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Religion und Säkularisierung

Saarland Spitzenreiter vor Rheinland- Pfalz und Bayern: Ausprägung der Volkskirchlichkeit in Deutschland nach Bundesländern.

04/2015, Volkskirchlichkeit in Deutschland nach Bundesländern in der Reihenfolge nach Ausprägungsstärke. (Datenquelle: Kirchenamt der EKD, Referat Statistik; Grafik: Wort-Meldungen)

 

Bildschirmfoto vom 2015-04-19 12:06:29

Das Bonhoefferportal ist da! Alle verlässlichen Informationen zu Dietrich Bonhoeffer unter einer Webadresse und auf einer Website! Recherchen in Werksausgabe nach Kapitalüberschriften möglich.

04/2015

Herzlich willkommen auf dem Dietrich-Bonhoeffer-Portal, das seit November 2014 online ist. Nun öffnen sich Ihnen Tür und Tor. Sie können verschiedene Wege einschlagen, um diese faszinierende Person näher kennenzulernen.
Das Bonhoefferportal ist in der Kooperation der Internationalen Bonhoeffergesellschaft, deutschsprachige Sektion, mit dem Gütersloher Verlagshaus gegründet und gestaltet worden. 

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Aus dem Newsletter:

Neue Suchfunktion freigeschaltet

Seit Ende Januar ist es möglich, im Portal auf der Seite der Werkausgabe Dietrich Bonhoeffers nach Kapitelüberschriften zu recherchieren. Unter http://www.dietrich-bonhoeffer.net/leben-und-werk/werkausgabe/ sind die Inhaltsverzeichnisse nun erschlossen. Wir hoffen, Ihnen damit eine kleine Hilfe für Ihre Recherchen an die Hand zu geben. Zur Quelle.

Kann die Kirche unsere Gesellschaft noch prägen? Von Martin Schuck.

03/2015, Pfälzisches Pfarrerblatt

Nach 1945 wurde von Vertretern dieser Generation jede politische Entscheidung zu einer Frage des Bekenntnisstandes ausgerufen: Die Wiederbewaffnung, die Militärseelsorge, die Atomrüstung, später die Fragen der Weltwirtschaft und die Ökologie. Im Protestantismus der Nachkriegszeit entstand eine Tendenz, eine Gegenwirklichkeit zur säkularen Welt aufbauen zu wollen. Man war bis in die Haarspitze politisiert, aber unfähig zur Kommunikation mit den Vertretern des politischen Systems der Gesellschaft. Karl Barth, der große theologische Meister in dieser Zeit, hegte in aller Öffentlichkeit große Sympathien für den starken Kirchenbegriff des Katholizismus, obwohl er ansonsten katholisierenden Tendenzen gegenüber eher unverdächtig war. Hatte Barth sein mehrbändiges theologisches Hauptwerk mit den ersten Bänden begonnen als „Christliche Dogmatik“, so nannte er es mit den Folgebänden um in „Kirchliche Dogmatik“. Beklagte Niemöller noch 1939, dass es eigentlich gar keine evangelische Kirche gäbe, sondern nur eine protestantische Zweckgemeinschaft, so wurde plötzlich die Kirche zum Maß aller Dinge. Am liebsten hätte man die ganze Welt zur Kirche gemacht, denn irgendwie war die Kirche für alles zuständig, weil es ja immer ums Bekennen oder Verleugnen des Evangeliums ging.

Heute wird es zunehmend schwerer, diesen stark ideologisch aufgeladenen Kirchenbegriff der Nachkriegszeit aufrecht zu halten. Heutigen Protestanten ist glücklicherweise nicht mehr vermittelbar, dass man zu denen gehört, die über den Lauf der Welt exklusiv Bescheid wissen und deshalb allen anderen zu sagen haben, wo es vor allem in der Politik, aber auch in der Wirtschaft, langzugehen hat. Der Protestantismus ist bescheidener geworden und endlich aus den Schützengräben des Kirchenkampfes herausgekrochen. Seit einiger Zeit wagt man sich wieder, an alte Traditionen anzuknüpfen, wie etwa die Beschäftigung mit der Kultur. Auch ist man wieder bereit, sich als Vertreter einer Religion unter anderen zu verstehen, und hochrangige Vertreter beider Kirchen haben den Dialog mit Vertretern anderer Religionen als theologische Aufgabe entdeckt. Auch das war nach 1945 verpönt. Religiös waren die anderen, die Götzendiener. Als evangelischer Christ glaubt man an Jesus Christus, und der ist bekanntlich Ende und Erfüllung jeder von Menschen gemachten Religion und verweist die Götzen auf ihre Plätze in der hinteren Reihe. Nicht der Dialog, sondern die Verkündigung des Wortes war die angemessene Haltung diesen anderen Religionen gegenüber. Katholischerseits war es nicht viel anders: Bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil gab es keinerlei positive Verhältnisbestimmung zu anderen Religionen, ja nicht einmal zu anderen christlichen Konfessionen.

Der Protestantismus von heute bekennt sich gerne zu seiner innergesellschaftlichen Verantwortung, weiß aber nicht so genau, wie man das macht. So richtig in die Politik eingreifen, „dem Rad in die Speichen greifen“, wie Dietrich Bonhoeffer mal gesagt hatte und wie man das in den 50er, 60er und auch 70er Jahre tun wollte aber nur begrenzt konnte, traut man sich heute mit guten Gründen nicht mehr. Aber leider fehlen auch die protestantischen Persönlichkeiten in Politik, Wirtschaft und Kultur, die hierzu noch am ehesten die Möglichkeit hätten. Beim Deutschen Evangelischen Kirchentag beispielsweise merkt man, dass es immer schwieriger wird, überregional bekannte Persönlichkeiten zu finden, die neben ihrer beruflichen Tätigkeit auch kirchlich engagiert sind und als protestantische Laien aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur den Kirchentag repräsentieren können.

Auch dieser Missstand ist ein Erbe der Zeit nach 1945. Immer mehr gebildete und gesellschaftlich einflussreiche Leute kehrten in den Jahrzehnten nach Kriegende und verstärkt in den späten 60er, 70er und 80er Jahren einer ideologisch aufgeladenen evangelischen Kirche den Rücken. Wer nur Abwehrkämpfe gegen alles führt, darf sich auch nicht wundern, wenn diejenigen Menschen, die lieber gestalten als niederreißen wollen, ihre Heimat woanders suchen. Vieles von dem, was die evangelischen Kirchen wollten, war sicherlich inhaltlich richtig. Aber die Form, wie es ausgetragen wurde, wie man sich innerhalb der Gesellschaft positioniert hatte, das war einer evangelischen Kirche nicht unbedingt würdig – allzu oft verwechselte man den Anspruch des Protestantischen mit einer sturen, unversöhnlichen Haltung des Protestes und verkaufte diese ganze Rechthaberei auch noch als Ausübung eines „prophetischen Amtes“.

In diesem Zusammenhang halte ich es für angebracht, aus der Verfassung der „Vereinigten protestantisch-evangelisch-christlichen Kirche der Pfalz“ von 1818 zu zitieren. Dort wurde an entscheidender Stelle, nämlich in der Präambel, vom „Wesen des Protestantismus“ gesprochen. Es gehöre „zum innersten und heiligsten Wesen des Protestantismus […], auf der Bahn wohlgeprüfter Wahrheit und echt religiöser Aufklärung, mit ungestörter Glaubensfreiheit mutig voranzuschreiten“, wurde dort formuliert. Klarer hätten die Väter der Pfälzischen Union ihr Verständnis des Protestantischen nicht artikulieren können: Religiöse Gewissheit und Aufklärung, christliche Wahrheit und Glaubensfreiheit gehören für sie untrennbar zusammen. Das ist etwas anderes als reiner Protest um des Protests willen; es ist vielmehr eine Haltung der kritischen Solidarität mit der Welt, in die man als Christ hineingestellt ist und die man in ihrer Säkularität ernst nehmen muss…

Ansehen der Religiösen im Sinkflug. Kommunizieren Christen (in den USA) ohne Gnade? Interview mit dem amerikanischen Bestsellerautor Philip Yancey

24.12.2014

… Frage:  Der Titel Ihres neuen Buches «Vanishing Grace» klingt nach einem Kontrapunkt zu Ihrem Klassiker «What’s So Amazing About Grace?» (Gnade ist nicht nur ein Wort). Hat sich etwas in Ihrer Wahrnehmung von Gnade geändert?

Philip Yancey: Offensichtlich schwindet Gottes Gnade nicht, aber in unseren Kirchen und Gemeinden tun wir uns schwer damit, sie weiterzugeben. Als ich «Gnade ist nicht nur ein Wort» schrieb, sorgte ich mich wegen der Zunahme der religiösen Rechten, der «Moral Majority» – weniger wegen ihrer Politik, sondern weil viele Leute dachten, dass Amerika dadurch wieder eine christliche Nation werden könnte, was immer das heisst. Ich sah hierfür einfach keinen Auftrag in der Bibel.

Schliesslich strich ich vieles von dem Material, das ich zum Verhältnis von Christen zur Gesellschaft zusammengestellt hatte, wieder heraus aus dem Buch. Später fand ich diese statistischen Angaben: 1996 hatten 85 Prozent der nicht religiösen Menschen eine positive Meinung über Christen. 2010 waren es nur noch 16 Prozent. Wir tun uns schwer damit, Gnade zu kommunizieren…

? Wie kommen wir weg von diesem negativ angesehenen Christsein?
Philip Yancey: Ich erkenne drei Menschentypen, die besonders effektiv darin sind, Gottes Gnade in einer zunehmend post-christlichen Welt weiterzugeben: Aktivisten, Künstler und Pilger…

In Hebräer, Kapitel 12, Vers 15 heisst es: «Seht darauf, dass nicht jemand Gottes Gnade versäume.» Wenn wir durchs Leben gehen und darauf achten, dass niemand Gottes Gnade verpasst, fallen wir auf. Und zeigen der Welt damit ein besseres Menschenbild.“ Zum vollständigen Text des Interviews.

Zum selben Thema: „Gnadenlose Postmoderne“, Vortrag von Prof. Christoph Schwöbel, Tübingen.

Forschung: «Die koloniale Demütigung sitzt sehr tief». Interview mit der Religionspsycholgin Prof. Susanne Heine, Wien, über psychologische Aspekte der Phänomene Fundamentalismus, Religion, Islam, Pegida…

28.01.2015,

?…Fundamentalismus setzt also das Gefühl von Bedrohung voraus?
S.H.: Ja, eine Bedrohung der Identität. Der Begriff entstand Anfang des 20. Jahrhunderts, als sich in den USA protestantische Siedler gegen moderne und liberale Tendenzen in der Theologie wehrten. Sie sahen sich auch von der grossen Zahl der Einwanderer bedroht, darunter Juden und Katholiken.

? Aber heute bedrohen doch die Fundamenta­listen die Gesellschaft, nicht umgekehrt.
S.H.: Fundamentalisten legen den Finger auf Wunden, darum wäre es wichtig, genau hinzuschauen. Damals wie heute geht es um die Frage, wie wir in einer Gesellschaft miteinander umgehen, in der verschiedene Weltanschauungen zusam­mentreffen, auch durch Immigration. Wir dürfen nicht ausser Acht lassen, dass die Kirchen jahrhundertelang verordneten, was zu glauben und zu tun ist. Die Reaktion darauf war die Aufklärung, die in ihrer radikalen religionskritischen Variante Religion überhaupt abschaffen wollte, weil der Glaube wider die Vernunft sei. Dabei wurde auf beiden Seiten vergessen, dass religiöse Texte immer im zeitlichen Kontext gesehen und hermeneutisch erschlossen werden müssen, damit sie verstanden werden können…
? Sind alle Religionen gleich anfällig für fundamentalistische Tendenzen?
S.H.: Ja, und nicht nur die monotheistischen Religionen…
? Wenn man von all den Terrorzellen liest, bekommt man den Eindruck, der Islam sei ein besonders guter Nährboden für gewalttätigen Fundamentalismus.
S.H.: Nein…  Zum Interview von „Reformiert“.

Was hat der Islamismus mit dem Koran zu tun? Leserbrief von Pfr. Dr. Wolf-Rüdiger Schmidt in der SZ.

20. Januar 2015

Mögen Millionen Muslime friedfertig, unauffällig, gute Nachbarn und Kollegen sein, so ist damit die Frage doch nicht beantwortet, was der Islamismus in Gestalt von Terror, Hass, Intoleranz und Fanatismus mit dem Koran zu tun hat. Dieses wunderbare Buch, das bereits Goethe „Verehrung abnötigte“, hat dunkle wie helle Seiten, ist das Werk eines genialen Religionsgründers und zugleich Zeugnis von einem durchaus gewalttätigen Feldherrn. Heilige Schriften, ob Bibel oder Koran, müssen Überzeitlichkeit beanspruchen, wenn ihre Autoren und Gründer das Zeitliche verlassen. Die christliche Religion musste seit 300 Jahren, teils aufgezwungen, teils selbst vorangetrieben, lernen, die biblischen Schriften aus dieser Überzeitlichkeit herauszureißen und in ihrer konkreten Entstehungsgeschichte zu erforschen und zu verstehen. Der Lernprozess hat sie bis in die Fundamente hinein erschüttert und bis heute, nicht zuletzt im evangelikalen Lager, verletzt und beunruhigt…  Der vollständige Text.

 

«Den Westen interessiert nur das Öl». Interview von Reformiert mit Patriarch Ignatius Ephrem II, Oberhaupt der syrisch-orthodoxen Kirche.

14.01.2015, reformiert online

Christliche Minderheiten sind im Orient unter Druck: Ignatius Ephrem II., Oberhaupt der syrisch-orthodoxen Kirche, ist dennoch optimistisch, dass die Christen in ihren Herkunftsländern verwurzelt bleiben…

? Der Westen wagt es nur halbherzig, die Türkei als Nato-Partner an ihre historische Verantwortung zu erinnern. Auch im Irak haben sich die USA lange nicht um die orientalischen Christen gekümmert. Wenig christliche Solidarität also.

Ignatius Ephrem II: Wir wollen nicht, dass die westlichen Staaten kommen, um uns Christen zu beschützen. Aber in Wahrheit kümmert sich die westliche Politik weder um Muslime noch Christen, sondern ist vor allem im Nahen Osten an einem interessiert: den ungehinderten Zugang zum Öl. Für mich stellt sich aber auch die Frage: Ist der Westen überhaupt noch christlich?

? Gilt das auch für die USA, wo Sie lange als Geistlicher gewirkt haben?

Ignatius Ephrem II: Sicher gehen die Amerikaner mehr zur Kirche als die Europäer. Sie haben durchaus fromme Politiker. Je weiter man nach oben zum Kapitolhügel kommt, desto weniger spielt das Christliche eine Rolle…  Zum vollständigen Interview.

Zur Person: Ignatius Ephrem II., 49
steht der syrisch-orthodoxen Kirche mit weltweit fünf Millionen Mitgliedern vor. Sie gehört zu einer der ältesten christlichen Kirchen der Welt. Das Wörtchen «syrisch» leitet sich von assyrisch ab. Vor seiner Wahl zum Patriarchen 2014 war er achtzehn Jahre lang Erzbischof für die Gläubigen in den USA. Dort leben mehr syrisch-orthodoxe Christen als in der Türkei, Syrien und Irak zusammen. Im Dezember 2014 besuchte der Patriarch aus Damaskus die Schweiz mit einer Diaspora von 6000 Aramäern.

Atheismus im Mittleren Osten. Eine postislamistische Generation?

17.12.2014,, Mona Sarkis, NZZ 

Die arabischen Aufstände scheinen gescheitert – und die radikalen Islamisten die Gewinner. Tatsächlich aber haben die Revolten von 2011 eine Bewegung freigesetzt, die vielfach unbemerkt blieb: die Hinwendung zum Atheismus. Dessen Anhänger sind dem «Islamischen Staat» zahlenmässig sogar weit überlegen.
2014 befragte die Al-Azhar-Universität, Ägyptens wichtigste religiöse Institution, 6000 Bürger und kam zum Ergebnis: 12,3 Prozent von ihnen sind Atheisten. 2012 befragte das renommierte Marktforschungsinstitut Win/Gallup International 502 Saudiaraber und kam zum Ergebnis: 19 Prozent von ihnen sind «nicht religiös», weitere fünf Prozent gar überzeugte Atheisten. Vorausgesetzt, dass diese Zahlen repräsentativ sind, hiesse das: Fast ein Viertel der rund 29 Millionen Saudis ist latent oder akut religionsmüde. Und das ausgerechnet in dem Land, das die heiligsten Stätten des Islam hütet und dessen Herrscherhaus seit 1744 seine gesamte Raison d’être auf einem fundamentalistischen Religionsverständnis aufbaut…

Artikuliert werden solche Fragen und Ideen vor allem in den sozialen Netzwerken. Über 70 arabisch- und englischsprachige Facebook-Seiten mit atheistischen Inhalten verzeichnet der Islamwissenschafter Rüdiger Lohlker von der Universität Wien 2013 in einem Überblick…

Dazu sehr klug in den Nachdenkseiten:

Anmerkung Orlando Pascheit: Wenn die junge Ägypterin fragt: “Es ist also aus religiöser Sicht gut, eine Frau wegen Ehebruchs zu steinigen – aber einen 70-Jährigen, der eine 10-Jährige heiratet, soll man beglückwünschen?!”, da fühlt sich der liberale wie auch der konservative Westler bestätigt und möchte am liebsten wie weiland Professor Higgins mehr sich selbst bejubelnd singen: I think she’s got it/ Ich glaub jetzt hat sie’s. Schwieriger wird es dann für unsere Fundis inklusive kirchlichen Spitzenpersonals, wenn Aynur fragt: “Gott gab den Homosexuellen Instinkte – verbietet ihnen aber, diese auszuleben. Wozu gab er sie ihnen dann? Um sie zu quälen?” Und schwierig wird es nicht nur für der politischen Islam, sondern auch geistliche Vertreter des ganz normalen Islam um die Ecke, wenn die junge Frau fragt: “Wenn Gott und Mensch zwei voneinander getrennte Entitäten sind, muss Gott doch räumlich begrenzt sein? Sonst könnte er ja in den Menschen einfliessen – womit Gott und Mensch eins wären” Da tut sich natürlich auch unser Geistlicher vor Ort schwer.
Es tut sich mehr im Nahen Osten als der so intensiv wahrgenommene Feldzug des IS. Mona Sarkis stellt in ihrem lesenswerten Artikel das Versagen des politischen Islam als Auslöser einer Bewegung in das Zentrum, von der der Soziologe Asef Bayat einen “Postislamismus” erhofft, als einem System, in dem radikale religiöse Lesarten schrittweise zugunsten einer Fusion mit zivilen Freiheiten aufgegeben werden. – Natürlich ist es interessant und erfreulich, wenn der saudische Scharia-Gelehrte und ehemalige Salafist Abdullah al-Maliki 2011 den Schlachtruf ‘Der Islam ist die Lösung’ in ‘Die Souveränität der Umma ist die Lösung’ abwandelte und damit laut Sarkis die Herrschaft der Individuen, Sippen oder Einzelparteien ablehnt und das Volk Referenzpunkt der Legislative ansieht. Sein Buch sei damit ein Plädoyer für ein demokratisches Modell. – Bemerkenswerter fand ich persönlich die Aussage des bekennenden Atheisten Syrers Fadi, es sei fatal, die Religion aus lauter Frustration über ihren Missbrauch durch Machtmenschen über Bord zu werfen. Ihn jetzt unreflektiert abschütteln zu wollen, hieße, ein Vakuum zu schaffen, das nicht die Souveränität der Völker, sondern den nächsten Absturz bringe. Das ist kritische Klugheit, die sich nicht mehr in einem einfachen “Dagegen” erschöpft.

vgl. Pos. 10, Anm. Orlando Paschelt

Prof. Olivier Roy, Heilige Einfalt: Über die politischen Gefahren entwurzelter Religionen.

Olivier Roy, französischer Protestant, Jahrgang 1949, lehrt am European University Institute in Fiesole. Sein Buch „Heilige Einfalt: Über die politischen Gefahren entwurzelter Religionen“ gilt als Pflichtlektüre. Es liefert eine von der Meinung vieler Medien abweichende Erklärung über die Entstehung von Dschihadismus und Fundamentalismus. Bericht und Leseproben.

29.11.14, Bericht über einen Artikel der SZ in pro:

Beim Dschihadismus geht es nicht um Islam, sagt der Orientalist Oliver Roy. Den Zulauf zu Terrororganisationen wie zum IS bezeichnet er außerdem als Jugendbewegung und er ist für ihn ein Zeichen, dass Integration funktioniert.

Fundamentalismus entstehe, wenn eine Religion aus ihrer Kultur herausgelöst werde. Religion und Gesellschaft könnten sich dann nicht mehr gegenseitig formen und korrigieren, sagte Roy im Interview mit der Süddeutschen Zeitung. Der Orientalist erforscht am European University Institute im italienischen Fiesole die Ursprünge des Fundamentalismus. Er selbst ist Protestant. In seinem Buch „Heilige Einfalt“ erklärt er seine Idee, dass Kultur und Religion sich gegenseitig beeinflussen müssten, um gut zu funktionieren. Nur so bekomme n Fundamentalismendie Gesellschaft eine Werte-Basis und die Religion passe sich den Anforderungen des Lebens an.

Genau das sei beim islamischen – und auch beim christlichen – Fundamentalismus aber nicht gegeben… Mehr dazu.

Zur Vertiefung die Buchempfehlung, Rezension der NZZ und zwei Leseproben:

Olivier Roy, Heilige Einfalt. Über die politischen Gefahren entwurzelter Religionen

Rezensionsnotiz dazu in der Neuen Zürcher Zeitung, 24.07.2010
„Luzide“ findet Rezensent Clemens Klünemann diese Analyse des religiösen Fundamentalismus von Olivier Roy. Das Buch macht für ihn deutlich, wie die aktuellen Debatten um Burka und Schleier oder früher Gehorsamsgelübde gegenüber der Katholischen Kirche genuin zu den westlichen Gesellschaften gehören und diese mitgeprägt haben. Roys Beschreibung der Entkoppelung von Religion und Kultur im Prozess der Säkularisierung ist in Klünemanns Augen besonders erhellend. Danach nutzen die Religiösen die Abtrennung von der Kultur, um alle gesellschaftlichen Veränderungen zu ignorieren und sich auf dem Markt der Religionen deutlich sichtbar positionieren zu können.

Leseprobe I zu Olivier Roy: Heilige Einfalt.

Kultur und Religion: Der Bruch

Wenn Gläubige und Ungläubige in derselben Kultur zusammenkommen

Die Unmöglichkeit einer religiösen Gesellschaft

Das Religiöse schafft, meistens implizit, ein kulturelles Umfeld, weil die Religion auch als eine Kultur erlebt wird. Dass die Religion folgenreich für die Kultur ist, ist unvermeidlich, denn keine Gesellschaft kann sich ausschließlich mittels eines expliziten Glaubens behaupten. Die Herrschaftsausübung kann nur funktionieren, wenn die dominierende Religion sich zu einer Kultur entwickelt, das heißt zu einem symbolischen und imaginären System, das die gesellschaftliche und politische Ordnung legitimiert, aber den Glauben nicht zu einer Bedingung des Zusammenlebens macht. Konformität und nicht Glaube begründet eine Gesellschaft, das ist der Unterschied zwischen einer Gesellschaft und einer Gemeinschaft.

Leseprobe II

Die Orthopraxie: Wenn Laien und Religiöse sich darüber verständigen, was richtig ist

Die Säkularisierung bedeutet nicht unbedingt einen Konflikt, nicht einmal die Trennung vom Religiösen. Eine säkularisierte Gesellschaft kann weiter im Einklang mit einer religiösen Kultur und religiösen Werten bleiben. Die Säkularisierung betrifft den Glauben, aber nicht notwendigerweise die Werte. Wenn die Säkularisierung die Politik berührt und das Thema der Trennung von Religion und Staat auf den Plan ruft, verlangt sie nicht unbedingt eine Debatte über moralische Werte: Klerikale und antiklerikale Kräfte können dieselbe Vorstellung von Moral haben, und Veränderungen der Sitten führen nicht automatisch zu einem Konflikt zwischen Religion und Kultur…

Gottesdienstbesuch und Bildungserfolg. Aus: Religion und Bildung.

Religion und Bildung. Schlaglichter auf eine komplexe Beziehung

Von Marcel Helbig und Thorsten Schneider, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung
…Religionszugehörigkeit hat eine lange Tradition in der sozialwissenschaftlichen Forschung als Einflussfaktor für Bildungserfolg. Für Deutschland existieren bisher aber keine Analysen auf Basis großer Datensätze, die sich auf die Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen in Abhängigkeit von der Religionszugehörigkeit ihrer Familie beziehen. In einer gerade erschienenen Studie widmen wir uns dem Thema religionsbedingter Bildungschancen von Schülerinnen und Schülern im Vergleich zur Situation der 1960er Jahre. Ferner nimmt unsere Studie auch religionsbedingte Bildungsunterschiede in 19 europäischen Ländern in den Blick. Insgesamt greifen wir bei unseren Analysen auf Daten von fast 400.000 Kindern und Jugendlichen aus fünf Datensätzen zurück (siehe Kasten letzte Seite).

daraus:

Gottesdienstbesuch und Bildungserfolg

Wir können zeigen, dass der Besuch von Gottesdiensten positiv mit den Bildungsergebnissen im Zusammenhang steht. Für Deutschland zeigt sich eine höhere Gymnasialquote, für die untersuchten europäischen Länder ein besseres Abschneiden in standardisierten Schulleistungstests. Allerdings ist der Einfluss des Gottesdienstbesuchs auf den Bildungserfolg nicht linear. Die Analysen weisen lediglich darauf hin, dass Kinder und Jugendliche einen niedrigeren Bildungserfolg haben, wenn sie gar nicht zur Kirche gehen bzw. an religiösen Veranstaltungen teilnehmen. Zwischen jenen, die nur zu „Weihnachten und Ostern“ in die Kirche gehen, und jenen, die mindestens einmal im Monat in die Kirche gehen, zeigen sich hingegen keine Unterschiede. Auch in der amerikanischen Forschung zeigt sich, dass Kinder und Jugendliche, die an Gottesdiensten teilnehmen, einen höheren Bildungserfolg haben als jene, die dies nicht tun. Hierbei wird angenommen, dass Kinder, aber auch Eltern, die häufig einen Gottesdienst besuchen, Sozialkapital akkumulieren und darüber höhere Bildungserfolge erzielen. Die Wirkweise sozialen Kapitals wird in der Theorie unterschiedlich beschrieben. Durch den häufigen Kirchenbesuch könnten Netzwerke aufgebaut werden, durch die nützliche Informationen bereitgestellt werden. Für die Kinder könnten sich förderliche Kontakte entwickeln (zum Beispiel zu Mentoren), die sie ohne den Kirchenbesuch nicht hätten. Schließlich könnten soziale Normen zur Pflichterfüllung und Vermeidung abweichenden Verhaltens etabliert werden, deren Verletzung durch die Mitglieder der Kirchengemeinde sanktioniert werden. Auf der Basis dieser Annahmen wäre zu erwarten, dass der Bildungserfolg umso höher ist, je stärker das Engagement in der Gemeinde ist. Unsere Ergebnisse für Deutschland bestätigen diesen Sozialkapitalansatz allerdings nicht, da auch seltene Gottesdienstbesuche mit höherem Bildungserfolg einhergehen. Eine gesicherte Erklärung für die Wirkung seltener Kirchgänge haben wir nicht anzubieten. Es liegt die Vermutung nahe, dass der Besuch eines Gottesdienstes an hohen Festtagen ein Maß für die Qualität der Eltern-Kind-Beziehung sein könnte.

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