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Was die Kirche vom Fernsehn lernen kann I: Qualität kostet Geld

Das Fernsehen vereint momentan extreme Gegensätze, die nebeneinander existieren. Biedere Konzepte, die sich in Dauerschleifen wiederholen und kreative, mitreißende, neue Stoffe. Auf der einen Seite kaputtgesparter Diletantismus und auf der anderen große Investitionen mit hoher Qualität.

Es gibt strukturelle Gründe warum sich das Fernsehen parallel unterschiedlich entwickelt. Dabei lassen sich interessante Parallelen zur Lage der Kirche ziehen. Es zeigt sich die Kirche hat die Wahl welchen Kurs sie einschlägt. Es lohnt sich daher das Fernsehprogramm genauer zu betrachten.

In einer Serie werde ich 9 Thesen zur Zukunft von Kirche und Fernsehen besprechen.

  1. Qualität kostet Geld
  2. Die Quote ist eine Form der Geiselhaft
  3. Man muss seinem Produkt vertrauen
  4. Gebt den Kreativen die Macht
  5. Es gibt eine Sehnsucht nach großen Erzählungen
  6. Die feste Programmierung ist ambivalent
  7. Erfolg ist da, wo man ihn nicht sucht
  8. Wer seine Kunden/Gemeinde kennt hat Erfolg
  9. Versprechen Sie keine Wunder

Qualität kostet Geld

In Europa scheint es eine Antwort auf die überall grassierende Krise zu geben: Sparen. Doch der Sparreflex führt noch tiefer in eine Krise hinein.

Auch das Fernsehen in Deutschland leidet unter den Nachwirkungen der Bankenkrise. Die Werbeeinahnen für die privaten Sender gingen zurück. Die Sendechefs fanden eine Lösung nach europäischer Manier. Das Programm musste so billig werden, dass selbst bei sinkenden Werbeeinahnen keine Verluste entstehen. Gespart wird vor allem an der Qualität. So verzichtet das Fernsehen auf früher selbstverständliche Handwerker im Produktionsprozess. Statt SchauspielerInnen treten Laien auf und Berufsgruppen wie Beleuchter, Tontechniker und Requisiteure sind nicht eingebunden. Das Produkt ist eine Mischung aus Dilettantismus und Überdramatisierung, die ich keine zehn Minuten ertrage.

Das Fernsehen verkauft es als lebensnaher und freut sich, dass jede Werbung die Produktionskosten trägt. Das Zuschauer seit Jahren fern bleiben, erklären die Programmchefs mit den geänderten Sehgewohnheiten und dem Internet.

Ein zweites Problem ist durch die Struktur gegeben. Es geht nicht mehr um die Quote oder den Marktanteil, sondern um die Rendite. Das wirtschaftliche Denken ist extrem kurzfristig veranlagt. Die Gewinnerwartung von heute ist wichtiger als die Kundenbasis von morgen. Die große Mehrheit der privaten Fernsehsender gehören Investoren, die wollen von fast jedem Programmplatz etwa 15% Rendite erwarten. Im Jahr kommen gut 300 Millionen zusammen, die dem Fernsehen entzogen werden.

In den USA hat sich zum Glück seit längerem ein alternatives System etabliert. Dort hat das Bezahlfernsehen einen wesentlich größeren Marktanteil. Zuschauer zahlen monatlich einen Betrag bekommen im Gegenzug werbefrei ihre Serien und Filme geliefert. Wer dort seine ZuschauerInnen mit niedriger Qualität vergrault, schadet sich kurz und langfristig. Alleine damit Menschen sich entscheiden für Fernsehunterhaltung freiwillig zu zahlen, muss das Programm unterhaltsamer sein als die kostenlose Konkurrenz. Gleichzeitig ist der Weg zu höheren Renditen zur Zeit die Expansion. Mehr ZuschauerInnen bedeuten mehr Einnahmen. Doch die werden nur ein Abonnement abschließen, wenn die Produkte qualitativ überzeugen.

Die Bezahlsender in den USA haben daher keine Alternative zu spannender und hochwertiger Unterhaltung. Und man hat verstanden, dass sich dieses Ziel nur mit einem entsprechendem Aufwand erreichen lässt. Eine Staffel der viel gelobten Serien kostet um die 100 Millionen Dollar. Eine einzelne Folge spielt finanziell in einer Liga mit unserem Tatort.

Der Erfolg gibt diesem Modell Recht. Viele Serien können ihre Investitionskosten wieder einspielen und werden in den KritikerInnen gelobt.

Natürlich gibt es mehrere Faktoren, die den Erfolg vieler neuen Dramaserien erklären. Aber die Qualität ist ein bedeutender Anteil.

Für die Kirche lässt sich auch schon aus den finanziellen Aspekten lernen. Sparprogramme, die an der Qualität ansetzen führen zu einer schlechteren Bindung der Kunden. Dieses erkrankte System kann sich eine Weile lang dennoch durch seine marktbeherrschende Struktur durchsetzen. Die wachsende Masse der Unzufriedenen birgt dann aber ein hohes Wechselpotential. Im Fernsehen zeigt sich das schon lange am Erfolg von Streamingdiensten, wie Netflix, Maxdome oder Amazone Prime. Die Momentanen Einsparungen für die Pensionsfonds saugen an vielen Orten benötigtes Geld aus dem System. Natürlich muss auch für die Pensionsansprüche vorgesorgt werden. Die Landeskirchen drohen nicht nur Verluste bei Mitgliedern mit geringer Kirchenbindung. Auch die bisher stark mit der Kirche verbundenen können mit entsprechender Enttäuschung zu dem Heer der Wechselwilligen wachsen. Schon jetzt sind evangelikale eine ernstzunehmende Alternative. Rhetorisch gut geschulte Prediger, eigene Bands und hervorragend geplante Events wirken auf viele ChristInnen anziehend. Zeit und Persönliche Ansprache bewegen viele dafür freiwillig mehr als nur die Kirchensteuer zu investieren.

Der Ansatz der Bezahlsender lässt sich nicht auf die ganze Kirche übertragen. Das Potential der unzufriedenen Engagierten kann dennoch konstruktiv genutzt werden. Dazu muss aber den kleinsten Einheiten den Gemeinden mehr Autonomie zugestanden werden. Investitionen in Qualität und Angebote müssen für die Interessierten ermöglicht werden.

Dagegen kann man einwenden, dass es zu einer Zweiklassenkirche führt, in der Leistungen gegen Geld oder Zeit erbracht werden. Doch streng genommen gibt es schon immer eine solche Spaltung. Einige ChristInnen nehmen schon jetzt nur die Kasualien und wenige Festgottesdienste in Anspruch, während andere mehr Angebote wahrnehmen.

Wichtig ist, dass es keine absolute Bezahlschranke geben darf. Zusätzlich ermöglichte Leistungen dürfen keine Exklusivität werden. Das einzige Kriterium für eine Bezahlkirche muss sein, dass es auch der Allgemeinheit zu Gute kommt. Genau wie das Bezahlfernsehen neue Impulse setzen kann und damit allen anderen Programmen zu gute kommt, muss auch die Kirche es verstehen die Arbeitsergebnisse zu demokratisieren.

Gleichzeitig muss die Kirche sich auf die Qualität ihrer Arbeit konzentrieren. Die Kirchensteuern nehmen fünf Milliarden ein. Damit lassen sich unsere Landeskirchen mehr mit den öffentlich Rechtlichen, als mit Privatfernsehsendern vergleichen. Beide haben einen Auftrag, der die allgemeine Finanzierung rechtfertigt. ARD, ZDF und die Dritten sollen ein ausgewogenes Programm mit Unterhaltung und Information für alle bereitstellen. Der Auftrag der Kirche ist es zu verkündigen. Diese Basisleistungen müssen qualitativ gut abgedeckt werden. Sonst ziehen Kirche und öffentlich rechtliche sich die Grundlage ihrer allgemeinen Abgabe unter den Füßen weg.

Wenn ich im Kino oder bei einem Bezahlsender gerne für Filme bezahle, dann ist es weil ich ein gutes zusätzliches Angebot wahrnehme und unterstütze. Viele tolle Filme werden nur dann prouziert, wenn sie im Kino, Fernsehen oder Internet auch Personen finden, die bereit sind dafür zu bezahlen. Diese Plattformen sind wichtig zur Entwicklung neuer Ideen und Konzepte. Es ist nur schade, wenn sie dann das große Fernsehen nicht übernehmen will.

Auch in der Kirche gäbe es Räume um mit qualitativen Innovationen zu experimentieren. Wenn eine Gemeinde die Ressourcen und die Ideen hat, sollte sie damit experimentieren können. Neue Formen der Verkündigung, der Gemeinschaftspflege, der Öffentlichkeitsarbeit werden ausprobiert. Laden Sie nur alle dazu ein und das wichtigste: Teilen Sie die Erfahrungen und Impulse mit den anderen Gemeinden. Kulturell erschaffene Werte wachsen, wenn man sie teilt!

Wenn Sie sich mit dem Thema Fernsehen etwas befasst haben, werden Sie feststellen, dass meine Argumentation die öffentlich rechtlichenaußen vorlässt. Hier gibt es trotz Krise kein Problem mit der Finanzierung. Der Rundfunkbeitrag erwirtschaftet etwa 7,5 Milliarden €. Dennoch gibt es auch viel Schrott. Darauf und was die Kirche lernen kann gehe ich nächste Woche in „Die Gefangenschaft der Quote“ ein.

Sie säen nicht. Sie ernten nicht… Zur 5. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung der EKD.

von Friedhelm Schneider.
Die sprunghaft angestiegene Distanz der Jugendlichen zur Kirche müsste am meisten aufrütteln: 52% der Jugendlichen sind distanziert und 20% denken ernsthaft über Austritt nach. Das ist hart. Aber das ist aus Sicht der Jugendlichen auch fair. Warum?

Betrachten wir einfach Jugendarbeit der Kirchen in den zurückliegenden 2 Dekaden und nehmen wir die EKHN. 1997 pilotiert die EKHN mit dem Projekt „Prioritätenplanung und Ressourcenkonzentration“ eine neue Art der Reform, die sich von dem vorausgehenden Reformansatz, wie er 1992 in „Person und Institution“ angelegt war, distanzierte. Im Nachhinein ist klar: es war eine vorbereitende Phase des Organisationsumbaus der Kirche, der dann mit „Kirche der Freiheit“ obsiegte. Einer der ersten, stante pede umgesetzten Beschlüsse von 1997: Reduktion der Gemeindepädagogenstellen um 20%. Gemeindepädagogen – also das Personal, das in der EKHN wesentlich für die Jugendarbeit zuständig ist. Das war der massive Einstieg in das Downsizing der Jugendarbeit. Und in das Downsizing generell: des Abbau auch von Pfarrpersonal, auch von Zuweisungen für die Arbeit an der Basis, auch von Gebäuden, auch von… McKinsey ließ schon damals grüßen. Nur ein konkretes Beispiel: gab es damals in meinem Stadtteil Darmstadts mit 25000 Einwohnern noch 2 kirchensteuerfinanzierte Stellen für die Jugendarbeit, so ist es heute noch ca. eine halbe Stelle, ergänzt durch einen gemeindefinanzierten (!) Stellenanteil. Der Personalabbau mag an anderer Stelle etwas moderater erfolgt sein und punktuell mag es Unterschiede geben. Aber es kommt hinzu, dass die Pfarrerschaft heute aufgrund der Überalterung für die Jugendarbeit ebenfalls nicht mehr in dem selben Umfang wie früher zur Verfügung steht. Und dass man den Religionslehrern die Fortbildungsstätte im noblen Kronberg genommen hat, ist ein symbolischer Akt gegen eine ganze Berufsgruppe, deren Unterstützung die EKHN offensichtlich auch nicht nötig zu haben scheint.  Punktuelle neue Angebote wie einen alle 2 Jahre stattfindenen Jugendkirchentag können solche Verluste bei weitem nicht kompensieren…  Generell bleibt die Innovationsleistung als Folge der Streichorgie und Marginalisierung des Arbeitsfeldes hinter den Erfordernissen zurück.  52 Prozent distanzierte! Da machen ein paar Sonnenstrahlen noch keinen Sommer. Die Jugendarbeit ist das fünfte Rad am Wagen der Kirche. Da können sich die Mitarbeiter an der Basis noch so mühen und abrackern, sie können durch ihre Person die harte Politik der Kirche gegenüber den Jugendlichen vielleicht etwas abfedern. Sie können sie aber nicht ungeschehen machen. Wen wundern also die Ergebnisse der neuen Mitgliedschaftstudie? In anderen Landeskirchen mag die Entwicklung in der konkreten Ausgestaltung differieren. Die Politik ist aber im Prinzip dieselbe. Sie säen nicht. Sie ernten nicht…

In den letzten sieben Jahren fährt die EKHN fünf mal Haushaltsüberschüsse in Höhe von 40 bis 70 Mio.€ ein! Sie säen nicht. Sie ernten nicht. Aber ihr himmlischer Vater ernährt sie doch?

Als die EKHN vor einigen Jahren – wieder einmal – einen Haushaltsüberschuss von 40 Mio. € verbuchen konnte, regte ich in kleiner Runde an, diese Mehreinnahmen diesmal nicht in die Rücklagen zu schieben, sondern komplett in die Jugendarbeit (mit einem professionellen 10-Jahreskonzept etc.) zu investieren. Ich erntete seitens einer anwesenden kirchenleitenden Person nur verständnislose Blicke und den Hinweis, dass sich einem solchen Vorschlag in der Kirchenleitung wohl niemand anschließen würde. Wie auch? Haben nicht alle leitenden Personen internalisert: die Kirchen müssten Rücklagen bilden? Da tut es nichts zur Sache, dass die EKHN ihr Soll der Rücklagenbildung schon zu 100% übererfüllt hat, weil 70% als ausreichend gelten. Gewinne für Rücklagen, aber keine Investitionen in die Mitglieder, hier in die Jugendlichen. Das ist die von den Finanzdezernenten ausgegebene Finanzpolitik. Und die bildet das „Management“-Konzept der Kirche. Ein Konzept, das einigen grundlegenden irrtümern aufsitzt. Halten wir uns an Prof. Fredmund Malik, den Doyen des europäischen Managements aus St. Gallen: „Die Meinung, dass der Zweck von Unternehmen der Gewinn sei, ist so alt wie irreführend.. .Alle paar Jahre taucht sie in einem neuen Kleid auf… diesmal in der Sharholder-Value-Theorie…Wer sich am Shareholder-Value… orientiert, hat die Gewissheit, dass er systematisch falsche, das heißt das Unternehmen schädigende Entscheidungen trifft.“

Das ist in der Kirche passiert. Es wurden systematisch falsche Entscheidungen getroffen. Die Jugendlichen waren außerhalb des Horizonts der Kirchenleitungen und der „Hohen Häuser“ der Synoden. Die Jugendlichen werden mit den Angeboten und mit der Botschaft in der Breite nicht mehr erreicht. Es fehlt an Mitarbeitern. Und es fehlt dadurch bedingt auch an Innovationen. Es fehlt an schlüssigen Antworten auf die Herausforderungen des Wechsels von der analogen in die digitale Welt. Angesichts erhöhter Anforderungen konnte die Strategie nicht darin bestehen die Mittel zu kürzen. Das Gegenteil wäre richtig gewesen: man hätte investieren müssen. In die Jugend, und nicht in Maßnahmen, die die  Bürokratie aufbauschen ohne nennenswert bessere Leistungen im Sinne einer Unterstützung für die an der Basis arbeitenden PfarrerInnen u.a. hervorzubringen! Und wie geht es weiter: Dass Pfarrerinnenmangel droht, hat sich herumgesprochen. Wie sieht es denn mit dem Nachwuchs bei den Gemeindepädagogen aus?

Nikolaus Schneider kündigt an, man wolle aus der Studie lernen. Was aber passiert gerade in seinen Stammlanden, der EKiR? Der Finanzbedarf für die Bürokratie steigt aufgrund der von ihm zu verantwortenden Umbauprozesse. Aufgrund der Einführung der Doppik in den Regionalverwaltungen wird mehr mehr Personal für die (in diesem Falle: nutzlose!) Bürokratie benötigt. Um solche Stellen finanzieren zu können muss man in manchem Kirchenkreis an anderer Stelle einsparen. An welcher? Man muss nicht dreimal fragen – selbstverständlich spart man da, wo sich keiner wehrt – an der Jugendarbeit. So höre ich. Damit die Bürokratie lebe, stirbt die Jugendarbeit! Und so wird es vielen Kirchenkreisen der EKiR gehen –  und vielen Landeskirchen. Nikolaus Schneider…

Was heißt das für die Zukunft der Kirche? Die Jugendlichen werden zunehmend weniger von der Kirche erreicht. Die schon heute ihren Austrittswillen bekunden, werden ihn mit hoher Wahrscheinlichkeit umsetzen. Denn dieser Wille wird nur schwer und mit hohem Aufwand zu korrigieren sein. Die Austrittsquote steigt und damit werden die Kirchensteuereinnahmen, Spenden oder Beiträge weiter sinken. Man muss also die Kausalketten richtig erkennen! Weil man nicht in die Jugend investiert hat, werden Kirchensteuereinnahmen sinken! Man weiß freilich schon heute, wie die Finanzdezernenten dereinst bei rückläufigen Einnahmen in Verdrehung der Ursachenketten behaupten werden: „Gut, dass wir damals Rücklagen gebildet haben…“ Dabei werden zukünftige Rückgänge der Einnahmen auch auf ihre verfehlte Finanzpolitik heute, namentlich auf die verfehlte Kirchenpolitik gegenüber der Jugend, zurückzuführen sein! Das Problem des Managements der Kirche besteht darin, dass es nicht ganzheitlich denkt und agiert. Es folgt de facto einem beschränkten, monetären Gewinnbegriff. Noch einmal Malik: „Mit einem zu kurz gegriffenen Gewinnbegriff ist noch immer der Untergang eines Unternehmens eingeleitet worden.“ Insofern darf man die aktuellen Haushaltsüberschüsse zwar als vergänglichen Segen betrachten. Mehr noch sind sie aber Menetekel: Sie säen nicht. Sie ernten nicht. Aber ihr himmlischer Vater ernährt sie doch… – Noch!

Öffentliche Investitionen und Finanzmittel zur Erhaltung des Sozialstaates

von: Dr. Rudolf Martens

Die EU-Kommission spricht sich für „Sozialinvestitionen für Wachstum und sozialen Zusammenhalt“ aus, Wolfgang Clement fordert eine Billion Euro (= 1.000 Mrd. Euro) für eine europäische Arbeitsmarkt- und Infrastrukturpolitik. Sie soll einen Wachstumsschub auslösen und die Jugendarbeitslosigkeit in der EU bekämpfen. Die Volkswirte des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) haben eine riesige Investitionslücke ausgemacht und schlagen für die nächsten Jahre Investitionen von 75 Mrd. Euro jährlich vor.[1] Der Spiegel übersetzt die DIW-Befunde: „Kaputtgespart. Deutschland lebt von der Substanz … Verspielt die Republik ihre Zukunft?“[2]

Zum Artikel in der Gegenblende.

Nicht Wachstum, sondern weniger Ungleichheit steigert die Lebensqualität

Humaner Fortschritt (21.01.2011) – Ein noch immer aktueller Artikel von Erhard Eppler.

Jedenfalls hat gerade die Krise des Marktradikalismus Sachzwänge geschaffen, für die nun wieder marktradikale Rezepte angeboten werden können: Der Staat muss „sparen“, nicht nur in Griechenland oder Spanien. Er muss Aufgaben streichen, vielleicht auch die Mehrwertsteuer erhöhen. Nur eines darf er nicht, nicht einmal in Irland: die Steuern für Unternehmen erhöhen, auch wenn sie lächerlich niedrig sind. Denn die könnten das Wirtschaftswachstum mindern – so das Argument.

Solange Regierungen vor allem dazu da sind, das Wirtschaftswachstum zu beschleunigen, zu steigern oder wieder anzukurbeln, schafft sogar der scheiternde Marktradikalismus Zwänge, die sein Überleben sichern. Man kann es auch so ausdrücken: Wo Wachstum zum entscheidenden Ziel aller Politik erhoben wird, verzichtet diese auf ihren Primat. Wachstum als Ziel führt zum Primat der Ökonomie über eine Politik, deren Pflicht es ist, die wirtschaftlich Mächtigen bei Laune zu halten.

Was Miegel formuliert, leuchtet ein und ist, wenn man die Statistik der letzten Jahrzehnte ernst nimmt, nicht überraschend. Politisch brisant ist seine dritte These, denn sie entzieht jeder undifferenzierten Wachstumspolitik die Grundlage. Eine Politik, die vor allem höhere Wachstumsraten anpeilt, ist nicht nur vergebens – und für den Staat teuer -, sondern letztlich für die Menschen auch nutzlos.

Hier treffen sich Miegels Einsichten mit der These des Bestsellers von Richard Wilkinson und Kate Pickett „The Spirit Level“, der schon im Untertitel präzisiert, was dann auf 274 Seiten mit unzähligen Statistiken bewiesen wird: „Why euqality is better for everyone.“ Nicht Wachstum, sondern weniger Ungleichheit steigert die Lebensqualität.