Archiv der Kategorie:
Interreligiöser Dialog

Christlicher Glaube zwischen Toleranz und Abgrenzung. Von Pfr. Dr. Rainer Oechslen, dem Islambeauftragter der Bayerischen Landeskirche.

1. Wir beginnen mit einem Gedicht des großen Orientalisten und Übersetzers Friedrich Rückert (1788-1866), der auch in unserem jetzigen Gesangbuch seine Spuren hinterlassen hat („Dein König kommt in niedern Hüllen …“, EG 14). Er schreibt um 1835:

„Ein jeder Glaube hält sich für den einzig wahren,
Und seine Kraft kann er auch so nur offenbaren.

Der einzig wahre nur ist er an seinem Ort,
Nicht minder wahr sind andere hier und dort.

Was hat denn nun ein Mensch vom Glaubenswort zu halten?
Das seinige für wahr an seinem Ort zu halten.

Sohn, halt an deinem Ort an deinem Glaubenswort,
Und lass am ihrigen die andern halten dort.“

2. Die Frage drängt sich auf, ob die Wahrheit hier „regionalisiert“ wird, ob es also an verschiedenen Orten verschiedene Wahrheiten gibt. Im religiösen Sinn besteht Wahrheit nicht aus einer Reihe von Sätzen, die universale Geltung beanspruchen. Derlei gibt es am ehesten in der Mathematik. Im religiösen Sinn ist Wahrheit etwas, worauf wir uns verlassen, eine Einsicht, die uns trägt im Leben und im Sterben. So sprechen wir z.B. von einem „wahren Freund“. Tatsächlich haben andere Menschen andere Freunde und auch die anderen können hoffentlich sagen: „Es sind wahre Freunde.“

3. Sind dann alle Religionen gleichermaßen gültig und wahr? Eine solche Aussage würde unsere Erkenntnismöglichkeiten überschreiten. Wir haben als Christen unseren Weg zu Gott – das muss uns genügen. „Der Raum jenseits unserer Erkenntnis Gottes und seines Wirkens ist der Raum der anderen Religionen und Weltanschauungen. Wie Gott in ihnen handelt oder nicht handelt, wie dort die Wege zu Gott oder die Wege Gottes zur Welt aussehen, das sind Fragen, die jenseits der uns gegebenen Einsicht in Gott und seinen Willen liegen.“ (Entwurf der „Interreligiösen Konzeption der ELKB“)

4. Die Frage, ob alle Menschen an „denselben Gott“ glauben, beantwortet sich in monotheistischen Religionen von selbst: Es gibt keinen anderen Gott als den Einen. Möglich ist allerdings, diesen einen Gott in falscher Weise zu verehren. Ein Beispiel: Wer sich zum einen Gott bekennt und dann verkündigt, dieser Gott verlange Menschenopfer, der verehrt nach christlicher, jüdischer und muslimischer Überzeugung den einen Gott auf falsche Weise. Wie steht es dann aber mit der religiösen Begründung der Todesstrafe? Es gibt diese Begründung nach wie vor innerhalb der Christenheit, nicht nur in den USA. Soll man sagen: „Die Befürworter der Todesstrafe haben einen anderen Gott“? Oder muss man nicht sagen: „Die christlichen Befürworter der Todesstrafe haben die Botschaft von der Liebe Gottes und der Rechtfertigung des Sünders aus Gnade allein nach unserer Überzeugung nicht recht verstanden“? Die Frage nach „demselben“ Gott ist, wenn sie denn gestellt wird, zuerst einmal eine Frage innerhalb der Christenheit.

5. Die römisch-katholische Kirche ist – zumindest in offiziellen Stellungnahmen – der Auffassung, dass Frauen nicht geeignet sind, priesterliche Leitungsaufgaben zu übernehmen. Hier liegt eine echte Meinungsverschiedenheit vor, die wir wohl kaum dadurch auflösen werden, dass wir behaupten, die Katholiken hätten einen „anderen Gott“. Dennoch protestiere ich gegen die katholische Auffassung, weil es hier um die Menschenrechte geht. Warum sollte ich bei Meinungsverschiedenheiten mit Muslimen oder Juden mich anders verhalten als bei Differenzen mit Katholiken? Das bedeutet nicht, dass Muslime und Juden irgendwie in das Christentum mit seinen inneren Spannungen integriert werden sollen. Wir sollten aber wissen, dass es bei Juden und Muslimen Einzelne und Gruppen gibt, die in der Frauenfrage den gleichen menschenrechtlichen Standpunkt einnehmen wie wir Protestanten.

6. Es gibt Situationen, in denen die Kirche sich von bestimmten Lehren öffentlich distanzieren muss – sogar auf die Gefahr einer Kirchenspaltung hin. Man mag an den Propheten Elia und seinen Kampf gegen den Baalskult denken (1.Kön 18). Näher liegt die Erinnerung an die „Deutschen Christen“ mit ihrem Rassismus und ihrer Verachtung des Alten Testaments. Es handelt sich hier aber um Auseinandersetzungen innerhalb der eigenen Religionsgemeinschaft. Die Lehre der „Deutschen Christen“, die man in Barmen „die Kirche verwüstende Irrtümer“ nannte, war dem deutschen Protestantismus gerade nicht fremd, sondern seit langer Zeit vertraut.

7. Weil die Wahrheit des Glaubens existentiell ist, der Glaube eine innere Überzeugung oder „Gewissensüberzeugung“ ist, deshalb verträgt er sich nicht mit Zwang. Das war reformatorische Einsicht, die ähnlich auch im Judentum und im Islam formuliert wurde. So heißt es etwa in Sure 2:256 des Korans: „Es gibt keinen Zwang in der Religion.“ Daraus folgt: Niemand darf gezwungen werden, gegen seine Überzeugung eine Religion – oder auch den Atheismus – anzunehmen. Und weiter: Christliche oder muslimische Mehrheiten – jüdische Mehrheiten gibt es seit dem Jahr 70 nach Christus erst wieder im Staat Israel – sind verpflichtet, religiöse Minderheiten mindestens zu dulden. Beim Zusammenleben in einem gemeinsamen Staat ist deshalb die Gleichberechtigung aller Bürger anzustreben.

8. Diese Verpflichtungen haben alle drei monotheistischen Religionen in – vorsichtig formuliert – sehr unterschiedlicher Weise erfüllt. Gerade das Christentum war in langen Epochen seiner Geschichte alles andere als tolerant. Was lutherische Christen besonders berührt, ist der Antijudaismus Martin Luthers, besonders in seinen letzten Lebensjahren. In dieser Phase wurde Luther auch seinen eigenen Einsichten in die „Zwanglosigkeit“ des Glaubens untreu, indem er die Staaten zu Zwangsmaßnahmen gegen die Juden anstiftete: Enteignung, Ausweisung, Zwangsarbeit, Lehrverbot, Bücherverbrennung.

9. Die Aufgabe der christlichen Gemeinden ist heute, für echte religiöse Freiheit einzutreten. Darüber hinaus aber ist der religiöse Pluralismus der Gegenwart eine religiöse Gelegenheit:
„Das Gespräch über die Wahrheit der Religion erfordert Klarheit. Immer wieder kommen Christen im Verlauf des Gesprächs an Punkte, an denen sie – vielleicht mit Erschrecken – merken, wie unklar der eigene Glaube ist. Der interreligiöse Dialog nötigt uns, den eigenen Glauben neu zu bedenken … Manchmal begegnen uns in anderen Religionen Haltungen und Sichtweisen, die bei uns wenig entwickelt, vielleicht vernachlässigt, ja vergessen sind.“ (Entwurf der „Interreligiösen Konzeption“)

Rainer Oechslen

Sami Yusuf – der größte muslimische Popsänger unserer Zeit

Veröffentlicht am 13. Oktober 2014, von Jonathan Fischer

Der Brite Sami Yusuf ist der größte muslimische Popsänger unserer Zeit. Auch in Deutschland verkauft sich seine Musik millionenfach – doch westliche Medien interessieren sich nicht für ihn. Begegnung mit einem unbekannten Star.

Der traditionelle Islam teile den Kern der Schönheit und Wahrheit mit allen Religionen: “Ich möchte diesen Teil des islamischen Erbes predigen”, verkündet er, “statt mich auf den Müll zu konzentrieren, den die Medien über uns verbreiten”. Es folgt sein Song “Corazon Send Me Home”: Wer die Schätze draußen in der Welt suche, müsse scheitern, denn sie seien nur inwendig zu finden. Spontaner Applaus. Das Publikum versteht Yusufs Spitze gegen islamische Kalifatsphantasien…

Ob der Musiker etwas dagegen habe, etwa mit Robbie Williams – Yusuf hat längst viel mehr Facebook-Likes als Williams – die Bühne zu teilen? Mmmh. Irritiertes Lächeln. Es sind Fragen, die den belesenen, Nietzsche bis Rumi zitierenden Star ein wenig aus der Fassung bringen. Nun gut, eine MTV-Einladung würde er nicht ausschlagen. Schon weil es ihm eine Plattform böte, noch mehr Spenden als bisher für die Welthungerhilfe der UNO zu sammeln. Andererseits: laute Partys, Ausschweifungen, das öffentliche Zelebrieren von Sex? Nein, das sei, inschallah, noch nie seine Welt gewesen. “Mich interessiert die Zuneigung von Groupies nicht. Ihr Gekreische ist mir peinlich. Für mich ist jedes Liebeslied eine Reflexion der göttlichen Liebe.”…

BBC-Interview am Tag vor seinem Konzert, in dem es weniger um Musik ging als um die Enthauptung eines Briten durch britische IS-Kämpfer in Syrien: “Natürlich ist es dämonisch, was die IS-Jünger anrichten. Aber was haben diese sexuell frustrierten, politisch verwirrten Menschen mit dem traditionellen Islam gemein? Warum wird von uns Muslimen erwartet, dass wir uns für sie entschuldigen? Genauso gut könnte ich von Ihnen eine Entschuldigung für die Verbrechen fundamentalistischer Christen in Amerika erwarten!”

Zum Artikel. Hinweis: Scrollen Sie die anderen Beiträge durch bis zum Artikel vom 13.10.2014 (auch über das Archiv, rechte Spalte, im Monat Oktober erreichbar)

 

 

 

Die Sancaklar-Moschee: So viel Understatement wie Emre Arolat hat noch kein Architekt eines modernen Sakralbaus in Istanbul gewagt.

6. Mai 2014, von Christiane Schlötzer, SZ

Keine bunten Kacheln, kein bunter Teppichboden – so viel Understatement traut sich in Istanbul keiner: Jetzt hat der Architekt Emre Arolat eine Moschee gebaut, die fast komplett unter der Erde liegt. Der Bau ist nicht nur ein Gegenbeispiel zur üblichen Prunkarchitektur. Er ist auch ein Wagnis. Zum Artikel.

Die besondere Ausstellung: Von der Schönheit der Schrift – Brücke zwischen den Religionen

Von Nicole Weisheit-Zenz: Arabische Kalligraphie in der Altmünsterkirche

MAINZ – Die Schönheit der Schrift bewundern, Vorurteile überwinden, gemeinsam am Frieden arbeiten: Anregungen dazu bot die Ausstellung „Herzensbildung – Heilige Texte begegnen sich“ mit drei Exponaten und Begleitprogramm in der Altmünsterkirche. Mit seinen Worten und Werken möchte der Künstler Shahid Alam Brücken bauen zwischen Kulturen und Religionen.

„Die arabische Kalligraphie beeindruckt durch ihre Ästhetik und ist zugleich eine besondere Form der Spiritualität“, erklärte Initiatorin Ilka Friedrich. Als Pfarrerin ist sie auf der Profilstelle Ökumene und interreligiöser Dialog im Dekanat Mainz tätig und sieht Kirchenräume als wichtige Orte der Begegnung. Fasziniert betrachteten die Besucher die Holztafeln mit „Gottes Poesie“ in kunstvoller arabischer Schönschrift: Dem „Vater Unser“ der Christen und der ersten „Sure Fatiha“ der Muslime – zwei der bekanntesten Gebete weltweit, zwischen denen es erstaunliche Gemeinsamkeiten gibt. Zum Artikel.

Vom 4. Mai bis 9. Juni ist die Ausstellung im Offenen Haus in Darmstadt zu sehen. Vorträge begleiten die Ausstellung, die von Montag bis Freitag von 9 bis 16 Uhr geöffnet ist. Samstags und sonntags betreut der Künstler selbst die Ausstellung. Download des Ausstellungsflyers, der einen optischen Eindruck vermittelt.

Islamische Phobien

Martin Schuck

Der islamische Theologe Mouhanad Khorchide hat ein ernstes Problem. Wie die Rheinpfalz am 19. November berichtete, werfen ihm muslimische Verbände vor, Irrlehren zu verbreiten. Normalerweise kann man über einen solchen Vorwurf lachen oder sich gemäß dem Motto „Viel Feind, viel Ehr“ geehrt fühlen; das Problem des Mouhanad Khorchide besteht aber darin, dass er an der Universität Münster am Zentrum für Islamische Theologie angehende Lehrer für das Schulfach Islamische Religionslehre ausbilden soll. Damit gerät er direkt in die Schlingen des deutschen Staatskirchenrechts, und an seinem Fall wird exemplarisch klar, dass es sich eben um ein Staatskirchenrecht handelt und nicht, wie sich manche wünschen, um ein Religionsverfassungsrecht, das gleiche gesellschaftliche Partizipationsmöglichkeiten für alle Religionen anstrebt.

Betrachtet man die Debatte um die Einführung eines islamischen Religionsunterrichts, wie sie seit fast zwei Jahrzehnten geführt wird, fallen drei unterschiedliche Interessenlagen auf. Zum ersten, aus der Sicht der muslimischen Verbände, geht es um die Teilhabe an einem Privileg, das direkt aus dem Körperschaftsstatus der christlichen Kirchen folgt und durch diesen begründet wird. Zum zweiten, aus der Sicht der Kirchen, geht es um die Hoffnung, dass die Einführung eines islamischen Religionsunterrichts wie eine Lebensversicherung für den eigenen konfessionellen Religionsunterricht wirkt. Zum dritten, aus der Sicht des politischen Systems, geht es um die befriedende Wirkung für das Gemeinwesen, die einem islamischen Religionsunterricht zugeschrieben wird; in einem Unterricht, gehalten in deutscher Sprache von einer an einer deutschen Universität ausgebildeten Lehrkraft, wird ein anderer Islam gelehrt als in einer fundamentalismusanfälligen Moschee, so das Hauptargument. Zum Artikel.

Palästina: Reisen zu den Menschen

Ein Reiseführer in die Westbank einschließlich Ostjerusalem

Der Autor Burghard Bock ist von Hause aus Theologe. Diese Sicht kommt in seinen Reiseführern immer wieder zum Vorschein. So auch in diesem:

“Endlich, endlich kann ich all die Reiseführer wegwerfen, die Palästina nur als unbeholfen zusammengestoppelten Anhang enthalten”, schrieb ein Autorenkollege begeistert. Gemeint war der im November 2011 erschienene Titel “Palestine” des britischen Reisebuchverlags Bradt Travel Guides, geschrieben von Sarah Irving. Fast zeitgleich widmet auch der erste deutsche Reiseverlag dem Thema Palästina – gemeint ist die Westbank einschließlich Ostjerusalem – einen eigenen Reiseführer. Das ist – im politisch hoch-explosiven Kontext des Nahost-Konflikts – kein leichtes Unterfangen. Zur Rezension.

Burghard Bock, Wil Tondok: Palästina – Reisen zu den Menschen, Reise Know-How Verlag, München 2011, 244 Seiten, EUR 10,00,

Muslime in Deutschland

Von Sonja Haug (Universität Regensburg) und Anja Stichs (Bundesamt für Migranten und Flüchtlinge, Nürnberg)

Über Muslime in Deutschland ist wenig bekannt. In der amtlichen Statistik ist erfasst, dass die katholische und evangelische Kirche jeweils etwa 25 Millionen Mitglieder haben, die jüdischen Gemeinden etwa 104.000.(i ) Da muslimische Gemeinden über keine zentrale Organisation und Registrierung verfügen, ist die Zahl ihrer Mitglieder unbekannt. Mehr dazu.

Jerusalem mehr Frieden durch Rückkehr zu den Grenzen von 1967

Eine Bewohnerin bezeichnete ihre Heimatstadt Jerusalem mir gegenüber als eine „Stadt der Bekloppten“. Tatsächlich, da gerade Pessach und beide Ostern in dieser Stadt gefeiert wurden, konnte ich kaum zu einem anderem Schluss kommen. Auf der anderen Seite passte ich wahrscheinlich auch gut zu den ganzen Bekloppten. Aber es half mir zu verstehen, warum Kleinigkeiten in dieser Stadt große Auswirkungen haben können.

Daher kommt es in der heiligen Stadt immer wieder zu Zusammenstößen und erbitterten Kämpfen. Ein internationales Team aus Schweitzer und Israelischen WissenschaftlerInnen haben eine Karte mit den Gewaltakten erstellt. Ihr Ziel war es damit zu berechnen, welche Maßnahmen Konflikte in der Stadt reduzieren könnten.

Das Ergebnis: Fast jede Form des Eingriffs wäre besser als die Situation so zu belassen, wie sie ist. Am meisten erhoffen sich die ForscherInnen von einer Rückkehr zu den Grenzen von 1967.

Lesen Sie dazu den Artikel in der Aargauer Zeitung.

Übergriffe militant nationalreligiöser Jugendlicher auf Klöster, Kirchen und Geistliche in Israel

Die christliche Präsenz in Israel ist unauffällig und bietet kaum Konfliktpotenzial. Entsprechend willkürlich wirken die Übergriffe militant nationalreligiöser Jugendlicher, denen Klöster, Kirchen und Geistliche in letzter Zeit immer wieder ausgesetzt waren. Lesen Sie mehr über die Angriffe auf Christen in Israel.