Schlagwort-Archive: Umbauprozess

Neu: Die mündige Gemeinde. Eine protestantische Zeitung.

12/2016

zu den Exemplaren.

Genese und Zielsetzung:

Am 18. und 19. September 2016 trafen sich zum ersten Mal die Gemeindebünde der vier Landeskirchen Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Nordkirche, Evangelisch-Lutherische Kirche Bayern und Evangelische Kirche im Rheinland in der evangelischen Landjugendakademie zu Altenkirchen (wir berichteten) U.a. wurde der Wunsch nach einem basisorientierten Presseorgan geäußert, das sich kritisch mit den Reformprozessen innerhalb der EKD auseinandersetzt und eine alternative Berichterstattung zu den etablierten Kirchenzeitungen
bieten soll…

Mehr dazu hier.

Wormser Wort: Nein zum bisherigen Umbauprozess der Kirche durch die EKD

1. Der Reformprozess ist ein Um- und Abbauprozess.

Kirche der Freiheit“ wurde 2006 von der EKD als Reformprogramm eingeführt. Tatsächlich handelt es um einen tiefgreifenden Umbau: die evangelischen Kirchen werden hierarchisiert, zentralisiert, bürokratisiert, ökonomisiert. Sie verlieren ihren Kern. Die Flut der seitdem gleichzeitig in Gang gesetzten „Jahrhundertprojekte“ Doppik/NKF, Fusionen auf allen Ebenen, Kompetenzverlagerungen von der Basis auf die Mittlere Ebene und der Zentralisierung führte zu einer bis dahin unbekannten Selbstbeschäftigung. Viel zu wenig Ressourcen, viel zu wenig Zeit bleibt für den eigentlichen Auftrag: die Kommunikation des Evangeliums.

2. Scheitern ist vorprogrammiert.

Auch aus Managementsicht sind die Umbauprozesse höchst fragwürdig. Sie basieren auf einer fragwürdigen Strategie des Gesundschrumpfens (Downsizing). Die wiederum auf einer aus den 90er Jahre stammenden, simplifizierenden Annahme beruht: die Zahl der Kirchenmitglieder schrumpfe um 30 Prozent, die Finanzen würden sich im selben Zeitraum gar halbieren. Die Fakten sprechen dagegen: Es gibt keine direkte Korrelation zwischen Mitgliederzahlen und Kirchensteueraufkommen. Die Kirchensteuereinnahmen sind langfristig gesehen bisher konstant oder sogar steigend. Aufgrund der von Langzeitprognosen abgeleiteten falschen Strategie musste der Umbauprozesss zwangsläufig in die Irre laufen. Selbst die Versprechen ökonomischer Effizienz können nicht eingehalten werden: die Ausgaben für die genannten Maßnahmen sind immens, die Wirkungen äußerst bescheiden. Die Kosten-Nutzen-Relation des Umbauprozesses ist negativ.

3. Die Mitarbeitenden werden demotiviert.

Motiviertes Personal war ein entscheidendes Potential der Kirche. Der Umbauprozess von „Kirche der Freiheit“ leitet den Personalabbau ein, der namentlich im Bereich von Gemeindepädagogen und PfarrerInnen schon heute, vor der Pensionierungswelle der geburtenstarken Jahrgänge, seine Wirkungen zeigt. Die Personalführung ist bedenklich: übliche Grundsätze, wie der, wonach Arbeitsaufträge so zu gestalten sind, dass sie den Mitarbeitenden erfolgreiches Arbeiten ermöglichen, werden sträflich verletzt. Die Eigenverantwortung der Mitarbeitenden wurde beschnitten, die Selbstregulierungskräfte gelähmt. Demotivation und Frust waren vorprogrammiert. Qualität und Wirksamkeit kirchlicher Arbeit haben darunter gelitten. Das schwächt die Kirchen enorm.

4. Der Mensch gerät aus dem Blick.

In den letzten drei Jahrzehnten erleben wir eine zunehmende Beherrschung aller Lebensbereiche durch die Ökonomie und ihrer Gesetze. Mit den Umbauprozessen drangen sie auch in die Kirchen ein. Durch die Unterwerfung unter die Normen des „freien“ Marktes gerät aber die Arbeit der Kirche in Gefahr. Denn wo nur die Normen des heutigen „freien“, nicht aber sozialen Marktes regieren, gerät der Mensch ins Abseits. Die Verkürzung des Menschen auf seine ökonomischen Funktionen widerspricht dem christlichen Selbstverständnis. Wo bleibt der Glaube, der Lebenssinn? Wo sind die protestantische Kirchen mit ihrer „großen Erzählung“, die Denkfreiheit ermöglicht ? Der Reichtum der Kirche beruht nicht in erster Linie auf Kapital, sondern auf Gemeinsinn, Köpfen und Konzepten.

5. Die Kirche verliert ihr Fundament.

Die Kirche gründet im Wort Gottes. Dieses Fundament ist in Gefahr. Die Kirche lebt nicht mehr aus der Freiheit des Wortes, sondern unterwirft sich dem Gesetz und der fremden Logik des Marktdenkens und wird so zu einem Religionskonzern. Im kirchlichen Umbauprozess wird die Strategie kirchlichen Handelns nicht aus einer theologischen Argumentation abgeleitet, sondern aus Algorithmen und Finanzprognosen.

6. Die Kirche verliert ihre Glaubwürdigkeit.

Die Reformen wurden mit hochtrabenden Versprechungen beworben. Diese haben sich in der Praxis als unhaltbar erwiesen. Mit schönen Worten wird verschleiert, mit Zahlen und mathematischen Formeln wird getrickst. So wird zwar Transparenz beschworen, aber wie im Falle des sog. „Erweiterten Solidarpakts“ Geheimhaltung praktiziert. Dadurch fühlen sich Menschen getäuscht, sowohl Mitarbeitende als auch Kirchenmitglieder.

7. Umkehr ist nötig.

Die Lage ist ernst. Die Mitarbeiterschaft ist enttäuscht, frustriert, demotiviert. Gut ist hingegen die wirtschaftliche Lage der Kirchen: sieben fette Jahre liegen hinter uns. Leider wurde diese gute finanzielle Lage nicht sinnvoll genutzt: weder wurde in die Kommunikation des Evangeliums investiert, noch die Verwaltung im Sinne einer dienenden Serviceeinrichtung modernisiert.

Heute müssen wir zehn Jahre Umbauprozesse beklagen, die die Kirchen geschwächt haben. Verlorenes Vertrauen muss wieder gewonnen werden. Wir brauchen ein Moratorium, um den aktuellen Status schonungslos offen zu legen und zur Besinnung zu kommen. Umkehr ist nötig.

Unterzeichenen Sie hier die Petition.

18.1.2015 Sprachliche verbesserungen eingeführt und Link zur Petition  gesetzt (Alexander John)

Von der Wirtschaft lernen heißt siegen lernen ?!

oder: was Kirche von der Wirtschaft hätte lernen können.

von Friedhelm Schneider, Pfr., Immobilienfachwirt

Überarbeitete Version eines Vortrags beim Tag des Pfarrvereins der EKM in Neudietendorf, 18. Juni 2014.

Liebe Schwestern und Brüder, sehr geehrte Damen und Herren,

ein Schelm, wer bei einem solchen Thema Böses denkt: „Von der Wirtschaft lernen, heißt siegen lernen.“ Sie in Thüringen stellen sofort die Analogie her zu einem Wort, das in früheren Zeiten lange Jahre zur Propaganda der DDR- Führung gehörte. Das lautete: „Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen.“ Es galt so lange, bis Gorbatschow Mitte der 80iger Jahre die Peristroika propagierte. Ab diesem Zeitpunkt geriet das Wort in der DDR-Regierung in Misskredit und wurde zur subversiven Parole ‚bösartiger‘ Regimekritiker.

Erwarten Sie also Parallelen zur kirchlichen Lage heute, wenn sie den Titel so analog formulieren? In der Tat haben Kräfte dominiert, die der Betriebswirtschaft Kräfte für Wachstum gegen den Trend und Erstarkung der Kirche zuschrieben. Betriebswirtschaft hatte in der Kirche spätestens ab der Jahrtausendwende die Theologie als Leitwissenschaft abgelöst. Gewähr für die Ablösung bot (und bietet) auch das biedermannmäßig aus der Wirtschaft anklopfende und arglos eingelassene Berater-Personal: Unternehmensberater wie Peter Barrenstein von McKinsey oder die Direktorin Marlehn Thieme der Deutschen Bank. Letztere aus einem Unternehmen, das zu Zeiten als Marlen Thieme in Führungspositionen der Kirche kam mit 25% Rendite prahlte, sich dann aber vor 2 Jahren kleinlaut aus triftigem Grund selbst einen Kulturwandel verordnen musste. Seither sitzt das Personal der Wirtschaft in den Führungsetagen der Kirche, im Rat der EKD und der Steuerungsgruppe zum Kirchenreformprozess1. Man wird eingedenk schon dieser wenigen Fakten der EKD nicht zu nahe treten, wenn man ihr das Wort „Von der Wirtschaft lernen heißt siegen lernen“ als ihre Parole in den Mund legt. Auch wenn es so nie ausgesprochen wurde, prägt es doch das Denken in den kirchlichen Führungsetagen. Es mag sich um eine ‚passagere‘ Position der EKD handeln, die den Zenit schon überschritten hat, sind doch die Erfahrungen mit diesem Ansatz der Leitwissenschaft Betriebswirtschaft mittlerweile so umfangreich wie ernüchternd. Und man kann wohl behaupten, dass die Phase, in der dieser Ansatz die Köpfe in der EKD beherrschte, schon der jüngsten Kirchengeschichte angehören. Wie sagte Thies Gundlach, der Cheftheologe der EKD, jüngst in einem Vortrag? Er möchte nicht der letzte Mohikaner sein, der zum Impulspapier „Kirche der Freiheit“ steht2

Die Analogie zum DDR- Slogan, liegt für Kritiker also durchaus nahe. Es stellt sich nun die Frage: was aber heißt dies Wort in unserem Munde? Im Munde derer, die den sog. Reformprozess, der im Gefolge von „Kirche der Freiheit“ von der EKD über die Landeskirchen gezogen wurde falsifizieren und kritisieren? Der eigentlich kein Reformprozess darstellt, sondern der ein veritabler Umbauprozess ist. Was heißt es, wenn wir diesen Satz heute aufgreifen – und ihn positiv gegen seine früheren geheimen Befürworter wenden? Lassen Sie mich dazu etwas ausholen, und den Blick aufs Ganze richten, bevor wir den Ausschnitt analysieren:

Wir leben heute in einer Zeit in der die früher in Zeiten sozialer Marktwirtschaft propagierte funktionale Trennung der Systembereiche der Gesellschaft (Wirtschaft, Politik, Religion etc.) an ihr Ende gekommen ist. Denn die „Wirtschaft“ beschränkt sich nicht mehr auf ihren Sektor der Produktion von Gütern und Dienstleistungen. Das hat einen praktischen Grund: Im Finanzkapitalismus ist Kapital im Überfluss an Banken und Börsen vorhanden und sucht Anlagechancen und Höchstrendite. Dazu müssen die Grenzen der Ökonomie zu den anderen Funktionsbereichen überschritten werden. Zu diesem Zweck werden solche anderen Bereiche, wie z.B. die der Daseinsvorsorge, usurpiert. Privatisierung war das Zauberwort und totaler Service das Zuckerstückchen, mit dem der Bevölkerung dies schmackhaft gemacht wurde. Nach Post, Bahn und Telecom in den 90iger Jahren, kamen ab 2000 die engeren Bereiche der Daseinsvorsorge: Schule, Universität, Gesundheitswesen (mittelfristig Rückkehr zum DDR-System der Poliklinik) und Justiz an die Reihe (Privatisierung von Vollzugsanstalten in Hessen durch Roland Koch). Übereinstimmend wurde in allen Bereichen das ehemals organisatorisch starke Fachpersonal entmachtet: durch Entzug von Beteiligungsrechten (Universität/Schule), durch Wandel des Bildungssystems von Humoldt’scher Bildung zu Kompetenzvermittlung und damit Infragestellung der klassischen Lehrerkompetenzen, durch die Deklassierung des Ärztestandes zu einer Art Scheinselbständigkeit, durch die Überlastung des Personals mit einem kaum zu bewältigenden Arbeitspensum (Justiz) unter der die Qualität der Arbeit, die Rechtssicherheit, wie auch die Gesundheit der Personen leidet.

Diese Ökonomisierung schlich sich ein mit allerlei quasi-eschatologischen Versprechungen, z.B. der Steigerung der Servicequalität, der Illusion einer „totalen“ Qualität (TQM), etc. Wie weit Versprechen (Ideologie) und Wirklichkeit auseinanderklaffen, möge ein kleines, aber sprechendes Beispiel demonstrieren. Günther Wallraff studierte in bekannter Manier in einem Incognito-Selbstversuch die Praxis eines Alten- und Pflegeheims in München, dem kathol. Josephstift am Luise-Kisselbachplatz. Die Zustände waren nach der entsprechenden TV- Sendung ziemlich verheerend. Und dabei prangt ein Qualitätssiegel des TQM an einer Wand der Einrichtung. Darin wird die Note 1, sehr gute Qualität also, bescheinigt. Was hier an einem Beispiel dargelegt ist, können Sie getrost auf das gesamte Gesundheitswesen übertragen. Das System des TQM ist essentieller Bestandteil neoliberaler Transformationprozesse. Deren harter Kern aber in nichts anderem als Personalabbau bis zur Grenze der Leistungsfähigkeit des Restpersonalbestandes, Ausbeutung der Gesundheit des Personals, Reduktion der Angebote/Dienstleistungen auf (billigen) Standardprodukten (Kernleistungen), Steigerung der Profite der Investoren. Das steht konträr zur Sozialen Marktwirtschaft und produziert Widerspruch in entwickelten europäischen Gesellschaften. Um diesen Widerspruch zu unterdrücken, wird ein völlig neues Weltbild, ein ökonomisches Denken, geprägt, das allen anderen Funktionsbereichen aufgedrückt wird. Alle müssen sich an der neuen Nomenklatur orientieren. Alle lassen sich an den neu gesetzten Kriterien messen und bewerten. Diese neuen Kriterien kommen daher als hohle „Plastikwörter“, Anglizismen gaukeln eine besondere Aura vor, Euphemismen vernebeln die eigentlichen Aussagen. Und so sind Fehlinformation, Vernebelung und Geheimhaltung wesentlicher Bestandteil des Akzeptanzmanagements des schönen neuen neoliberalen Weltkonzeptes.

Ein neues Denken, das auch in der Kirche Fuß fassen konnte. Mit dem Reformprozess genannten Umbauprozess. Prof. em. Jürgen Moltmann beklagte in einem Vortrag jüngst den „Einzug ökonomischen Denkens in die Kirche“. Er zieht folgerichtig die Verbindung zu Barmen I: …Wo liegen heute jene »Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten« aus Barmens Erster These verborgen, die wir zu Götzen machen? Er fragt und antwortet: „Sind wir wieder in der Situation von vor 1933? Nein, das sind wir nicht! Wir sind in einer ganz anderen Situation. Es droht uns nicht eine ideologische Politisierung der Kirche wie durch die Nazis und die Deutschen Christen damals. Es droht uns aber eine nicht minder gefährliche ideologische Ökonomisierung der Kirchen, wie wir sie auch in anderen Bereichen der Daseinsvorsorge, so z.B. auch an den deutschen Universitäten erleben. Wie kann Kirche „effektiver“ gemacht werden? Wie kann die Zahl der Taufen, Konfirmationen und kirchlichen Amtshandlungen erhöht werden? Wie kann die Kirche auf ihr „Kerngeschäft“ verschlankt werden? Wie kann die „Kirche im Angebot“ attraktiver werden? Der religiöse „Service“ der Kirche an ihren „Kunden“ muss verbessert werden. Damit entmündigt man die aktiven Brüder und Schwestern zu passiven „Kunden“ und macht aus selbstständigen Gemeinden betreutes Leben in den Kirchen.“ 3

Man kann eine solche Position wie die von Jürgen Moltmann also politisch durchaus verstehen. Dennoch: diese Form der Pauschalkritik erscheint uns zu undifferenziert, erfasst nicht die ganze Wirklichkeit und ist damit in gewisser Weise selbst angreifbar. Gerade, wenn es wie hier nicht um die politisch-volkswirtschaftliche Ebene, sondern um die Frage der Organisationsreform der Kirche geht. Und sie enthält nicht die Chuzpe, die vermeintlichen Ökonomen mit den Waffen der Ökonomie selbst zu schlagen. Das haben Sie nun aber mir mit dem Vortragstitel, wenn ich das recht verstehe, aufgetragen. Und daran will ich mich gerne versuchen. Denn nur so können wir zur tieferen Erkenntnis kommen, dass ökonomische Argumente wie am Beispiel einleitend gezeigt bei den sog. Reformprozessen vielleicht nur vorgeschoben sein könnten, es in Wirklichkeit und im Hintergrund aber um etwas anderes, Tiefgreifenderes geht. Dass es mit dem Prozess „Kirche der Freiheit“ nicht nur um einen Reformprozess, sondern um einen veritable Umbauprozess geht. Lassen Sie uns also etwas genauer hinschauen und differenzieren, um am Ende dann doch wieder einen Ansatz zu finden, die vorhandenen positiven, hilfreichen Aspekte der Ökonomie für die Organisationsführung trotz aller negativen Erfahrungen mit den gesellschaftlichen Ökonomisierungsprozessen oder der sog. „Reformprozesse“ wieder schätzen zu lernen. Und der dem Titel des Vortrages inhärente Dialektik zu ihrem Recht zu verhelfen.

Dies geschieht nicht in erster Linie um der intellektuellen Herausforderung des Titels willen. Wir müssen dies tun, weil die empirische Kirche ihren Schatz in irdenen Gefäßen bewahrt. Weil die Kirche als Organisation auch mit professionellen, profanen Instrumenten geleitet und dem Evangelium gemäß gestaltet sein will. Dabei darf ihre Gestalt dem Inhalt nicht widersprechen (Barmen III + IV). Als Organisation muss sie also damit auch auf die Möglichkeiten zurückgreifen, die gute Organisationsgestaltung bereit hält und ermöglicht. Und dazu sagt man in der Regel „Management“. Gutes, richtiges Management, das wäre es, was die Kirche wieder bräuchte. Sie bräuchte es ebenso wie Bereiche der „Wirtschaft“ selbst. Die deren Verlust etwa durch das Eingeständnis von Kulturproblemen teilweise auch selbst thematisiert, wie z.B. die Deutsche Bank.

Vom Reformbedarf des klassischen Kirchenmodells nach Barmen…

Betrachten wir die Geschichte des Reformprozesses in den ev. Kirchen: es ging in den 90igern zunächst um einen Reformprozess nach außen, mit dem die Kirche die Differenzierungsprozesse der Gesellschaft nachvollziehen wollte (vgl. „Person und Institution“, EKHN). Kirche musste aber zum anderen auch innerorganisatorisch einen Reformprozess anstrengen. Die Administration war strukturell (hierarchisch), instrumentell (IT) und personell veraltet. Schon die einfache Datenverarbeitung war mit einer hohen Fehlerquote behaftet (notorisch: einfache Datenreihen wie Meldelisten), die Informationsbasis für Entscheidungen mangelhaft. Wissensmanagement war in den Verwaltungen ein Fremdwort. Wissen bspw. war personell gebunden und nicht für die gesamte Organisation verfügbar. Und Wissen war veraltet. Betriebswirtschaftliches Know-How? Fehlanzeige. Worauf wäre es angekommen? Auf die gezielte, eklektische Übernahme von Instrumenten und Strategien aus dem Wissensgebiet des Managements.

1. Finanzmanagement hätte primär organisiert werden müssen als Management der Kosten und nicht – wie in der Doppik vorherrschend – des Vermögens. Es wäre um die gezielte, richtige Investition gegangen und nicht um das Sparen der in kirchlichen Kreisen zur Galionsfigur aller kirchlichen Finanzpolitik erhobenen schwäbischen Hausfrau. Fehlende Investitionen verbunden mit Personalabbau (Desinvestition) etwa im Bereich der Jugendarbeit kommen denn auch in der jüngsten, 5. KMU (Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung) schmerzlich im Traditionsabbruch zum Ausdruck! Und es mag dem einen oder anderen Finanzdezernenten vielleicht mittlerweile dämmern, dass die zukünftigen Verluste infolge Kirchenaustritten etwa infolge des Traditionsabbruchs deutlich höher sein könnten, als die Verzinsung der in den zurückliegenden Jahren durch ‚Einsparungen‘ beim Personal gebildeten Rücklagen.

2. Es wäre im Personalmanagement um Führendes Dienen gegangen und nicht um die Rückkehr zum Kadavergehorsam. Es wäre um den Schutz des Schatzes der früher üblichen intrinsischen Motivation gegangen und nicht Überlastung und überzogenem Personalabbau. Kommt es, wie die 5. KMU belegt, auf die Pfarrerin und den Pfarrer an, dann muss die/der auch in Reichweite verfügbar sein.

3. Es wäre im Immobilienmanagement um ein Management der Ressourcen und Kosten gegangen und nicht des völlig undifferenzierten Verscherbelns von oft nur vermeintlichen „Lasten“. Mehr dazu inhatlich etwa auf diesem Portal.

Fehler und Defizite des Managements sind also offensichtlich. Es fehlte an der analytischen Kraft, die Fragen der eigenen, individuellen Organisation zu klären und daraus ein individuelles Handlungskonzept für die Kirche zu entwickeln. Stattdessen segelte man im Windschatten der neoliberalen Umbauprozesse anderer Institutionen der Daseinsvorsorge (s.o.). Ohne einige gravierende Unterschiede zu beachten. Wie z.B. den, dass die anderen Institutionen der Daseinsvorsorge als Zwangsmitgliedschaft gestaltet sind. Entkommen nicht möglich. Wo dieser Mitgliedschaftszwang nicht bestand, wie im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und Fernsehen, musste er von der Politik hergestellt werden. In dieser von der Mitgliedermeinung unabhängigen Lage der anderen Institutionen ist aber die Kirche gerade nicht. Allerdings wird das Verhallten der Kirche offensichtlich vielfach genau so erlebt. Vielen Mitgliedern wurde daher die ehemals fremde Heimat zur nichtssagenden und -bietenden Fremde. Wo wir stehen wird anschaulich, wenn auch eine nur geringfügige Irritation, wie etwa in diesem Jahr das Missverständnis um die Kirchensteuer auf Kapitalerträge, bereits zu heftigen Erschütterungen in Form einer Austrittswelle führt (und nebenbei auch zu einer unbekannnt-promten Reaktion des EKD- Finanzdezernenten Begrich in Form einer eigens flugs zur Sache erstellten Broschüre).

Der labile Zustand der Kirche in der Phase neoliberaler Umbauprozesse ist also nicht allein externen gesellschaftlichen Prozessen geschuldet, sondern in erster Linie eigenem falschen Management. Was richtiges Management in der Kirche ist, zeigt sich dann, wenn die Frage nach der Mitte, der Mitte des Denkansatzes, geklärt ist. Wir müssen in der Kirche wissen, woher wir kommen und was unsere Aufgabe ist. Ist die Mitte theologisch ausgefüllt, dann können die passenden und aktuellen, den Stand der Technik abbildenden ökonomischen Instrumente – wie schon immer in der Kirchengeschichte – problemlos angewandt werden. Die Theologie ist dabei Standbein, die Instrumente des Managements sind Spielbein. Ich selbst formulierte dies in meinem Buch „Kirchliches Immobilienmanagement“ im Jahr 2004: „Setzt die Kirche diese Erkenntnis in Managementhandeln um, werden in der freien Wirtschaft übliche… Managementstrategien relativiert, teilweise transformiert. Dies Anderssein der Kirche oder der entsprechenden Managementstrategien, dieses „sich-der-Welt-nicht-gleich-machen“ heißt aber nicht, dass das Handeln deswegen nicht erfolgreich sein könnte. Ganz im Gegenteil“4. Bildet die Theologie die Mitte, dann sind dieser Mitte alle Funktionen der Organisation zuzurechnen, die diese Mitte in und mit ihrer Arbeit oder auch symbolisch repräsentieren (s. Grafik).

Der Leitung und Verwaltung kommt in diesem Modell eine strikt dienende, eine Servicefunktion zu. Ihre zentrale Aufgabe besteht darin, dass die Mitte richtig und ausreichend gefüllt wird: dass Arbeit in möglichst großem Umfang mit ausreichend ausgebildetem und motiviertem (!) dass ausreichend Personal vorhanden ist und unterstützt und gefördert wird. Dieses Managementmodell korrespondiert mit Barmen III (und IV). Dabei ist aus Managementsicht – und übrigens auch aus finanzieller Sicht (s.u.) – unerheblich, ob die Arbeit an der Basis in der Gemeinde oder aber in Diensten (Funktionspfarrstellen etc.) erfolgt. Entscheidend ist, dass das, was dort passiert, beim Adressaten ankommt und – auf welche Weise auch immer – wirkt.5

klassisches Kirchenmodell nach Barmen

Das also wäre das Modell gewesen, nach dem die Kirche nach innen hin hätte reformiert werden müssen. Und zwar auch aus theologischer Sicht wie auch aus Sicht richtigen und guten Managements. Vielversprechende Ansätze dazu waren ab der Jahrtausendwende vorhanden.

… zum Kirchenmodell des EKD-Umbauprozesses „Kirche der Freiheit“

Spätestens seit Mitte der Nuller Jahre ist die Entwicklung der frühen Reformansätze der Kirche gekippt: wie zuvor schon in anderen Institutionen (Bildung, Gesundheitswesen) sollte später auch die Kirche nicht nur eklektisch von der Wirtschaft, vom Management, lernen, sondern vielmehr nach der Struktur von Wirtschaftsunternehmen umgebaut werden. Dieser Prozess war weder theologisch oder gesellschaftlich-soziologisch motiviert, noch war er von einem systemisch-kybernetischen Managementansatz geprägt, der gezielte Schwachstellen und Stärken identifiziert hätte und dazu passgenaue Lösungen entwickelt hätte. Wie sollten das die organisationsunkundigen Berater von außen auch leisten können? Sie hätten es nicht gekonnt, selbst wenn sie es gewollt hätten. Aber darum ging es ja gar nicht. Es ging nicht um die Optimierung der reformbedürftigen Organisation Kirche. Es ging den „Reformern“ vielmehr darum, alle Institutionen der Daseinsvorsorge dieses Landes mit einem Einheitskonzept umzubauen, sie „marktkonform“ zu machen. Wie später dann sogar die Demokratie selbst „marktkonform“ gemacht werden sollte/ wird. Im Zuge dieses vereinheitlichenden Ökonomisierungskonzepts wurden den ehemals demokratisch bottom-up aufgebauten Institutionen mit Top-down-Strukturen übergestülpt; die mittlere Ebene wurde zur zentralen Leitungsebene der Region mit vielen bzw. allen Kompetenzen, die früher die Gemeinden hatten. In der Kirche ging es also nicht mehr um inhaltlich theologisch motivierte verbessernde Reformen eines in der Nachkriegszeit über 50 Jahre bewährten Systems. Sondern es ging um einen Umbau der Kirche nach Mustern der Wirtschaft unter Anleitung von neoliberalen Beraterteams. Das Agenda-Setting wurde mit dem Impulspapier „Kirche der Freiheit“ besorgt. Was dabei herauskam? Ein hierarchisches Modell, bei dem EKD- Gremien als Spitze Entscheidungen treffen, die die Landeskirchen umzusetzen haben. Das konnte jüngst auch anhand des „Erweiterten Solidarpakts“ der EKD- Kirchenkonferenz nachgewiesen werden. Ein Modell bei dem Leitung ihre Dominanz über den personellen Ausbau der Administration stärkt. Ein Modell, bei dem die Mitarbeiter, die die eigentliche Arbeit vor Ort in Verkündigung, Seelsorge, Pädagogik, Musik, etc. leisten, abgebaut und an den Rand gedrängt werden. Sie müssen mit und von dem leben, was in der Mitte der Organisation, also bei Leitung und Administration, an finanziellen und sonstigen Ressourcen übrig bleibt. Der Verwaltungswasserkopf hingegen wird immer stärker aufgebläht. Was bleibt ist ein „Haus der Kirche“, das belegt ist von Regionalverwaltung im EG, der Dekanatsverwaltung im OG und 2 Fachstellen im Souterrrain.

Grafisch kann man das so fassen:

Reformmodell

Hier hat die Kirche ihre Mitte verloren. Sie weiß nicht mehr, was sie eigentlich zusammenhält. Ein fremdes institutionelles Umbaukonzept bildet das neue Zentrum der Kirche. Wie weit weg ist Barmen III, nach dem die Kirche auch „die Gestalt ihrer […] Ordnung“ nicht „ihrem Belieben oder dem Wechsel der jeweils herrschenden weltanschaulichen und politischen Überzeugungen überlassen“ darf.

Fazit: Von der Wirtschaft lernen, heißt siegen lernen. Der mit dem Impulspapier „Kirche der Freiheit“ initiierte Umbauprozess der Kirche propagiert Betriebswirtschaft als Lösung für die Reformprobleme der Kirche. Was sich allerdings hinter diesem Konzept verbarg, war ein marktkonformes Umbaukonzept der Institutionen des Staates. Dies wurde – wie in allen Fällen modifiziert – auch in der Kirche angewandt. Betrachtet man das bis heute sichtbare Ergebnis nach ökonomischen Kriterien, fällt es ausgesprochen schlecht aus. Der finanzielle Aufwand dafür war und ist und bleibt hoch, dabei ist die Wirkung entsprechend der empirischen Studie der 5. KMU negativ. Gemäß dem Rationalprinzip der Ökonomie müssen Resultate aber bei gleichem Mitteleinsatz besser/ höher werden, wenn sie wirtschaftlich genannt werden sollen. Insofern war der Umbauprozess also der Sache nach nicht zu viel, sondern zu wenig ‚ökonomisch‘. Vor allem aber fehlte es am Ansatz guten und richtigen Managements: Reformen der Kirche, die dem Rationalprinzip der Ökonomie standhalten sollen, müssen immer systemisch-kybernetisch angelegt sein. So gilt heute: nach dem Umbauprozess ist vor der Reform. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

 

 

Anmerkungen und Erläuterungen:

Diese beiden o.g. Grafiken sind sehr plakativ und für den einen oder anderen provokativ. Und wie das so ist bei Grafiken und Bildern: sie können die Wirklichkeit natürlich nicht vollständig fassen. Daher hier noch einige ergänzende Charts, die die oben aufgestellten Thesen belegen.

Zur Alternative Gemeindepfarrstellen oder Funktionspfarrstellen aufgrund von Finanzmangel.

Oft wurden Gemeinde- und Funktionspfarrstellen von kirchenleitdender Seite aufgrund angeblicher Finanzknappheit gegeneinander in Stellung gebracht. Dabei ist die Behauptung fehlender Mittel falsch. Und die im kirchlichen Dienst am Menschen arbeitenden sollten sich nicht in eine falsche Frontstellung gegeneinander begeben. Dies lehrt ein Blick in die Jahresrechnung der EKHN, hier am Bsp. des Jahres 2008. Bei einem Haushaltsvolumen von 520 Mio. entfallen auf den Gemeindepfarrdienst ganze 58 Mio. €. Selbst wenn man die Versorgungsleistungen addiert kommt noch nicht einmal auf 15% des Haushaltsvolumens. Quelle: Jahresbericht der EKHN 2008.

Nimmt man Gemeinde- und Funktionspfarrstellen zusammen und rechnet die Kosten, die kirchensteuerfinanziert sind (staatlich finanzierte Stellen werden also nicht berücksichtigt), dann macht ihr Anteil gerade mal ca. 20% vom Haushaltsvolumen aus. Pfarrstellen im Verwaltungsbereich oder Leitung (wie ganze Dekanestellen sind dabei aus Gründen betriebswirtschaftlich klarer Differenzierung nicht berücksichtigt).

Auf diesem Hintergrund wird deutlich, dass die Alternative: Gemeinde- oder Funktionspfarrstellen ziemlich obsolet ist. Die Frage ist berechtigt: was sind denn die anderen 80 Prozent? Zu dieser Frage vgl. die Jahresberichte der EKHN.

Das alles heißt nicht, dass man nun diesen Anteil zementieren müsste, dass nicht auch dort, bei Gemeinde und Funktion Veränderungen nötig wären. Es sind generell Veränderungen erforderlich, die auf eine höhere Wirkung zielen. Nicht nur in Leitung und Administration, sondern auch bei Gemeinde und Funktion. Aber man kann mit Sicherheit davon ausgehen, das

s Gemeinde und Funktion schon heute innerhalb aller Leistungen der Kirche relative zu anderen, etwa der Administration, die höchsten Wirkungen erzielt. Insofern trifft diese Forderung auch Gemeinde und Funktion, aber die anderen Bereiche in deutlich stärkerem Maße. Und man muss ergänzen: man kann höhere Wirkung bei dieser Art von Arbeit nicht per ordre de mufti verordnen oder per Impulspapier erzeugen. Da könnte das Konzept des Führenden Dienens schon deutlich weiter helfen. Wir werden später davon im Vortrag von Dr. Hartmann hören. Ich bin gespannt.

Dies Diagramm zeigt die Entwicklung des Anteils der Gemeindepfarrdienst in der EKHN in einer Statistik von 2000 bis 2012. Als Quelle dienen die Jahresberichte der EKHN. Der Anteil von ca. 15% ist also kein Einzelfall, sondern ab 2004 das Durchschnittsmaß.

Eine Langfristbetrachtung dieser Kennziffer „Anteil Pfarrgehälter am HH-Volumen“ anhand weniger Einzelfälle zeigt am Bsp. Der EKHN eine klare Abwärtstendenz ab Anfang der 80iger Jahre mit damals ca. 33%, im Jahr 2000 bei ca. 23% und heute bei ca. 15%. Wobei es sich dabei nur um die direkten Kosten, also Gehälter und Versorgungsleistungen, handelt. Hintergrund ist, dass die Kirchensteuereinnahmen, gestiegen sind, die Gehälter aber – wie in allen Branchen in Deutschland – ab 2000 mehr oder weniger eingefroren wurden. Das Weihnachtsgeld wurde gestrichen oder durch deutlich geringere andere Zahlungen ersetzt, die Durchstufungen zu höheren Gehaltsstufen wurden gestrichen, teilweise auch die Gehaltsendstufe A 14 auf A 13 abgesenkt (z.B. Hannover). Man beachte, dass zusätzlich eine ganze Reihe von Leistungen, die haushaltstechnisch an anderen Stellen als bei den Gehältern verbucht werden, bei dieser Betrachtung noch nicht berücksichtigt sind. So z.B. die Schönheitsreparaturen, Heizkostenzuschüsse, Weiterbildung etc.). Auch dort gab es bisweilen drastische Einschnitte zu Lasten der Pfarrer. Die PfarrerInnen sind in der Entwicklung seit den 80iger Jahren also auch finanziell vom Zentrum in die Peripherie katapultiert worden.

1Eberhard Cherdron, Martin Schuck, Evangelische Existenz heute; in Dt. Pfarrerblatt 10/2012

4Friedhelm Schneider, Kirchliches Immobilienmanagement, Darmstadt 2004, S.36

5 Achtung: hier darf das Kundenmuster nicht einfach auf die kirchlichen Leistungen übertragen werden

Braunschweigische Landeskirche: starker Mitgliederschwund. Synode fordert neue Gesamtstrategie statt Strukturdebatten.

Goslar (epd). Der Strukturwandel im Braunschweiger Land wirkt sich stark auf die Mitgliederzahlen der braunschweigischen Landeskirche aus. «Die Überalterung und der Einwohnerverlust, insbesondere in den ländlichen Bereichen unserer Region, sind dramatisch», sagte Oberlandeskirchenrat Jörg Mayer am Freitag vor der Synode der evangelischen Landeskirche in Goslar. Von 2010 bis 2013 sei die Kirche im Südosten Niedersachsen um rund 16.000 Mitglieder auf aktuell noch 364.000 geschrumpft.

Besonders die Kirchenaustritte hätten stark zugenommen, hieß es. Allein in den vergangenen zwölf Monaten seien rund 3.500 Menschen aus Gemeinden der Landeskirche ausgetreten. Das seien rund tausend mehr als Vergleichszeitraum davor. Starke Austrittsschübe seien Mayer zufolge im Oktober und im Januar zu verzeichnen gewesen.

Reaktion auf die Entwicklung?

Landessynode fordert neue Gesamtstrategie statt weiterer Strukturdebatten
16.05.2014 Mehr auf Inhalte konzentrieren

Goslar. In einer Generaldebatte zum Lage- und Tätigkeitsbericht des Landeskirchenamtes hat die braunschweigische Landessynode am 16. Mai in Goslar eine neue Orientierung auf die inhaltlichen Ziele der Kirche gefordert. Dr. Wolfgang Hemminger (Braunschweig) forderte eine Gesamtstrategie gegen den kontinuierlichen Mitgliederschwund. Dazu gehöre auch eine Auseinandersetzung mit dem Leitbild Pfarrer. Die Reformbeschlüsse der vergangenen Jahre seien vorwiegend Sparbeschlüsse gewesen, kritisierte er. Jetzt müsse es stärker um einen neuen inhaltlichen Aufbruch gehen. Zur Quelle.

 

Spricht nicht mehr von ‚Reformen‘: Prof. Detlef Pollack spricht jetzt auch von Umbauten hinsichtlich der ‚Reformmaßnahmen‘.

In seinem Votum zur zur fünften EKD Mitgliedschaftsstudie spricht nun auch Prof. Detlef Pollack, Münster, von Umbauten. In früheren Äußerungen war noch in der Sprachregelung der EKD von Reformen die Rede (vgl. Franz-Xaver Kaufmann und Detlef Pollack, Kirchliche Reformbemühungen in soziologischer Perspektive, Ev. Theologie 1/2013, 154.). Prof. Pollack schließt sich damit der Bezeichnung an, die schon vor Jahren von Pfr. Hans-Jürgen Volk eingeführt wurde. F.S.

Prof. Pollack: „Die Soziologie beschreibt gegenwärtige gesellschaftliche Wandlungsprozesse mit Begriffen wie funktionale Differenzierung, Pluralisierung und Individualisierung. Für eine Institution wie die evangelische Kirche, aber auch für andere Institutionen und Organisationen, wie etwa Gewerkschaften, Parteien oder auch Familien gehen von diesen Prozessen erosive Wirkungen aus, die sie zu mannigfachen internen Umbauten zwingen und ihre traditionale Gestalt verändern.“ Der vollständige Text.

EKiR: Der Zug geht in die falsche Richtung – Pfr. Hans- Jürgen Volk

Kommentar zur Landessynode 2014 der EKiR

Von Hans-Jürgen Volk

Seit Mitte Dezember sind die Drucksachen für die Landessynode 2014 der Evangelischen Kirche im Rheinland im Netz öffentlich zugänglich. Nach Lektüre der Dokumente und Beschlussvorlagen insbesondere zu umstrittenen Themen wie NKF, Verwaltungsstrukturreform oder dem verschärften Sparprozess bleibt kaum eine andere Diagnose übrig, als dass der seit 2006 stattfindende Umbauprozess an der rheinischen Landeskirche weitgehend wie geplant fortgesetzt wird. Weiter so wie gehabt! Der Zug bewegt sich in die falsche Richtung, nach der außerordentlichen Landessynode in Hilden mit erhöhter Geschwindigkeit. Anders formuliert: Man hält an der falschen Medikation fest und erhöht die Dosis.

Was läuft falsch?

Typisch für sharholder-value-orientierte Unternehmen ist es, der Steigerung des Unternehmenswerts die Belange von Beschäftigten, Kunden, Gesellschaft oder Umwelt unterzuordnen. Kapitalinteressen haben bei einem derart geführten Konzern faktisch Vorrang, was dazu führen kann, dass selbst bei einer guten Ertragslage Beschäftigte entlassen und Standortverlagerungen vorgenommen werden. Dieser Ansatz wird z.B. vom Managementlehrer und Ökonomen Fredmund Malik hier und hier überzeugend in Frage gestellt – auch im Blick auf einen nachhaltigen Unternehmenserfolg. Fehlentwicklungen der Globalisierung, wie sie Naomi Klein auf eindrückliche Weise in „No Logo“ oder „Die Schock-Strategie“ beschreibt, sind unter anderem auf diese Orientierung am Kapital unter Ausblendung bzw. Vernachlässigung anderer Faktoren zurückzuführen.

Spätestens seit 2006 verfolgt die EKiR – und nicht nur sie, dieser Prozess ging vorrangig von der EKD aus – einen analogen Ansatz. Strategische Entscheidungen werden seitdem dominiert von der Finanzfrage. Einfacher ausgedrückt: Die Evangelische Kirche denkt zunehmend vom Geld her und nicht von den Menschen. Theologie dient als nachgeordnete Dekoration der fiskalisch orientierten Um- und Rückbauprozesse, ist aber nicht mehr handlungsleitend. Hierdurch haben die evangelischen Landeskirchen eine Entwicklung herbeigeführt, bei der zur Absicherung zukünftiger Versorgungs- und Beihilfeansprüche eine enorme Kapitalbildung vorangetrieben wurde bei gleichzeitigem massivem Abbau von Stellen sowie dem Abstoßen von Kirchen und anderen Immobilien. Im Blick auf die Absicherung zukünftiger Pensionen haben die evangelischen Landeskirchen einen Status erreicht, von dem Bund, Länder und Gemeinden nur träumen können und der auch die Anstrengungen der meisten DAX-Konzerne in den Schatten stellt.

Die Sondersynode in Hilden hat den „Shareholder-Value“-Ansatz der EKiR verschärft. Es wurde nahezu ausschließlich fiskalisch argumentiert. Dominiert wurde die Synode von „Finanzexperten“. Stimmen, die die Integrität der Finanzmärkte in Frage gestellt hätten oder die auf die bedrückenden Folgen für die Beschäftigten hinwiesen waren nicht zu vernehmen. Zaghaft aber folgenlos wurde in Hilden darauf hingewiesen, dass der erzeugte Spardruck in Verbindung mit dem Anspruch, diesen inhaltlich und konzeptionell zu gestalten, die Komplexität auf der rheinischen „Reform“-Baustelle noch einmal steigert. Eine Kirchenleitung, die dies als beherrschbar ansieht, muss über ein enormes Selbstvertrauen verfügen! Dass der Beschluss Nr. 7 „Umgang mit der gesamtkirchlichen Verantwortung für die bestehenden Versorgungslasten“ erhebliche zusätzliche finanzielle Belastungen für Kirchenkreise und Gemeinden mit sich bringen wird, wurde kaum beachtet. Etwa 90% der Aufwendungen, um das 70%-Ziel zu erreichen, sollen diese erbringen. Offen ist lediglich der Weg, dies soll eine Arbeitsgruppe erkunden. Es ist bei diesem Sachverhalt naheliegend, dass der Spardruck der landeskirchlichen Ebene wellenartig die Kirchenkreise und Gemeinden erreichen und hier ähnliche Rückbauprozesse erzwingen wird.

Ein falscher Ansatz führt zu fragwürdigen Ergebnissen

Gewiss ist es eine Zuspitzung, die EKiR mit Shareholder-Value orientierten Konzernen zu vergleichen. Dennoch trifft die Analogie den Kern des Problems. Seit 2005/2006 hat sich die EKiR der Herrschaft des Geldes unterworfen. Nicht mehr theologische Entwürfe oder geistliche Impulse sind Ausgangspunkt der Umbaupläne, sondern Finanzgrößen, die überwiegend durch eine unhaltbare und eindimensionale Prognostik generiert werden.

Zwei falsche Grundannahmen bilden dass brüchige Fundament der umfangreichen Papiere zum Thema „Haushaltskonsolidierung“ bzw. „Aufgabenkritik“ (Drucksache 4; Drucksache 5):

  1. Die Finanzkraft der EKiR würde auf Grund der Mitgliederentwicklung um mindestens 1% im Jahr zurückgehen und 2030 nur noch die Hälfte das Jahres 2002 umfassen. Diese Behauptung ist nachweislich falsch, denn sie steht seit Ende der achtziger Jahre im Raum und ist seit 2006 unter der Überschrift „einfache Formel“ nach dem fortbildungsträchtigen Motto „simplify your mind“ in der EKiR kanonisiert worden. Seit 2006 erleben wir jedoch, dass die kirchlichen Einnahmen trotz negativer Mitgliederentwicklung steigen – um deutlich über 20%. Wenn es Einbrüche gab, waren die auf steuerpolitische Maßnahmen und eine ungünstige wirtschaftliche Entwicklung zurückzuführen. Diese langfristig negative Finanzprognose ist Teil der Vorgaben, die auch den Versicherungsmathematikern im Blick auf die Versorgungssicherung gemacht wurden. Ebenso fließt sie ein in die Vorgaben zur Haushaltsplanung, weswegen die Planzahlen notorisch unrealistisch niedrig angesetzt werden – vgl. hierzu den Beitrag „Politik mit Planzahlen“.

  2. Das Projekt „Haushaltskonsolidierung“ basiert nach wie vor auf den überholten Planzahlen für 2013. Hierzu folgende Übersicht (Vgl. hierzu „Finanz- und Haushaltswirtschaft im Jahre 2014“ im Kirchlichen Amtsblatt der EKiR vom 16.12. 2013, S. 269ff):

Planung 2013

Schätzung des erweiterten Finanzausschusses vom 12.09.2013

Planung für 2014

575,4 Mio. € (Verteilbetrag)

593,6 Mio. €

585,8 Mio. €

Das angebliche strukturelle Defizit von 7-8 Mio. € des landeskirchlichen Haushalts ist tatsächlich deutlich geringer. Es ist nicht nachvollziehbar, dass auf der außerordentlichen Landessynode in Hilden keine Neuberechnung auf der Grundlage der aktualisierten Schätzung vorgelegt wurde. Noch weniger nachvollziehbar ist es, dass die überholten Planzahlen für 2013 Basis der Einsparungen sind, die auf der Landessynode 2014 beraten werden. – Dass die Planung für 2014 immer noch niedriger ausfällt als die aktualisierte Schätzung für 2013 mag erstaunen, da alle wirtschaftlichen Indikatoren sowie der Arbeitskreis Steuerschätzung der Bundesregierung von einem weiterhin steigenden Aufkommen auch bei der Lohn- und Einkommenssteuer ausgehen. Hintergrund ist u.a. das Dogma, dass die Kirchensteuereinnahmen auf Grund der Mitgliederentwicklung um mindesten 1% p.a. sinken, was sie natürlich auch 2014 nicht tun werden, jedenfalls nicht auf Grund zurückgehender Mitgliederzahlen. Die Folge dieser fragwürdigen Planungsgrundlagen ist ein erneutes ein Defizit von über 8 Mio. € im Haushalt der Landeskirche der Landeskirche für 2014.

Das Ziel ist offenkundig ein landeskirchlicher Haushalt, der dauerhaft Überschüsse generiert, die der Versorgungssicherung zugeführt werden sollen. Hiermit wird die kapitalgedeckte Absicherung zukünftiger Versorgungs- und Beihilfeansprüche zur „Kernaufgabe“ kirchlichen Handelns, dem alle anderen Gesichtspunkte unterzuordnen sind.

Diese Fiskalisierung des Denkens, die entsprechende Prioritätensetzungen nach sich zieht, dominiert die meisten Vorlagen an die Landessynode. Bereits im vergangenen Jahr beschloss die Kirchenleitung, das „Haus der Begegnung“ in Bonn-Bad Godesberg sowie das Internat in Hilden aufzugeben – aus wirtschaftlichen Gründen. Andere Gesichtspunkte wie z.B. die Qualität der dort geleisteten Arbeit waren dem nachgeordnet. Südrheinische Kirchenkreise müssten bei Umsetzung der Planung zum Thema „Tagungshäuser“ eigentlich die landeskirchliche Umlage reduzieren, da diese sich in Zukunft im Raum Düsseldorf – Wuppertal konzentrieren werden. Wirft man einen Blick auf die Drucksache 4 Aufgabenkritik Anlage Materialsammlung, dann wird deutlich, dass tatsächlich die vorgegebenen Sparziele handlungsleitend waren und inhaltlich-konzeptionelle Überlegungen bestenfalls Korrekturen im Detail bewirkt haben.

Die Ergebnisse der Priorisierung der Versorgungsproblematik als der aus KL-Sicht offenbar entscheidenden Zukunftsfrage der EKiR sind folgende:

  • Nochmalige Erhöhung der Komplexität des Umbauprozesses mit unabsehbaren Folgen

  • Demotivierung der Beschäftigten – Alleine die beiden Statements „betriebsbedingte Kündigungen sind nicht ausgeschlossen“, „Alles kommet auf den Prüfstand“ hat zu einer Verunsicherung der Beschäftigten von der Reinigungskraft bis zur Akademiedirektorin geführt. Eine Folge wird sein, dass jetzt intensiv Stellenanzeigen studiert und Bewerbungen geschrieben werden. Nur ein Hinweis: der Verlust von qualifizierten Beschäftigten ist auch ein materieller Schaden. Ebenso ist es auch wirtschaftlich schädlich, wenn Beschäftigte in die innere Kündigung getrieben werden.

  • Weiterer Verlust an kirchlicher Bindungskraft – der tritt unausweichlich ein, wenn die Bedürfnisse, Erwartungen und Nöte der Menschen im Verantwortungsbereich der Kirche als nachgeordnet gegenüber zukünftigen Versorgungs- und Beihilfeansprüchen behandelt werden. Auch und gerade kirchlich engagierte Menschen werden innerlich die Stirne runzeln, wenn sie spitz kriegen, dass ein wachsender Teil ihrer Kirchensteuern – im Augenblick sind es etwa 25% – den Finanzmärkten anvertraut wird bei gleichzeitigem Abbau von Stellen und der Preisgabe von Gemeindezentren und Kirchen.

  • Faktischer Abschied von dem Leitbild der Dienstgemeinschaft – diese wird massiv beschädigt, wenn zugunsten von Beschäftigten im öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis, die maximal 10% aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausmachen, eine Kapitalbildung in einem Ausmaß vorangetrieben wird, dass es zu Entlassungen von zumeist privatrechtlich Angestellten kommt.

Wie wenig von den Menschen her gedacht und entschieden wird, macht folgender Tatbestand deutlich: Vor gut einem Jahr wurde die bbz-GmbH Bad Dürkheim mit Rücklagenmitteln der Landeskirche in einem Umfang von deutlich über 20 Mio. € stabilisiert. Begründet wurde dies u.a. damit, die Arbeitsplätze der etwa 60 dort Beschäftigten zu sichern. Sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der verfassten Kirche weniger wert als die Beschäftigten der bbz-GmbH? Diese Frage drängt sich auf!

Das „Kleinersetzen“ wird schweineteuer!

Irgendwie steht die EKiR auf Kriegsfuß mit ihren Immobilien. Das „Haus der Begegnung“ soll u.a. deshalb aufgegeben werden, weil es sich gut verkaufen lässt. Kein Wunder, nach der Aufgabe der Akademie in Mühlheim hat man vor etlichen Jahren ordentlich investiert, um dort PTI und Akademie gemeinsam unterzubringen. Derweil rottete die Liegenschaft in Mühlheim vor sich hin. Nun nach wenigen Jahren trennt man sich erneut von einer werthaltigen Immobilie und setzt die Beschäftigten einmal mehr Anpassungsdruck aus oder entlässt sie.

Die EKiR selbst ist vergleichbar mit einem liebenswerten Altbau mit zahlreichen Einzelgebäuden. Das „Kleinersetzen“ wurde bereits 2006 forciert angegangen, als man sich der Einschätzung hingab, die Zeiten steigender Kirchensteuereinnahmen seien ein für allemal vorbei, was sich bereits wenig später als irrig erwies. Neue Pfarrstellenverteilungsrichtlinien, NKF, Verwaltungsstrukturreform oder Neuordnung der Rechnungsprüfung wurden dezidiert mit dem Vorsatz vorangetrieben, dauerhaft Kosten zu senken. Doch wie das bei älteren Gebäuden so ist, es gibt immer wieder Überraschungen, die sich vor allem dann als Kostentreiber erweisen, wenn die Bauleitung den Überblick verliert weil z.B. zu viele Gewerke auf einmal angegangen werden.

Managementfehler haben die rheinische Kirche beim Thema NKF sowie bei der bbz-Affäre an die 45 Mio. € gekostet. Als Kostentreiber erweist sich schon jetzt die Verwaltungsstrukturreform.

Interessant sind in diesem Zusammenhang die Anträge zahlreicher Kreissynoden. Gegen die Doppelung von Substanzerhaltungspauschale und Abschreibung wenden sich u.a. die Kreissynoden der Kirchenkreise Düsseldorf und Obere Nahe. Der Kirchenkreis Kleve hat sich intensiv mit dem Verwaltungsstrukturgesetz befasst und fordert u.a. eine Deckelung bei den Verwaltungskosten. Hiermit stößt er bei der Kirchenleitung auf wenig Gegenliebe (vgl. Drucksache 28), die empfiehlt, die Anträge dieses Kirchenkreises abzulehnen. Der Kirchenkreis an Rhein und Sieg fordert eine Evaluation der Rechnungsprüfungsreform unter Kostengesichtspunkten und regt eine zentrale Rechnungsprüfung für die Landeskirche an. Zahlreiche Anträge wenden sich gegen einzelne Sparmaßnahmen wie z.B. die Schließung der Büchereifachstelle.

Die Abwehrreflexe funktionieren wie in der Vergangenheit. Anträge, die eine substanzielle Änderung bedeuten würden, werden entweder gleich abgelehnt oder sollen an die KL überwiesen werden. Aus verschiedenen Dokumenten wie z.B. dem Bericht der Kirchenleitung geht hervor, dass die Dinge bei NKF oder der Verwaltungsstrukturreform im Wesentlichen in Richtung Mehrkosten treiben lassen will und auch im Blick auf SEP und AfA lediglich bei historischen Kirchengebäuden Korrekturen vorsieht.

Das System der „kollegialen Leitung“, das spätesten bei dem bbz-Finanzskandal seine strukturellen Mängel offenbarte, schottet sich wie gehabt gegenüber Veränderungen ab und erweist sich als kaum lernfähig. Es ist unfähig, die Komplexität der EKiR angemessen wahrzunehmen und Veränderungen herbeizuführen, die eine konstruktive und stabile Entwicklung der kirchlichen Arbeit ermöglichen.

Die Folgen sind:

  • Drastische Einschnitte gibt es bei der Arbeit mit Menschen.

  • Immer teurer wird die Verwaltung, die zudem immer mehr personelle Ressourcen bindet.

  • Finanzmittel in immer größerem Umfang werden der laufenden Arbeit entzogen, um damit Kapital zu bilden.

Die Arbeit mit Menschen in den klassischen Arbeitsgebieten von Verkündigung, Seelsorge, Bildung und Diakonie wird also von zwei Seiten in die Zange genommen. Nur hier wird gespart, und zwar so drastisch, dass vor allem in strukturschwachen Regionen die Funktionalität ernsthaft gefährdet ist.

Auf dem Weg in die Wüste mit schwerem Gepäck

Es mag ja auf den ersten Blick durchaus sympathisch sein, das Gundlachsche Bild von der Wüstenwanderung, wobei dieser wohl vor allem die Situation in den östlichen Gliedkirchen der EKD vor Augen haben dürfte. Von Rekowski aufgegriffen wirkt es auf die Situation der EKiR übertragen schräg bis unpassend.

Das schwere Gepäck, das der EKiR bereits in den Randgebieten der Wüste die Luft zum Atmen nimmt, ist

  1. eine immer größere Regulierungsdichte – seit 1988 bin ich Pfarrer und seit dieser Zeit hat sich der Umfang der Rechtsammlung mehr als verdoppelt. Der kirchenleitende Drang zur Regulierung und Vorschrift ist zwingend einer der Gründe für den auf lange Sicht exponentiell wachsenden Verwaltungsaufbau als Macht- und Kontrollinstrument – die Mechanismen legt Paul Kirchhoff in seinem Buch „Das Gesetz der Hydra“ glänzend dar (, wobei ich persönlich seinen steuer- und sozialpolitischen Ansichten mit großer Skepsis begegne).

  2. die besondere Staatsnähe samt öffentlichem Dienstrecht für einzelne Berufsgruppen und dem Kirchensteuereinzugsverfahren durch staatliche Institutionen.

Immobilien, sind in diesem Zusammenhang noch das geringste Problem, zumal diese vor allem auf Grund der unsinnigen Doppelung von SEP und AfA bedrückend wirken.

Im Bericht der Höppner-Kommission steht auf S. 10: „Daher ist die Bindung an Schrift und Bekenntnis und hier vor allem an die Theologische Erklärung von Barmen (Ko Grundartikel I) auch für die Art und Weise ihres wirtschaftlichen Handelns maßgebend.“ „Geld ist also nicht nur ein Mittel, um den Verkündigungsauftrag zu erfüllen. Die Art, wie die Kirche mit ihrem Geld umgeht, ist selbst ein Teil glaubwürdiger Verkündigung – Wort und Tat müssen im Einklang miteinander stehen. Hier hat sich die Parallelität von christlicher Botschaft und kirchlichem Handeln zu bewähren. Es geht um die Glaubwürdigkeit von Kirche nicht nur nach innen, sondern insbesondere auch im öffentlichen Raum.“ – Die Höppner-Kommission hat auf der Landessynode der EKiR im Januar 2013 wegweisende Orientierungen gegeben. Was ist das für eine „Verkündigung“, wenn eine Kirche auf der Grundlage einer unseriösen Finanzprognostik massive Einsparungen durchführt, Arbeitsplätze abbaut und Einrichtung dicht macht um in erhöhtem Ausmaß Kapital zu akkumulieren? Auch angelegtes Kapital ist Ballast, vermutlich der problematischste, da er die Abhängigkeit von der Unberechenbarkeit des aktuellen Finanzkapitalismus verstärkt. Es ist ein Weg mit schwerem Gepäck durch die Wüste mit dem Ziel Ägypten.

Was ist zu tun?

Es ist eine absurde Situation: nahezu zeitgleich mit den Beschlüssen der KL, das Internat in Hilden zu schließen, sich vom „Haus der Begegnung“ in Bad Godesberg zu trennen und der Sparsynode in Hilden stocken mehrere Kirchenkreise ihre Verwaltungen auf – aus purer Not und auf Grund von Vorgaben, die Kirchenleitung und Landessynode gemacht haben. Kann man da noch mittun und wenn es auch in der Absicht ist, NKF auf möglichst pragmatische Weise umzusetzen, die Verwaltungsstrukturreform so erträglich wie möglich zu gestalten und das Schlimmste zu verhindern bei der angekündigten Beteiligung von Gemeinden und Kirchenkreisen im Blick auf die Kapitalbildung zugunsten von zukünftig auszuzahlenden Pensionen? Ich habe mich für ein „Nein“ entschieden, weil der Umgang mit Geld, den Kirchenleitung und Landessynode für nötig halten, meiner sozialethischen Orientierung als Christ zutiefst widerspricht. Geld hat in der EKiR spätestens seit 2006 keine dienende Funktion mehr, sondern es ist mehr und mehr zum Herrscher und Regenten geworden, den es nach Opfern verlangt. Dies ist zunächst ein persönliches Bekenntnis, das ich niemand aufdrängen möchte.

Auch gilt es, die Landessynode abzuwarten. Überraschungen, manchmal auch positiver Art, kann es immer geben. Ein Hoffnungszeichen ist das eindrucksvolle Papier (Drucksache 18), das die Projektgruppe „Globalisierung“ vorgelegt hat. Stark ist vor allem der ab S. 34 vorgelegte Text „Auf dem Weg zu einem Leben in Fülle“. Es tut wohl, dass es in der rheinischen Kirche noch Frauen und Männer gibt, die so denken, formulieren und hoffentlich auch handeln. Man fragt sich nur: wo waren die Autorinnen und Autoren dieses Papiers in Hilden? Oder nimmt man den schmerzlichen Widerspruch nicht wahr zwischen diesem Dokument und den insgesamt aus „Wirtschaften für das Leben“ gewonnen Einsichten und der eigenen Kirche, die vom Geld her denkt und handelt?

Jetzt allerdings kann man schon sagen: Niemand, keine Einzelperson und kein Leitungsgremium kann genötigt werden, Beschlüsse umzusetzen, die man als unsinnig und sogar als schädlich für den eigenen Verantwortungsbereich empfindet. Hier geht es um geduldiges Widerstehen, das möglicherweise bald einen festen organisatorischen Rahmen braucht.