Schlagwort-Archive: Pfarrdienstgesetz

Eine Chronik kirchlicher und staatlicher Verstrickungen. Unrecht in der Verkleidung des Rechts. Von Christian Johnsen, Deutsches Pfarrerblatt

07/2016

Am 24. Mai 2016 wählte die Mitgliederversammlung Pfarrer Martin Michaelis, den Vorsitzenden des Thüringer Pfarrvereins und der Pfarrvertretung der EKM, zum dritten Vorsitzenden der 1996 gegründeten Hilfsstelle für evang. Pfarrer. Nach 13 Monaten Vakanz ist damit das bis zum 25. April 2015 von Pastor Roland Reuter und zuvor von seinem Bruder Dietrich ausgeübte Amt wiederbesetzt. Einen aufschlussreichen Rückblick auf deren Wirken und Erfolge für die gesamte Pfarrerschaft enthält die Analyse »Der Pfarrer im Spannungsfeld zwischen kirchlichem Selbstbestimmungsrecht und staatlichem Rechtsschutz« von Rechtsanwalt Dr. Armin Schwalfenberg. Christian Johnsen stellt das Gutachten vor und resümiert dabei nochmals die Ungedeihlichkeit des Ungedeihlichkeitsparagraphen.


Der im Pfarrdienstrecht geregelte Mechanismus von einer Abberufung ohne Schulderhebung über den Wartestand in den Ruhestand bietet – wie dargelegt – möglicher Willkür Raum und Schutz. Dieser Sachverhalt verstößt aber nicht nur gegen allgemein anerkannte Grundsätze der Gerechtigkeit. Vielmehr kann er gerade auch einer grundsätzlichen Überprüfung an der Schrift- und Bekenntnisgrundlage der Kirche, auf die alle kirchlichen Amtsträger verpflichtet sind, nicht standhalten. Unbedingt muss gefragt werden:

In welcher Weise steht die hohe Forderung der »Gedeihlichkeit« des Wirkens eines Pfarrers überhaupt im Einklang mit der Heiligen Schrift?

Vieles spricht dafür, dass der Begriff »Gedeihlichkeit« eine Worthülse für verschiedenste Erwartungen darstellt, die zwar immer wieder an Pfarrer herangetragen werden, die aber im Widerspruch zu den Wirkungen des Geistes Gottes durch die Predigt von Gesetz und Evangelium stehen…. Zum Artikel.

„den Prozess mit ausdrücklicher Unterstützung des Pfarrvereins geführt“. Wie 10 Synodale der EKHN 2010 einen Musterprozess gegen die 10-Jahres-Bilanzierung gewannen.

07/2016, Hess. Pfarrerblatt, vgl. S. 25ff

7a Zeitliche Begrenzung der Stelleninhaberschaft

..Schon kurz nach der Jahrtausendwende wurden Überlegungen angestellt, dass die Inhaberschaft von Pfarrstellen grundsätzlich zeitlich begrenzt sein sollte… Konkret bedeutete dies, dass Inhaber von Gemeindepfarrstellen nach 10 Jahren Dienstzeit ein Bilanzierungsgespräch zusammen mit dem Kirchenvorstand durchführen mussten. Die Entscheidung, ob der Inhaber/die Inhaberin der Pfarrstelle weiter auf dieser Stelle Dienst tun dürfe, lag beim Kirchenvorstand der jeweiligen Ortsgemeinde…

Gegen diese Regelung wurde dann von zehn Synodalen der Kirchensynode beim kirchlichen Verfassungs- und Verwaltungsgericht ein Musterprozess geführt. Unter diesen war auch Pfarrer Tobias Kraft, Niederwiesen, der als Mitglied des Vereinsvorstandes den Prozess mit ausdrücklicher Unterstützung des Pfarrvereins führte. Durch das Urteil des Gerichts, das am 7. Dezember 2010 erfolgte, wurde das entsprechende Gesetz als nicht kirchenverfassungskon-
form aufgehoben, da es mit der Kirchenordnung und dem Beamtenrecht nicht vereinbar sei, zudem einen massiven Eingriff in das Dienstverhältnis zwischen Pfarrerschaft und Kirche als Dienstgeber darstellte. Das Hauptargument war die Vernachlässigung der Fürsorgepflicht der Dienstgeberin gegen ihre Dienstnehmer, da sie durch das Verfahren die Fürsorge für die Pfarrerinnen und Pfarrer aus den Händen gab. Der Kirchenvorstand vor Ort übernahm nämlich die Funktion des Dienstgebers, was durch ein Laiengremium nicht möglich ist…

Die Position des Pfarrervereins war dabei immer deutlich. So sehr Bilanzierungsgespräche zu begrüßen sind, um die bisherige, wie auch die zukünftige Arbeit in den Gemeinden zu reflektieren, wie auch anstehende Spannungen und Konflikte zu thematisieren, dürfen sie aber nicht unter dem Druck des möglichen Endes der Stelleninhaberschaft geschehen. Außerdem ist dabei oft auch die Familie des Stelleninhabers mit betroffen. In diesem Sinne wurden die Kläger gegen dieses Gesetz vom Pfarrverein unterstützt…

INITIATIVE für ein gerechtes Kirchenrecht: Reform des Kirchenrechts unter Beachtung staatlicher Grundrechte dringend erforderlich.

05/2015

Sehr geehrter Herr Ratsvorsitzender Dr. Bedford-Strohm,

mit Freude haben wir der Presse entnommen, dass Sie sich für die Einhaltung der Menschenrechte ausgesprochen haben. 1) Schon wegen der christlichen Wurzeln sollten wir Christen nicht müde werden, uns für die Grund- und Menschenrechte einzusetzen, die unsere staatliche Verfassung garantiert. Erfreulich ist ferner, dass die EKD ein Referat für “Grund- und Menschenrechte, Europarecht“ ausweist und deren Einhaltung immer wieder anmahnt.
Es dürfte jedoch Ihrer Aufmerksamkeit entgangen sein, dass in der kirchlichen Rechtspraxis die staatlichen Grundrechte z.T. missachtet und sogar abgelehnt werden. So hat z.B. die Evangelische Kirche im Rheinland in einem Urteil behauptet, die Kirche sei nicht durch die Grundrechte gebunden. 2) Gegen dieses Urteil ist beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) Einspruch erhoben worden. Obwohl das Gericht die Beschwerde wegen fehlender Zulassungsvoraussetzungen nicht angenommen hat und die Richter sich mit dem Inhalt offenbar auch nur fiktiv befasst hatten, haben sie in ihrer ablehnenden Begründung die falschen Argumente der Kirche unreflektiert übernommen. 3) Dieser Beschluss des BVerfG ist von Juristen, Richtern und anderen Fachleuten zu Recht heftig kritisiert worden. Dennoch hat die EKD-Synode diesen missglückten Vorgang im Rahmen der Neuordnung des Pfarrdienstrechts zu einem Musterbeispiel für die Rechtsprechung ihrer Gliedkirchen erhoben…


Ein großes Ärgernis ist z.B. die teilweise schlechte Ausgestaltung des Pfarrdienstrechts, insbesondere die Paragrafen zum sogenannten “Ungedeihlichen Wirken“. 4) Danach genügt es, wenn z.B. ein Kirchenvorstand (Presbyterium) seinem Pfarrer kurzerhand das Vertrauen entzieht – völlig zu Unrecht und ohne jede Begründung!…    INI-Ki-Recht_EKD-Ratsvors_Grundre-PfDG_2015-05

Neue Lust an Leitung III: Der Vorsitzende des Pfarrverbandes, Pastor Andreas Kahnt, zum neuen Vorstoß von Peter Barrenstein (McKinsey, FAKD, AEU) zur leistungsorientierten Bezahlung für PfarrerInnen.

Die Wort-Meldungen hatten das Thema vom KirchenBunt aufgegriffen. Und setzen es hiermit fort:

Peter Barrentstein wird nicht müde, Lanzen für die „leistungsgerechte“ Bezahlung für PfarrerInnen brechen. Jüngst geschah dies in einem Interview in „Christ und Welt“. Die www.wort-meldungen.de berichteten.

Bezahlung nach „Leistung“? von Pastor Andreas Kahnt 09.12.2014

Wie kommt es nur, dass in letzter Zeit wieder mal laut darüber nachgedacht wird, ob Pfarrerinnen und Pfarrer nach Leistung bezahlt werden sollten? Noch dazu mit so eindrucksvollen Anreizen wie hier und da ein Blumenstrauß oder ein Abendessen mit Partner/-in für herausragende Leistungen (vgl. „idea“ 48/2014). Schon treten Stechuhren und Leistungsnachweise vor mein geistiges Auge; Dokumentationen zu jeder pfarramtlichen Tätigkeit sind regelmäßig mit der Fahrtkostenabrechnung zur Leistungsschau einzureichen. Und ich dachte, wir hätten das Thema in den Diskussionen um das Pfarrerdienstgesetz und das Besoldungsgesetz der EKD überwunden… Der vollständige Text.

Interessanter Hinweis zur Genese des Vorstoßes der leistungsorientierten Bezahlung im Kommentar von Lothar Grigat (ehem. Dekan, EKKW), 10.12.2014:

Andreas Kahnt hat ja so recht: in den Beratungen ums Pfarrerdienstgesetz der EKD war in der dienstrechtlichen Kommission lange über mögliche Leistungsüberprüfungen im Pfarrdienst diskutiert worden, weil von seiten der Dienstrechtler immer wieder dieser Gedanke eingebracht worden ist, aber von unserer Seite her mit all den guten Argumenten, die Kahnt vorbringt, in Abrede gestellt worden, so dass im fertigen Gesetz aus gutem Grund kein Wort mehr davon zu finden ist. Insofern ist eine neuerliche Diskussion darüber obsolet. Und keine Pfarrerin/kein Pfarrer sollte sich auf solche Überlegungen einlassen! Zur Quelle. Leitung und Führung

Wenn man zeitlich parallel zur Entstehung des Pfarrdienstgesetze nach Quellen der Leistungsorientierten Besoldung sucht, wird man wiederum bei Peter Barrenstein fündig:

In der Dokumentation des im „Rahmen von Kirche im Aufbruch“  veranstalteten Workshops „ Leitung und Führung in der Kirche – Orientierung in einem zentralen Handlungsfeld” (Berlin Schwanenwerder, 17.-19. Oktober 2008) findet sich im Impulsreferat von Peter Barrenstein eine Grafik mit Schwachstellen der Führung zwei entscheidende Punkte:

1. Skepsis gegenüber Leistungsanforderungen und -messung

2. Wenig Erfolgskontrolle

Erfolgskontrolle ist dabei ein überaus wichtiger Hinweis – wenn man sie zunächst einmal auf die hoch dotierten externen Beraterteams anwenden würde.

 

Wem soll man als ordinierter Pfarrer im Zweifelsfall gehorchen?

10. Mai 2014
Meine schriftliche Ordinationsverpflichtung, die ich vor meiner Ordination am 2. Juli 2000 eigenhändig unterschrieben habe, lautete wie folgt:

„Ich bin bereit, das Amt, das mir anvertraut wird, nach Gottes Willen in Treue zu führen, das Evangelium von Jesus Christus, wie es in der Heiligen Schrift gegeben und im Bekenntnis unserer evangelisch-lutherischen Kirche bezeugt ist, zu predigen, die Sakramente ihrer Einsetzung gemäß zu verwalten, das Beichtgeheimnis und die seelsorgerliche Verschwiegenheit zu wahren und mich in allen Dingen so zu verhalten, wie es meinem Auftrag entspricht.“ (Artikel 6 a Kirchengesetz zur Regelung des Dienstes der Pfarrer und Pfarrerinnen in der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands vom 17. Oktober 1995 mit den Anwendungsbestimmungen für die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern vom 4. Dezember 1996)…

Ich bin Gott froh, dass ich noch die alte Ordinationsverpflichtung eingehen durfte, deren offene Formulierung ja wesentlich durch den Kirchenkampf in der Zeit des Nationalsozialismus geprägt war. Da hat es ja solche pastorale Gehorsamskonflikte zwischen Schrift und Bekenntnis auf der einen Seite und Kirchenordnungen auf der anderen Seite gegeben. Wer heutzutage in einer verfassten Landeskirche ordiniert sein will, wird hingegen in das Ordinationsgelöbnis wohl kaum einen Bekenntnisvorbehalt einfügen können: “Ich gelobe, meinen Dienst nach den Ordnungen meiner Kirche auszüben, solange diese Schrift und Bekenntnis nicht widersprechen.” Welche Gesetze und Verordnungen die Synoden und Kirchenleitungen in Zukunft verabschieden oder erlassen werden, wissen wir nicht. Aber eine Auflösung der “Volkskirche” in eine zivilreligiöse Sinn- und Kasualagentur wäre noch für einige bittere Überraschungen gut. Zum vollständigen Artikel.

ELK Sachsen: Berufsbild PfarrerIn – wichtige Themen des Pfarrevereins nicht in Zwischenbericht der Lk aufgenommen

Sächsischer Pfarrverein – Jahresbericht 2013

… ein Thema, das uns als Pfarrverein in den letzten Monaten immer
wieder beschäftigt hat: Berufsbild…
Die Vorstellung erfolgte im Herbst letzten Jahres. Wir waren überrascht von der
Aggressivität, mit der uns einige Mitglieder der Steuerungsgruppe begegneten. Ich
möchte das nicht weiter ausbauen, aber unsere Verwunderung darüber wurde deutlich
zum Ausdruck gebracht…
Inzwischen ist der Zwischenbericht der Steuerungsgruppe erschienen. Auch hier
waren wir wieder, sagen wir es mal so, verwundert, wie wenig von dem, was wir
erarbeitet haben, aufgenommen worden ist. Der Bericht orientiert sich an den vier
Wesenszügen von Kirche (Martyria, Leiturgia, Diakonia, Koinonia), die in vier
Grundvollzüge übersetzt werden (Gottesdienst, Kasualien, Seelsorge und
Bildungsprozesse)…
Auch die Themen, die von uns stark gemacht wurden, wie Begleitung im Dienst,
Zurüstung, Strukturen, Zusammenarbeit usw. sind nicht in den Zwischenbericht
aufgenommen worden. Das macht das Unternehmen schon an mancher Stelle sehr
fraglich…
Ja wie denn, ist denn die Kernaufgabe des Pfarrdienstes in der Gemeinde die
„Verantwortung für die Einheit der Kirche vor Ort“, an der sich alles andere, also
Gottesdienst, Kasualien und Seelsorge zu orientieren hat? Und alles andere geschieht
dann nur noch auf regionaler Ebene?…

weiter: “
Ein Thema, was dabei immer wieder eine Rolle spielt, ist das Thema
Pfarrerdienstgesetz und alles, was sich damit verbindet. Ich nenne nur
stichpunktartig: Zusammenleben im Pfarrhaus, Gesprächsprozess, Nachhaltige
Störung, Vertretungsregelungen, Berufsbild, Besoldung.“…

 

„Praxiswerkstatt“ der Kirchenjuristen zum Pfarrdienstgesetz der EKD (§ 79ff) in Pullach vom 19. bis 22. Mai 2014

9. Mai 2014  D.A.V.I.D. gegen Mobbing in der evangelischen Kirche e.V.

Die §§ 79ff des Pfarrdienstgesetzes der EKD laden ein zu Missbrauch und willkürlicher Anwendung

Sehr geehrter Herr Oberkirchenrat Frehrking!

Im Internet sind wir, der Verein „D.A.V.I.D. gegen Mobbing in der ev. Kirche“, auf Ihre Einladung zu einer „Praxiswerkstatt“ zum Pfarrdienstrecht der EKD in Pullach vom 19. bis 22. Mai 2014 gestoßen. Diese Einladung richtet sich an „Anwender des Pfarrdienstgesetzes der EKD, Kirchenjuristinnen und Kirchenjuristen aus dem Bereich des Dienstrechts, theologisch Mitarbeitende aus den Personaldezernaten der Landeskirchenämter“, also einen höchst bedeutsamen Kreis, wenn es um die Umsetzungen der Paragraphen in die kirchliche Praxis geht. Allerdings verwundert uns Ihre Bemerkung, dass „die kirchenpolitische Diskussion um einzelne Regelungen“ nunmehr „abgekühlt“ sei und es daher jetzt darauf ankomme, „zu den neuen Bestimmungen eine EKD-weit möglichst einheitliche Verwaltungspraxis zu entwickeln“.

Wir nehmen eher das Gegenteil wahr und möchten Sie, die Tagungsleitung, aber auch die anreisenden Tagungsteilnehmer und –teilnehmerinnen sowie weitere Adressaten auf kritische Stimmen hinweisen, die bis heute nicht verstummt sind. Dabei geht es uns vornehmlich um die Paragraphenfolge 79 (2) 5; 80 (1); 83 (2); 84; 92 (2) und die willkürliche Anwendung, zu der diese Paragraphen die Möglichkeit geben.

I Kritische Stimmen:

Als erstes nennen wir den Aufruf von Frau Professorin Dr. Gisela Kittel, den der Verein „D.A.V.I.D. gegen Mobbing“ im Frühjahr 2012 an alle Theologischen Fakultäten und viele theologische Fachschaften versandt hat. Er trägt den Titel „Wie Bewährung im Pfarramt heute gemessen wird. Ein Appell an die Theologischen Fakultäten – eine Warnung an alle Studierenden der Evangelischen Theologie, sofern sie sich auf das Pfarramt vorbereiten“. Abgedruckt in der Home-Page unseres Vereins (www.david-gegen-mobbing.de) unter der Rubrik „Aktionen von David“. (Anlage 11)
Außerdem wurden von unserem Verein das Bundesjustizministerium und die einzelnen Justizministerien der Länder angeschrieben mit Hinweisen darauf, dass Gesetzgebung und Rechtsprechung der evangelischen Kirchen den übergeordneten heutigen Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit und den unveräußerlichen Grundrechten widersprechen. (Anlage 2: Schreiben an das Bundesministerium der Justiz, z.Hd. Frau Bundesministerin Leutheusser-Schnarrenberg, vom 28. Februar 2012, nebst Anhang „Vier Vorwürfe an Gesetzgebung und Rechtsprechung der evangelischen Kirchen“)
In die gleiche Richtung zielte und zielt auch eine „Initiative für ein gerechtes Kirchenrecht in der evangelischen Kirche in Hessen und Nassau“. Angeschrieben wurden von dieser Initiative der Ratsvorsitzende Dr. Nikolaus Schneider am 16. November 2012 und das Präsidium der Synode der EKD, z.Hd. des früheren Präses Dr. Günther Beckstein, am 1. Juni 2013. Ihre sorgfältig ausgearbeiteten und mit Dokumenten belegten Argumentationen hat die Initiative jetzt noch einmal zusammengefasst und Anfang April 2014 unter der Überschrift: „Die evangelische Kirche missachtet rechtsstaatliche und innerkirchliche Grundwerte“ der neuen Präses der Synode, Frau Dr. Irmgard Schwaetzer, zugesandt.
In Württemberg hat die „Interessengemeinschaft Rechtsschutz für Pfarrerinnen und Pfarrer und Gewaltenteilung in der Kirche“ in jüngster Zeit mehrere Beiträge in ihre Home-Page (www.igrechtinderkirche.de) gestellt, in denen die Frage nach der Geltung der Grundrechte auch für Pfarrpersonen deutlich artikuliert wird.
Weiter: Anlässlich der Berufung des früheren Verfassungsrichters Udo di Fabio zum Vorsitzenden des Wissenschaftlichen Beirats für das Lutherjahr 2017 hat sich Frau Professorin Dr. Gisela Kittel noch einmal zu Wort gemeldet und ihre Kritik an den Widersprüchen und befremdlichen theologischen Implikationen des Verfassungsurteils aus dem Jahr 2008 (Teil II, Abschnitt 2) wiederholt. Einer der drei Richter war damals Herr Udo di Fabio. (Anlage 3. Erscheint Mitte Mai im DtPfBl)
Zuletzt hat sich in diesen Tagen der Pastoralpsychologe und Pfarrer Dr. Traugott Schall zu Wort gemeldet und das Vorkommen der psychologischen und in keiner Weise justitiablen Begriffe „Vertrauen“ (bzw. Vertrauensentzug) und „Zerrüttung“ in einem kirchlichen Gesetzestext ins Visier genommen und deren Interpretation durch Juristen deutlich hinterfragt. Der Titel: „Ade, Freiheit der Verkündigung und Seelsorge“. (Anlage 4. Erscheint vermutlich im Oktober im DtPfBl)
Dies, Herr Oberkirchenrat Frehrking, ist nur ein Ausschnitt aus der kritischen Auseinandersetzung mit dem Pfarrdienstgesetz, die noch immer anhält. Befeuert wird diese Diskussion immer wieder neu durch Erfahrungen, wie dieses Gesetz in der Praxis angewendet wird und welch unheilvolle Folgen es  nicht nur für die betroffenen Pfarrpersonen, sondern auch für die Gemeinden hat, die das Wegmobben ihrer Pfarrer erleben. In vielen Fällen wird überhaupt erst durch die kirchenamtlichen Maßnahmen ein Konflikt in Gemeinden hineingetragen, in jedem Fall aber werden mögliche bestehende Konflikte durch sie nur noch verstärkt.
II Einladung zu willkürlicher Anwendung
Aufgezählt seien hier unsere Kritikpunkte, die sich durch Wahrnehmung und Begleitung zahlreicher Abberufungsverfahren ergeben und immer mehr verdichtet haben.
1. Es handelt sich bei den Abberufungen nach § 79 (2)5 und § 80 (1) nicht nur um „Versetzungen“ in andere gleichwertige Stellen. Nach §§ 83 (2); 84; 92 (2) werden Pfarrerinnen und Pfarrer in den Wartestand versetzt, „wenn eine Versetzung in eine andere Stelle nicht durchführbar ist“. Der Wartestand dauert drei Jahre. Während dieser Zeit werden die Versetzten mit einem „Wartegeld“ versorgt, das, nach Landeskirchen verschieden, zwischen 50% und 80% des bisherigen Gehaltes ausmacht. Sie müssen für zugewiesene Vertretungsdienste zur Verfügung stehen und sollen sich, wenn nicht weitere Einschränkungen verhängt sind, auf freie, ihrer Ausbildung entsprechende Stellen im Kirchendienst bewerben. Bleiben diese Bewerbungen jedoch ohne Erfolg – denn welcher durch ein Abberufungsverfahren stigmatisierte Pfarrer hat noch eine Chance gewählt zu werden, wenn auch andere Bewerber zur Verfügung stehen oder eine initiierte Buschtrommel vor seiner Person warnt? – so endet die berufliche Existenz der aus ihren Gemeinden vertriebenen Pfarrer und Pfarrerinnen im Ruhestand, ganz gleich wie alt oder jung sie sind.

2. Damit bewirkt dieses Gesetz eine „Bestrafung“ ohne Schuldnachweis. Denn wenn auch Kirchenjuristen nicht von „Strafe“ sprechen wollen, sondern in den negativen Folgen für die Betroffenen nur eine Art „Kollateralschaden“ erblicken (vgl. den Begründungstext zu § 80 (1)), so entsprechen die beschriebenen Konsequenzen doch sehr deutlich einer hohen Disziplinarstrafe, wie sie etwa das Disziplinarrecht der EKD für erhebliche disziplinarische Vergehen vorsieht. In den hier besprochenen Fällen aber treffen diese Bestrafungen Personen, von denen das Pfarrdienstgesetz (§ 80(1)) ausdrücklich feststellt, dass die Gründe für die Konflikte, die in der Gemeinde entstanden sind, „nicht im Verhalten oder in der Person der Pfarrerin oder des Pfarrers liegen (müssen)“.
3. Wahrscheinlich sollten einmal alle an Konflikten beteiligten Personen durch den genannten Beisatz geschützt werden. („Schmutzige Wäsche“ soll nicht gewaschen werden, wie man immer wieder hört.) Doch in der Praxis hat auch diese Bestimmung eine ganz andere Wirkung. Sie ermöglicht, dass ohne Untersuchung, ohne Konfliktklärung, ohne Wahrheitsfindung Pfarrpersonen aus ihren Ämtern entfernt werden, da ja nun – wie es in der Begründung zu § 80 wiederholt heißt – alle Fragen nach Ursachen, Inhalt und den Verantwortlichen für einen Gemeindestreit „völlig unerheblich“ sind. Zitat: „Allerdings ist auch festzuhalten, dass es letztendlich unerheblich ist, wer die Zerrüttung und Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zu verantworten hat oder verschuldet hat. Die Versetzung ist auch dann zulässig, wenn die Gründe für die Zerrüttung nicht in dem Verhalten der Pfarrerin oder des Pfarrers liegen; ebenso, wie sie im Charakter oder Verhalten der Pfarrerin oder des Pfarrers gegeben sein können, können die Gründe für eine Zerrüttung auch in dem Charakter oder Verhalten von Presbytern, Amtsbrüdern, kirchlichen Mitarbeitern oder Gemeindegliedern liegen. Eine Prüfung der Frage, wer oder was dem derzeitigen Pfarrer die gedeihliche Führung des Pfarramts unmöglich macht, verbietet sich im Allgemeinen, weil diese Frage als solche unerheblich ist.“ (Aus dem jetzt „nichtamtlich“ genannten Begründungstext der EKD)
4. Damit ist Kirchenvorständen, aber auch Gemeindegruppen, die sich wegen irgendeiner Sache über ihren Pfarrer, ihre Pfarrerin geärgert oder sie zu ihren Sündenböcken erklärt haben, ein ganz einfaches und bequemes Mittel in die Hand gegeben, eine Pfarrperson zu vertreiben. Auch Superintendenten können einem Pfarrkollegen, den sie nicht mögen, mit leichtem Instrument übel mitspielen. Mögen die Paragraphen über das Vorgehen bei „lang anhaltender Störung“ auch als „ultima ratio“ ausgegeben werden, damit in nicht mehr anders zu lösenden Konfliktfällen eine Trennung herbeigeführt werden kann, – in der kirchlichen Praxis geben sie die rechtliche Möglichkeit an die Hand, immer schon als „prima ratio“ eingesetzt zu werden.
Als ein trauriges Beispiel aus jüngster Zeit sei hier das Verfahren genannt, das die evangelisch-lutherische Kirche von Hannover gegen den Gemeindepfarrer einer Kirchengemeinde im Emsland gegenwärtig betreibt. (Das Verfahren findet bereits auf der Grundlage des Pfarrdienstgesetzes der EKD von 2010 statt.) Die Fakten, die bei der öffentlichen Gerichtsverhandlung in Hannover zur Sprache kamen, seien hier aufgeführt:
Am 8.11.2012 bringt der in einer Kirchenvorstandssitzung anwesende Superintendent außerhalb der Tagesordnung das Gespräch auf die Arbeit des Pfarrers und fordert die Kirchenvorsteher – die in ihrer Mehrheit erst  5 Monate im Amt sind und auch erst 5 Kirchenvorstandssitzungen erlebt haben – dazu auf, ihre Kritik an dem Pfarrer zusammenzutragen. Dieser selbst wird währenddessen auf den Flur geschickt. Zu einer Aussprache über die Kritik kommt es mit ihm nicht. 4 Tage später beantragt der Superintendent im Einvernehmen mit den Kirchenvorstehern bei der Kirchenleitung, ein Verfahren wegen „mangelnden gedeihlichen Wirkens“ bzw. „einer nachhaltigen Störung in der Wahrnehmung des Dienstes“ gegen den Gemeindepfarrer einzuleiten. Dies geschieht am 27. Januar 2013, drei Monate nach der Antragstellung. Bis zu diesem Datum arbeitet der Pfarrer mit seinem Kirchenvorstand störungsfrei weiter. Doch scheint den Kirchenältesten verboten worden zu sein, das Konfliktfeld mit dem Pfarrer zu besprechen. In der Gemeinde gibt es keine Konflikte. Sie ist ahnungslos und wird von der plötzlichen Beurlaubung ihres Pfarrers völlig überrascht. 5 Monate später kommt dann im Sommer 2013 das Abberufungsverfahren zum Abschluss, der Pfarrer wird in den Wartestand versetzt und mit einem gesonderten Auftrag mit entsprechender Gehaltsabsenkung in drei Altenheimen an anderen Orten beschäftigt. Ist das die „Ultima ratio“, die die Beibehaltung und Anwendung des Ungedeihlichkeits- oder Störungsparagraphen rechtfertigt?

Bei der Verhandlung vor dem kirchlichen Verwaltungsgericht am 28. März dieses Jahres waren auch Mitglieder des David-Vorstandes unter den Zuhörern. Sie haben notiert, wie der Vertreter der Landeskirche Hannover den „Tatbestand“ „Vertrauensverlust“ ins Feld führte. Nach seinen Worten ist das fehlende Vertrauen eines Kirchenvorstandes bzw. die entsprechende Behauptung eine ganz subjektive Sache, die nicht mehr hinterfragbar ist. Man muss solchen Aussagen einfach nur „glauben“. Aber solche Behauptungen führen laut PfDG EKD §§ 79ff direkt zu Versetzungen und damit zu Wartestand, Gehaltsreduzierung und häufig auch zum Berufsende der betroffenen Personen! (vgl. Anlage 5: Bericht von Frau Prof. Dr. Kittel an den Leiter der Rechtsabteilung des Kirchenamtes der EKD, Dr. Christoph Thiele.)

5. Noch ein fünfter Punkt sei hier hinzugefügt: Das Pfarrdienstgesetz in seinen §§ 79ff kann nicht nur als bequemes Rechtsmittel eingesetzt werden, um Pfarrpersonen, die in einen Konflikt hineingezogen oder geraten sind, ohne rechtsstaatliche Standards ihrer Ämter zu entheben, es kann auch schon im Vorfeld als Drohmittel dienen, um „freiwillige“ Abgänge zu erzielen. Der Kirchenstreit in der Taunusgemeinde Burgholzhausen, in dem die Gemeinde für ihren Pfarrer gegen den Kirchenvorstand – allerdings vergeblich – gekämpft hat, ist dafür ein eklatantes Beispiel, das in naher Zukunft ausführlich dokumentiert werden wird. Aus Furcht vor den angedrohten Verfahren mit der damit verbundenen Stigmatisierung, die einen Wechsel in ein anderes Amt nahezu unmöglich macht, gehen viele Pfarrpersonen lieber freiwillig aus der ihnen anvertrauten Gemeinde heraus oder lassen sich – so oftmals in früheren Zeiten – vorzeitig pensionieren. In den Statistiken der EKD kommen diese Fälle der erpressten Rückzüge in Wartestand oder vorgezogenen Ruhestand natürlich nicht vor, obwohl sie an Zahl die stattfindenden Abberufungen noch einmal deutlich übersteigen dürften.

6. Nach Kenntnis des Vereins D.A.V.I.D. hat es seit seinem Bestehen, also in den letzten 15 Jahren, EKD-weit bis zu 400 Ungedeihlichkeitsverfahren, zumindest deren Androhungen, gegeben. Über die Hälfte sind von Mitgliedern des Vereins – z.T. über mehrere Jahre – aktiv begleitet worden. Darüber hinaus ist aber von einer noch höheren Dunkelziffer auszugehen, da in der Vergangenheit betroffene Pfarrpersonen sich nicht mehr äußern, die Türen fest hinter sich verschlossen haben.

Sehr geehrter Herr Oberkirchenrat Frehrking! Wenn Sie Mitte Mai Ihre Tagung in Pullach halten, so möchten wir Sie dringend bitten, auch diese Auswirkungen in die Praxis der evangelischen Gemeinden hinein mit in den Blick zu fassen. Die angefügten Anlagen mögen Ihnen dazu eine Textgrundlage bieten.

Mit freundlichen Grüßen!

Ingrid Ullman            Sabine Sunnus                Dr. Karl Martin
Vorsitzende des Vereins    Stellvertretende Vorsitzende        Schriftführer des Vereins
D.A.V.I.D. gegen Mobbing    des Vereins D.A.V.I.D.            D.A.V.I.D. gegen Mobbing
in der evangelischen Kirche    gegen Mobbing in der ev. Kirche    in der evangelischen Kirche

D.A.V.I.D. – Ingrid Ullmann, Brabanter Str. 12, 65191 Wiesbaden

Das Schreiben ist gerichtet
An
Herrn Oberkirchenrat
Christian Frehrking
Lutherisches Kirchenamt der VELKD,
Herrenhäuser Str. 12, 30419 Hannover

In Kopie an:

Herrn Oberkirchenrat
Dr. Christoph Thiele
Kirchenamt der EKD
Herrenhäuser Str.12,   30419  Hannover

Herrn Dr. Friedrich Hauschildt
Kirchenamt der VELKD
Herrenhäuser Str. 12, 30419 Hannover

Die Leitenden Juristen in den Kirchenämtern
der evangelischen Landeskirchen

Herrn Rektor PD Dr. Detlef Dieckmann-von Bünau
Theologisches Studienseminar der VELKD
Bischof Meiser Straße 6, 82049 Pullach

Internet: www.david-gegen-mobbing.de; E-Mail: info@david-gegen-mobbing.de

Zerrüttungsprinzip in der Kirche?

Anmerkungen zu einem fragwürdigen Rechtsprinzip und dem Urteil eines Kirchengerichts vom 29.11.2013 von Professorin Gisela Kittel und Hans-Eberhard Dietrich, Dezember 2013


Damit reiht sich diese Entscheidung in die unendlich große Anzahl all der Urteile ein, die seit der Einführung von Ungedeihlichkeit und Wartestand im Jahre 1939 ergangen sind. Damit bleibt aber auch die Kritik an diesem Recht bestehen, die seit mehr als 75 Jahren geäußert wird, insbesondere aber in den letzten 10 Jahren in der Fachliteratur veröffentlich wurde. Um nur ein paar Kritikpunkte beispielhaft herauszugreifen:

+ Es schadet den betroffenen Gemeinden und dem Ansehen der Kirche:
„Kuckucksei im Pfarrerdienstrecht der EKD. Eine pastoralpsychologische Betrachtung einer konfliktträchtigen Regelung.“ Traugott Schall. Deutsches Pfarrerblatt 6/2011.
Kuckucksei

+ Es ist in keiner Weise mit reformatorischem Amtsverständnis vereinbar:
„Wider Kirchenraub und Kläffer. Luthers Ablehnung einer Zwangsversetzung von Pfarrern.“ Hans-Eberhard Dietrich. Deutsches Pfarrerblatt, 8/ 2008.“
Kirchenraub

Und: „Ohne geistlichen Sinn und biblische Weisung.“ Kirchenrecht darf es nicht ohne Bindung ans Bekenntnis geben. Hans-Eberhard Dietrich. Kirchliche Zeitgeschichte 2/2009.
OhneSinn

+ Es wird von der Kirchenverwaltung als „Unrühmliches Instrument kirchlicher Personalplanung“ missbraucht. „Wartestand – ein unrühmliches Kapitel kirchlicher Personalplanung“. Hans-Eberhard Dietrich. Deutsches Pfarrerblatt 2/2010
UnrKapitel

+ Das Zustandekommen der „nachhaltigen Störung“ wird als Willkür empfunden:
„Ist Willkür theologisch zu begründen? Oder Wie häretisch ist der Wartestand?
Karlheinz Drescher-Pfeiffer, Deutsches Pfarrerblatt 3/2011.
Willkür

Frau Professorin Kittel ist zuzustimmen, wenn sie sagte, dass die Diskussion über die Ungedeihlichkeit trotz des neuen Pfarrdienstrecht weiter gehen muss, und zwar im Interesse der Kirche und der gesamten Pfarrerschaft.
Mehr dazu.

Traugott Schall im Dt. Pfarrerblatt 6/2011 (s.o.):

„Zerrüttung hat es wie jede andere Störung einer Beziehung mit Emotionen, mit Gefühlen zu tun. Und Gefühle sind veränderbar, wandelbar, mitunter höchst unbeständig. Psychologische und pastoralpsychologische Kompetenz nimmt eine Störung in einer Beziehung wahr, fragt aber zugleich nach den Einzelheiten dieser Störung. Innerhalb einer zeitlichen Abfolge von Beratungskontakten verändern sich Gefühle. Eheberatung heißt manchmal nichts anderes als Menschen über eine schwierige Zeit bringen und ihnen Gelegenheit zum Gespräch zu geben. Bei einer Beziehungsstörung in einer Kirchengemeinde ist Ähnliches anzunehmen. … Ich postuliere: Konflikte, bzw. Zerrüttung zwischen Pfarrer und Gemeinde oder „Vertretungsorgan“ ohne vorherige kompetente und geduldige Beratung und Supervision zu regeln, ist einer christlichen Gemeinde und Kirche nicht angemessen.“

 

Revisionsverhandlungen von PfarrerInnen in Sachen „Ungedeihlichkeit“ vor dem Kirchengericht in Leipzig

Hintergrund: Pfr. T. hatte sich in erster Instanz erfolgreich gegen seine Abberufung wg. „Ungedeihlichkeit“ gewehrt, was der Amtskirche missfiel und sie veranlasste, Revision einzulegen. Die Revisionsinstanz hob das erstinstanzielle Urteil auf. Die schriftliche Urteilsbegründung liegt noch nicht vor.

Als Beobachterin berichtet Frau Prof. Gisela Kittel:

Am Freitag (29.11.) hat das kirchliche Revisionsgericht in Leipzig unter dem Vorsitz des Leitenden Richters Gatz im Verfahren von Pfarrer Rolf Thumm das letztinstanzliche Urteil gefällt. Auch ich habe die Verhandlung miterlebt. Und es kam, wie es kommen musste. Die Argumente des Düsseldorfer Urteils wurden zerpflückt, der Abberufungsbeschluss der Rheinischen Kirchenleitung wieder in Kraft gesetzt.
Und die Grundlage von allem? Es ist das Zerrüttungsprinzip, das bereits in allen VELKD- und UEK-Pfarrdienstordnungen festgeschrieben war und das nun auch im Pfarrdienstgesetz der EKD die Abberufungsmöglichkeit eines Pfarrers oder einer Pfarrerin ohne Untersuchung, ohne Wahrheitsfindung, außerhalb aller Begründungen ermöglicht. (Alle vorgebrachten Hinweise auf Verursacher und Gründe eines Konfliktes sind bekanntlich „unerheblich“) Auch Richter Gatz zog den Vergleich mit der weltlichen Ehe heran, die ohne Schuldklärung geschieden wird, wenn eine Zerrüttung vorläge. Doch kann man das miteinander vergleichen?
Die eigentliche Frage, die dringend einer Antwort bedarf, lautet: Kann man wirklich das Leben in der Gemeinde Jesu  mit einer Ehe vergleichen? Darf in ihr, die der Leib Jesu Christi ist, soetwas wie ein „Zerrüttungsprinzip“ greifen? Müssen nicht alle Anstrengungen darauf gerichtet sein, die Zerstrittenen auf der Grundlage des gemeinsamen Glaubens an den gekreuzigten Herrn wieder zusammenzuführen, wie es der Apostel Paulus etwa in Korinth vormachte (vgl. 1. Kor 1,10ff)? Doch in dieser Hinsicht erleben wir seitens unserer bürokratisierten Kirchenleitungen und oft auch selbstherrlich agierenden Superintendenten so gut wie gar nichts. Es ist ja auch sehr viel einfacher, mit dem Schwert eines Paragraphen, der die Verantwortlichen jeder Mühe heilender Gespräche und unparteiischer Nachforschungen enthebt, gewaltsam dazischen zu schlagen.
Daher möchte ich alle Pfarrvereine bitten, mit ihrem theologischen Nachdenken, ihren Protesten, ihren Eingaben und öffentlichen Verlautbarungen bei diesem Punkt anzusetzen. Das aus dem weltlichen Eherecht übernommene Zerrüttungsprinzip gehört nicht in die Kirche! Es widerspricht der biblischen Rede von der Gemeinde als dem Leib Jesu Christi sowie der ganzen reformatorischen Theologie. Und es zerstört nicht nur Pfarrerbiographien sondern eben auch Gemeinden, die angeblich auf diesem Weg zu Einheit und Frieden gebracht werden.
Frau Kirchenjuristin Döring sprach am Ende der Verhandlung mit Befriedigung davon, dass seit dem Abgang von Pfarrer Thumm in Eitorf wieder Ruhe und Frieden eingekehrt seien. Doch zu welchem Preis? Hat sie die Gemeindeglieder gezählt, die – weil sie das Unrecht gegenüber ihrem Pfarrer miterlebten – die Kirche verließen, sich haben umpfarren lassen oder in die innere Emigration ausgewandert sind? Kann man sich damit zufrieden geben, dass diejenigen, die ihren Pfarrer mit allen Mitteln (bis hin zu telephonischen Morddrohungen gegenüber Frau Thumm) loswerden wollten, „gesiegt“ haben und nun gemütlich und unter sich „in Ruhe und Frieden“ leben? Sollte nicht auch eine Kirchenleitung einmal selbstkritisch reflektieren, wie weit sie selbst durch ihre Parteinahmen und gewaltsamen Eingriffe die Konflikte und Spaltungen, die sie lösen will, gerade vertieft oder sogar hervorruft?

Professorin i.R.
Dr. Gisela Kittel

Die Kritik am Pfarrdienstrecht 2010 bleibt auch 2013 bestehen

Die Kritik am Pfarrdienstrecht der EKD 2010 bleibt auch 2013 bestehen
Hans-Eberhard Dietrich, 12. Juli 2013

Insgesamt 10 Paragraphen (§39, 79, 80, 83-86, 92-94) ermöglichen es den Kirchenverwaltungen, so wie bisher auch, Pfarrerinnen und Pfarrer aus den unterschiedlichsten Gründen zu versetzen, das Gehalt zu kürzen, zurückzustufen und zwangsweise zu pensionieren. Wie bisher auch gilt dabei als ein Grund die Ungedeihlichkeit, jetzt umbenannt in „nachhaltige Störung in der Wahrnehmung des Dienstes“ ( § 79).

Kritik an Wartestand und Ungedeihlichkeit im Gesetz von 2010 und an den bisherigen Regelungen gibt es seit Jahren, z.B. einzelne Pfarrervertretungen und Pfarrvereine, Melsunger Initiative, Interessengemeinschaft Rechtsschutz für Pfarrerinnen und Pfarrer, D.A.V.I.D., Initiative für ein gerechtes Kirchenrecht (Hessen), Theologen (z.B. Professorin Gisela Kittel- Schleudersitz für Gemeindepfarrer; – Dr.Traugott Schall – Das Kuckucksei im Pfarrerdienstrecht; Dr. Karl-Heinz Drescher-Pfeiffer – Ist Willkuer theologisch zu begründen: Oder Wie häretisch ist der Wartestand?) und viele Nichttheologen. Mehr dazu.