen Bereichen das ehemals organisatorisch starke Fachpersonal entmachtet: durch Entzug von Beteiligungsrechten (Universität/Schule), durch Wandel des Bildungssystems von Humoldt’scher Bildung zu Kompetenzvermittlung und damit Infragestellung der klassischen Lehrerkompetenzen, durch die Deklassierung des Ärztestandes zu einer Art Scheinselbständigkeit, durch die Überlastung des Personals mit einem kaum zu bewältigenden Arbeitspensum (Justiz) unter der die Qualität der Arbeit, die Rechtssicherheit, wie auch die Gesundheit der Personen leidet.

Diese Ökonomisierung schlich sich ein mit allerlei quasi-eschatologischen Versprechungen, z.B. der Steigerung der Servicequalität, der Illusion einer „totalen“ Qualität (TQM), etc. Wie weit Versprechen (Ideologie) und Wirklichkeit auseinanderklaffen, möge ein kleines, aber sprechendes Beispiel demonstrieren. Günther Wallraff studierte in bekannter Manier in einem Incognito-Selbstversuch die Praxis eines Alten- und Pflegeheims in München, dem kathol. Josephstift am Luise-Kisselbachplatz. Die Zustände waren nach der entsprechenden TV- Sendung ziemlich verheerend. Und dabei prangt ein Qualitätssiegel des TQM an einer Wand der Einrichtung. Darin wird die Note 1, sehr gute Qualität also, bescheinigt. Was hier an einem Beispiel dargelegt ist, können Sie getrost auf das gesamte Gesundheitswesen übertragen. Das System des TQM ist essentieller Bestandteil neoliberaler Transformationprozesse. Deren harter Kern aber in nichts anderem als Personalabbau bis zur Grenze der Leistungsfähigkeit des Restpersonalbestandes, Ausbeutung der Gesundheit des Personals, Reduktion der Angebote/Dienstleistungen auf (billigen) Standardprodukten (Kernleistungen), Steigerung der Profite der Investoren. Das steht konträr zur Sozialen Marktwirtschaft und produziert Widerspruch in entwickelten europäischen Gesellschaften. Um diesen Widerspruch zu unterdrücken, wird ein völlig neues Weltbild, ein ökonomisches Denken, geprägt, das allen anderen Funktionsbereichen aufgedrückt wird. Alle müssen sich an der neuen Nomenklatur orientieren. Alle lassen sich an den neu gesetzten Kriterien messen und bewerten. Diese neuen Kriterien kommen daher als hohle „Plastikwörter“, Anglizismen gaukeln eine besondere Aura vor, Euphemismen vernebeln die eigentlichen Aussagen. Und so sind Fehlinformation, Vernebelung und Geheimhaltung wesentlicher Bestandteil des Akzeptanzmanagements des schönen neuen neoliberalen Weltkonzeptes.

Ein neues Denken, das auch in der Kirche Fuß fassen konnte. Mit dem Reformprozess genannten Umbauprozess. Prof. em. Jürgen Moltmann beklagte in einem Vortrag jüngst den „Einzug ökonomischen Denkens in die Kirche“. Er zieht folgerichtig die Verbindung zu Barmen I: …Wo liegen heute jene »Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten« aus Barmens Erster These verborgen, die wir zu Götzen machen? Er fragt und antwortet: „Sind wir wieder in der Situation von vor 1933? Nein, das sind wir nicht! Wir sind in einer ganz anderen Situation. Es droht uns nicht eine ideologische Politisierung der Kirche wie durch die Nazis und die Deutschen Christen damals. Es droht uns aber eine nicht minder gefährliche ideologische Ökonomisierung der Kirchen, wie wir sie auch in anderen Bereichen der Daseinsvorsorge, so z.B. auch an den deutschen Universitäten erleben. Wie kann Kirche „effektiver“ gemacht werden? Wie kann die Zahl der Taufen, Konfirmationen und kirchlichen Amtshandlungen erhöht werden? Wie kann die Kirche auf ihr „Kerngeschäft“ verschlankt werden? Wie kann die „Kirche im Angebot“ attraktiver werden? Der religiöse „Service“ der Kirche an ihren „Kunden“ muss verbessert werden. Damit entmündigt man die aktiven Brüder und Schwestern zu passiven „Kunden“ und macht aus selbstständigen Gemeinden betreutes Leben in den Kirchen.“ 3

Man kann eine solche Position wie die von Jürgen Moltmann also politisch durchaus verstehen. Dennoch: diese Form der Pauschalkritik erscheint uns zu undifferenziert, erfasst nicht die ganze Wirklichkeit und ist damit in gewisser Weise selbst angreifbar. Gerade, wenn es wie hier nicht um die politisch-volkswirtschaftliche Ebene, sondern um die Frage der Organisationsreform der Kirche geht. Und sie enthält nicht die Chuzpe, die vermeintlichen Ökonomen mit den Waffen der Ökonomie selbst zu schlagen. Das haben Sie nun aber mir mit dem Vortragstitel, wenn ich das recht verstehe, aufgetragen. Und daran will ich mich gerne versuchen. Denn nur so können wir zur tieferen Erkenntnis kommen, dass ökonomische Argumente wie am Beispiel einleitend gezeigt bei den sog. Reformprozessen vielleicht nur vorgeschoben sein könnten, es in Wirklichkeit und im Hintergrund aber um etwas anderes, Tiefgreifenderes geht. Dass es mit dem Prozess „Kirche der Freiheit“ nicht nur um einen Reformprozess, sondern um einen veritable Umbauprozess geht. Lassen Sie uns also etwas genauer hinschauen und differenzieren, um am Ende dann doch wieder einen Ansatz zu finden, die vorhandenen positiven, hilfreichen Aspekte der Ökonomie für die Organisationsführung trotz aller negativen Erfahrungen mit den gesellschaftlichen Ökonomisierungsprozessen oder der sog. „Reformprozesse“ wieder schätzen zu lernen. Und der dem Titel des Vortrages inhärente Dialektik zu ihrem Recht zu verhelfen.

Dies geschieht nicht in erster Linie um der intellektuellen Herausforderung des Titels willen. Wir müssen dies tun, weil die empirische Kirche ihren Schatz in irdenen Gefäßen bewahrt. Weil die Kirche als Organisation auch mit professionellen, profanen Instrumenten geleitet und dem Evangelium gemäß gestaltet sein will. Dabei darf ihre Gestalt dem Inhalt nicht widersprechen (Barmen III + IV). Als Organisation muss sie also damit auch auf die Möglichkeiten zurückgreifen, die gute Organisationsgestaltung bereit hält und ermöglicht. Und dazu sagt man in der Regel „Management“. Gutes, richtiges Management, das wäre es, was die Kirche wieder bräuchte. Sie bräuchte es ebenso wie Bereiche der „Wirtschaft“ selbst. Die deren Verlust etwa durch das Eingeständnis von Kulturproblemen teilweise auch selbst thematisiert, wie z.B. die Deutsche Bank.

Vom Reformbedarf des klassischen Kirchenmodells nach Barmen…

Betrachten wir die Geschichte des Reformprozesses in den ev. Kirchen: es ging in den 90igern zunächst um einen Reformprozess nach außen, mit dem die Kirche die Differenzierungsprozesse der Gesellschaft nachvollziehen wollte (vgl. „Person und Institution“, EKHN). Kirche musste aber zum anderen auch innerorganisatorisch einen Reformprozess anstrengen. Die Administration war strukturell (hierarchisch), instrumentell (IT) und personell veraltet. Schon die einfache Datenverarbeitung war mit einer hohen Fehlerquote behaftet (notorisch: einfache Datenreihen wie Meldelisten), die Informationsbasis für Entscheidungen mangelhaft. Wissensmanagement war in den Verwaltungen ein Fremdwort. Wissen bspw. war personell gebunden und nicht für die gesamte Organisation verfügbar. Und Wissen war veraltet. Betriebswirtschaftliches Know-How? Fehlanzeige. Worauf wäre es angekommen? Auf die gezielte, eklektische Übernahme von Instrumenten und Strategien aus dem Wissensgebiet des Managements.

1. Finanzmanagement hätte primär organisiert werden müssen als Management der Kosten und nicht – wie in der Doppik vorherrschend – des Vermögens. Es wäre um die gezielte, richtige Investition gegangen und nicht um das Sparen der in kirchlichen Kreisen zur Galionsfigur aller kirchlichen Finanzpolitik erhobenen schwäbischen Hausfrau. Fehlende Investitionen verbunden mit Personalabbau (Desinvestition) etwa im Bereich der Jugendarbeit kommen denn auch in der jüngsten, 5. KMU (Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung) schmerzlich im Traditionsabbruch zum Ausdruck! Und es mag dem einen oder anderen Finanzdezernenten vielleicht mittlerweile dämmern, dass die zukünftigen Verluste infolge Kirchenaustritten etwa infolge des Traditionsabbruchs deutlich höher sein könnten, als die Verzinsung der in den zurückliegenden Jahren durch ‚Einsparungen‘ beim Personal gebildeten Rücklagen.

2. Es wäre im Personalmanagement um Führendes Dienen gegangen und nicht um die Rückkehr zum Kadavergehorsam. Es wäre um den Schutz des Schatzes der früher üblichen intrinsischen Motivation gegangen und nicht Überlastung und überzogenem Personalabbau. Kommt es, wie die 5. KMU belegt, auf die Pfarrerin und den Pfarrer an, dann muss die/der auch in Reichweite verfügbar sein.

3. Es wäre im Immobilienmanagement um ein Management der Ressourcen und Kosten gegangen und nicht des völlig undifferenzierten Verscherbelns von oft nur vermeintlichen „Lasten“. Mehr dazu inhatlich etwa auf diesem Portal.

Fehler und Defizite des Managements sind also offensichtlich. Es fehlte an der analytischen Kraft, die Fragen der eigenen, individuellen Organisation zu klären und daraus ein individuelles Handlungskonzept für die Kirche zu entwickeln. Stattdessen segelte man im Windschatten der neoliberalen Umbauprozesse anderer Institutionen der Daseinsvorsorge (s.o.). Ohne einige gravierende Unterschiede zu beachten. Wie z.B. den, dass die anderen Institutionen der Daseinsvorsorge als Zwangsmitgliedschaft gestaltet sind. Entkommen nicht möglich. Wo dieser Mitgliedschaftszwang nicht bestand, wie im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und Fernsehen, musste er von der Politik hergestellt werden. In dieser von der Mitgliedermeinung unabhängigen Lage der anderen Institutionen ist aber die Kirche gerade nicht. Allerdings wird das Verhallten der Kirche offensichtlich vielfach genau so erlebt. Vielen Mitgliedern wurde daher die ehemals fremde Heimat zur nichtssagenden und -bietenden Fremde. Wo wir stehen wird anschaulich, wenn auch eine nur geringfügige Irritation, wie etwa in diesem Jahr das Missverständnis um die Kirchensteuer auf Kapitalerträge, bereits zu heftigen Erschütterungen in Form einer Austrittswelle führt (und nebenbei auch zu einer unbekannnt-promten Reaktion des EKD- Finanzdezernenten Begrich in Form einer eigens flugs zur Sache erstellten Broschüre).

Der labile Zustand der Kirche in der Phase neoliberaler Umbauprozesse ist also nicht allein externen gesellschaftlichen Prozessen geschuldet, sondern in erster Linie eigenem falschen Management. Was richtiges Management in der Kirche ist, zeigt sich dann, wenn die Frage nach der Mitte, der Mitte des Denkansatzes, geklärt ist. Wir müssen in der Kirche wissen, woher wir kommen und was unsere Aufgabe ist. Ist die Mitte theologisch ausgefüllt, dann können die passenden und aktuellen, den Stand der Technik abbildenden ökonomischen Instrumente – wie schon immer in der Kirchengeschichte – problemlos angewandt werden. Die Theologie ist dabei Standbein, die Instrumente des Managements sind Spielbein. Ich selbst formulierte dies in meinem Buch „Kirchliches Immobilienmanagement“ im Jahr 2004: „Setzt die Kirche diese Erkenntnis in Managementhandeln um, werden in der freien Wirtschaft übliche… Managementstrategien relativiert, teilweise transformiert. Dies Anderssein der Kirche oder der entsprechenden Managementstrategien, dieses „sich-der-Welt-nicht-gleich-machen“ heißt aber nicht, dass das Handeln deswegen nicht erfolgreich sein könnte. Ganz im Gegenteil“4. Bildet die Theologie die Mitte, dann sind dieser Mitte alle Funktionen der Organisation zuzurechnen, die diese Mitte in und mit ihrer Arbeit oder auch symbolisch repräsentieren (s. Grafik).

Der Leitung und Verwaltung kommt in diesem Modell eine strikt dienende, eine Servicefunktion zu. Ihre zentrale Aufgabe besteht darin, dass die Mitte richtig und ausreichend gefüllt wird: dass Arbeit in möglichst großem Umfang mit ausreichend ausgebildetem und motiviertem (!) dass ausreichend Personal vorhanden ist und unterstützt und gefördert wird. Dieses Managementmodell korrespondiert mit Barmen III (und IV). Dabei ist aus Managementsicht – und übrigens auch aus finanzieller Sicht (s.u.) – unerheblich, ob die Arbeit an der Basis in der Gemeinde oder aber in Diensten (Funktionspfarrstellen etc.) erfolgt. Entscheidend ist, dass das, was dort passiert, beim Adressaten ankommt und – auf welche Weise auch immer – wirkt.5

klassisches Kirchenmodell nach Barmen

Das also wäre das Modell gewesen, nach dem die Kirche nach innen hin hätte reformiert werden müssen. Und zwar auch aus theologischer Sicht wie auch aus Sicht richtigen und guten Managements. Vielversprechende Ansätze dazu waren ab der Jahrtausendwende vorhanden.

… zum Kirchenmodell des EKD-Umbauprozesses „Kirche der Freiheit“

Spätestens seit Mitte der Nuller Jahre ist die Entwicklung der frühen Reformansätze der Kirche gekippt: wie zuvor schon in anderen Institutionen (Bildung, Gesundheitswesen) sollte später auch die Kirche nicht nur eklektisch von der Wirtschaft, vom Management, lernen, sondern vielmehr nach der Struktur von Wirtschaftsunternehmen umgebaut werden. Dieser Prozess war weder theologisch oder gesellschaftlich-soziologisch motiviert, noch war er von einem systemisch-kybernetischen Managementansatz geprägt, der gezielte Schwachstellen und Stärken identifiziert hätte und dazu passgenaue Lösungen entwickelt hätte. Wie sollten das die organisationsunkundigen Berater von außen auch leisten können? Sie hätten es nicht gekonnt, selbst wenn sie es gewollt hätten. Aber darum ging es ja gar nicht. Es ging nicht um die Optimierung der reformbedürftigen Organisation Kirche. Es ging den „Reformern“ vielmehr darum, alle Institutionen der Daseinsvorsorge dieses Landes mit einem Einheitskonzept umzubauen, sie „marktkonform“ zu machen. Wie später dann sogar die Demokratie selbst „marktkonform“ gemacht werden sollte/ wird. Im Zuge dieses vereinheitlichenden Ökonomisierungskonzepts wurden den ehemals demokratisch bottom-up aufgebauten Institutionen mit Top-down-Strukturen übergestülpt; die mittlere Ebene wurde zur zentralen Leitungsebene der Region mit vielen bzw. allen Kompetenzen, die früher die Gemeinden hatten. In der Kirche ging es also nicht mehr um inhaltlich theologisch motivierte verbessernde Reformen eines in der Nachkriegszeit über 50 Jahre bewährten Systems. Sondern es ging um einen Umbau der Kirche nach Mustern der Wirtschaft unter Anleitung von neoliberalen Beraterteams. Das Agenda-Setting wurde mit dem Impulspapier „Kirche der Freiheit“ besorgt. Was dabei herauskam? Ein hierarchisches Modell, bei dem EKD- Gremien als Spitze Entscheidungen treffen, die die Landeskirchen umzusetzen haben. Das konnte jüngst auch anhand des „Erweiterten Solidarpakts“ der EKD- Kirchenkonferenz nachgewiesen werden. Ein Modell bei dem Leitung ihre Dominanz über den personellen Ausbau der Administration stärkt. Ein Modell, bei dem die Mitarbeiter, die die eigentliche Arbeit vor Ort in Verkündigung, Seelsorge, Pädagogik, Musik, etc. leisten, abgebaut und an den Rand gedrängt werden. Sie müssen mit und von dem leben, was in der Mitte der Organisation, also bei Leitung und Administration, an finanziellen und sonstigen Ressourcen übrig bleibt. Der Verwaltungswasserkopf hingegen wird immer stärker aufgebläht. Was bleibt ist ein „Haus der Kirche“, das belegt ist von Regionalverwaltung im EG, der Dekanatsverwaltung im OG und 2 Fachstellen im Souterrrain.

Grafisch kann man das so fassen:

Reformmodell

Hier hat die Kirche ihre Mitte verloren. Sie weiß nicht mehr, was sie eigentlich zusammenhält. Ein fremdes institutionelles Umbaukonzept bildet das neue Zentrum der Kirche. Wie weit weg ist Barmen III, nach dem die Kirche auch „die Gestalt ihrer […] Ordnung“ nicht „ihrem Belieben oder dem Wechsel der jeweils herrschenden weltanschaulichen und politischen Überzeugungen überlassen“ darf.

Fazit: Von der Wirtschaft lernen, heißt siegen lernen. Der mit dem Impulspapier „Kirche der Freiheit“ initiierte Umbauprozess der Kirche propagiert Betriebswirtschaft als Lösung für die Reformprobleme der Kirche. Was sich allerdings hinter diesem Konzept verbarg, war ein marktkonformes Umbaukonzept der Institutionen des Staates. Dies wurde – wie in allen Fällen modifiziert – auch in der Kirche angewandt. Betrachtet man das bis heute sichtbare Ergebnis nach ökonomischen Kriterien, fällt es ausgesprochen schlecht aus. Der finanzielle Aufwand dafür war und ist und bleibt hoch, dabei ist die Wirkung entsprechend der empirischen Studie der 5. KMU negativ. Gemäß dem Rationalprinzip der Ökonomie müssen Resultate aber bei gleichem Mitteleinsatz besser/ höher werden, wenn sie wirtschaftlich genannt werden sollen. Insofern war der Umbauprozess also der Sache nach nicht zu viel, sondern zu wenig ‚ökonomisch‘. Vor allem aber fehlte es am Ansatz guten und richtigen Managements: Reformen der Kirche, die dem Rationalprinzip der Ökonomie standhalten sollen, müssen immer systemisch-kybernetisch angelegt sein. So gilt heute: nach dem Umbauprozess ist vor der Reform. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

 

 

Anmerkungen und Erläuterungen:

Diese beiden o.g. Grafiken sind sehr plakativ und für den einen oder anderen provokativ. Und wie das so ist bei Grafiken und Bildern: sie können die Wirklichkeit natürlich nicht vollständig fassen. Daher hier noch einige ergänzende Charts, die die oben aufgestellten Thesen belegen.

Zur Alternative Gemeindepfarrstellen oder Funktionspfarrstellen aufgrund von Finanzmangel.

Oft wurden Gemeinde- und Funktionspfarrstellen von kirchenleitdender Seite aufgrund angeblicher Finanzknappheit gegeneinander in Stellung gebracht. Dabei ist die Behauptung fehlender Mittel falsch. Und die im kirchlichen Dienst am Menschen arbeitenden sollten sich nicht in eine falsche Frontstellung gegeneinander begeben. Dies lehrt ein Blick in die Jahresrechnung der EKHN, hier am Bsp. des Jahres 2008. Bei einem Haushaltsvolumen von 520 Mio. entfallen auf den Gemeindepfarrdienst ganze 58 Mio. €. Selbst wenn man die Versorgungsleistungen addiert kommt noch nicht einmal auf 15% des Haushaltsvolumens. Quelle: Jahresbericht der EKHN 2008.

Nimmt man Gemeinde- und Funktionspfarrstellen zusammen und rechnet die Kosten, die kirchensteuerfinanziert sind (staatlich finanzierte Stellen werden also nicht berücksichtigt), dann macht ihr Anteil gerade mal ca. 20% vom Haushaltsvolumen aus. Pfarrstellen im Verwaltungsbereich oder Leitung (wie ganze Dekanestellen sind dabei aus Gründen betriebswirtschaftlich klarer Differenzierung nicht berücksichtigt).

Auf diesem Hintergrund wird deutlich, dass die Alternative: Gemeinde- oder Funktionspfarrstellen ziemlich obsolet ist. Die Frage ist berechtigt: was sind denn die anderen 80 Prozent? Zu dieser Frage vgl. die Jahresberichte der EKHN.

Das alles heißt nicht, dass man nun diesen Anteil zementieren müsste, dass nicht auch dort, bei Gemeinde und Funktion Veränderungen nötig wären. Es sind generell Veränderungen erforderlich, die auf eine höhere Wirkung zielen. Nicht nur in Leitung und Administration, sondern auch bei Gemeinde und Funktion. Aber man kann mit Sicherheit davon ausgehen, das

s Gemeinde und Funktion schon heute innerhalb aller Leistungen der Kirche relative zu anderen, etwa der Administration, die höchsten Wirkungen erzielt. Insofern trifft diese Forderung auch Gemeinde und Funktion, aber die anderen Bereiche in deutlich stärkerem Maße. Und man muss ergänzen: man kann höhere Wirkung bei dieser Art von Arbeit nicht per ordre de mufti verordnen oder per Impulspapier erzeugen. Da könnte das Konzept des Führenden Dienens schon deutlich weiter helfen. Wir werden später davon im Vortrag von Dr. Hartmann hören. Ich bin gespannt.

Dies Diagramm zeigt die Entwicklung des Anteils der Gemeindepfarrdienst in der EKHN in einer Statistik von 2000 bis 2012. Als Quelle dienen die Jahresberichte der EKHN. Der Anteil von ca. 15% ist also kein Einzelfall, sondern ab 2004 das Durchschnittsmaß.

Eine Langfristbetrachtung dieser Kennziffer „Anteil Pfarrgehälter am HH-Volumen“ anhand weniger Einzelfälle zeigt am Bsp. Der EKHN eine klare Abwärtstendenz ab Anfang der 80iger Jahre mit damals ca. 33%, im Jahr 2000 bei ca. 23% und heute bei ca. 15%. Wobei es sich dabei nur um die direkten Kosten, also Gehälter und Versorgungsleistungen, handelt. Hintergrund ist, dass die Kirchensteuereinnahmen, gestiegen sind, die Gehälter aber – wie in allen Branchen in Deutschland – ab 2000 mehr oder weniger eingefroren wurden. Das Weihnachtsgeld wurde gestrichen oder durch deutlich geringere andere Zahlungen ersetzt, die Durchstufungen zu höheren Gehaltsstufen wurden gestrichen, teilweise auch die Gehaltsendstufe A 14 auf A 13 abgesenkt (z.B. Hannover). Man beachte, dass zusätzlich eine ganze Reihe von Leistungen, die haushaltstechnisch an anderen Stellen als bei den Gehältern verbucht werden, bei dieser Betrachtung noch nicht berücksichtigt sind. So z.B. die Schönheitsreparaturen, Heizkostenzuschüsse, Weiterbildung etc.). Auch dort gab es bisweilen drastische Einschnitte zu Lasten der Pfarrer. Die PfarrerInnen sind in der Entwicklung seit den 80iger Jahren also auch finanziell vom Zentrum in die Peripherie katapultiert worden.

1Eberhard Cherdron, Martin Schuck, Evangelische Existenz heute; in Dt. Pfarrerblatt 10/2012

4Friedhelm Schneider, Kirchliches Immobilienmanagement, Darmstadt 2004, S.36

5 Achtung: hier darf das Kundenmuster nicht einfach auf die kirchlichen Leistungen übertragen werden

Nein sagen oder Nein hören? Ein Kommentar zum 73. Pfarrertag in Worms

von Friedhelm Schneider

Titel und Motto: „Manchmal musst Du Nein sagen können“ bot dem Hauptredner Heiner Geißler eine Steilvorlage nicht nur allgemein psychologisch oder spachphilosophisch an das gestellte Thema heranzugehen, sondern konkret ökonomische, politische aber auch kirchliche Entwicklungen darzustellen und anschließend zu – pardon – geißeln. Geboten ist Nein- Sagen gemäß Geißler heute nicht aus einer naiven Trotz-Haltung, sondern aus der ökonomischen, politischen und kirchlich-theologischen,  der reinen und praktischen Vernunft heraus. Und das an etlichen Stellen.

Dabei mochten die Gastgeber und rund 300 Hörerinnen und Hörer wohl am meisten an den kirchlichen Themen rund um die sogenannten kirchlichen Reformprozesse interessiert sein. Denn gerade hatte die 5. KMU durch eine empirische Studie ans Licht gebracht, dass die die Kirche ins gesellschaftliche Abseits schiebenden Veränderungsprozesse durch die sog. Reformen eben nicht verhindert oder wenigstens abgeschwächt werden konnten, sondern durch die Reformen im Gegenteil noch beschleunigt wurden. Namentlich der Abbruch der kirchlichen Tradition bei den Jugendlichen ist fatal. Schon zuvor hatte sich ein prominenter Protagonist der Reformen, Thies Gundlach, von dem Impulspaier Kirche der Freiheit spektakulär distanziert. Und zuvor hatte die Artikelserie „Fragen und Probleme rund um kirchliche Reformprozesse“ im Dt. Pfarrerblatt die eklatanten Strategiedefizite der kirchlichen Reformprozesse aus Theorie und Pfarramtspraxis heraus beschrieben. Und die kirchlichen Prozesse als Teil einer einheitlichen Mustern folgenden Reform aller Bereiche der Daseinsvorsorge (Bildung, Gesundheit) erkannt. Alle erforderlichen Fakten lagen also auf dem Tisch. Und Heiner Geißler greift auch virulente kirchliche Themen auf und liefert in seinem Vortrag dem Pfarrertag auch noch eine inhaltliche Steilvorlage. Und der Pfarrertag? Er hört sich das alles brav an, diskutiert am Nachmittag noch einige Themen und das war’s dann auch. Du musst Nein sagen können? Vorsichtiges Nein- Sagen überließ man einzelnen, etwa dem neuen Vorsitzenden des Pfarrverbandes Andreas Kahnt. Was war mit dem gastgebenden Pfarrrverein der EKHN oder der versammelten Pfarrerschaft ? Ein Wort zu den verfehlten Reformen? Ein Wort zu den fatalen Fehlinvestitionen in meist sinnlose Strukturprozesse oder Doppik? Ein Wort zur Überlastung des Personals durch die Umbauprozesse? Was war mit einer Resolution, einem Moratorium? Kein Wort. Das Nein-Sagen überließ man einzelnen wie dem Redner Heiner Geißler. Der angemessene Titel für den Pfarrertag hätte angesichts des Schweigens also lauten müssen: Du musst manchmal Nein hören können. Kein Trost, dass die PfarrerInnen selbst ihr überwiegendes nur Nein-Hören selbst durch wachsende berufliche Belastungen schon erleiden und in Zukunft verstärkt werden ausbaden müssen…

Der Geist weht in den Gemeinden

Die evangelische Kirche schrumpft. Mitglieder und Geld werden weniger. Was bedeutet das für die Gemeinden? Viele sagen: „Jetzt erst recht!“ Sie haben spannende Ideen und gestalten ihr Gemeindeleben mit Freude. Einige dieser Gemeinden besucht evangelisch.de in den nächsten Wochen, die Reportagen sind in unserer Serie „Jetzt erst recht! Gute Gemeinde-Ideen“ zu lesen.
Daraus aus dem ersten Beitrag:
… Vielen Pfarrerinnen und Pfarrern stößt die Rede von „Rückbau“ und „Reform“ seit langem sauer auf, vor allem der betriebswirtschaftliche Ansatz wird kritisiert. Hauptamtliche leiden unter Strukturveränderungen: Fusionen mit Nachbargemeinden und der Verkauf von Gebäuden kosten Kraft und Nerven. Auch für Friedhelm Schneider ist „Reformprozess“ mittlerweile ein Reizwort. Der Pfarrer arbeitet als Managementberater und ist Vorstandsmitglied des Vereins wort-meldungen.de. Schneider hat im Pfarrerblatt (Ausgabe 1/2014) ein Fazit zu „Kirche der Freiheit“ veröffentlicht. Seine These: Die Reform sei in Wahrheit ein zentral gesteuerter Umbauprozess, der mit spekulativen Zahlen begründet werde.

Die „einfache Formel“, so Schneider, basiere auf einer Prognose, die „schon falsifiziert“ sei. Die zugrunde liegenden Zahlen stammten aus Mitte der Achtziger Jahre, so Schneider, und „seither kann man feststellen, dass die Kirchensteuern nicht zurückgegangen sind, sondern gestiegen“. Das stimmt: Mit 4,6 Milliarden Euro haben Kirchensteuereinnahmen 2012 einen Höchststand erreicht. Allerdings liege das an der Konjunktur, erklärt Konrad Merzyn: „Wir haben im Augenblick eine relativ florierende Kirchensteuerquelle, aber die langfristige Perspektive hat sich nicht geändert.“ Friedhelm Schneider dagegen hält es für „höchst bedenklich“, überhaupt Prognosen für einen Zeitraum von mehr als 40 Jahren aufzustellen. „Das ist nicht mal mehr Trendforschung, sondern das ist Astrologie.“… Zum Artikel.

Sie säen nicht. Sie ernten nicht… Zur 5. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung der EKD.

von Friedhelm Schneider.
Die sprunghaft angestiegene Distanz der Jugendlichen zur Kirche müsste am meisten aufrütteln: 52% der Jugendlichen sind distanziert und 20% denken ernsthaft über Austritt nach. Das ist hart. Aber das ist aus Sicht der Jugendlichen auch fair. Warum?

Betrachten wir einfach Jugendarbeit der Kirchen in den zurückliegenden 2 Dekaden und nehmen wir die EKHN. 1997 pilotiert die EKHN mit dem Projekt „Prioritätenplanung und Ressourcenkonzentration“ eine neue Art der Reform, die sich von dem vorausgehenden Reformansatz, wie er 1992 in „Person und Institution“ angelegt war, distanzierte. Im Nachhinein ist klar: es war eine vorbereitende Phase des Organisationsumbaus der Kirche, der dann mit „Kirche der Freiheit“ obsiegte. Einer der ersten, stante pede umgesetzten Beschlüsse von 1997: Reduktion der Gemeindepädagogenstellen um 20%. Gemeindepädagogen – also das Personal, das in der EKHN wesentlich für die Jugendarbeit zuständig ist. Das war der massive Einstieg in das Downsizing der Jugendarbeit. Und in das Downsizing generell: des Abbau auch von Pfarrpersonal, auch von Zuweisungen für die Arbeit an der Basis, auch von Gebäuden, auch von… McKinsey ließ schon damals grüßen. Nur ein konkretes Beispiel: gab es damals in meinem Stadtteil Darmstadts mit 25000 Einwohnern noch 2 kirchensteuerfinanzierte Stellen für die Jugendarbeit, so ist es heute noch ca. eine halbe Stelle, ergänzt durch einen gemeindefinanzierten (!) Stellenanteil. Der Personalabbau mag an anderer Stelle etwas moderater erfolgt sein und punktuell mag es Unterschiede geben. Aber es kommt hinzu, dass die Pfarrerschaft heute aufgrund der Überalterung für die Jugendarbeit ebenfalls nicht mehr in dem selben Umfang wie früher zur Verfügung steht. Und dass man den Religionslehrern die Fortbildungsstätte im noblen Kronberg genommen hat, ist ein symbolischer Akt gegen eine ganze Berufsgruppe, deren Unterstützung die EKHN offensichtlich auch nicht nötig zu haben scheint.  Punktuelle neue Angebote wie einen alle 2 Jahre stattfindenen Jugendkirchentag können solche Verluste bei weitem nicht kompensieren…  Generell bleibt die Innovationsleistung als Folge der Streichorgie und Marginalisierung des Arbeitsfeldes hinter den Erfordernissen zurück.  52 Prozent distanzierte! Da machen ein paar Sonnenstrahlen noch keinen Sommer. Die Jugendarbeit ist das fünfte Rad am Wagen der Kirche. Da können sich die Mitarbeiter an der Basis noch so mühen und abrackern, sie können durch ihre Person die harte Politik der Kirche gegenüber den Jugendlichen vielleicht etwas abfedern. Sie können sie aber nicht ungeschehen machen. Wen wundern also die Ergebnisse der neuen Mitgliedschaftstudie? In anderen Landeskirchen mag die Entwicklung in der konkreten Ausgestaltung differieren. Die Politik ist aber im Prinzip dieselbe. Sie säen nicht. Sie ernten nicht…

In den letzten sieben Jahren fährt die EKHN fünf mal Haushaltsüberschüsse in Höhe von 40 bis 70 Mio.€ ein! Sie säen nicht. Sie ernten nicht. Aber ihr himmlischer Vater ernährt sie doch?

Als die EKHN vor einigen Jahren – wieder einmal – einen Haushaltsüberschuss von 40 Mio. € verbuchen konnte, regte ich in kleiner Runde an, diese Mehreinnahmen diesmal nicht in die Rücklagen zu schieben, sondern komplett in die Jugendarbeit (mit einem professionellen 10-Jahreskonzept etc.) zu investieren. Ich erntete seitens einer anwesenden kirchenleitenden Person nur verständnislose Blicke und den Hinweis, dass sich einem solchen Vorschlag in der Kirchenleitung wohl niemand anschließen würde. Wie auch? Haben nicht alle leitenden Personen internalisert: die Kirchen müssten Rücklagen bilden? Da tut es nichts zur Sache, dass die EKHN ihr Soll der Rücklagenbildung schon zu 100% übererfüllt hat, weil 70% als ausreichend gelten. Gewinne für Rücklagen, aber keine Investitionen in die Mitglieder, hier in die Jugendlichen. Das ist die von den Finanzdezernenten ausgegebene Finanzpolitik. Und die bildet das „Management“-Konzept der Kirche. Ein Konzept, das einigen grundlegenden irrtümern aufsitzt. Halten wir uns an Prof. Fredmund Malik, den Doyen des europäischen Managements aus St. Gallen: „Die Meinung, dass der Zweck von Unternehmen der Gewinn sei, ist so alt wie irreführend.. .Alle paar Jahre taucht sie in einem neuen Kleid auf… diesmal in der Sharholder-Value-Theorie…Wer sich am Shareholder-Value… orientiert, hat die Gewissheit, dass er systematisch falsche, das heißt das Unternehmen schädigende Entscheidungen trifft.“

Das ist in der Kirche passiert. Es wurden systematisch falsche Entscheidungen getroffen. Die Jugendlichen waren außerhalb des Horizonts der Kirchenleitungen und der „Hohen Häuser“ der Synoden. Die Jugendlichen werden mit den Angeboten und mit der Botschaft in der Breite nicht mehr erreicht. Es fehlt an Mitarbeitern. Und es fehlt dadurch bedingt auch an Innovationen. Es fehlt an schlüssigen Antworten auf die Herausforderungen des Wechsels von der analogen in die digitale Welt. Angesichts erhöhter Anforderungen konnte die Strategie nicht darin bestehen die Mittel zu kürzen. Das Gegenteil wäre richtig gewesen: man hätte investieren müssen. In die Jugend, und nicht in Maßnahmen, die die  Bürokratie aufbauschen ohne nennenswert bessere Leistungen im Sinne einer Unterstützung für die an der Basis arbeitenden PfarrerInnen u.a. hervorzubringen! Und wie geht es weiter: Dass Pfarrerinnenmangel droht, hat sich herumgesprochen. Wie sieht es denn mit dem Nachwuchs bei den Gemeindepädagogen aus?

Nikolaus Schneider kündigt an, man wolle aus der Studie lernen. Was aber passiert gerade in seinen Stammlanden, der EKiR? Der Finanzbedarf für die Bürokratie steigt aufgrund der von ihm zu verantwortenden Umbauprozesse. Aufgrund der Einführung der Doppik in den Regionalverwaltungen wird mehr mehr Personal für die (in diesem Falle: nutzlose!) Bürokratie benötigt. Um solche Stellen finanzieren zu können muss man in manchem Kirchenkreis an anderer Stelle einsparen. An welcher? Man muss nicht dreimal fragen – selbstverständlich spart man da, wo sich keiner wehrt – an der Jugendarbeit. So höre ich. Damit die Bürokratie lebe, stirbt die Jugendarbeit! Und so wird es vielen Kirchenkreisen der EKiR gehen –  und vielen Landeskirchen. Nikolaus Schneider…

Was heißt das für die Zukunft der Kirche? Die Jugendlichen werden zunehmend weniger von der Kirche erreicht. Die schon heute ihren Austrittswillen bekunden, werden ihn mit hoher Wahrscheinlichkeit umsetzen. Denn dieser Wille wird nur schwer und mit hohem Aufwand zu korrigieren sein. Die Austrittsquote steigt und damit werden die Kirchensteuereinnahmen, Spenden oder Beiträge weiter sinken. Man muss also die Kausalketten richtig erkennen! Weil man nicht in die Jugend investiert hat, werden Kirchensteuereinnahmen sinken! Man weiß freilich schon heute, wie die Finanzdezernenten dereinst bei rückläufigen Einnahmen in Verdrehung der Ursachenketten behaupten werden: „Gut, dass wir damals Rücklagen gebildet haben…“ Dabei werden zukünftige Rückgänge der Einnahmen auch auf ihre verfehlte Finanzpolitik heute, namentlich auf die verfehlte Kirchenpolitik gegenüber der Jugend, zurückzuführen sein! Das Problem des Managements der Kirche besteht darin, dass es nicht ganzheitlich denkt und agiert. Es folgt de facto einem beschränkten, monetären Gewinnbegriff. Noch einmal Malik: „Mit einem zu kurz gegriffenen Gewinnbegriff ist noch immer der Untergang eines Unternehmens eingeleitet worden.“ Insofern darf man die aktuellen Haushaltsüberschüsse zwar als vergänglichen Segen betrachten. Mehr noch sind sie aber Menetekel: Sie säen nicht. Sie ernten nicht. Aber ihr himmlischer Vater ernährt sie doch… – Noch!

Eine Zwischenbilanz zum kirchlichen Impulsprozess »Kirche der Freiheit«: Rätsel – Erkenntnisgewinne – Aufklärung (Thema des Monats)

Von August 2012 bis Oktober 2013 erschienen 15 Beiträge unterschiedlicher Autoren verschiedener Landeskirchen in der Reihe »Fragen und Probleme rund um kirchliche Reformprozesse«. Unklarheiten, Fragen, Verwirrung um Reformprozesse waren Motivation zu dieser Serie; das Ziel: Durchblicke zu ermöglichen; der Ansatz: die kirchlichen oder vergleichbaren Prozesse aus vielen unterschiedlichen Perspektiven und auch Positionen zu sichten, zu bewerten, zu interpretieren.1 Friedhelm Schneider zieht ein Fazit und gibt einen ­Ausblick: Die eigentlichen Probleme scheinen nicht in der Vergangenheit, sondern in der Zukunft zu liegen.

Lesen Sie den Artikel von Friedhelm Schneider.

Dekanatsfusion in der EKHN: „keine reine Sparmaßnahme“!

Aus 47 werden 25 – die Synode der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) hat eine Reform der Dekanatsstruktur beschlossen. Die Kirchenleitung betont: Die Gebietsreform sei keine reine Sparmaßnahme… Mehr dazu.

„…keine reine Sparmaßnahme.“ Das ist noch etwas verklausuliert. Und das ist nicht die vollständige Nachricht. Doch ein Satz mit Sprengkraft. Noch einmal für Ungläubige: „Die Kirchenleitung betont: Die Gebietsreform sei keine reine Sparmaßnahme.“ Der Inhalt ist zwar völlig evident. Die Spatzen pfiffen es in der EKHN von den Dächern, als Synodale in einem einzigen Fall (!) einmal eine vergleichen Aufstellung laufender Kosten erhielten. Diese Aufstellung enthielt freilich keine Gesamtaddition. Ein Synodale/r, der die Addition kurzerhand selbst durchführte, stellte Mehrkosten nach der Dekanatsfusion in Höhe mehrerer 10 Tausend € fest – für diese eine betreffende Fusion. Dabei sei dahin gestellt, ob es sich denn schon um eine Vollkostenrechnung gehandelt hat.

Bekanntlich wurden die Gebietsreformen (Fusionen von Gemeinden, Dekanaten, Landeskirchen) bisher aber in allen Landeskirchen und auf allen Ebenen immer als Sparmaßnahmen, als Maßnahmen zur Konsolidierung von Haushalten etc. „verkauft“. Bisher. Damit bricht jetzt die EKHN. Und dafür, allein dafür, in diesem Zusammenhang aber leider auch: nur dafür – muss man sie loben.

Denn bislang wurde über Jahre hin gegenteilig argumentiert. Diese bekannte Argumentation referiert Christoph Meyns (designierter Landesbischof in Braunschweig) für Nordelbien (heute Nordkirche) in einem Artikel im Deutschen Pfarrerblatt:
„Mit dem weiteren Absinken des Kirchensteueraufkommens infolge der Absenkung der Spitzensteuersätze in der Einkommensteuer nach 1999 nahm der Personalabbau dann ein Ausmaß an, das eine umfassende Reorganisation der Strukturen von Landeskirchen, Kirchenkreisen und Kirchengemeinden notwendig machte… Unabhängig von der Entwicklung in den Ortsgemeinden griff der Nordelbische Reformprozess von 2003 bis 2009 umfassend in die Organisations- und Leitungsstrukturen der landeskirchlichen Ebene und die der Kirchenkreise ein…  Das Ziel der Reform bestand darin, auch mit weniger finanziellen Ressourcen die mit der Arbeit der landeskirchlichen Dienste und Werke und der der Kirchenkreise verbundenen inhaltlichen Anliegen so weit wie möglich zu erhalten. Um die dafür notwendigen Synergie- und Effizienzgewinne zu erzielen, schuf man größere Organisationseinheiten, veränderte Leitungsstrukturen und stärkte die horizontale und vertikale Verknüpfung von Arbeitsfeldern.“

Und nun die EKHN: Die Kirchenleitung betont: Die Gebietsreform sei keine reine Sparmaßnahme. Effizienzgewinne? Das war einmal. Die anderen Landeskirchen sollten das nun einfach auch eingestehen, unabhängige Evaluationen durchführen, und dann nüchtern das Resultat ihrer Strukturreformen bilanzieren.  Auch auf die Gefahr hin, dass es weh tut, dass man sich von alten, bequemen, aber falschen Denkmustern verabschieden muss. Tut man es nicht, wird es – teuer! Reiche Landeskirchen können solche Kosten vielleicht – vordergründig betrachtet – wegstecken. Aber Landeskirchen wie Nordelbien, mittlerweile zusätzlich fusioniert zur Nordkirche, mit einem Pro-Kopf-Kirchensteuereinkommen, das nur 2/3 der EKHN beträgt, werden darunter ganz erheblich in Mitleidenschaft gezogen. Wenn dann freilich – auf der Basis falscher Erwartungen und Reformhypothesen – gleich mehrere Fusionprozesse – auch noch ein landeskirchlicher – bei knappen Mitteln implementiert werden, dann sind deprimierende Ergebnisse zu erwarten. Meyns im selben Artikel: Die Reformprozesse lösen „bei den verantwortlichen Leitungspersonen und den von Veränderungen betroffenen Menschen Gefühle der Unsicherheit, Angst, Ohnmacht, Trauer und Wut aus. Krankenstand und Personalfluktuation steigen an“. Quod erat demonstrandum.

Friedhelm Schneider