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Thies Gundlach meint: Die akademische Theologie verstolpert das Reformationsjubiläum

„Aus der zuständigen wissenschaftlichen Theologie kommt weithin ein kontinuierlicher Ton der Missbilligung, der die Gestaltung des Reformationsjubiläums 2017 durch Kirchen und Gesellschaft als Verrat an historischer Exaktheit und theologischer Verantwortung erkennen zu müssen meint.“

03/2017, zeitzeichen

Statt sich den Chancen und Herausforderungen zu stellen, sitzt ein Großteil der deutschen akademischen Theologie in der Schmollecke und hat sich von der konstruktiven Diskussion um das Reformationsjubiläums 2017 abgemeldet, meint Thies Gundlach, Vizepräsident im Kirchenamt der EKD…

…ber gesagt werden soll auch: In aller Regel haben sich viele relevante theologische Wissenschaftler aus der konstruktiven Diskussion um das Jubiläum abgemeldet, weil sie bei der Kritik an Details stehengeblieben sind. Es gibt einen Ausfall perspektivischer Theologie im Blick auf eine konstruktive Interpretation der kirchlichen und gesellschaftlichen Gestaltung des Reformationsjubiläums. Es herrscht eine Art grummelige Meckerstimmung gegenüber allen Aktivitäten der EKD und ihrer Gliedkirchen und eine Art besserwisserische Ignoranz gegenüber den Anliegen von Bund, Ländern und Zivilgesellschaft. Es scheint fünfhundert Jahre nach der Thesenveröffentlichung ein tragender Gedanke zu fehlen, eine weiterführende Idee und eine konstruktive Interpretation des Ereignisses. Aktualisierungsversuche werden in aller Regel als unsachgemäß kritisiert…. Mehr dazu.

Ist Luther nur etwas für die Deutsche Bahn? Anworten der von Thies Gundlach angegriffenen Theologen in der Welt.

Von Matthias Kamann | Veröffentlicht am 03.03.2017 |

Weiter beklagt Kaufmann, die EKD habe die akademischen Theologen bei der Jubiläumsvorbereitung in einem „praktisch handlungsunfähigen“ wissenschaftlichen Beirat „düpieren und kaltstellen“ wollen. Und was Gundlachs Kritik am Beharren der Theologen auf historischer Exaktheit betrifft, so kontert Kaufmann: „Offenbar ist es Ihnen noch immer nicht vorstellbar, dass man sich zu einem Phänomen wie der Reformation im Horizont gegenwartsverantworteter Theologie nicht anders als differenziert äußern kann und muss.“…

Zum Artikel.

„Qualität muss immer wieder neu überprüft werden“. Zehn Jahre nach der Veröffentlichung von „Kirche der Freiheit“ zieht EKD-Vizepräsident Gundlach Bilanz.

07/2016

10 Jahre Impulspapier „Kirche der Freiheit“. Aus diesem Anlass melden sich derzeit immer wieder frühere Verfechter oder Opponenten wie Prof. Isolde Karle zu Wort. Auch Thies Gundlach hatte sich in anderem Rahmen schon deutlicher ausgedrückt, als im folgenden Interview :

Die EKD hatte sich „Wachsen gegen den Trend“ zum Ziel gesetzt. In welchen Punkten ist das geschafft worden?
Gundlach: …Das alles kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass gültig bleibt: Wir werden kleiner, ärmer und älter.

…Im Papier „Kirche der Freiheit“ wurden daher wie in einem Unternehmen Zielgrößen beziffert – etwa wachsender Gottesdienstbesuch oder eine Taufquote. …
Gundlach: Gottes Geist weht, wann und wo er will! Glaube lässt sich nicht erzwingen und auch nicht überprüfen. Insofern sagt genau genommen auch ein guter Gottesdienstbesuch wenig über den rechten Glauben aus…
In Ihrer Abteilung im EKD-Kirchenamt war ein Reformbüro installiert worden. Ihre Mitarbeitenden kümmern sich jetzt aber vor allem um die Vorbereitung des Reformationsjubiläums. Ist die weitere Umsetzung der Reformziele für die EKD kein Thema mehr?…  Mehr dazu.

Tour d’Horizon der Fragen und Probleme, mit denen Pfarrrvereine im Umbauprozess der Kirche beschäftigt sind I: Von Corinna Hektor, Vorsitzende des Pfarrer- und Pfarrerinnenvereins Bayern

„Um Aufgaben und Sachen. Leidenschaftlich.“

Vorstandsbericht für die Frühjahrstagung des Pfarrer- und Pfarrerinnenvereins am 25. und 26.
April 2016 in Rothenburg o.d. Tauber im Korrespondenzblatt 6/7 2016

Von der Vielzahl der angeschnittenen Themen stellen wir einige besonders heraus, hier:

Impulspapier „Kirche der Freiheit“

Kirche der Freiheit?! Es war scheinbar der große Wurf – gelandet ist das Unternehmen eher unsanft. … Trotzdem liest Thies Gundlach die Mitgliedschaftsstudie als Bestätigung:…

Seine These zur Kommunikation ist folgerichtig »Die Kirche ist Repräsentantin religiöser Themen, nicht aber Partnerin der religiösen Kommunikation der Themen.« Verkündigung ist nicht mehr Thema. Das degradiert die Kirche zur »religiösen(!) Nachrichtenagentur«. Die direkte Kommunikation in Gottesdiensten, Bibelkreisen, Konfirmandenunterricht oder bei Besuchen bleibt naturgemäß unerwähnt und scheint nicht mehr relevant. In einer solchen Kirche will ich nicht Pfarrerin sein…

vgl. S. 88,89

Pfarrverband

Auch im Verband stellt sich die Frage nach einer sinnvollen Ausstattung der Arbeit. Leider ist die EKD nicht bereit, sich daran zu beteiligen. Und die aktuelle Freistellung durch die Landeskirche läuft 2017 aus. So sind wir intern dabei darüber zu verhandeln, ob und wie wir wenigstens vorübergehend aus eigenen Mitteln eine Stelle finanzieren. Wir als Verband – alle Vereine. In Euro und Cent sind das aktuell ca. 1.- € pro Mitglied und Monat. Damit wäre die Arbeit des Vorsitzenden gesichert. Das sollte es uns wert sein!  vgl. S. 94

Benachteiligung der Pfarrvertretungen gegenüber anderen in ELK Bayern

Haben wir doch? Na ja — für 3.500 Kolleglnnen, davon 2.500 im aktiven Dienst haben wir seit 1990 faktisch 1,5 Freistellungen. Die MAV im LKA hat für über 300 und unter 600 Mitarbeitende 1,0 Freistellung. Wären wir eine MAV, hätten wir 4,5 — davon 1 für die Ruheständler. Für einen Personalrat wäre das übrigens analog. Dazu kämen 12,5 % Freistellung für alle Mitglieder der Pfarrerkommission und anteilig Freistellung für die Arbeit in den Gremien auf EKD- und velkd-Ebene. Nachdem diese Maßstäbe richtig sind und sich offenbar bewährt haben, sollte die Kirche sie auch auf die Pfarrvertretung anwenden. … vgl. S. 86

Erfolge des Vereins

Vieles ist gelungen in der langen Zeit. In den letzten Jahren: Sicherstellen, dass alle Geeigneten übernommen werden mit »Pfarrer helfen Pfarren«, politischem Einsatz und der Abwendung einer Einstellungsliste, die Neuberechnung der steuerrelavanten Mietwerte; und nicht zuletzt die vielen kleinen und größeren Gesetzesvorhaben, an denen wir zu bessern versucht haben, was nötig und möglich war. Immer mit Elan und Sachkenntnis, manchmal durchschlagend, aber nicht immer erfolgreich — leider…

vgl. S. 86

Eine Menge steht gerade an: Urlaubsverordnung ändern, privatrechtliche Dienstverhältnisse aus der doppelten Benachteiligung bringen, nach der Begleitung des Pfarrbildprozesses ein Auge auf die versprochenen »Hausaufgaben« der Landeskirche haben, Examensreform, Versorgungsausschuss, Assistenz im Pfarramt, Verwaltungsreform, Gemischter Ausschuss, Visitationsordnung… Die Liste ist lang — und noch gar nicht vollständig. vgl. S. 86

Den Weg der Reorganisation positiv gestalten. Eröffnung der 2. Fachtagung der Land-Kirchen-Konferenz. Von Thies Gundlach

33/2016 wort-meldungen, Vortrag von 2015

a) Einmal der rein organisatorische Umbau. Ihm zugrunde liegt das Ziel, die Finanzen besser aufzustellen, die Organisationsabläufe effektiver zu gestalten, die vielen Hierachieebenen und teuren Overheadkosten abzubauen. So wichtig und unerlässlich diese Umbauten auch weiterhin sind, wir müssen uns eingestehen, dass die Verheißungen des Umbauens in aller Regel nicht so erreicht werden wie gedacht. Denn zum einen kostet das Umbauen viel Kraft, und zum anderen sind die Einsparergebnisse durchaus überschaubar und jedenfalls nicht geeignet, Plausibilität gerade für die Skeptiker der Fusion zu schaffen. Darüber hinaus verbindet sich damit oft eine Arbeitsverdichtung…

Allerdings wird man auch hier nüchtern bleiben müssen: Denn die Erfolge missionarischer Arbeit sind – ich spreche vorsichtig – recht überschaubar. Trotz aller Bemühungen erreichen wir letztlich nur wenige neue Mitglieder. Das hat sicher damit zu tun, dass wir nun einmal in einer schwierigen Phase der Gottesvergessenheit und Glaubenserschöpfung leben. Das in »Kirche der Freiheit« festgestellte religiöse Interesse hat nicht – wie damals erhofft – zu einer Wiederkehr der Religion geführt. Das Wachsen gegen den Trend ist ausgeblieben. … Zum Vortrag von Thies Gundlach, vgl. S. 57,58.

Neue Fehlsteuerung, teurer Sparkurs, gefloppte Kirchensteuer auf Kapitalerträge. Ein Kommentar zur Ruhestandsversetzung des EKD- Finanzdezernenten Thomas Begrich von Friedhelm Schneider.

03/2016
Schon 2013 verließ Oberkirchenrat Thorsten Latzel , Leiter des Projektbüros Reformprozess im Kirchenamt der EKD seinen Posten und übernahm die Stelle des Akademiedirektors der Ev. Akademie Frankfurt.  Bald gab es in der EKD innerhäusig kritische Bemerkungen. Diese wurde immer deutlicher und klarer. Im letzten Jahr etwa ließ Thies Gundlach zum Reformprozess wissen: „Denn zum einen kostet das Umbauen viel Kraft,  und zum anderen sind die Einsparergebnisse durchaus überschaubar und jedenfalls nicht geeignet, Plausibilität gerade für
die Skeptiker der Fusion zu schaffen.  Darüber hinaus verbindet sich damit oft eine Arbeitsverdichtung“.  Kurz die Reformen führen zu innerkirchlichem Kräfteverschleiß und Mehrbelastung des Personals ohne nennenswerte Einsparergebnisse. Damit schließt sich Thies Gundlach inhaltlich der  im Wormser Wort geäußerten Kritik an den sog. Kirchenreformen an.

Auf diesem Hintergrund liest sich die Pressemeldung zur Ruhestandsversetzung von Thomas Begrich als zwar verklausulierte, aber letztlich doch unverhohlene Kritik: „In seiner Zeit bei der EKD hat er maßgeblich am Reformprozess der EKD mitgewirkt“. Wenn dann noch diese ganze Reformphase vom Ratsvorsitzenden als Ära Begrich betitelt wird,  dann wird schon etwas vom Einfluss eines Mannes in der EKD- Zentrale sichtbar, den viele noch nicht einmal mit Namen kennen. Doch soll wohl weniger eine einzige Person für die wenig schmeichelhaften Resulate dieser eineinhalb Jahrzehnte stark ideologisch gefärbter EKD- Kirchenleitung verantwortlich gemacht werden, als vielmehr ein Schlusspunkt gesetzt werden. Eine neue, eine Postreformepoche kann und soll mit dem  Ausscheiden von Thomas Begrich beginnen. Der in der DDR sozialisierte und gelernte Diplom-Betriebsökonom bekleidete den Posten des EKD Finanzdzernenten von 2003-2016. Bis 2003 war er Finanzdezernent der Kirchenprovinz Sachsen und zu DDR-Zeiten Finanzchef eines Krankenhauses in Sachsen-Anhalt.

Was assoziiert man mit der „Ära Begrich“ und warum muss sie so schnell wie möglich beendet werden? Man assoziiert: 1. die Ersetzung von richtigem Management durch Langfristprognosen als argumentative Basis der Notwendigkeit eines tiefgreifenden Umbauprozesses der Kirche, 2. die Einführung der kaufmännischen Buchführung in der Kirche, 3. die Sparpolitik und 4. der jüngste Flopp mit der Kirchensteuer auf Kapitalerträge. Der Reihe nach:

1. Ich erinnere mich lebhaft an den Vortrag von Thomas Begrich auf einer Tagung der Ev. Akademie Bad Boll im  Jahr 2008. Das zentrale Chart zeigte die Entwicklung der kirchlichen Finanzen im Jahr 2030. Unterstellt war die Fortsetzung der kirchlichen Arbeit im damals vorhandenen Umfang unter Berücksichtigung einer Verschlechterung der Einnahmesituation (Kirchensteuerrückgang). Das Ergebnis: zu diesem zukünftigen Zeitpunkt hätten die Mittel gerade noch für die Pfarrgehälter gereicht. Also: keine Mittel mehr für Verwaltung, für… Fazit: undenkbar! Da musste gegengesteuert werden, und zwar heute! Das Auditorium, ca. 200 Personen mit Positionen in den kirchlichen Finanzabteilungen lauschten andächtig. Ein Vortrag, den nicht nur diesen Auditorium zu hören bekam. Ich selbst sah die Präsentation nahezu unverändert im Jahr 2011 noch einmal auf einer Tagung des Reformzirkels „Netzwerk Kirchenreform“ in Wiesbaden. Der Inhalt war leicht eingängig. Und viele, viele, beteten die Botschaft bei allen möglichen oder unmöglichen Gelegenheiten nach.  Das also war die Welt und Botschaft des Thomas Begrich, die man in der EKiR ganz ernsthaft, aber treffend „einfache Formel“ taufte.  Sinn  und Zweck liegen auf der Hand: der so erzeugte Krisenalarm war Legitimation und argumentative Grundlage eines bis dato einzigartigen innerkirchlich angestoßenen Abbau- und Umbauprozesses.

2. Beschluss zur Einführung der kaufmännischen Buchführung (Doppik/NKF) 2005. Wo die Implementierung der Doppik schon stattgefunden hat, absorbierte dies alle vorhandenen Kräfte der Verwaltungen, und zwar über Jahre. So wurde die Doppik zum Musterbeispel für kirchliche Selbstbeschäftigung. Ehrenamtliche verweigerten die Mitarbeit oder schieden aus.  Gesteigert wurde die Schwierigkeit der Aufgabe, als damit auch die Umstellung der – in der Regel zuvor nicht für den eigenen Bedarf getestete – IT verbunden war. Anstelle einer EKD- weiten Harmonisierung, kochte jede Landeskirche auch noch ihr eigenes Süppchen. In Bayern bspw. wurde die gekoppelte Doppik und SAP- Einführung daher von einem Synodalen als Jahrhundertprojekt bezeichnet, von Mitarbeitern im LKA hingegen stand SAP für „Search And Pray“.  Die EKiR hatte über Jahre keine Jahresabschlüsse, war also letztlich durch einen finanziellen Blindflug gelähmt.

Was kann die Doppik für die Steuerung der Kirche leisten?  Die für das Management entscheidenden Indikatoren wie etwa die Mitgliederbindung werden damit jedenfalls ebenso wenig erfasst wie etwa die Motivation der Mitarbeiter, namentlich der Pfarrerschaft. Was hingegen neu dargestellt wird, ist das finanzielle Vermögen der Kirche. Freilich ist das eine Information, die einen großen Bewertungsspielraum lässt und von daher für die präzise Steuerung kaum tauglich ist.  Zum anderen handelt es sich um Angaben,  mit deren Darstellung die Kirche eigentlich nur verlieren kann. Denn die kirchennahen Mitglieder werden durch diese Angabe, die monetäre Bewertung primär geistlicher Größen (!), irritiert.  Und unter den Distanzierten wird die Kirche den einen zu reich, den anderen aber zu arm sein ( bzw. besser: sich darstellen ). Ergebnis also: man schafft Angriffsflächen. Und das völlig ohne Not. Obwohl es ja schon genug andere Angriffsflächen gibt. Und das Lieblingsargument der Befürworter, die Darstellung des Ressourcenverbrauchs, ist so richtig wie falsch zugleich. Denn selbstverständlich war der Administration das Thema auch vorher schon bekannt. Man war sogar so intelligent, dass man richtige Lösungen nicht nur entwickelte, sondern – weil nur administratives, dienendes Handeln –  daraus noch nicht einmal großes Aufhebens machte. Bsp: Pensionen, Bsp. EKHN. Dort  hatte man das Problem (mit Kameralistik) für die damalige Zeit, im letzten Viertel es letzten Jahrhunderts, nachgerade genial gelöst. Etwa mit der Finanzierung erheblicher Anteile über die BfA, also beitrags- und nicht kapitalorientiert. Warum werden also nicht solche Mitarbeiter geehrt, die aus Managementsicht für die damalige Zeit wirklich glanzvollen Leistungen erbracht und so der geistlichen Leitung der Rücken frei gehalten haben? Man muss nach ihnen keine Ära benennen, aber ihnen die Ehre für ihre Leistung zollen. Die betroffenen Personen, hier der ehemalige OKR Tempel, eine Person frei von jeglichem Narzissmus, würde man auf diese Weise zurecht nach völlig absurder Verunglimpfung durch die „Reformer“ rehablitieren. Das lief in den meisten Landeskirchen gut.  Anders verhielt es sich bei den Bauämtern. Dort war das Management durchaus und durch die Bank verbesserungsbedürftig: Man stattete sie in guten Zeiten einfach so satt mit Finanzmitteln aus, dass nichts anbrennen konnte. Auf Dauer war das nicht zu halten, weswegen es einer präzisen Kostensteuerung bedurft hätte, eines Kirchlichen Immobilienmanagements. Gerade Letzters, eine präzise Kostensteuerung und präzise Ressourcenverbrauchswerte lieferte die Doppik mit pauschalen Abschreibungswerten nun aber gerade nicht.
Dass diese Abschreibungen auf Gebäudewerte zu guter letzt noch dazu verwendet wurden, um Gemeinden oftmals unbegründet arm zu rechnen und damit zu Fusionen zu zwingen, das war denn die letzte Volte in einem zuvor schon unsäglichen Spiel. Den Umbau-Protagonisten hat all das an der Basis wenig Freunde gemacht.

Man wird bei alledem fragen müssen, ob Thomas Begrich die äußerst spärlichen Resultate der Doppik für die Steuerung der Kirchen, den Aufwand der Maßnahme der Implementierung, die Kompetenzen in den landeskirchlichen Verwaltungen und – last not least – die Kosten (!) überschaut und berücksichtigt hat. Und diese in ein Verhältnis zum tatsächlichen Nutzen der Organisation gesetzt hat. Ich denke: bei einer solcherart ganzheitlichen Sicht wäre das Projekt Doppik  in der Kirche schon in der Brainstorming-Phase erledigt gewesen.

3. Die Leitfigur des Finanzdezernenten war indes die Schwäbische Hausfrau.  In seine Zeit fallen umfassende Sparmaßnahmen der Landeskirchen, die größere Abbauprozesse wie Personalabbau, Gemeindeabbau etc. zur Folge hatte.  Die Frage, ob dabei das vorgegebene und verfolgte Ziel höherer Wirtschaftlichkeit etwa im Falle von Fusionen überhaupt erreicht wurde oder je zu erreichen sein wird. Selbst von der EKD- Zentrale wird dies heute offen bezweifelt (s.o.). Evaluationen zu solchen Sparprogrammen gibt es nicht. Und das hat seinen Grund.

Nun wird Thomas Begrich einwenden, das Sparprogramm habe ja dazu gedient, die Rücklagen für die Pensionen aufzustocken. Und in fernen Zeiten würden  es die Ruheständler schon merken, dass er mit seiner Schwäbischen-Hausfrauen-Finanzpolitik recht gehabt hätte. Auf eine solche Argumentation muss man aber nicht hereinfallen. Andersrum wird nämlich ein Schuh draus: Die Versäumnisse an der jungen Generation, die dort den Entfremdungsprozess von der Kirche fortsetzten, wird den zukünftigen Finanzdezerneten durch fehlende Kirchensteuereinnahmen auf die Füße fallen. Gerade die Jugend wurde der Kirche stark entfremdet, u.a. weil man die Angebote hier besonders rigoros gestrichen hat. Man  brauchte das Geld ja angeblich für die Verwaltung, die Doppik, die IT oder eben die Rücklagen.  Und man muss kein Profet sein, um zu sehen, dass diese selbstverschuldeten Einnahmeausfälle höher sein werden als die Zinsen der mit vergleichbaren Mitteln gespeisten Rücklagenfonds für die Pensionen. Dies gilt selbst für den Fall, dass das Zinsniveau wieder steigt und es den Anlagemanagern gelingt, größere oder Totalverluste bei Crashs zu vermeiden, die deutsche Fonds oder Institute (wie fast sämtliche Landesbanken) doch regelmäßig zu treffen scheinen (wallstreet- Wort: „stupid german money“). Damit soll das Problem des Verlusts der Bindungskraft nicht auf die fiskalische Seite beschränkt werden, auch wenn es hier um den Finanzdezernenten und seinen Sektor geht. Management beinhaltet eben eine ganzheitliche Sicht. und die hat auch hier gefehlt.

4. Zur Verlustreichen Sparpolitik kam dann noch der verlustreiche Versuch der Steigerung der Einnahmen, der Flopp mit der Kirchensteuer auf Kapitalerträge. Thomas Begrich agierte hier als sei er Wolfgang Schäuble. Ist er aber nicht, wie auch er jetzt weiß. Das zu lernen brauchte es lange. Denn Thomas Begrich war doch immer  sehr von seinen eigenen Meinungen und last not least seiner eigenen Person überzeugt, dass es ihm oft genug gelang, damit – auch entgegen Erwägungen etwa des gesunden Menschenverstandes, entsthafter Managementeinsichten oder auch theologischer Positionen – auch andere zu überzeugen. Wer so in seinem eigenen Kosmos kreist, verliert den Kontakt zur Wirklichkeit. Wenig andere Beispiele wie die Sache mit der Kapitalertragssteuer belegen so deutlich, wie weit manche Akteure in der EKD- Burg in der Herrenhäuser Straße Hannovers von den evangelischen Kirchenchristen schon entfernt sind. Hier aber haben sie mit einer bis dato nicht gekannten Schärfe durch die Welle der Kirchenaustritte auf solche wirklichkeitsvergessene Kirchenpolitik reagiert. Was war mit den Mehreinnahmen? Mathias Drobinski resümiert in der SZ: „So gesehen hätten die Kirchen besser auf das Geld verzichtet, das ihnen die neue Einzugsform  zusätzlich bringt. Zudem weiß niemand, ob die Verluste durch die Austritte nicht die Mehreinnahmen übertreffen.“

Ich schließe mit zwei Fragen. 1. was wäre richtiges Management, hier: richtiges Finanzmanagement der EKD gewesen? Und 2. Inwieweit herrschte in der Grundausrichtung der neoliberalen Reformagenda  für die Kirche Entscheidungsfreiheit?

1. Was fehlte zum Management beim Diplom-Betriebsökonomen Thomas Begrich ? Es fehlte die ganzheitliche Sicht eines systemischen Managements; es fehlte Ziel und Umsetzung, die Organisation Kirche wieder näher zu den Menschen und ihrer Wirklichkeit zu bringen; es fehlte die Einsicht, dass dazu alle positiven Potenziale der Kirche zu nutzen und zu entwickeln war.   Sein Part als Finanzdezernent dabei: eine entsprechend unterstützende Finanzpolitik.

Richtige Investition: Um näher zu den Menschen zu kommen wäre es vor allem nötig gewesen, in die Kommunikation des Evangeliums  zu investieren um neue Kontaktmöglichkeiten zu schaffen. Demgegenüber wurde in die Strukturen der Organisation investiert. Die danach nicht besser arbeiteten als zuvor – allerdings  infolge Zentralisierung nun allein schon geografisch weiter weg von den Menschen waren als zuvor.

Richtige Kostenreduktion: sehr wohl mussten Kosten reduziert werden, namentlich bei Verwaltung und bei Gebäuden (vgl. den entsprechenden Ansatz des Kirchlichen Immobilienmanagements – s.o.).

Umgang mit den Menschen (Potenzialen): Menschen ernst nehmen und einbeziehen. Und sie nicht durch Expertensysteme einschüchtern und gefügig machen. Kurz: mehr demokratische, mehr synodale Teilhabe auch in Finanzfragen wäre also nötig gewesen. Das wäre möglich gewesen, aber der Weg dahin wäre eben ein ganz anderer gewesen als der des Thomas Begrich.

2. Man wird freilich auch bei einem von sich und seiner Rede überaus überzeugten Menschen fragen sollen, inwieweit Thomas Begrich bei diesen Entscheidungen nur Treiber oder auch Getriebener war. Denn in dieser Zeit Anfang des Jahrhunderts wurde ein gesellschaftlicher Umbauprozess ins Werk gesetzt, der alle Lebensbereiche umfasste: Die Agenda 2010 tat das auf dem Gebiet der Sozialleistungen.  Betroffen waren aber auch alle Institutionen der Daseinsvorsorge. Teile der Institutionen wurden privatisiert oder in die Privatwirtschaft verlagert. Die Leistungen für die Bürger, Schüler, Studenten, Patienten etc. wurden auch dadurch deutlich reduziert oder verteuert. Analog dazu wurde zeitlich leicht verzögert auch der Umbau der Kirchen betrieben. Bei dieser Umgestaltung der Institutionen spielte die Finanzsteuerung eine zentrale Rolle.  Und ja, die Frage stellt sich, ob Thomas Begrich und die EKD diese staatliche Reformagenda teilten oder sich dem von dort ausgehenden Druck auf die doch noch staatsanaloge evangelische Kirche nicht widersetzen konnte? Wir müssen diese Frage hier nicht entscheiden. Das überlassen wir der Forschern der jüngsten Kirchengeschichte.  Und: wir müssen auch Thomas Begrich nicht entlasten. Eine wenig erfolgreiche Ära trägt jetzt seinen Namen. Aber diese Ära ist abgeschlossen. Letzteres wird die EKD auch der Pfarrerschaft, der Mitarbeiterschaft und dem Kirchenvolk offen mitteilen müssen, nicht nur verklausuliert. Sonst könnten Beispiele wie die in Angeln Schule machen.

Drohen den Ortsgemeinden weitere Etatkürzungen? Gundlach: Pfarrer binden Gemeindeglieder nicht mehr.

Beitrag vom 20. Oktober 2014 von Andreas Reinhold

Es war eine illustre Runde, die sich in der Pauluskirche in Bonn-Friesdorf zusammengefunden hatte. Neben dem Vize-Präses der EKD, Dr. Thieß Gundlach, und Manfred Rekowski, Präses der EKiR, hatte Pfarrer Siegfried Eckert noch den Generalsekretär des ZdK Dr. Stefan Vesper zu einem Meinungsaustausch eingeladen. Moderiert wurde die Diskussion, die von BibelTV aufgezeichnet wurde, vom Arzt und Kabarettisten Dr. Eckart von Hirschhausen. Kein Wunder, dass es im Kirchsaal kaum noch Platz gab.

Es ging um die Frage, welche Kirche dieses Land brauche. Siegfried Eckart hat mit seinem gerade erschienenen Buch heftige Kritik an dem Strukturpapier “Kirche der Freiheit” und die sich daraus ergebenden Umbauprozesse in der EKD und EKiR geübt. Leider hatte noch niemand der Gesprächspartner das Buch bis zum Ende durchgelesen, dennoch ergab sich direkt zu Beginn ein bissiger Dialog zwischen Eckert und Gundlach. Der stellte gleich zu Anfang fest, dass die Pfarrerinnen und Pfarrer die Gemeindeglieder nicht mehr binden würden und man sich deshalb überlegen müsse, wie andere Ebenen an deren Stelle einspringen könnten. Auch Rekowski betonte mehrmals, dass nicht alles gut sei in der EKiR und man schauen müssen, wie man auf die Herausforderungen der Zeit zu reagieren habe. Dabei wurde deutlich, dass man sich zwar in der Analyse der Situation durchaus einig ist, aber sehr unterschiedlicher Auffassung darüber, wie die Probleme zu lösen seien…

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Von der Wirtschaft lernen heißt siegen lernen ?!

oder: was Kirche von der Wirtschaft hätte lernen können.

von Friedhelm Schneider, Pfr., Immobilienfachwirt

Überarbeitete Version eines Vortrags beim Tag des Pfarrvereins der EKM in Neudietendorf, 18. Juni 2014.

Liebe Schwestern und Brüder, sehr geehrte Damen und Herren,

ein Schelm, wer bei einem solchen Thema Böses denkt: „Von der Wirtschaft lernen, heißt siegen lernen.“ Sie in Thüringen stellen sofort die Analogie her zu einem Wort, das in früheren Zeiten lange Jahre zur Propaganda der DDR- Führung gehörte. Das lautete: „Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen.“ Es galt so lange, bis Gorbatschow Mitte der 80iger Jahre die Peristroika propagierte. Ab diesem Zeitpunkt geriet das Wort in der DDR-Regierung in Misskredit und wurde zur subversiven Parole ‚bösartiger‘ Regimekritiker.

Erwarten Sie also Parallelen zur kirchlichen Lage heute, wenn sie den Titel so analog formulieren? In der Tat haben Kräfte dominiert, die der Betriebswirtschaft Kräfte für Wachstum gegen den Trend und Erstarkung der Kirche zuschrieben. Betriebswirtschaft hatte in der Kirche spätestens ab der Jahrtausendwende die Theologie als Leitwissenschaft abgelöst. Gewähr für die Ablösung bot (und bietet) auch das biedermannmäßig aus der Wirtschaft anklopfende und arglos eingelassene Berater-Personal: Unternehmensberater wie Peter Barrenstein von McKinsey oder die Direktorin Marlehn Thieme der Deutschen Bank. Letztere aus einem Unternehmen, das zu Zeiten als Marlen Thieme in Führungspositionen der Kirche kam mit 25% Rendite prahlte, sich dann aber vor 2 Jahren kleinlaut aus triftigem Grund selbst einen Kulturwandel verordnen musste. Seither sitzt das Personal der Wirtschaft in den Führungsetagen der Kirche, im Rat der EKD und der Steuerungsgruppe zum Kirchenreformprozess1. Man wird eingedenk schon dieser wenigen Fakten der EKD nicht zu nahe treten, wenn man ihr das Wort „Von der Wirtschaft lernen heißt siegen lernen“ als ihre Parole in den Mund legt. Auch wenn es so nie ausgesprochen wurde, prägt es doch das Denken in den kirchlichen Führungsetagen. Es mag sich um eine ‚passagere‘ Position der EKD handeln, die den Zenit schon überschritten hat, sind doch die Erfahrungen mit diesem Ansatz der Leitwissenschaft Betriebswirtschaft mittlerweile so umfangreich wie ernüchternd. Und man kann wohl behaupten, dass die Phase, in der dieser Ansatz die Köpfe in der EKD beherrschte, schon der jüngsten Kirchengeschichte angehören. Wie sagte Thies Gundlach, der Cheftheologe der EKD, jüngst in einem Vortrag? Er möchte nicht der letzte Mohikaner sein, der zum Impulspapier „Kirche der Freiheit“ steht2

Die Analogie zum DDR- Slogan, liegt für Kritiker also durchaus nahe. Es stellt sich nun die Frage: was aber heißt dies Wort in unserem Munde? Im Munde derer, die den sog. Reformprozess, der im Gefolge von „Kirche der Freiheit“ von der EKD über die Landeskirchen gezogen wurde falsifizieren und kritisieren? Der eigentlich kein Reformprozess darstellt, sondern der ein veritabler Umbauprozess ist. Was heißt es, wenn wir diesen Satz heute aufgreifen – und ihn positiv gegen seine früheren geheimen Befürworter wenden? Lassen Sie mich dazu etwas ausholen, und den Blick aufs Ganze richten, bevor wir den Ausschnitt analysieren:

Wir leben heute in einer Zeit in der die früher in Zeiten sozialer Marktwirtschaft propagierte funktionale Trennung der Systembereiche der Gesellschaft (Wirtschaft, Politik, Religion etc.) an ihr Ende gekommen ist. Denn die „Wirtschaft“ beschränkt sich nicht mehr auf ihren Sektor der Produktion von Gütern und Dienstleistungen. Das hat einen praktischen Grund: Im Finanzkapitalismus ist Kapital im Überfluss an Banken und Börsen vorhanden und sucht Anlagechancen und Höchstrendite. Dazu müssen die Grenzen der Ökonomie zu den anderen Funktionsbereichen überschritten werden. Zu diesem Zweck werden solche anderen Bereiche, wie z.B. die der Daseinsvorsorge, usurpiert. Privatisierung war das Zauberwort und totaler Service das Zuckerstückchen, mit dem der Bevölkerung dies schmackhaft gemacht wurde. Nach Post, Bahn und Telecom in den 90iger Jahren, kamen ab 2000 die engeren Bereiche der Daseinsvorsorge: Schule, Universität, Gesundheitswesen (mittelfristig Rückkehr zum DDR-System der Poliklinik) und Justiz an die Reihe (Privatisierung von Vollzugsanstalten in Hessen durch Roland Koch). Übereinstimmend wurde in allen Bereichen das ehemals organisatorisch starke Fachpersonal entmachtet: durch Entzug von Beteiligungsrechten (Universität/Schule), durch Wandel des Bildungssystems von Humoldt’scher Bildung zu Kompetenzvermittlung und damit Infragestellung der klassischen Lehrerkompetenzen, durch die Deklassierung des Ärztestandes zu einer Art Scheinselbständigkeit, durch die Überlastung des Personals mit einem kaum zu bewältigenden Arbeitspensum (Justiz) unter der die Qualität der Arbeit, die Rechtssicherheit, wie auch die Gesundheit der Personen leidet.

Diese Ökonomisierung schlich sich ein mit allerlei quasi-eschatologischen Versprechungen, z.B. der Steigerung der Servicequalität, der Illusion einer „totalen“ Qualität (TQM), etc. Wie weit Versprechen (Ideologie) und Wirklichkeit auseinanderklaffen, möge ein kleines, aber sprechendes Beispiel demonstrieren. Günther Wallraff studierte in bekannter Manier in einem Incognito-Selbstversuch die Praxis eines Alten- und Pflegeheims in München, dem kathol. Josephstift am Luise-Kisselbachplatz. Die Zustände waren nach der entsprechenden TV- Sendung ziemlich verheerend. Und dabei prangt ein Qualitätssiegel des TQM an einer Wand der Einrichtung. Darin wird die Note 1, sehr gute Qualität also, bescheinigt. Was hier an einem Beispiel dargelegt ist, können Sie getrost auf das gesamte Gesundheitswesen übertragen. Das System des TQM ist essentieller Bestandteil neoliberaler Transformationprozesse. Deren harter Kern aber in nichts anderem als Personalabbau bis zur Grenze der Leistungsfähigkeit des Restpersonalbestandes, Ausbeutung der Gesundheit des Personals, Reduktion der Angebote/Dienstleistungen auf (billigen) Standardprodukten (Kernleistungen), Steigerung der Profite der Investoren. Das steht konträr zur Sozialen Marktwirtschaft und produziert Widerspruch in entwickelten europäischen Gesellschaften. Um diesen Widerspruch zu unterdrücken, wird ein völlig neues Weltbild, ein ökonomisches Denken, geprägt, das allen anderen Funktionsbereichen aufgedrückt wird. Alle müssen sich an der neuen Nomenklatur orientieren. Alle lassen sich an den neu gesetzten Kriterien messen und bewerten. Diese neuen Kriterien kommen daher als hohle „Plastikwörter“, Anglizismen gaukeln eine besondere Aura vor, Euphemismen vernebeln die eigentlichen Aussagen. Und so sind Fehlinformation, Vernebelung und Geheimhaltung wesentlicher Bestandteil des Akzeptanzmanagements des schönen neuen neoliberalen Weltkonzeptes.

Ein neues Denken, das auch in der Kirche Fuß fassen konnte. Mit dem Reformprozess genannten Umbauprozess. Prof. em. Jürgen Moltmann beklagte in einem Vortrag jüngst den „Einzug ökonomischen Denkens in die Kirche“. Er zieht folgerichtig die Verbindung zu Barmen I: …Wo liegen heute jene »Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten« aus Barmens Erster These verborgen, die wir zu Götzen machen? Er fragt und antwortet: „Sind wir wieder in der Situation von vor 1933? Nein, das sind wir nicht! Wir sind in einer ganz anderen Situation. Es droht uns nicht eine ideologische Politisierung der Kirche wie durch die Nazis und die Deutschen Christen damals. Es droht uns aber eine nicht minder gefährliche ideologische Ökonomisierung der Kirchen, wie wir sie auch in anderen Bereichen der Daseinsvorsorge, so z.B. auch an den deutschen Universitäten erleben. Wie kann Kirche „effektiver“ gemacht werden? Wie kann die Zahl der Taufen, Konfirmationen und kirchlichen Amtshandlungen erhöht werden? Wie kann die Kirche auf ihr „Kerngeschäft“ verschlankt werden? Wie kann die „Kirche im Angebot“ attraktiver werden? Der religiöse „Service“ der Kirche an ihren „Kunden“ muss verbessert werden. Damit entmündigt man die aktiven Brüder und Schwestern zu passiven „Kunden“ und macht aus selbstständigen Gemeinden betreutes Leben in den Kirchen.“ 3

Man kann eine solche Position wie die von Jürgen Moltmann also politisch durchaus verstehen. Dennoch: diese Form der Pauschalkritik erscheint uns zu undifferenziert, erfasst nicht die ganze Wirklichkeit und ist damit in gewisser Weise selbst angreifbar. Gerade, wenn es wie hier nicht um die politisch-volkswirtschaftliche Ebene, sondern um die Frage der Organisationsreform der Kirche geht. Und sie enthält nicht die Chuzpe, die vermeintlichen Ökonomen mit den Waffen der Ökonomie selbst zu schlagen. Das haben Sie nun aber mir mit dem Vortragstitel, wenn ich das recht verstehe, aufgetragen. Und daran will ich mich gerne versuchen. Denn nur so können wir zur tieferen Erkenntnis kommen, dass ökonomische Argumente wie am Beispiel einleitend gezeigt bei den sog. Reformprozessen vielleicht nur vorgeschoben sein könnten, es in Wirklichkeit und im Hintergrund aber um etwas anderes, Tiefgreifenderes geht. Dass es mit dem Prozess „Kirche der Freiheit“ nicht nur um einen Reformprozess, sondern um einen veritable Umbauprozess geht. Lassen Sie uns also etwas genauer hinschauen und differenzieren, um am Ende dann doch wieder einen Ansatz zu finden, die vorhandenen positiven, hilfreichen Aspekte der Ökonomie für die Organisationsführung trotz aller negativen Erfahrungen mit den gesellschaftlichen Ökonomisierungsprozessen oder der sog. „Reformprozesse“ wieder schätzen zu lernen. Und der dem Titel des Vortrages inhärente Dialektik zu ihrem Recht zu verhelfen.

Dies geschieht nicht in erster Linie um der intellektuellen Herausforderung des Titels willen. Wir müssen dies tun, weil die empirische Kirche ihren Schatz in irdenen Gefäßen bewahrt. Weil die Kirche als Organisation auch mit professionellen, profanen Instrumenten geleitet und dem Evangelium gemäß gestaltet sein will. Dabei darf ihre Gestalt dem Inhalt nicht widersprechen (Barmen III + IV). Als Organisation muss sie also damit auch auf die Möglichkeiten zurückgreifen, die gute Organisationsgestaltung bereit hält und ermöglicht. Und dazu sagt man in der Regel „Management“. Gutes, richtiges Management, das wäre es, was die Kirche wieder bräuchte. Sie bräuchte es ebenso wie Bereiche der „Wirtschaft“ selbst. Die deren Verlust etwa durch das Eingeständnis von Kulturproblemen teilweise auch selbst thematisiert, wie z.B. die Deutsche Bank.

Vom Reformbedarf des klassischen Kirchenmodells nach Barmen…

Betrachten wir die Geschichte des Reformprozesses in den ev. Kirchen: es ging in den 90igern zunächst um einen Reformprozess nach außen, mit dem die Kirche die Differenzierungsprozesse der Gesellschaft nachvollziehen wollte (vgl. „Person und Institution“, EKHN). Kirche musste aber zum anderen auch innerorganisatorisch einen Reformprozess anstrengen. Die Administration war strukturell (hierarchisch), instrumentell (IT) und personell veraltet. Schon die einfache Datenverarbeitung war mit einer hohen Fehlerquote behaftet (notorisch: einfache Datenreihen wie Meldelisten), die Informationsbasis für Entscheidungen mangelhaft. Wissensmanagement war in den Verwaltungen ein Fremdwort. Wissen bspw. war personell gebunden und nicht für die gesamte Organisation verfügbar. Und Wissen war veraltet. Betriebswirtschaftliches Know-How? Fehlanzeige. Worauf wäre es angekommen? Auf die gezielte, eklektische Übernahme von Instrumenten und Strategien aus dem Wissensgebiet des Managements.

1. Finanzmanagement hätte primär organisiert werden müssen als Management der Kosten und nicht – wie in der Doppik vorherrschend – des Vermögens. Es wäre um die gezielte, richtige Investition gegangen und nicht um das Sparen der in kirchlichen Kreisen zur Galionsfigur aller kirchlichen Finanzpolitik erhobenen schwäbischen Hausfrau. Fehlende Investitionen verbunden mit Personalabbau (Desinvestition) etwa im Bereich der Jugendarbeit kommen denn auch in der jüngsten, 5. KMU (Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung) schmerzlich im Traditionsabbruch zum Ausdruck! Und es mag dem einen oder anderen Finanzdezernenten vielleicht mittlerweile dämmern, dass die zukünftigen Verluste infolge Kirchenaustritten etwa infolge des Traditionsabbruchs deutlich höher sein könnten, als die Verzinsung der in den zurückliegenden Jahren durch ‚Einsparungen‘ beim Personal gebildeten Rücklagen.

2. Es wäre im Personalmanagement um Führendes Dienen gegangen und nicht um die Rückkehr zum Kadavergehorsam. Es wäre um den Schutz des Schatzes der früher üblichen intrinsischen Motivation gegangen und nicht Überlastung und überzogenem Personalabbau. Kommt es, wie die 5. KMU belegt, auf die Pfarrerin und den Pfarrer an, dann muss die/der auch in Reichweite verfügbar sein.

3. Es wäre im Immobilienmanagement um ein Management der Ressourcen und Kosten gegangen und nicht des völlig undifferenzierten Verscherbelns von oft nur vermeintlichen „Lasten“. Mehr dazu inhatlich etwa auf diesem Portal.

Fehler und Defizite des Managements sind also offensichtlich. Es fehlte an der analytischen Kraft, die Fragen der eigenen, individuellen Organisation zu klären und daraus ein individuelles Handlungskonzept für die Kirche zu entwickeln. Stattdessen segelte man im Windschatten der neoliberalen Umbauprozesse anderer Institutionen der Daseinsvorsorge (s.o.). Ohne einige gravierende Unterschiede zu beachten. Wie z.B. den, dass die anderen Institutionen der Daseinsvorsorge als Zwangsmitgliedschaft gestaltet sind. Entkommen nicht möglich. Wo dieser Mitgliedschaftszwang nicht bestand, wie im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und Fernsehen, musste er von der Politik hergestellt werden. In dieser von der Mitgliedermeinung unabhängigen Lage der anderen Institutionen ist aber die Kirche gerade nicht. Allerdings wird das Verhallten der Kirche offensichtlich vielfach genau so erlebt. Vielen Mitgliedern wurde daher die ehemals fremde Heimat zur nichtssagenden und -bietenden Fremde. Wo wir stehen wird anschaulich, wenn auch eine nur geringfügige Irritation, wie etwa in diesem Jahr das Missverständnis um die Kirchensteuer auf Kapitalerträge, bereits zu heftigen Erschütterungen in Form einer Austrittswelle führt (und nebenbei auch zu einer unbekannnt-promten Reaktion des EKD- Finanzdezernenten Begrich in Form einer eigens flugs zur Sache erstellten Broschüre).

Der labile Zustand der Kirche in der Phase neoliberaler Umbauprozesse ist also nicht allein externen gesellschaftlichen Prozessen geschuldet, sondern in erster Linie eigenem falschen Management. Was richtiges Management in der Kirche ist, zeigt sich dann, wenn die Frage nach der Mitte, der Mitte des Denkansatzes, geklärt ist. Wir müssen in der Kirche wissen, woher wir kommen und was unsere Aufgabe ist. Ist die Mitte theologisch ausgefüllt, dann können die passenden und aktuellen, den Stand der Technik abbildenden ökonomischen Instrumente – wie schon immer in der Kirchengeschichte – problemlos angewandt werden. Die Theologie ist dabei Standbein, die Instrumente des Managements sind Spielbein. Ich selbst formulierte dies in meinem Buch „Kirchliches Immobilienmanagement“ im Jahr 2004: „Setzt die Kirche diese Erkenntnis in Managementhandeln um, werden in der freien Wirtschaft übliche… Managementstrategien relativiert, teilweise transformiert. Dies Anderssein der Kirche oder der entsprechenden Managementstrategien, dieses „sich-der-Welt-nicht-gleich-machen“ heißt aber nicht, dass das Handeln deswegen nicht erfolgreich sein könnte. Ganz im Gegenteil“4. Bildet die Theologie die Mitte, dann sind dieser Mitte alle Funktionen der Organisation zuzurechnen, die diese Mitte in und mit ihrer Arbeit oder auch symbolisch repräsentieren (s. Grafik).

Der Leitung und Verwaltung kommt in diesem Modell eine strikt dienende, eine Servicefunktion zu. Ihre zentrale Aufgabe besteht darin, dass die Mitte richtig und ausreichend gefüllt wird: dass Arbeit in möglichst großem Umfang mit ausreichend ausgebildetem und motiviertem (!) dass ausreichend Personal vorhanden ist und unterstützt und gefördert wird. Dieses Managementmodell korrespondiert mit Barmen III (und IV). Dabei ist aus Managementsicht – und übrigens auch aus finanzieller Sicht (s.u.) – unerheblich, ob die Arbeit an der Basis in der Gemeinde oder aber in Diensten (Funktionspfarrstellen etc.) erfolgt. Entscheidend ist, dass das, was dort passiert, beim Adressaten ankommt und – auf welche Weise auch immer – wirkt.5

klassisches Kirchenmodell nach Barmen

Das also wäre das Modell gewesen, nach dem die Kirche nach innen hin hätte reformiert werden müssen. Und zwar auch aus theologischer Sicht wie auch aus Sicht richtigen und guten Managements. Vielversprechende Ansätze dazu waren ab der Jahrtausendwende vorhanden.

… zum Kirchenmodell des EKD-Umbauprozesses „Kirche der Freiheit“

Spätestens seit Mitte der Nuller Jahre ist die Entwicklung der frühen Reformansätze der Kirche gekippt: wie zuvor schon in anderen Institutionen (Bildung, Gesundheitswesen) sollte später auch die Kirche nicht nur eklektisch von der Wirtschaft, vom Management, lernen, sondern vielmehr nach der Struktur von Wirtschaftsunternehmen umgebaut werden. Dieser Prozess war weder theologisch oder gesellschaftlich-soziologisch motiviert, noch war er von einem systemisch-kybernetischen Managementansatz geprägt, der gezielte Schwachstellen und Stärken identifiziert hätte und dazu passgenaue Lösungen entwickelt hätte. Wie sollten das die organisationsunkundigen Berater von außen auch leisten können? Sie hätten es nicht gekonnt, selbst wenn sie es gewollt hätten. Aber darum ging es ja gar nicht. Es ging nicht um die Optimierung der reformbedürftigen Organisation Kirche. Es ging den „Reformern“ vielmehr darum, alle Institutionen der Daseinsvorsorge dieses Landes mit einem Einheitskonzept umzubauen, sie „marktkonform“ zu machen. Wie später dann sogar die Demokratie selbst „marktkonform“ gemacht werden sollte/ wird. Im Zuge dieses vereinheitlichenden Ökonomisierungskonzepts wurden den ehemals demokratisch bottom-up aufgebauten Institutionen mit Top-down-Strukturen übergestülpt; die mittlere Ebene wurde zur zentralen Leitungsebene der Region mit vielen bzw. allen Kompetenzen, die früher die Gemeinden hatten. In der Kirche ging es also nicht mehr um inhaltlich theologisch motivierte verbessernde Reformen eines in der Nachkriegszeit über 50 Jahre bewährten Systems. Sondern es ging um einen Umbau der Kirche nach Mustern der Wirtschaft unter Anleitung von neoliberalen Beraterteams. Das Agenda-Setting wurde mit dem Impulspapier „Kirche der Freiheit“ besorgt. Was dabei herauskam? Ein hierarchisches Modell, bei dem EKD- Gremien als Spitze Entscheidungen treffen, die die Landeskirchen umzusetzen haben. Das konnte jüngst auch anhand des „Erweiterten Solidarpakts“ der EKD- Kirchenkonferenz nachgewiesen werden. Ein Modell bei dem Leitung ihre Dominanz über den personellen Ausbau der Administration stärkt. Ein Modell, bei dem die Mitarbeiter, die die eigentliche Arbeit vor Ort in Verkündigung, Seelsorge, Pädagogik, Musik, etc. leisten, abgebaut und an den Rand gedrängt werden. Sie müssen mit und von dem leben, was in der Mitte der Organisation, also bei Leitung und Administration, an finanziellen und sonstigen Ressourcen übrig bleibt. Der Verwaltungswasserkopf hingegen wird immer stärker aufgebläht. Was bleibt ist ein „Haus der Kirche“, das belegt ist von Regionalverwaltung im EG, der Dekanatsverwaltung im OG und 2 Fachstellen im Souterrrain.

Grafisch kann man das so fassen:

Reformmodell

Hier hat die Kirche ihre Mitte verloren. Sie weiß nicht mehr, was sie eigentlich zusammenhält. Ein fremdes institutionelles Umbaukonzept bildet das neue Zentrum der Kirche. Wie weit weg ist Barmen III, nach dem die Kirche auch „die Gestalt ihrer […] Ordnung“ nicht „ihrem Belieben oder dem Wechsel der jeweils herrschenden weltanschaulichen und politischen Überzeugungen überlassen“ darf.

Fazit: Von der Wirtschaft lernen, heißt siegen lernen. Der mit dem Impulspapier „Kirche der Freiheit“ initiierte Umbauprozess der Kirche propagiert Betriebswirtschaft als Lösung für die Reformprobleme der Kirche. Was sich allerdings hinter diesem Konzept verbarg, war ein marktkonformes Umbaukonzept der Institutionen des Staates. Dies wurde – wie in allen Fällen modifiziert – auch in der Kirche angewandt. Betrachtet man das bis heute sichtbare Ergebnis nach ökonomischen Kriterien, fällt es ausgesprochen schlecht aus. Der finanzielle Aufwand dafür war und ist und bleibt hoch, dabei ist die Wirkung entsprechend der empirischen Studie der 5. KMU negativ. Gemäß dem Rationalprinzip der Ökonomie müssen Resultate aber bei gleichem Mitteleinsatz besser/ höher werden, wenn sie wirtschaftlich genannt werden sollen. Insofern war der Umbauprozess also der Sache nach nicht zu viel, sondern zu wenig ‚ökonomisch‘. Vor allem aber fehlte es am Ansatz guten und richtigen Managements: Reformen der Kirche, die dem Rationalprinzip der Ökonomie standhalten sollen, müssen immer systemisch-kybernetisch angelegt sein. So gilt heute: nach dem Umbauprozess ist vor der Reform. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

 

 

Anmerkungen und Erläuterungen:

Diese beiden o.g. Grafiken sind sehr plakativ und für den einen oder anderen provokativ. Und wie das so ist bei Grafiken und Bildern: sie können die Wirklichkeit natürlich nicht vollständig fassen. Daher hier noch einige ergänzende Charts, die die oben aufgestellten Thesen belegen.

Zur Alternative Gemeindepfarrstellen oder Funktionspfarrstellen aufgrund von Finanzmangel.

Oft wurden Gemeinde- und Funktionspfarrstellen von kirchenleitdender Seite aufgrund angeblicher Finanzknappheit gegeneinander in Stellung gebracht. Dabei ist die Behauptung fehlender Mittel falsch. Und die im kirchlichen Dienst am Menschen arbeitenden sollten sich nicht in eine falsche Frontstellung gegeneinander begeben. Dies lehrt ein Blick in die Jahresrechnung der EKHN, hier am Bsp. des Jahres 2008. Bei einem Haushaltsvolumen von 520 Mio. entfallen auf den Gemeindepfarrdienst ganze 58 Mio. €. Selbst wenn man die Versorgungsleistungen addiert kommt noch nicht einmal auf 15% des Haushaltsvolumens. Quelle: Jahresbericht der EKHN 2008.

Nimmt man Gemeinde- und Funktionspfarrstellen zusammen und rechnet die Kosten, die kirchensteuerfinanziert sind (staatlich finanzierte Stellen werden also nicht berücksichtigt), dann macht ihr Anteil gerade mal ca. 20% vom Haushaltsvolumen aus. Pfarrstellen im Verwaltungsbereich oder Leitung (wie ganze Dekanestellen sind dabei aus Gründen betriebswirtschaftlich klarer Differenzierung nicht berücksichtigt).

Auf diesem Hintergrund wird deutlich, dass die Alternative: Gemeinde- oder Funktionspfarrstellen ziemlich obsolet ist. Die Frage ist berechtigt: was sind denn die anderen 80 Prozent? Zu dieser Frage vgl. die Jahresberichte der EKHN.

Das alles heißt nicht, dass man nun diesen Anteil zementieren müsste, dass nicht auch dort, bei Gemeinde und Funktion Veränderungen nötig wären. Es sind generell Veränderungen erforderlich, die auf eine höhere Wirkung zielen. Nicht nur in Leitung und Administration, sondern auch bei Gemeinde und Funktion. Aber man kann mit Sicherheit davon ausgehen, das

s Gemeinde und Funktion schon heute innerhalb aller Leistungen der Kirche relative zu anderen, etwa der Administration, die höchsten Wirkungen erzielt. Insofern trifft diese Forderung auch Gemeinde und Funktion, aber die anderen Bereiche in deutlich stärkerem Maße. Und man muss ergänzen: man kann höhere Wirkung bei dieser Art von Arbeit nicht per ordre de mufti verordnen oder per Impulspapier erzeugen. Da könnte das Konzept des Führenden Dienens schon deutlich weiter helfen. Wir werden später davon im Vortrag von Dr. Hartmann hören. Ich bin gespannt.

Dies Diagramm zeigt die Entwicklung des Anteils der Gemeindepfarrdienst in der EKHN in einer Statistik von 2000 bis 2012. Als Quelle dienen die Jahresberichte der EKHN. Der Anteil von ca. 15% ist also kein Einzelfall, sondern ab 2004 das Durchschnittsmaß.

Eine Langfristbetrachtung dieser Kennziffer „Anteil Pfarrgehälter am HH-Volumen“ anhand weniger Einzelfälle zeigt am Bsp. Der EKHN eine klare Abwärtstendenz ab Anfang der 80iger Jahre mit damals ca. 33%, im Jahr 2000 bei ca. 23% und heute bei ca. 15%. Wobei es sich dabei nur um die direkten Kosten, also Gehälter und Versorgungsleistungen, handelt. Hintergrund ist, dass die Kirchensteuereinnahmen, gestiegen sind, die Gehälter aber – wie in allen Branchen in Deutschland – ab 2000 mehr oder weniger eingefroren wurden. Das Weihnachtsgeld wurde gestrichen oder durch deutlich geringere andere Zahlungen ersetzt, die Durchstufungen zu höheren Gehaltsstufen wurden gestrichen, teilweise auch die Gehaltsendstufe A 14 auf A 13 abgesenkt (z.B. Hannover). Man beachte, dass zusätzlich eine ganze Reihe von Leistungen, die haushaltstechnisch an anderen Stellen als bei den Gehältern verbucht werden, bei dieser Betrachtung noch nicht berücksichtigt sind. So z.B. die Schönheitsreparaturen, Heizkostenzuschüsse, Weiterbildung etc.). Auch dort gab es bisweilen drastische Einschnitte zu Lasten der Pfarrer. Die PfarrerInnen sind in der Entwicklung seit den 80iger Jahren also auch finanziell vom Zentrum in die Peripherie katapultiert worden.

1Eberhard Cherdron, Martin Schuck, Evangelische Existenz heute; in Dt. Pfarrerblatt 10/2012

4Friedhelm Schneider, Kirchliches Immobilienmanagement, Darmstadt 2004, S.36

5 Achtung: hier darf das Kundenmuster nicht einfach auf die kirchlichen Leistungen übertragen werden

Nein sagen oder Nein hören? Ein Kommentar zum 73. Pfarrertag in Worms

von Friedhelm Schneider

Titel und Motto: „Manchmal musst Du Nein sagen können“ bot dem Hauptredner Heiner Geißler eine Steilvorlage nicht nur allgemein psychologisch oder spachphilosophisch an das gestellte Thema heranzugehen, sondern konkret ökonomische, politische aber auch kirchliche Entwicklungen darzustellen und anschließend zu – pardon – geißeln. Geboten ist Nein- Sagen gemäß Geißler heute nicht aus einer naiven Trotz-Haltung, sondern aus der ökonomischen, politischen und kirchlich-theologischen,  der reinen und praktischen Vernunft heraus. Und das an etlichen Stellen.

Dabei mochten die Gastgeber und rund 300 Hörerinnen und Hörer wohl am meisten an den kirchlichen Themen rund um die sogenannten kirchlichen Reformprozesse interessiert sein. Denn gerade hatte die 5. KMU durch eine empirische Studie ans Licht gebracht, dass die die Kirche ins gesellschaftliche Abseits schiebenden Veränderungsprozesse durch die sog. Reformen eben nicht verhindert oder wenigstens abgeschwächt werden konnten, sondern durch die Reformen im Gegenteil noch beschleunigt wurden. Namentlich der Abbruch der kirchlichen Tradition bei den Jugendlichen ist fatal. Schon zuvor hatte sich ein prominenter Protagonist der Reformen, Thies Gundlach, von dem Impulspaier Kirche der Freiheit spektakulär distanziert. Und zuvor hatte die Artikelserie „Fragen und Probleme rund um kirchliche Reformprozesse“ im Dt. Pfarrerblatt die eklatanten Strategiedefizite der kirchlichen Reformprozesse aus Theorie und Pfarramtspraxis heraus beschrieben. Und die kirchlichen Prozesse als Teil einer einheitlichen Mustern folgenden Reform aller Bereiche der Daseinsvorsorge (Bildung, Gesundheit) erkannt. Alle erforderlichen Fakten lagen also auf dem Tisch. Und Heiner Geißler greift auch virulente kirchliche Themen auf und liefert in seinem Vortrag dem Pfarrertag auch noch eine inhaltliche Steilvorlage. Und der Pfarrertag? Er hört sich das alles brav an, diskutiert am Nachmittag noch einige Themen und das war’s dann auch. Du musst Nein sagen können? Vorsichtiges Nein- Sagen überließ man einzelnen, etwa dem neuen Vorsitzenden des Pfarrverbandes Andreas Kahnt. Was war mit dem gastgebenden Pfarrrverein der EKHN oder der versammelten Pfarrerschaft ? Ein Wort zu den verfehlten Reformen? Ein Wort zu den fatalen Fehlinvestitionen in meist sinnlose Strukturprozesse oder Doppik? Ein Wort zur Überlastung des Personals durch die Umbauprozesse? Was war mit einer Resolution, einem Moratorium? Kein Wort. Das Nein-Sagen überließ man einzelnen wie dem Redner Heiner Geißler. Der angemessene Titel für den Pfarrertag hätte angesichts des Schweigens also lauten müssen: Du musst manchmal Nein hören können. Kein Trost, dass die PfarrerInnen selbst ihr überwiegendes nur Nein-Hören selbst durch wachsende berufliche Belastungen schon erleiden und in Zukunft verstärkt werden ausbaden müssen…

Der ganz normale Wahnsinn: Die Fusionsbegeisterung in der evangelischen Kirche

Die Fusionen von Gemeinden und Dekanaten haben den Seelsorgealltag des Pfarrers erreicht. Ein paar Beispiele stehen für viele: 1. Beispiel: Ich besuche Konfirmandeneltern. In der Kirche treffe ich die Familie kaum. Ein Elternteil kommt aus den neuen Bundesländern. Es wurde in DDR-Zeiten getauft. Der Vater war Kirchenältester. In dem kleinen Dorf gibt es schon lange keinen Pfarrer mehr. Aber wenn an den Feiertagen Gottesdienst gehalten wurde, sorgten Gemeindeglieder für eine saubere und geschmückte Kirche. Auch in schwierigen Zeiten hielt man zur Kirche. Nun hat man dem Dorf mitgeteilt, dass durch die Gemeindefusionen die Ältesten aus dem Dorf nicht mehr gebraucht würden. Die Kirchenvorstände sind verkleinert worden. Ich werde gefragt, wie man ohne die Ehrenamtlichen vor Ort eigentlich auskommen wolle. Man müsse den Ort doch einbinden in die Arbeit. Der andere Elternteil kommt aus Kurhessen. Er ist im Kundenmarketing eines Großunternehmens beschäftigt. Er fragt grundsätzlicher: Wie man eigentlich ohne Pfarrer Kirchengemeinden erhalten wolle. Jetzt gebe es dort einen Pfarrer für 10 Dörfer. Da könne kein Kontakt aufgebaut werden.
2. Beispiel: Ich stehe an einem offenen Grab. Die kleine Gemeinde hat den Erdwurf abgeschlossen. Ich will mich gerade verabschieden, da weint ein Freund der Familie laut los. Seine Mutter sei auch letzte Woche  gestorben. Bevor sie ins Altersheim gekommen sei, sei sie jeden Sonntag in die Kirche gegangen. Nun sei niemand für sie zuständig. Eine Prädikantin solle sie beerdigen. Er habe nachgeschaut, was das sei. Das sei ja gar kein Pfarrer. Die Kirche hätte keinen Pfarrer mehr für die Beerdigung seiner Mutter.  Nun melde sich die Prädikantin nicht. Er habe es oft versucht, auch das Beerdigungsinstitut sei erfolglos.  Jetzt sei Freitag, am Montag solle die Beerdigung sein. Seine Mutter solle doch auch so würdevoll bestatten werden wie die Verstorbene hier.
3. Beispiel: Ich sitze bei einem Beerdigungskaffee. Als ich mich verabschiede, begleitet mich ein Angehöriger zur Tür und nutzt die Gelegenheit zum Gespräch. Sein Kind sei getauft worden. Die Gemeinde habe keinen Pfarrer zur Verfügung gehabt. Das hätte ein Prädikant gemacht. Es sei soweit auch alles in Ordnung gewesen, nur bekomme er sein Stammbuch nicht mehr. Das Gemeindebüro könne ihm nicht helfen, sie hätten ihn an einen Regionalverband verwiesen. Da wüsste auch niemand von einer Taufe. Das gehe nun schon seit zwei Monaten hin und her.

Thies Gundlach hat jüngst die Grenzen der Reformen benannt. Er hat festgestellt, dass die Zahl der Ehrenamtlichen durch Fusionen abgenommen habe, dass die finanziellen Erwartungen nicht eingelöst worden  und die missionarischen Impulse steckengeblieben seien. Eigentlich keine wirklich gute Bilanz. Als Gemeindepfarrer hätte er die Bilanz noch um einige Details ergänzen können. Aber letztlich ist das für Gundlach auch egal.
Denn: die Kirchenfernen könne man nur durch größere Einheiten, in denen besondere Angebote gemacht werden, wiedergewinnen. Also weiter so.
Das werden die Menschen vor Ort wohl kaum verstehen. Warum sie nun ihre Kinder selbst taufen, die Eltern selbst bestatten und alle wichtigen kirchlichen Handlungen durch unbedarfte und weithin theologisch ungebildete Ehrenamtliche vollziehen lassen sollen, die sie in der Regel auch nicht kennen. Derweil macht die Kirche den Ehrenamtlichen Mut. Pfarrer predigen ja auch nicht immer gut. Wir haben das Priesteramt aller Gläubigen. Wir brauchen Professionalität in der Region. Gundlach hat auch festgestellt, dass es keine finanziellen Probleme gebe.
Und damit sind wir bei den Ursprüngen der Reformen angekommen. Es lohnt sich, daran kurz zu erinnern.  Als die Kürzungen bei den Pfarrstellen in der EKHN nach 1997 anstanden, wurde von Pröpsten und Dekanen, sowie von den Dezernenten der Kirchenverwaltung, und der Kirchenleitung immer und immer wieder darauf hingewiesen, dass es an Geld fehle. Die Zuweisungen an die Gemeinden wurden deutlich zurückgefahren, so dass der Eindruck vor Ort bestätigt wurde: Es gibt kein Geld mehr.
Wir können nun überschauen, dass diese Behauptungen falsch waren und dass offenbar auch viele der leitenden Mitarbeiter wussten, dass sie falsch waren.  Auch hier hilft Gundlachs Einschätzung weiter: Ohne organisatorischen und finanziellen Druck bewege sich nichts in der Kirche. Um den Druck herzustellen, darf auch mal ein wenig geflunkert werden.
Zum Beispiel bei einer Dekanatsfusion in der EKHN: Da konnte ein Dekan nicht wiedergewählt werden, weil sonst die nächsten 6 Jahre keine Fusion mit dem Nachbardekanat  möglich gewesen wäre. Also wählte man ihn kommissarisch. Nach dem geltenden Kirchengesetz wäre das nicht möglich gewesen. Aber wo kein Kläger, da kein Richter. Die Synodalen sind in Rechtssachen in der Regel nicht firm. Klageberechtigt wäre ohnehin nur der um sein Amt gebrachte stellvertretende Dekan gewesen. Falls er irgendwelche Ansprüche gestellt haben sollte, wird man ihm aus der Zentrale deutlich gemacht haben, dass das sehr unangenehm für ihn werden könnte. Anschließend kaufte man ein Haus der Kirche. Auch da gab es Vorgaben aus der Synode, die es zu umgehen galt. Da das Haus nur bei einer Fusion von drei Dekanaten zu finanzieren gewesen wäre, behauptete man einige Monate bis zur Umsetzung des Beschlusses, dass drei Dekanate fusionieren, obwohl jedermann wusste,  dass es nur zwei sind. Auf diese Weise hat man noch zusätzlich 400.000 € locker gemacht. Im Verhältnis zu den Kosten der gesamten Reform, die im dreistelligen Millionenbereich liegt, eine lächerliche Kleinigkeit. Der Vorsitzende der einen betroffenen Dekanatssynode war zugleich Mitglied der Kirchenleitung und wird noch immer für sein großartiges Engagement in Sachen Fusion geehrt. Das war eben jemand, der mit Geld umzugehen verstand. Anders sieht das aus, wenn eine kleine Gemeinde Hilfe braucht. Dann wird schon mal um 2000 € heftig gestritten und die Verwaltung zeigt, wie genau sie zu rechnen und das Geld (des Kirchensteuerzahlers!) zusammen zu halten versteht.
Beflügelt durch solche kaum erwarteten Erfolge hat die Kirchenleitung der EKHN mit der großangelegten Fusion von Dekanaten gleich wieder einen Coup gelandet. Nach § 2 der Dekanatssynodalordnung galt: „Über die Neubildung, Grenzveränderung oder Auflösung von Dekanaten beschließt die Kirchenleitung, wenn die beteiligten Kirchenvorstände und Dekanatssynoden zustimmen, andernfalls die Kirchensynode.“  Die Zustimmung der Kirchenvorstände und Dekanatssynode hat man sich in der EKHN gespart und wegen der ungeheuerlichen Dringlichkeit (Gundlach: ohne Druck geht nichts.) gleich die kirchensynodale Entscheidung herbeigeführt. Mancher Kirchenvorstand und manche Dekanatssynode erfuhr aus der Zeitung von seinem/ ihrem neuen Glück, das dann der Dekan und der Vorsitzende der Synode gleich fröhlich und unbekümmert in Statements würdigte nach dem Motto: „Wir sind gewachsen“ oder „Wir sind wieder mehr“. (Die Verkleinerung der Dekanatssynoden wird bald folgen, damit die von vielen unnötigen Sitzungen geschwächten Ehrenamtlichen sich wichtigeren Fragen zuwenden können.)
Selbstverständlich wird die Kirchenleitung nicht aufhören von der besonderen Bedeutung der Gemeinden zu sprechen, die eben gerade dadurch besonders ist, dass man sie immer umgeht und also nicht unnötig mit wichtigen Fragen behelligt. Ein gutgläubiger Kirchenvorstand ist ohnehin von den Winkelzügen der Zentrale völlig überfordert und auch das spornt die Kirchenleitung und manchen machthungrigen Ehrenamtlichen zu neuen Höchstleistungen an.
Was bleibt von den Fusionen?
1. Sie sind teurer als erwartet. Von irgendwelchen sinnvollen Einspareffekten wird niemand, der etwas von der Sache versteht, ernsthaft sprechen können.
2. Die Aushöhlung der Gemeinden geht weiter: Diakoniestationen sollen in einer großen Einheit zusammengefasst,  gemeindliche Kindergärten aufs Dekanat übertragen werden.
3. Es gibt weder Pfarrer noch Kirchenmusiker, noch Erzieher, noch Pfleger und Schwestern in ausreichendem Maß in den nächsten Jahren.
4. Die Kirche wird konsequent den eingeschlagenen Weg weitergehen. Denn er führt genau zu dem prognostizierten Ergebnis, mit dem man allen Zauderern einheizt, um neue Reformen auf den Weg zu bringen: Der Kirche wird es schlechter gehen, ihre Akzeptanz lässt nach, ihre Finanzkraft schwindet, engagierte Mitarbeiter verabschieden sich.  Das neue Zuweisungssystem der EKHN, das kleinen Gemeinden die Existenzgrundlage entzieht, wird eine neue Fusionen erzwingen.
5. Die Kirchenleitung wird weiter evaluieren und Mitgliederstudien veranlassen ohne daraus eine Konsequenz zu ziehen, die den gewonnen Machtzuwachs und die bequeme ideologische Einheitskultur der leitenden Organe verändern könnten.
6. Die guten Kirchensteuereinnahmen werden die Verwaltung zu neuen gesetzgeberischen und administrativen Höchstleitungen ermuntern, die das kirchliche Leben komplizierter, teurer und intransparenter machen. bb