Archiv für das Jahr: 2015

Theorie der feinen Menschen I. Von Claus von Wagner.

Ausgestrahlt am 11.07.2013 im BR

Claus von Wagner ist der Shootingstar der bayerischen Kabarett-Szene. In seinem aktuellen Solo-Programm Theorie der feinen Menschen geht es vor allem den Banken und Bankern an den Kragen. Anhand treffsicherer Analysen bringt er ganz genau auf den Punkt, wie die Finanz- und Wirtschaftswelt funktioniert – oder eben nicht! Zum Video.

Aus Fehlern lernen. Doppik in Württemberg: Aufforderung, „sich vom „Konstrukt der Substanzerhaltungsrücklage in der derzeitigen Form“ zu verabschieden“

12/2015, Landessynode Württemberg

Michael Fritz (Ludwigsburg) sagte, dem Finanzausschuss sei es wichtig, auch „Dinge wegfallen zu lassen, die uns nichts bringen“. So hätten sich beispielsweise die im Haushaltsrecht vorgeschriebenen „Bausteine“ als „mühsam und papierreich,aber in Aufwand und Nutzen nicht realistisch  dargestellt“. Zudem rief er dazu auf, sich vom „Konstrukt der Substanzerhaltungsrücklage in der derzeitigen Form“ zu verabschieden: „Wir sollten auf die Buchung von Abschreibungen und eine entsprechende Darstellung des Vermö­ gensverzehrs übergehen.“ Kai Münzing (Dettingen/Erms) forderte parallel zur Einführung des neuen Rechnungswesens auch eine Verwaltungsstrukturreform, weil nebenberufliche Kirchenpfleger damit an ihre Grenzen kämen: „Wir müssen uns überlegen, ob wir es uns dauerhaft leisten wollen, Systeme zur Verfügung zu stellen, die nur kirchliche Strukturen abbilden und die Kosten verteuern.“ Dem widersprach Tobias Geiger (Filderstadt): „Mir wäre sehr recht, wenn wir weiterhin vor Ort qualifiziert ausgestattete Kirchenpflegerstellen besetzen könnten.“ Der Gesetzesentwurf wurde zur weiteren Beratung
einstimmig in den Rechtsausschuss verwiesen; …

Mehr dazu vgl. S. 8 (Haushaltsbausteine vor dem Aus)

EKHN: Werden OKR Bechingers Hypotheken in der Personalpolitik nun endlich abgebaut ? Assessmentcenter/ Potenzialanalyse nach 18 Jahren angeschafft. Das könnte ein Anfang sein.

12/2015

Wenn er gestorben sein sollte, wird er sich im Grabe herumdrehen, der frühere Personaldezernent der EKHN, der von den Banken ein Auswahlverfahren
abkupferte, mit dem er eine geringe Zahl der Allerbesten für den Pfarrberuf ausfiltern wollte. Dies Verfahren, zunächst Assessmentcenter und dann modifiziert Potenzialanalyse genannt, verfehlte nicht seine Wirkung: die Zahl der TheologiestudentInnen brach tatsächlich ein.

Das soll nun wohl besser werden. Und zwar durch ein, man höre und staune, – mit Studenten zusammen entwickeltes ! – neues Verfahren.
Das wäre eine Revolution, wenn die Entscheidung aus Einsicht käme. Und nicht angesichts bislang offensichtlich wenig fruchtender Werbemaßnahmen zum Theologiestudium als letzte Ausweg aus der dräuenden Misere des Nachwuchsmangels gedeutet werden muss (FS):
„Herbstsynode 2015

Synode der EKHN ändert Einstellungsverfahren für Pfarrerinnen und Pfarrer
Von Bernd Christoph Matern
Eine langfristige kirchliche Studienbegeleitung soll das mehrtätige Auswahlverfahren für Pfarrer ersetzen. Das hat die Synode der EKHN beschlossen. Das Ziel: Theologiestudenten bereits während des Studiums begleiten und fördern.
… „ Zur Quelle.

Nordkirchensynode: Schwieriges Thema „Mitgliederbindung“. Von Bischöfin Kirsten Fehrs, HH

12/2015
am 19. November 2015, 12. Tagung der Nordkirchensynode

TOP 2.1.: Bericht aus dem Sprengel Hamburg und Lübeck

„…3. Schwieriges

Mitgliederbindung:
Das ist der sympathische Titel für ein Problem, dem wir uns unbedingt stellen müssen.
Demographischer Wandel, Kirchenmüdigkeit, Austritte, fehlende Sozialisation.
Wir kennen sie alle, die Faktoren, die zur Abnahme der Mitgliederzahl und zur
schwindenden Bindung an die Kirche führen. Geradezu gegenläufig zu unseren Kirchensteuereinnahmen.
Was wir noch nicht kennen – oder vielleicht einfach nicht zu
Ende gedacht haben? -, sind Ansätze, wie wir gezielt eine höhere Kirchenbindung
erreichen können.

…“

Anm. F.S.: Man fragt sich: müsste diese Frage nach den Menschen, den Mitgliedern der Gemeinden und Kirchen, müsste diese Frage  nicht die Grundfrage von und für eine Kirchenreform jeder Art sein? Wieso also wird die Frage erst 10 Jahre nach der Diskussion und Implementierung der Reformmaßnahmen à la Kirche der Freiheit gestellt? Hat etwa das „Leuchtfeuer“ Landeskirchenfusion im Norden Deutschlands nichts gebracht? Hat das Leuchtfeuer vielleicht sogar zu einer Mitgliederdesorientierung geführt? Muss die Frage der Mitgliederbindung also jetzt, nach dieser Fusion von 2012, verstärkt gestellt werden, weil sich die Reformen gerade darauf, auf die Mitgliederbindung, negativ ausgewirkt haben?

Warum willst Du Dir das antun? Zum Scheitern des Kandidaten Ingo Dachwitz bei der Wahl zum Rat der EKD. Von Maximilian Hesslein

12/2015

Das ist wohl die einschneidendste Frage, die kirchlich engagierten Menschen in den letzten Jahren immer wieder gestellt wird. Warum willst Du Dir das antun in einer Organisation zu arbeiten, die sich immer nur um sich selbst dreht, die keinen Blick nach vorne hat, sondern immer nur den Mangel verwaltet? Eine Organisation, die vor allem die modernen und damit digitalen Entwicklungen verschläft. Letztlich eine Organisation, die seit mindestens zehn Jahren mehr ihre eigene Umstrukturierung bearbeitet, statt mit Gott, für die Menschen und mit ihnen und letztlich im Vertrauen auf Jesus Christus die Zukunft zu gestalten. Warum willst Du Dir das antun?
Der EKD-Synodale Ingo Dachwitz hat in seiner Bewerbungsrede für die Wahl zum Rat der EKD auf der vergangenen EKD-Synode gar von einer sterbenden Organisation gesprochen, als er diese Frage stellte.
Er macht das an seinem ganz eigenen Umfeld und eigener Erfahrung fest: Es gibt immer weniger junge Menschen, die etwas mit der Kirche in ihrer bisherigen Form zu tun haben wollen. Wenn ein Umzug zur Lösung der alten Verbindungen führt, werden keine neuen aufgebaut. Es stellt sich tatsächlich die Frage, ob die Kirche an den jungen Menschen überhaupt interessiert ist.
Das Urteil des Synodalen ist bei Lichte besehen vernichtend. Und in weiten Teilen hat er recht.
Die evangelische Kirche ist in den letzten Jahren eine getriebene des Geistes von Kirche der Freiheit. Immer noch. Man fragt sich nur, wie lange soll das gehen.
Denn der Anspruch, der in dem Papier formuliert war, eine zukunftsfähige Kirche zu gestalten, wird ja offensichtlich weit verfehlt. Der Mitgliederschwund um fast eine halbe Million Menschen im vergangenen Jahr spricht Bände. Und es ist falsch, sich da irgendwie herauszureden. Die bisher getroffenen Maßnahmen greifen nicht. Es steht zu vermuten, dass sie den Rückgang eher noch beschleunigt haben, weil durch Zusammenlegungen und Fusionen von Gemeinden, durch das ständige Drehen um Zahlen statt um Gott und die Menschen und letztlich durch die Überlastung vieler ehrenamtlicher und beruflicher Mitarbeiter in der Kirche die Relevanz der Kirche für das Leben der Menschen stetig abgenommen hat.
Ingo Dachwitz schlägt nun vor, sich der digitalen Medien zu bedienen, um wenigstens die jungen Leute nicht komplett zu verlieren. Es ist praktisch ein Gang in deren Lebenswelt. Nicht mehr warten, bis sie zu uns kommen, sondern auf sie zugehen.
Ja, das muss sein. Es braucht den kreativen Umgang mit Facebook, Twitter und Konsorten. Es braucht die Weitergabe des Evangeliums in Bildern und Videos allein deswegen, weil diese Welt durch Bilder und Videos geprägt und auf diese fixiert ist. Das ist sicher gerade für die Kirche des Wortes, wie es die evangelische Kirche nun einmal ist, eine große Herausforderung. Aber das funktioniert. Die Kirche wird sichtbarer, interessanter, präsenter und moderner.
Deswegen muss sie ihre Inhalte nicht verändern. Vielmehr gilt es gerade in der Bilderwelt des 21. Jahrhunderts den Bilderreichtum des Glaubens für die Menschen sichtbar und erlebbar zu machen.
Für die Gestaltung der Zukunft reicht es aber nicht, sich der modernen Medien zu bedienen, sondern es bedarf darüber hinaus der verlässlichen und stetigen Anlaufpunkte des Glaubens in der Nähe der Menschen. Über die virtuelle Realität hinaus müssen die Menschen die Gelegenheit haben, ihren Glauben auch an Ort und Stelle zu leben, den twitternden Pfarrer oder die postende Pfarrerin auch einmal direkt und persönlich zu erleben und ansprechen zu können.
Ohne diese Basis ist alle Bemühung im virtuellen Raum umsonst. Erst damit ist die Kirche Ruhepol mit einer deutlichen Präsenz in der unruhigen Welt.

Facebook & Kirche – ein Update. Praxiserfahrungen aus der Facebooknutzung für Organisationen.

12/2015, Timo Rieg
„Vor fünf Jahren war Facebook auch in der Öffentlichkeitsarbeit für viele noch erstaunlich fremd. Und schon damals konnte man prophezeien: bis alle relevanten kirchlichen Kommunikationsstellen auf das Facebook-Pferd aufgesattelt haben, werden längst andere Vehikel angesagt sein. Und so ist es denn auch im Jahr 2015: Facebook ist zwar noch nicht tot, doch für die Kommunikation zwischen Kirchenverwaltungen und Mitgliedern bzw. innerhalb von kirchlichen Gruppen hat es heute schon kaum noch Bedeutung.Der Hauptgrund: die private Kommunikation, damals gerade von Schüler-VZ, Wer kennt wen und ICQ-Chtas nach Facebook gewandert, ist längst zu WhatsApp weitergezogen (und sucht natürlich fleißig nach anderen, besseren Plattformen). Facebook ist als offene Kommunikationsplattform angelegt:
…“ Zum Bericht.

Synode Württemberg: Gesprächskreis Offene Kirche fordert stärkere Beteiligungskultur

12/2015, Landessynode Württemberg

 

Der Gesprächskreis Offene Kirche mahnte eine stärkere Beteiligungskultur in der Kirche an. „Wir müssen über eine strukturelle Kirchenreform nachdenken“, forderte Prof. Dr. Martin Plümicke. Zwar sei das synodale System in Württembergdemokratisch aufgebaut, die Struktur des  Oberkirchenrats sei aber reformbedürftig. „Es ist absolut nicht mehr zeitgemäß, dass in einer öffentlichen Institution Leitungspersonen in einem geheim tagenden Landeskirchenausschuss ohne jede Transparenz bestimmt werden“, so Plümicke.
…  vgl. “ Teil der Digitalisierung sein“, S. 4

EKHN- Kirchensynode: Nur noch schwacher Konsens im Nonsens: Nach der Ruhestandsversetzung der Propstin von Frankfurt/M. kann wieder eine Propstei ‚endlich‘ aufgeteilt werden.

12/2015

Ohne sichtbare inhaltliche Diskussion in der Synode werden in der EKHN die

„Propsteien neu geordnet

Mit einer knappen Mehrheit machte die Synode den Weg für eine Neuordnung der Propsteien frei. Sie betrifft vor allem Rhein-Main, Süd-Nassau, Starkenburg und Rheinhessen. Künftig sollen die bisherigen Propsteien Rhein-Main und Süd-Nassau in großen Teilen zusammengeführt und zur Propstei Rhein-Main vereinigt werden. Der Amtssitz liegt dann in Wiesbaden.“

Zur Quelle.

Mehr Flexibilität ist möglich. Auf der Landessynode Württemberg wird eine neue Gemeindeform beschlossen: Die „Verbundkirchengemeinde“

12/2015

Das kirchliche Gesetz zur Änderung der Kirchengemeindeordnung und anderer Gesetze wurde von der Landessynode nach einer harmonischen Aussprache einstimmig angenommen. Somit können sich künftig Kirchengemeinden zu einer Verbundkirchengemeinde zusammenschließen. Diese Möglichkeit erscheint vor allem für kleinere Gemeinden attraktiv. Als „Verbundkirchengemeinde“ wird eine Sonderform der Gesamtkirchengemeinde bezeichnet. In Verbundkirchengemeinden werden die verbundenen Kirchengemeinden einerseits selbständig bleiben, andererseits aber eng zusammen arbeiten….

vgl. S. 8

Der Toleranzgedanke im Islam. Von Pfr. Dr. Rainer Oechslen, Islambeauftragter der Bayerischen Landeskirche.

12/2015, wort-meldungen

Dieser Beitrag wurde schon einmal vor einem Jahr in den Wort-Meldungen veröffentlicht. Aufgrund der Aktualität und der anhaltenden Zugriffe stellen wir ihn hiermit noch einmal zur Verfügung:

1. Der Islam versteht sich als die Vollendung der Offenbarungsgeschichte Gottes, die von Abraham über Mose und Jesus zu Muhammad hinführt. Ohne Zweifel hat Gott nicht nur zu Muhammad, sondern auch zu Mose und Jesus gesprochen – und überhaupt zu allen Propheten. Durch die „Herabsendung“ des Korans sind die früheren Worte Gottes aber überholt; zumindest müssen sie nun im Licht der endgültigen Offenbarung Gottes gelesen und verstanden werden.

2. Daraus ergibt sich, dass das Judentum und das Christentum im Herrschaftsbereich des Islams eine Sonderstellung einnehmen: Juden und Christen sind „Leute der Schrift“, die nicht verfolgt werden und deren Religionsausübung von den Regierungen garantiert werden muss, die aber – zumindest in der klassischen Zeit – nicht über Muslime herrschen dürfen. Wenn man Juden und Christen „kuffār“ (Plur. von kāfir) – „Ungläubige“ nennt, dann meint diese Bezeichnung einfach Nichtmuslime, ähnlich wie das Jüdische „Goi“ oder „Goim“.

3. Völlig anders steht es mit Polytheisten im Herrschaftsbereich des Islams. Der Islam in seinem radikalen Monotheismus kann die Existenz von „Götzenanbetern“ in seinem Herrschaftsbereich nicht hinnehmen. Diese müssen entweder den „Islam annehmen“ oder auswandern, wenn sie der Todesstrafe entgehen wollen. Ähnlich steht es mit dem modernen Atheismus. In einem konsequent islamischen Denken ist für explizite Gottlosigkeit kein Platz – wobei häufig ein Mensch, der sich um Gerechtigkeit bemüht, als „anonymer Muslim“ interpretiert wird. Zitat: „Weil Gerechtigkeit eine Eigenschaft Gottes ist, kann ein Mensch, der sich um Gerechtigkeit bemüht, nicht fern von Gott sein.“

4. Faktisch hat sich der Islam in der Begegnung mit anderen Religionen als erstaunlich flexibel erwiesen. Bei der Eroberung (Nord-) Indiens war der Islam mit Religionen (der Ausdruck „Hinduismus“ ist ein Sammelbegriff für sehr verschiedene Religionen) konfrontiert, die teilweise zumindest äußerlich einem krassen Polytheismus huldigten. Dennoch hat sich unter den muslimischen Gelehrten die Meinung durchgesetzt, die Inder hätten auch heilige Schriften und seien also Anhänger einer Buchreligion und als solche zu respektieren.
Bei der Staatsgründung Indonesiens im Jahr 1945 entschied man sich dafür, keinen islamischen Staat zu gründen (obwohl 90 % der Bürger Muslime waren und sind). Man einigte sich auf die so genannte „Pancasila“, also auf fünf grundlegende Prinzipien. Eines davon ist die Anerkennung eines einzigen göttlichen Wesens. (Eine atheistische Weltanschauung ist also auch in Indonesien „verfassungswidrig“.) Dieser Regel entsprachen zunächst nur Islam und Christentum. Seither haben aber auch der Buddhismus, der Hinduismus (vor allem auf Bali) und sogar der Konfuzianismus nachweisen können, dass sie ein einziges göttliches Wesen anerkennen und deshalb zu den staatlich anerkannten Religionen gehören. Die indigenen Religionen hat man zum Teil als Sekten des Christentums und des Hinduismus interpretiert und damit ihren Anhängern auf einem Umweg Religionsfreiheit verschafft.

5. Nochmals zum Thema Umgang des Islams mit Juden und Christen: Als die Muslime im Jahr 636 Syrien eroberten, wurden sie von den meisten Christen begeistert begrüßt, denn die vorherrschende (ost-)syrische Kirche war wegen ihres nestorianischen Bekenntnisses unter erheblichem Druck der chalcedonensischen Reichskirche und damit des Staates gestanden. Ebenso begrüßten die Juden die Eroberung Jerusalems, denn sie waren einige Jahre zuvor von den Byzantinern aus der Stadt verwiesen worden. Der Status von Juden und Christen unter muslimischer Herrschaft war der von Bürgern zweiter Klasse (Dhimmis = Schutzbürger). Sie bezahlten eine Kopfsteuer und mussten dafür keinen Militärdienst leisten, eine Regelung, die man zeitweise sehr angenehm fand. Der Staat war an den – prinzipiell erwünschten – Übertritten zum Islam lange Zeit wenig interessiert, weil ihm an den Steuereinnahmen gelegen war. So blieb z.B. bis ins 13. Jahrhundert hinein die Mehrheit der Ägypter christlich. Lange Zeit waren die Leibärzte der Kalifen Christen und die Finanzverwaltung lag in der Regel in christlicher Hand – in Ägypten bis ins 18. Jahrhundert.
Mag der Status der Dhimmis häufig schwierig gewesen sein – etwa wegen der Rechtsunsicherheit, die es z.B. schwierig oder unmöglich machte, Übergriffe von Muslimen gegen Christen strafrechtlich zu verfolgen – es ging nach Überzeugung der allermeisten Historiker den christlichen Dhimmis unter der Herrschaft von Muslimen deutlich besser als es den Juden in Europa unter der Herrschaft von Christen ging.

6. Eine äußerst folgenreiche Veränderung ergab sich im 18. Jahrhundert abseits der Weltpolitik im Inneren Arabiens. Der Prediger Abd al-Wahhāb verband sich mit dem Fürstenhaus Ibn Saūd und konnte so seine Ideen durchsetzen. Die Grundidee war, die eigene Auffassung des Islams zur allein gültigen zu erklären.
Vorher galt die Regel, dass einem Muslim, der das Bekenntnis, die Shahāda, gesprochen hat, der Glaube von niemandem abgesprochen werden darf. Weil der Islam zwar Gelehrte kennt, aber keinen Klerus im christlichen Sinn und vor allem keine Hierarchie, musste die Meinung jedes Gelehrten als seine Auffassung des Islams akzeptiert werden. Nun „erfand“ Abd al-Wahhāb den „takfīr“, also die Möglichkeit, einen Muslim zum „kāfir“, zum Ungläubigen, zu erklären. Dies hatte dann, wenn der „neugebackene“ kāfir auch noch zum Feind des Islams erklärt wurde, unter Umständen tödliche Folgen. Verboten waren und sind im Wahhabismus alle Bräuche islamischer Volksfrömmigkeit, wie z.B. die Verehrung von Heiligengräbern.
Wenn auch noch erklärt wurde, dass allein der Islam der ersten Generationen der „reine Islam“ sei, alles was danach kam als „Neuerungen“ abzulehnen, dann wird aus dem Wahhabismus der Salafismus (as-salaf = die „Altvorderen“ = die ersten Generationen der Muslime).

7. Wahhabismus und Salafismus sind zunächst einmal intolerant gegen andere Auffassungen innerhalb des Islams. Neben die Möglichkeit, die reine Lehre mit Gewalt durchzusetzen, tritt im 20. Jahrhundert immer mehr die Förderung des „richtigen“ Islams durch finanzielle Zuwendungen. So waren die Wahhabiten die ersten, die nach dem Bürgerkrieg in Bosnien neue Moscheen bauten. Einen in Südosteuropa inkulturierten bzw. kontextuellen Islam durfte es nicht geben. Rechtgläubigkeit kam vor humanitärer Hilfe.
Aber auch die Korane, die im vergangenen Jahr in Deutschland von Salafisten verteilt wurden, waren in Saudi-Arabien gedruckt. Zurzeit ist Saudi-Arabien das einzige Land der Erde, in dem kein christlicher Gottesdienst stattfinden darf. Dass wir genau diesem Land Panzer verkaufen ist unverständlich, vor allem wenn man bedenkt, dass der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU im Bundestag erst jüngst ein Buch veröffentlicht hat, das die „Christenverfolgung“ in aller Welt anprangert.

8. Was man feststellen muss, ist dies: Zurzeit ringen im Islam – wie in den anderen Religionen – tolerante und intolerante Kräfte miteinander. Und es ist noch nicht entschieden, wie dieser Kampf ausgehen wird.

Rainer Oechslen