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Wissenschaftliche Evaluation: ja – CHE- Ranking: nein

Stellungnahme der DGS zum (Bertelsmann -) CHE-Ranking

Seit dem Jahr 1998 werden in jedem Frühjahr die Ergebnisse des CHE-Hochschulrankings veröffentlicht, das aus einer Ranggruppenliste der universitären Standorte verschiedener akademischer Fachdisziplinen besteht. Durch die seit 2005 stattfindende Publikation in DIE ZEIT hat dieses Ranking eine hohe öffentliche Sichtbarkeit erhalten.
Seit der ersten Durchführung des CHE-Rankings sind in der Soziologie immer wieder Zweifel an dessen fachlicher Qualität geäußert worden. Dennoch haben die Institute unseres Faches mit Blick auf die Informationsbedürfnisse derer, die sich für ein Studium der Soziologie interessieren, an der Datenerhebung für das Ranking teilgenommen. Mitte letzten Jahres führten die sich häufenden fachlichen und wissenschaftspolitischen Bedenken jedoch an verschiedenen Standorten zu einem Umdenken. Das – vom CHE sehr gut bewertete – Institut für Soziologie der Universität Jena hat beschlossen, sich nicht mehr an diesem Ranking zu beteiligen. Daraufhin hat sich der Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Soziologie eingehend mit dem CHE-Ranking befasst. Nach dem Studium der zugänglichen Dokumentationen und einem längeren Gespräch mit den zuständigen Vertreterinnen des CHE gelangte der Vorstand zu folgender Einschätzung und Empfehlung, die vom Konzil der DGS am 20. April 2012 einstimmig beschlossen wurde:

FACHLICHE UND WISSENSCHAFTSPOLITISCHE BEURTEILUNG DES CHE-RANKINGS
Das CHE-Ranking weist gravierende methodische Schwächen und empirische Lücken auf. Um nur die beiden wichtigsten anzusprechen:
Die Qualität der Forschung der Standorte wird vor allem über die Einschätzung durch Kolleg/-innen sowie auf der Grundlage von Datenbanken erhoben, die der Wissenschaftsrat und auch das CHE selbst als nicht geeignet oder jedenfalls nicht hinreichend aussagekräftig beurteilen.
Ähnlich wird die Qualität der Lehre vor allem auf der Grundlage einer Studierendenbefragung erhoben, die durch schwache Rücklaufquoten, geringe Fallzahlen und eine ungeklärte Selektivität gekennzeichnet ist. Entsprechend groß ist die Gefahr von Zufallsaussagen. Dagegen werden wichtige und von den Lehrenden nicht beeinflussbare Rahmenbedingungen, so etwa die Betreuungsrelationen und die damit verbundenen Lehrveranstaltungsgrößen, nicht in die Analyse einbezogen. Bei so ungenügender Datenlage ist die Bildung einer Rangreihenfolge kaum zu rechtfertigen…

Die Publikationsformate des Rankings laden mit ihren Vereinfachungen zu weiteren Fehlwahrnehmungen der Sachlage ein:…

Auch und gerade das simplifizierende Ranking mithilfe der Ampelsymbolik täuscht über die Dürftigkeit der Datenbasis hinweg. Es suggeriert, sich hierbei den massenmedialen Präsentationserfordernissen beugend, eindeutige und verlässliche Urteile, die durch die verfügbaren Daten keineswegs gedeckt sind. Zur Stellungnahme.

Flop mit Signalwirkung: „Würzburg integriert!“ von Bertelsmann endgültig beendet

Bertelsmann-Tochter und Stadt Würzburg schleichen sich aus gepriesenem Pilotprojekt. Banken, Bundesregierung und EU forcieren Public-Private-Partnership-Vorhaben weiter.

Es ist ein Scheitern mit Signalwirkung: Die Bertelsmann-Tochter Arvato direct services GmbH und die Stadt Würzburg haben Ende September einen außergerichtlichen Vergleich geschlossen. Damit wird das gemeinsame Projekt »Würzburg integriert!« endgültig beendet.

Mehr dazu.

Monitor-Beitrag zum sog. Freihandelsabkommen TTIP

von Jens Berger

In seiner gestrigen Sendung hat sich das WDR-Magazin Monitor dankenswerterweise einmal mit den sogenannten Studien beschäftigt, auf deren Basis dem kommenden europäisch-amerikanischen Freihandelsabkommen TTIP sagenhafte Auswirkungen zur Wirtschafts- und Arbeitsplatzentwicklung zugeschrieben werden. Die NachDenkSeiten haben sich bereits im letzten Juni ausführlich mit der Bertelsmann-ifo-Studie beschäftigt, die nun auch Monitor aufgespießt. Seltsamerweise belässt es Monitor jedoch bei einer Kritik an der Politik und fasst die Autoren der Studie mit Glacéhandschuhen an. Von Jens Berger

Prof. Paul Zulehner zum Bertelsmann Religionsmonitor

Auf der Webseite Religionsmonitor können sich ab Dienstagabend auch alle Internetnutzer selbst anhand der 100 Fragen auf ihre Religiosität oder ihren Atheismus testen und dabei ihre (anonymen) Daten abliefern. Ob sie daraus schlauer werden, ist eine andere Frage. Man kann sich nun individuell, regional, national, geschlechtsspezifisch oder wie auch immer vergleichen und findet sich in einem Ranking. So ist die Welt für Bertelsmann in Ordnung. Möglicherweise aber nicht ganz zweckfrei, hofft zumindest Paul M. Zulehner, Professor für Pastoraltheologie in Wien, in seiner „wissenschaftlichen Interpretation“.

In religiös-weltanschaulicher Hinsicht erweisen sich die untersuchten Kulturen als instabil einerseits, als bunt und in produktiver Bewegung andererseits. Der Ausgang der laufenden Entwicklung ist offen. Das Ergebnis aber ist zunehmend gestaltbar: Auch ein Auto lässt sich dann am ehesten lenken, wenn es in Bewegung ist.

Das Wiener Institut für Praktische Theologie der Katholisch-Theologischen Fakultät, an dem Zulehner tätig ist, möchte schließlich, wie es dort heißt, „die Zeichen der Zeit erkennen und verstehen, um Gesellschaft und Kirche im Sinne der Geschichte Gottes mit den Menschen getragen von der Reich-Gottes-Vision mitzugestalten“. Mehr dazu.

 

Prof. Jochen Krautz: Ware Bildung – Buchbesprechung

Der große Umbau deutscher Hochschulen und die neuen Studiengänge werden weder zu besserer Anschlussfähigkeit deutscher Abschlüsse führen noch zu einer besseren akademischen Bildung. Das ist nur ein Punkt in Jochen Krautz Generalabrechnung mit der Umgestaltung des deutsche Bildungssystems, für die die Schlagworte Bologna und PISA stehen.

Unter dem Zwang der Effektivierung, des Benchmarking, Ranking und der Outputorientierung ist Bildung verloren gegangen, und deshalb stellt Krautz den Bildungsbegriff an den Beginn seiner Kritik. Als Kunsterzieher leitet er ihn anschaulich und gut verständlich aus der Betrachtung eines Reliefs über dem Tor einer tschechischen Volksschule her. Bildhaft und angenehm lesbar wie der Einstieg ist das ganze Buch geschrieben. Bildung als Persönlichkeitsentwicklung und Erziehung als ein personaler Prozess zwischen Lehrer und Schüler sind verloren gegangen, stattdessen geht es nur noch um die Ausbildung der eigenen Arbeitskraft und der quasi industriellen Produktion von Kompetenzen, um das Human-Kapital der künftigen Ich-AGs.

Zur immer noch aktuellen Buchbesprechung von Wolfgang Lieb von 2007.

Im Zeichen neoliberaler Freiheit zurück zum DDR-Sozialismus. Das Beispiel Gesundheitswesen

Das Gesundheitswesen macht ca. 10-12% des Bruttosozialproduktes Deutschlands aus. Das weckt Begehrlichkeiten der Investoren. Von den 293 Mrd. €, die p.a. In das Gesundheitswesen fließen, landen derzeit 44 Mrd. In den niedergelassenen Arztpraxen (vgl. Statist. Bundesamt). Das sind knapp 15% der Gesamtmittel, die in die Arztpraxen (Fach- und Allgemeinmedizin) fließen. Ob es Zufall ist, dass der Anteil der Pfarrgehälter an den Haushaltsvolumina der Landeskirchen ebenfalls bei (nur) 15% liegt? vgl. Kirche_ohne_(pastorale)_Zukunft, (Beitrag Pfarrstellenbemessung 2025 der EKHN). Wenn nicht, dann ist es immerhin ein interessanter Zufall.

Die Leidtragenden sind zunächst die Patienten. Schon heute. Aber viel stärker in absehbarer Zukunft. Denn bis 2020 werden ca. 50% der Hausärzte in Ruhestand gehen und verlassene Praxen hinterlassen…

Die Leidtragenden sind aber auch die unter enormen ökonomischen Druck geratenen Ärtzinnen. Offiziell gelten sie als Freiberufler. Kenner bezeichnen sie als Scheinselbständige. Wohl in keinem Sektor der Professionen findet ein derart dramatischer Umbruch statt wie bei den ÄrtzInnen. Ethische Fragestellungen und Herausforderungen, ein gewandeltes Berufsbild, ökonomischer Druck und last not least ein mediales Ärztebashing bei eigentlich guten medizinischen Leistungen tun ihre Wirkung.

Die Nöte werden in zwei aktuellen Artikeln zum Ausdruck gebracht. Zum einen von Dr. Bernd Hontschik in seinem Artikel in der aktuellen Ausgabe des Dt. Pfarrerblattes. Er rückt zuvor kursierende „Märchen“ zurecht:

Zwei Märchen

Es ist inzwischen allgemeiner Konsens, dass unser Gesundheitswesen auf eine Art Zusammenbruch zusteuert. Konsens ist, dass wir mit einer Kostenexplosion konfrontiert sind, und Konsens ist, dass die immer älter werdende Bevölkerung immer höhere Kosten der gesundheitlichen Versorgung verursachen wird. Man kann das aber auch ganz anders sehen. Ich behaupte, dass es keine Kostenexplosion im Gesundheitswesen gibt, und dass es auch noch nie eine gegeben hat. Die Ausgaben für das Gesundheitssystem sind in unserem Land seit Jahrzehnten konstant. Sie betragen 10-12% des Bruttoinlandsprodukts mit minimalen Ausschlägen nach oben oder unten. Die Kostenexplosion wird seit über 30 Jahren als Propagandabegriff benutzt, um Veränderungen im Gesundheitswesen durchzusetzen…“

Dr. Bernhard Marquardt, berichtet in Cicero über die ökonomischen Prozesse und Investorenteressen, denen ein funktionierendes Gesundheitssystem, Patienten und Ärzte geopfert werden:

Monopoly-Spiele mit der Gesundheit der Bevölkerung

Die Zahl der Hausärzte wird ausgedünnt. Als Hilfstruppen werden Arzthelferinnen, jetzt „medizinische Fachangestellte“ genannt“, zu Hausbesuchen eingesetzt nach dem „Schwester-Agnes“-Modell damals gut ausgebildeter Krankenschwestern in der DDR…

Ohne Berücksichtigung eines tatsächlichen Bedarfs wird mit einem immensen Aufwand an Steuermitteln die ambulante Öffnung hoch subventionierter Kliniken betrieben und mit deren Medizinischen Vorsorgungszentren (=Facharztkolchosen) ein unlauterer Verdrängungswettbewerb gegen die Arztpraxen inszeniert. Ziel ist die planvolle Eliminierung der Facharztpraxen auf dem Wege einer kalten, entschädigungslosen Enteignung…

Die Bürger werden bis zur erfolgreichen Durchsetzung des großen Plans über die wahren Ziele dieser Gesundheitspolitik nicht informiert.“

Wandel oder Transformation? – Liebesgrüße aus Gütersloh

„Liebesgrüße aus Gütersloh “ von Prof. Matthias Burchardt, Universität Ludwigsburg.

„Spätestens seit den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts können auffällige Veränderungen in allen Bereichen der Gesellschaft beobachtet werden: Politik, Kultur, Medien, Gesundheitswesen, Sozialsysteme, Landwirtschaft, Wirtschaft, Strafvollzug, Polizei, Kirchen, Familien und natürlich das Bildungswesen zeigen in Strukturen, Prozessen, Sprachspielen, Deutungen und Bewertungen ein gänzlich anderes Gesicht. Der vollzogene Wandel wurde in der politischen Rhetorik durch Begriffe wie Reform oder „Modernisierung“ ausgewiesen. Als Legitimation wurde – postlyotard – die große Erzählung der „Globalisierung“ bemüht, Vokabeln wie „Zukunftsfähigkeit“ erzeugten Anpassungsdruck und Thatcher’s TINA-Doktrin (There is no alternative!) gewann unausgesprochen Allgemeingültigkeit. Wie wenig diese Modernisierungsprozesse tatsächlich zur Ermöglichung von Zukunft beigetragen haben, zeigt sich an den diversen Krisen, die einerseits Folge der genannten Maßnahmen sind und gleichzeitig als Argumente für weitere „alternativlose“ Reformen herangezogen werden: ökologische Krise, Klimakrise, Überschuldungskrise, Energiekrise, Wasserkrise, Krise der Sozialsystem, Bildungskrise, Finanzkrise, Euro-Krise, Demokratiekrise, Kulturinfarkt usf.“

Hinter all diesen Prozessen steckt nicht allein die Bertelsmann-Stiftung. Aber ihr Einfluss darauf ist enorm. Welche Mittel, Methoden, Instrumente und – Personen mitwirken, beschreibt Prof. Burchardt in seinem Artikel „Liebesgrüße aus Gütersloh“ auf sehr anschauliche, bisweilen unterhaltsame Weise. Zur Lektüre wärmstens empfohlen!

Matthias Burchardt „Liebesgrüße aus Gütersloh“. Der Artikel ist erschienen in: In: Demokratie setzt aus. Gegen die sanfte Liquidation einer politischen Lebensform. Hrsg. von Ursula Frost und Markus Rieger-Ladich. Sonderheft der Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Pädagogik. Paderborn 2012. S. 65-77.