05/2015, von Gunther Schendel, Deutsches Pfarrerblatt
Ergebnisse einer aktuellen Befragung aus der Evang.-luth. Landeskirche in Braunschweig. Die Zufriedenheit von Pfarrerinnen und Pfarrern mit der Leitung, dem Arbeitsfeld und den Strukturreformen:
„Sechzehn Jahre ist es her, dass die Pfarrerinnen und Pfarrer der Evang.-luth. Landeskirche in Braunschweig erstmals nach ihrer Berufszufriedenheit gefragt wurden. Jetzt hat das Sozialwissenschaftliche Institut (SI) der EKD eine neue Befragung durchgeführt…
…
Resümee
Hier konnten nur einige Ergebnisse der braunschweigischen Pfarrerinnen- und Pfarrerbefragung vorgestellt werden. Wie bei den anderen Befragungen ergibt sich ein gemischtes Bild: Eine verbreitete allgemeine Zufriedenheit mit dem Pfarrberuf steht neben dem Eindruck einer gewachsenen Arbeitsverdichtung und einer zum Teil recht großen Unzufriedenheit mit konkreten Arbeitsbedingungen. Im Vergleich zu einer älteren braunschweigischen Befragung ist die Zufriedenheit mit der gegenwärtigen Arbeitssituation erkennbar – wenn auch nicht dramatisch – gesunken.
Insgesamt ergibt sich das Bild, dass die Gemeindepfarrerinnen und Gemeindepfarrer in einem sehr fragilen »Kraftfeld« arbeiten: Hilfreich sind »weiche« Faktoren im Nahbereich wie das Arbeitsklima im pastoralen Tätigkeitsfeld oder die Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen. Belastend sind der wachsende Zeitdruck und die diffuse Vielfalt der Aufgaben: Erwartungen aus der Gemeinde und organisatorische Verpflichtungen wie die Verwaltungsarbeit. Und dazu kommen – wenn man diese Perspektive einmal weiterführt – noch externe »Eingriffe« in den Nahbereich: der aktuelle Kürzungsdruck, die absehbaren rechtliche Veränderungen.
Da die aktuellen finanziellen und personellen Entwicklungen die einfache Entlastung des Pfarrpersonals unwahrscheinlich machen, muss nach anderen Wegen gesucht werden. Unsere Ergebnisse legen zwei Richtungen nahe: Neben der Arbeit am Organisationsvertrauen – eine Aufgabe aller landeskirchlicher Ebenen – erscheint auch eine stärkere Vernetzung der Pfarrerinnen und Pfarrer sinnvoll, um die sichtbar gewordene Individualisierung des Leidensdrucks aufzubrechen. Der vollständige Artikel. „
Kommentar und Ergänzung F.S.:
Bemerkenswert ist in der Sache:
1. Der Vergleich mit einer früheren (hier nicht bekannten) Befragung in der Braunschweigischen Landeskirche ist, dass „die Zufriedenheit mit der gegenwärtigen Arbeitssituation erkennbar… gesunken“ ist. (Zahlenangaben dazu fehlen im Text).
2. Die aktuellen Ergebnisse aus Braunschweig decken sich im Kern des gemeinsamen Fragenspektrums von der Tendenz her noch immer mit den Ergebnissen der ersten wissenschaftlichen Untersuchung der EKHN 2001 (verantwortlich: Dr. Dieter Becker, Dr. Peter Höhmann, Beauftragung durch den Pfarrerausschuss der EKHN Richard Dautermann – eine Studie, die Autor Gunter Schendel ignoriert…). Sie zeigte eine relativ hohe Zufriedenheit der PfarrerInnen mit dem Beruf im Kontrast zu einer hohen Unzufriedenheit mit den Leitungsorganen. Dies Ergebnis war damals für die Leitung(en) regelrecht desaströs. Hier hat sich offensichtlich in den zurückliegenden 15 Jahren (!) nichts zum Positiven verändert. Ergebnis Braunschweig: „Bei anderen Faktoren überwiegt die Unzufriedenheit. Am höchsten ist die Unzufriedenheit im Umgang mit der Kirchenleitung mit Pfarrerinnen und Pfarrern…“ (S. 274)
Die differenzierter berichtenden und bewertenden Autoren der ersten Studie, Dieter Becker und Peter Höhmann, brachten den Sachverhalt in einem späteren, im Dt. Pfarrerblattt erschienen Artikel folgendermaßen auf den Punkt:
„Im Zusammenhang mit dem Pfarrberufsergebnissen kommt Peter Höhmann zu dem Schluss: »Insgesamt ist … eine Richtung zu erkennen, auf die hin Pfarrerinnen und Pfarrer ihre Unzufriedenheit kanalisieren. Die eigenen Handlungskompetenzen werden als positiv bewertet, Teilhabe an der Gesamtkirche und damit der positionale Bezug zu den Bedingungen, unter denen die Kompetenzen sich entfalten können und sollen, bleiben von diesem Urteil getrennt.« Die empirischen Daten erhärten die These von einer »Entkirchlichung der pastoralen Berufsgruppe«. Die Rede von einer »inneren Kündigung« gegenüber der eigenen Landeskirche hat hier ihre Begründung.“
Dass sich in dieser Schlüsselfrage – der Bewertung der Leitung durch die „Schlüsselposition“ der PfarrerInnen – innerhalb von 15 Jahren keine positive Veränderung zeigt, sollte die Kirchenleitungen bedenklich stimmen.
Die relative Stabilität der Aussagen in den unterschiedlichen Landeskirchen (horizontale Sicht) über den Zeitraum von 15 Jahren (zeitlich vertikale Sicht) hinweg in den gemeinsamen Kernfragen kann am Beispiel der Frage nach dem Image der Kirche nachvollzogen werden:
3.Die Pfarrerschaft lehnt die Umbauprozesse auf breiter Front ab! Die in der früheren Studie aus der Nordkirche abgefragte und dort schon sichtbare Ablehnung konkreter Komponenten des Umbauprozessses (also der Reformen) wird in der aktuellen Braunschweiger Studie bestätigt. „Hier entsprechen die braunschweigischen Ergebnisse weitgehend denen aus dem Bereich der Nordkirche“. D.h.: 62% der Befragten sind „mehr oder weniger unzufrieden“.
4. Aufgrund der Übereinstimmungen von Studien unterschiedlicher (westlicher) Landeskirchen ist in den bislang nicht untersuchten Landeskirchen mit ähnlichen Ergebnissen auch in den anderen Landeskirchen zu rechnen. Graduelle Unterschiede etwa nach Unternehmenskultur sind dabei nicht ausgeschlossen, größere Unterschiede aufgrund der Kulturveränderung bei Landeskirchen mit fortgeschrittener Umsetzung der Reformprozesse zu erwarten.
5. Die Ergebnisse werfen Fragen auf. Auch etwa hinsichtlich der Pfarrvertretungen. Zweifellos zeigen die Ergebnisse eine große Distanz zw. Pfarrerschaft und Kirchenleitungen und eine breite Ablehnung von Leitungsentscheidungen (Stichwort Reformprozesse). Aus Managementsicht ist das bedenklich. Die Und man fragt sich: wo waren und wo bleiben da die Pfarrvertretungen? Interessenvertretungen der Pfarrrerschaft (Pfarrvereine, Pfarraussschüsse) konnten offensichtlich bei dieser Entfremdung kein Korrektiv bilden, die dies systemische Problem hätte entschärfen können. Diese Tatsache wirft Fragen auf.
Hintergrundinformationen:
Vgl. dazu die früheren Pfarrerzufriedenheitsstudien aus anderen Landeskirchen, soweit heute noch im Netz verfügbar (und also nicht – aus welchen Gründen?) von den Verantwortlichen wieder aus dem Netz entfernt:
Der EKHN aus dem Jahr 2000,
der EKKW (2003) unter dem Titel “Professionsbrüche im Pfarrberuf”
der Hannover’schen Landeskirche (2005) und
aus der Nordkirche (2010): “Pastorin und Pastor im Norden. Antworten – Fragen – Perspektiven”, Hrsg. Gothart Magaard & Wolfgang Nethöfel