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„Mit hellem Schein im Herzen“. Eine Kontroverse mit Rolf Kötter. Von Maximilian Hesslein.

 

Große Lust und Freude am Pfarramt spricht aus diesem Text, der die Bedeutung des Pfarramtes als Schlüsselfunktion kirchlicher und gesellschaftlicher Transformation errichtet und festhält (vgl. Rolf Kötters Artikel im Hess. Pfarrerblatt (S.2ff)).

Dabei geht es Ralf Kötter vor allem um eine „Präsentation des Evangeliums mitten in der Gesellschaft“. Binnenkirchliche Verengung muss abgeschafft, den Versorgungsansprüchen des Vereinskirchentums muss widersprochen, die Befreiung des Pfarrdienstes von den Fesseln der Vergangenheit muss geleistet werden.

Es steht außer Zweifel, dass das Pfarramt kein attraktiver Beruf in diesen Zeiten ist. Die Studierendenzahlen gehen seit Jahren zurück. Es fehlen die Menschen, die sich in einer klaren Orientierung am Evangelium mit Offenheit und Weite dem Dienst in der Kirche widmen und zugleich den Blick für die und in der Gesellschaft pflegen.

Kötter bietet nun an, unter Rückgriff auf die Anliegen der Reformation die Attraktivität zu steigern, indem das Pfarramt nicht mehr in seiner binnenkirchlichen Funktion gedacht wird, sondern als ein Dienst an der Gesellschaft. Das Wort Gottes muss mitten hinein in die Welt. Damit wird die Kirche ganz und gar eine Kirche für andere.

Dabei geht er mit der bestehenden Kirche hart ins Gericht. Die Kirche und die Menschen, die in ihr arbeiten, seien wehleidig, pflegten einen kirchlichen Binnen-Jargon und starre Insider-Formen.

Ja, das gibt es. Es gibt unproduktive Wehleidigkeit. Es gibt verschiedene einengende Ketten der Tradition. Es gibt das ängstliche Verharren im Status quo. Ja, das lähmt die Kirche an vielen Stellen ihrer Arbeit und ihres Dienstes.

Dass manche Formen und auch die gepflegte Sprache aber zu den Schätzen der Kirche gehören könnten, geht dem Autor leider nicht auf. Er erschöpft sich vielmehr in der pauschalen Kritik an der bestehenden Kirche und ihrer Amtsträger, bläst damit in das Horn, das seit Kirche der Freiheit Pfarrerinnen und Pfarrer demotiviert und quält. Ob diese pauschale Kritik nun zu einer besseren Motivation junger Menschen führt, als Pfarrerinnen und Pfarrer einen Beitrag für die Kirche und in der Gesellschaft zu leisten, darf bezweifelt werden. Ob Pfarrerinnen und Pfarrer sich unter diesen Voraussetzungen an eine Neuausrichtung ihres Berufes machen, ist unwahrscheinlich.

Dass die Kirche als Teil der sich weiter entwickelnden Gesellschaft manche Veränderungen nötig hat, ist unbestritten. Leider lässt die pauschale Kritik Kötters den Blick auf das bestehende Gute nicht zu. Es geht ihm damit nicht um eine kontinuierliche Weiterentwicklung, wie sie in vielen Gemeinden derzeit geleistet wird, sondern um Abwicklung und Neuaufbau.

In seinen Ideen zur theologischen Fundierung des Transformationsprozesses und zum Heraus aus den angstbesetzten Rückzugsgefechten, in seinen Ideen zur kirchlichen Präsenz in der Kommune und zur Einheit von Verwaltung und Verkündigungsdienst im Pfarramt liegen viele Chancen begründet. Die sollten wahrgenommen werden, ohne die bestehenden Amtsträger gleich zu diskeditieren. 

Societas fidei – Die Kirche als Gesellschaft des Glaubens

Vor ein paar Jahren gab es einmal den Vorschlag, am Heiligen Abend in den überfüllten oder zumindest sehr, sehr gut gefüllten Kirchen die Plätze für die ständigen Kirchgänger zu reservieren, damit diese ihren Platz nicht streitig gemacht bekommen von denen, die nur an Weihnachten in die Kirche gehen oder die möglicherweise sogar aus der Kirche ausgetreten sind. Die Weihnachtschristen oder „U-Boot-Christen“, wie es in einem wahrlich gehässigen Wort immer mal wieder heißt, müssten dann eben schauen, wo sie ihren Platz bekommen.

Die Diskussion, die sich an diesem Vorschlag entzündete, war durchaus bezeichnend für den Umgang mit der Frage: Wer gehört eigentlich zur Kirche dazu und wer nicht? Sie macht auch deutlich, wie groß an vielen Stellen die Sehnsucht nach der Kirche immer noch ist. Und sie zeigt ein wahrgenommenes hierarchisches Gefälle zwischen denen, die augenscheinlich dazugehören und denen, die dazukommen oder sich entfernt von der Kirche halten.
Die Gemeinden unserer Kirche, gemeint sind hier vor allem die Ortsgemeinden, die Menschen ihres Wohnortes wegen zusammenbringt, sind ausgesprochen komplexe und umfassende Gebilde. Sie sind eigene Gesellschaften, verwoben aus allen Teilen der örtlichen Bevölkerung. Es gehören Menschen beiderlei Geschlechts, unterschiedlichster Herkunft und Abstammung, unterschiedlichster Bildungsgrade und Lebenseinstellungen, unterschiedlichsten Alters und Berufs dazu. Ein Blick in den sonntäglichen Gottesdienst reicht, um dies auszumachen. Das gilt genauso für die Chöre und Musikgruppen wie für unsere Gesprächskreise und gerade auch für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das gibt es in unserem Land, in Europa, vielleicht in der ganzen Welt nicht besonders häufig, wenn es das so überhaupt noch irgendwo gibt.
Das macht die Gemeinden aus sich heraus so besonders wertvoll und zukunftsfähig, weil in ihr nicht Partikular- oder Einzelinteressen bedient werden, sondern der Individualisierung unserer Gesellschaft eine echte Gemeinschaft aller Menschen entgegengesetzt werden kann und häufig auch entgegengesetzt wird. Die Kirche und der Glaube sind eine Sache aller.
Gleichzeitig wird deutlich, dass sich manche Menschen vermehrt in der Kirche wiederfinden. Andere hingegen nur vereinzelt vorkommen. Da spielen persönliche Vorlieben in Musik und Lebensgestaltung eine Rolle. Da sind auch die berufliche Belastung und die familiäre Situation entscheidend. Wer etwa am Sonntagmorgen den einzigen gemeinsamen Familientermin in der Woche hat, wird sich schwer tun, eine oder eineinhalb Stunden davon für den Gottesdienst zu opfern.
Seit vielen Jahren schon macht sich nun die Kirche Gedanken darüber, wie mit diesem Befund umzugehen ist. Die Bevölkerung wird aus soziologischer Sicht betrachtet. Auch in diesen Untersuchungen wird deutlich, dass es einen unterschiedlich starken Umgang in verschiedenen gesellschaftlichen Milieus mit der Kirche gibt und dass manche Gruppen in den einzelnen Gemeinden überhaupt nicht mehr vorhanden zu sein scheinen. Sie gehören nicht dazu. Oder sie fühlen sich trotz Kirchengliedschaft nicht zugehörig. Aber sie sind da. Sie leben in unmittelbarer Nachbarschaft der Kirche. Die Verbindungslinien aber schwinden.
Wer gehört dazu? Wer nicht? Wer will dazu gehören? Wer möchte von der Kirche eigentlich lieber in Ruhe gelassen werden? Wessen Interesse ist schon komplett erloschen?
Es würde den Rahmen des Artikels sprengen, hier die verschiedenen Milieus vorzustellen, mit denen die Wissenschaftler und Kirchenleitungen derzeit arbeiten und versuchen, die Kirche auf neue Füße zu stellen, damit sie auch in Zukunft sein kann. Diese erkannten Milieus sind über die Internetseite http://www.milieus-kirche.de/ einsehbar. Besonders auch die fünfte Mitgliedschaftsuntersuchung der EKD hat erhellendes beizutragen (http://www.ekd.de/EKD-Texte/kmu5.html).
Tatsächlich aber scheint mir in der ganzen Diskussion ums Dazugehören zur Kirche auch der alte reformatorische, von Philipp Melanchthon in seiner Apologie der Augsburgischen Konfession gesetzte Begriff der societas fidei, der Gesellschaft des Glaubens, in Verbindung mit neuen Erkenntnissen über die Zusammensetzung unserer Gemeinden viel zielführender und für die kirchliche Arbeit hilfreicher zu sein.
Das liegt vor allem daran, dass dieser Begriff keinen trennenden, sondern einen sehr stark verbindenden Charakter hat und deswegen die Menschen nicht ausdifferenziert, sondern in einer Einheit sieht bei allen Unterschieden, die wir Menschen haben. Dass es diese Unterschiede gibt, ist nicht von der Hand zu weisen. Dazu muss man nur die verschiedenen Lebensformen und Wohnorte innerhalb unserer Gemeinden betrachten, mit offenen Augen und Ohren durch die Dörfer, Städte oder Stadtteile gehen, die Menschen wahrnehmen und sehen, wie diese geprägt sind und wie ihr Leben ist.
Societas fidei taucht bei Melanchthon zuerst auf, um den Begriff der Versammlung zu verdeutlichen, den er in der Augsburgischen Konfession (CA) benennt. Diese Versammlung der Heiligen (congregatio sanctorum) führt er weitergehend als Gesellschaft des Glaubens aus und stellt damit selbst einen umfassenden und in die Soziologie hineinführenden Begriff ein. Nachdem er den Kirchenbegriff in der CA durch die Nutzung des Wortes Versammlung einen Inhalt der Bewegung gegeben hat (die Kirche ist da, wo sich Menschen um Gottes Wort versammeln), verweltlicht er den Begriff in gewisser Weise, löst die Kirche damit aus der hierarchischen Umklammerung des Papsttums und entmystisiert sie dadurch. Er gibt ihr eine klare Grundlage bei jeder und jedem Einzelnen. Es geht in der Kirche um die Menschen des Glaubens.
Der Glaube wird also zum entscheidenden Begriff des Kircheseins und damit auch des Dazugehörens zur Kirche. Wer glaubt, der gehört dazu. Wer nicht glaubt, eben nicht. Aber Richter über den Glauben kann niemand sein als Gott allein. Nicht einmal ich selbst.
Der Glaube aber unterliegt durchaus unterschiedlichen Ausformungen und Lebensweisen. Das heißt für die Kirche, dass sie sich darum mühen muss, für diese unterschiedlichen Menschen einen Platz in ihr zu finden und sich offen zu zeigen, ohne diese Grundlage des Glaubens zu verleugnen. Die Kirche muss immer wieder deutlich machen, dass und wie der Glaube an Jesus Christus etwas mit dem Leben der Menschen zu tun hat. Die Anforderungen sind gewaltig. Das macht der Blick in die Gesellschaft klar.
Zugleich ist es nötig, um diesem umfassenden Bild der Gesellschaft des einen Glaubens zu entsprechen, den Anspruch, ein Dach und eine Verbindung für alle Menschen zu sein, nicht fallen zu lassen. So wie die Liebe Gottes allen Menschen gilt, ist der Ort dieser Liebe für alle Menschen herzustellen und zu gestalten. Vielleicht werden gerade aus diesem Grund die Weihnachtsgottesdienste so gut besucht, weil sie eben als solche Orte erfahrbar und lebensnah sind.
Insgesamt gelingt das über das Jahr aber nur, wenn Menschen sich auch als gegenseitig bereichernd und stärkend wahrnehmen und von außen wahrgenommen werden. Das gelingt nur, wenn nicht immer weiter vereinzelt und ausdifferenziert wird. Es gibt in der Kirche nur eine Zielgruppe. Das ist die sich um das Wort Gottes sammelnde Gemeinde.
Da hat die Kirche gerade in ihrem Bewusstsein, eine Gesellschaft nicht der Welt, sondern eine Gesellschaft des einen Glaubens zu sein, die Aufgabe eines Gegenpols. Das hat übrigens auch gesamtgesellschaftlich eine hohe Funktion, weil es deutlich macht, dass eine andere Form des Zusammenlebens möglich ist.
Gelingt das nicht, haben und bekommen wir Gemeinden, die ihren je eigenen Glauben, ihre je eigene Grundlage und letztlich ihr je eigenes Gottesbild pflegen. Da ist es zur Spaltung und Trennung nicht mehr weit, weil der Schritt zum Dienst am je eigenen Gott der nächste ist.
Die Aufgabe heißt: Diejenigen, die kommen, werden angenommen. Diejenigen, die sich am Rand aufhalten, gehören dazu. Diejenigen, die sich gerade nicht zur Kirche bekennen mögen, brauchen offene Türen, durch die sie jederzeit gehen können. Diejenigen, die nichts mehr vom Glauben und der Kirche wissen, müssen eine Chance haben, ihr überhaupt zu begegnen. Diejenigen, die ihre Beziehung zur Kirche pflegen und erhalten, diejenigen, die sich ihres Glaubens bewusst sind, die also auch in ihrem eigenen Selbstverständnis dazugehören, sind dabei nicht nur in der Verantwortung das Haus des Glaubens in Ordnung zu halten, sondern haben auch die Gewähr, dass sie in diesem Haus schon geborgen, beschützt und gemeinschaftlich in Hoffnung und Liebe verbunden sind.
Das aber macht sich nicht an einem Sitzplatz im Heiligabendgottesdienst fest, sondern an dem Bewusstsein, in Gottes Gegenwart durch das Leben zu gehen.
Maximilian Heßlein

Zukunftsforum für die Mittlere Ebene in Wuppertal

Informieren – Transformieren – Reformieren. Uber die eigentlichen Aufgaben der sog. Mittleren Ebene.

Ein Kommentar von Maximilian Heßlein.

80 Jahre ist es in diesen Tagen her, dass die Barmer Theologische Erklärung das Licht der Öffentlichkeit erblickte. Für die Evangelische Kirche ist das der grundlegende Text ihres Kircheseins im 20. und anbrechenden 21. Jahrhundert, weil sie neben der klaren Ausrichtung an Jesus Christus, weil sie über Zuspruch und Anspruch Gottes an uns auch etwas sagt zur Gestalt der Kirche und zu ihrem Leben in der säkularen Welt.
80 Jahre sind also seither vergangen und der Befund ist eindeutig. In dieser Zeit hat sich die Evangelische Kirche massiv verändert. Sie ist beweglicher, vielfältiger, in der Öffentlichkeit einflussreicher und an Gebäuden und Geldmitteln reicher geworden. Wer in die Zahlen und das Leben der Kirche schaut, wird das nicht übersehen können.
Nun haben sich an diesem Wochenende etwa 800 Vertreterinnen und Vertreter der 600 verschiedenen Kirchenkreise, Dekanate und Synodalverbände der EKD an eben diesem Ort der Entstehung der Barmer Theologischen Erklärung getroffen, um die Veränderungen der Kirche zu beleuchten. Sie sollten und wollten sich informieren, transformieren und reformieren. So jedenfalls war der öffentliche Anspruch des Zukunftsforums in Wuppertal überschrieben. Kirchenkonferenz und Rat der EKD hatten dazu eingeladen.
Dabei wurde im Vorfeld festgestellt: „Die evangelische Kirche verändert sich. Herausgefordert von wachsender religiöser Vielfalt und individualisierter Daseinsgestaltung, von sinkenden Mitgliederzahlen und Finanzmitteln, ist sie auf der Suche nach theologisch verantworteten Schwerpunktsetzungen, nach beweglicheren Formen und stärkerer Außenorientierung.“
Zugleich wurde in der Einladung zum Zukunftsforum der sog. Mittleren Ebene, also der Kirchenleitung in Kirchenkreisen und Dekanaten, eine besondere Rolle zugespielt: Die Mittlere Ebene habe eine Schlüsselfunktion in der Bestärkung, Verbreiterung und Nachhaltigkeit der Veränderungsprozesse.
Der geneigte Leser staunt und kommt aus dem Staunen so schnell auch nicht heraus. Nicht nur, dass der Veränderungsprozess überhaupt nicht mehr hinterfragt wird – die V. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung deutet ja zumindest an, dass die Veränderungen in keiner Weise greifen, sondern den Abbau der Bindungen eher noch beschleunigen. Darüber hinaus aber wird unter dieser Aufgabenzuschreibung ein Kirchenbild im Verständnis zementiert, das eine klare hierarchische Ordnung erkennen lässt. Im Kirchenamt, der Kirchenkonferenz und im Rat der EKD wird gedacht und wird die Gestalt der Evangelischen Kirche für die nächsten Jahren festgelegt. Dann wird über die Landeskirchen dieses Denken und die konkreten Ausformungen immer weiter gegeben, bis es über die Kirchenkreise und Dekanate letztlich bei den Gemeinden, den ortsnahen kirchlichen Arbeitsformen und bei den Menschen ankommt.
Eigentlich ist es eine Schande, dass ausgerechnet in Wuppertal ein solcher Prozess weitergetrieben wird. Ist doch gerade in Barmen ganz anderes über die Kirche gedacht worden. Es gibt nur einen Herrn, der die Kirche lenkt. Er heißt Jesus Christus. Es gibt keine Herrschaft der einen über die anderen. Es gibt vielmehr den Auftrag, sein Wort auszurichten an alles Volk. Sein Wort aber wird hörbar unter den Menschen, in deren Versammlung im Glauben. Es ist nicht festgeschrieben in Prognosen und Annahmen oder wiederkehrend falschen Voraussetzungen.
Dabei ist festzuhalten: Die Herausforderungen sind in der Einladung zum Zukunftsforum klar benannt. Es ist wichtig und gut, dass sich die Kirche diesen Herausforderungen bewusst stellt. Es ist aber mindestens so wichtig, dass die Kirche überprüft, ob die benannten Herausforderungen auch wirklich stimmen, oder ob mit diesen Dingen nicht vielmehr ein Herrschaftsinstrument etabliert und legitimiert wird, um die Kirche nach kirchenleitenden Vorstellungen zu verändern.
So ist die eigentliche Aufgabe der Kirchenleitung, gerade in den Dekanaten und Kirchenkreisen einmal nachzufragen und zu hören, ob denn die Herausforderungen überhaupt richtig benannt sind.
Allein die immer wiederkehrende Feststellung schwindender Finanzmittel ist schlicht und ergreifend falsch. Ja, die Kirchenglieder werden weniger. Die Aktiven aber werden an vielen Stellen mehr. Zugleich steigt auch die Produktivität in diesem Land immer weiter. Es ist genug Geld da. Auch für die Kirche. Die Steuereinnahmen wachsen seit Jahren. Nur wohin wird das Geld verteilt? Wer profitiert von den eingenommenen Mitteln? Und wer bestimmt darüber? Das ist nicht nur in der Kirche eine der Grundfragen menschlichen Zusammenlebens.
Auch gibt es theologische Schwerpunktsetzungen zuhauf und gelebte Frömmigkeit. Die erfährt man allerdings nicht in den warmen Stuben der Kirchenverwaltungen, sondern im dichten Kontakt zu den Menschen. Dort wo der Glaube gelebt wird. Nikolaus Schneider hat diesen Kontakt möglicherweise verloren, sonst müsste er sich nicht „mehr Alltagsfrömmigkeit in den Gemeinden“ wünschen ( wenn er denn wirklich richtig zitiert ist; siehe sein Zitat).
Es reicht der Blick auf die einzelnen Gemeinden. Es reicht der Blick auf die ganz konkrete Verkündigungsbereitschaft der Menschen an Ort und Stelle. In vielen Bereichen wird auf hohem Niveau Theologie betrieben für die Menschen eines Stadtteils oder eines Dorfes, für Umherziehende und Bleibende, für Suchende und für Zweifelnde genauso wie für diejenigen, die in dieser Zeit fest im Glauben stehen. Das kann mehr werden. Das darf auch mehr werden. Die Leitungen jedoch tun gerade so, als gäbe es das gar nicht.
All diese Dinge laufen nämlich dezentral. Sie sind nicht von einem einzelnen Ort aus gesteuert, sondern entstehen dort, wo Menschen sich um Gottes Wort versammeln und miteinander ins Gespräch kommen, ihre Kirche und Gemeinde gestalten und letztlich wirklich die Kirche sind mit all ihren Stärken, aber auch all ihren Schwächen.
So stünde es der EKD wie auch den Kirchenleitungen der einzelnen Landeskirchen eigentlich gut an, vor allem erst einmal zuzuhören, anzuerkennen und wertzuschätzen, was in der Kirche gearbeitet und gelebt wird und zu schauen, wie diese dezentrale Ausrichtung der evangelischen Kirche gestärkt und nicht immer weiter beschnitten werden kann.
Da wäre es gut, nur ein einziges Mal wirklich zuzuhören. Wie viele durch die Umstrukturierungen und Zusammenlegungen abservierte oder überlastete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter derjenigen kirchlichen Arbeitsfelder, die sich den Zusprüchen und Ansprüchen der Menschen an Ort und Stelle widmen sollen und wollen, sind denn eigentlich mal gefragt worden?
Wer fragt die ausgebrannten und wegen ständiger Deputatskürzungen überforderten Sekretärinnen, die keine Kontaktpflege mehr betreiben können. Immerhin ist diese Berufsgruppe gemäß der letzten Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung nach den Pfarrerinnen und Pfarrern diejenige mit den meisten von außen wahrgenommenen Kontakten zu den Menschen.
Wer fragt die Hausmeister, die in fünf Stunden pro Woche ganze Kirchen und zugehörige Gemeindehäuser betreuen sollen?
Wer fragt die Pfarrerinnen und Pfarrer, die alles liegen gebliebene auffangen, Briefe austragen, Wäsche waschen, Stühle stellen, Abendmahlsgeschirr reinigen und nebenher auch Gottesdienste halten, Seelsorge üben und diakonische Aufgaben übernehmen?
Wer fragt die? – Keiner.
Das aber wäre die eigentliche Aufgabe der sog. Mittleren Ebene, wenn sie nicht als Herrschaftsinstrument von den Kirchenleitungen instrumentalisiert würde, sondern als Teil des innerkirchlichen Kommunikationsprozesses wahrgenommen würde, der nicht dem Herrschen und Verwalten, sondern dem Leben der Kirche und ihrer Gestaltung dient.
80 Jahre Barmer Theologische Erklärung sind ein guter Zeitpunkt umzudenken. Eine Chance dafür wurde in Wuppertal und den verschiedenen Orten des Ruhrgebiets schon im Vorfeld vertan.

Gemeinde von Schwestern und Brüdern – Über Herrschaft und Entscheidung in Kirche und Gesellschaft

von Maximilian Heßlein, Pfarrer der Christusgemeinde Heidelberg

Die sechs Thesen der Barmer Theologischen Erklärung und die dazu gehörenden Verwerfungssätze – sie sind übrigens im Evangelischen Gesangbuch der Badischen Landeskirche unter der Nummer 888 einzusehen – gehören wohl zu den in der Kirche meist zitierten Texten der letzten Jahrzehnte. Sie sind nach meiner Wahrnehmung das neue Bekenntnis der Evangelischen Kirche in Deutschland geworden. Ihre Wirkungsgeschichte ist hoch und an ihrer Aktualität und Zeitlosigkeit besteht kein Zweifel. Es sind auf der Grundlage der Schrift entwickelte Glaubenssätze für das Leben der Kirche in einer feindlichen, die kirchliche Existenz bedrohenden Welt. Damit haben diese Sätze nicht nur Wirkkraft für die Kirche selbst, sondern auch für die Gesellschaft, in der die Kirche existiert.
Solches Bekennen aber führt ja immer auch zu Konsequenzen. Die praktische Umsetzung ist gefragt. Was also mache ich mit den Dingen, die ich da bekenne, ganz konkret? Welche Folgen hat der so artikulierte Glaube für mein Handeln?
In der Kirche dieser Tage wird dabei immer wieder vor allem um die vierte These gerungen:
Die verschiedenen Ämter in der Kirche begründen keine Herrschaft der einen über die anderen, sondern die Ausübung des der ganzen Gemeinde anvertrauten und befohlenen Dienstes.
Das ist im Rückgriff auf Luthers Priestertum aller Gläubigen das Grunddogma evangelischen Kirchenverständnisses heute. Die Kirche ist so gesehen in letzter Konsequenz ein herrschaftsfreier Raum, eine Gemeinschaft von Schwestern und Brüdern, in der Jesus Christus als der Herr handelt. Weil niemand Herr ist außer Christus allein, kann auch keiner über den anderen herrschen. Vielmehr wird in einem freien Miteinander das Wort Gottes in die Welt getragen. Allein das ist die Aufgabe und der Grund unseres Tuns.
Wie aber mache ich das, wenn ich mit der Kirchen auch einen in dieser Welt existierenden Betrieb am Laufen halten muss? Schließlich wissen auch die Barmer Autoren in der fünften These um die Existenz der Kirche in der Welt. Sie ist noch kein Paradies, sondern sie besteht neben der geistlichen Gemeinschaft als weltliche Organisation inmitten der noch nicht erlösten Welt. Sie ist an wirtschaftliche Grundbedingungen gebunden. Ihre Räume heizen sich nicht allein durch die Wärme der Liebe. Ihr Personal, Pfarrerinnen und Pfarrer, Sekretärinnen und Hausmeister, Verwalter und Architektinnen und auch der Bischof können nicht allein von Gotteslohn leben. Die Kirche muss Löhnen zahlen, Arbeitsmaterial beschaffen und ihre Schätze pflegen. In all diesem Tun ist sie als Organisation eingebunden in weltliches Handeln. Ist auch in dieser Organisation Jesus Christus der alleinige Herr der Kirche?
In diesem Spannungsfeld von geistlicher Gemeinschaft und weltlicher Organisation entstehen immer wieder Konflikte um die Wahrnehmung und Wahrung von Interessen und Bedürfnissen. Die Kirche hat in diesen Tagen vor allem mit schwierigen wirtschaftlichen Prognosen zu tun. Die zur Verfügung stehenden Mittel werden wohl auf mittlere Sicht deutlich weniger werden. So steht es zumindest zu befürchten, wenn man den aktuellen Prognosen der Kirchenleitungen folgt. Zugleich ist die bauliche Substanz kirchlicher Gebäude teilweise in einem beklagenswerten Zustand. Die Arbeitsbelastung wird in manchen Bereichen auf immer weniger Schultern verteilt, während an anderer Stelle ausgebaut wird, um die Komplexität der vorgegebenen Abläufe noch im Griff zu behalten.
Dass dabei übrigens die Mündigkeit der einzelnen Schwestern und Brüder gleich mit aufgegeben wird, steht auf einem Blatt, das bisher nur sehr wenige entdeckt haben. Denn je komplexer und spezialisierte die Dokumente oder Pläne sind, desto weniger kann ich selbst einen Überblick behalten. Zurzeit ist das vor allem im Blick auf neue Haushaltspläne deutlich erkennbar. „Wissen ist Macht“, heißt es bei Francis Bacon. Das mögliche Wissen wird aber auf kaltem Weg an vielen Stellen gerade abgebaut. Das wiederum steigert die Macht und damit die Herrschaft derer, die über spezielles Wissen verfügen.
Herrschaft wird dann ausgeübt, wenn jemand Macht über mich gewinnt, über mein Leben zu entscheiden. Wenn ich gezwungen werde, Dinge anders zu tun, als ich das will, dann werde ich beherrscht. Geht das im Glauben? Geht das also in der Kirche, die ich von diesem Glauben nicht trennen kann?
Die Frage, die sich im Zusammenhang der Wahrnehmung der organisatorischen Interessen und des geistlichen Lebens dann stellt, ist letztlich: Hat jemand das Recht über mein geistliches Leben zu bestimmen, weil es aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten angezeigt ist, eine Kirche zu verkaufen oder eine Gemeinde zu fusionieren, die Liturgie oder Gottesdiensthäufigkeit in meiner Nähe zu verändern? Hat überhaupt jemand in der Kirche das Recht, Gelder zur Verfügung zu stellen oder zu entziehen?
Wenn ich nun die These 4 ernst nehme, dann bleibt eigentlich nur der Schluss, dass es eine solche Herrschaft nicht geben kann. Niemand soll unter einer Entscheidung seine Freiheit verlieren. Also müssen Entscheidungen in diesem Feld in einem breit angelegten Kommunikationsprozess unter Beteiligung der Betroffenen geschehen. Es besteht die Aufgabe, die Menschen mitzunehmen, ihre Mündigkeit und ihr Priestertum zu wahren und zugleich nicht zu einem Stillstand im Handeln zu kommen. Das ist zeitintensiv und gesprächsintensiv. Das braucht eine ungeheuer große Wahrnehmung der verschiedenen Menschen einer Gemeinde, eines Stadtteils oder eines Bezirks. Das braucht auch den nahen Kontakt zu den Menschen, Ansprechbarkeit, Freundlichkeit, Ruhe und unendlich viel Zeit und Muße, sich auf Sorgen und Nöte einzulassen.
Nicht zufällig weist die fünfte These nicht nur auf die Verantwortung der Regierenden, sondern auch auf die Verantwortung der Regierten hin. So haben die Regierenden eigentlich keine andere Aufgabe als den Diskussions- und Kommunikationsprozess am Laufen zu halten und fortzuführen, für sein Gelingen zu sorgen und eine Entscheidungsfindung aller Betroffenen zu ermöglichen. Es geht nicht um das Durchsetzen eines Standpunkts, sondern um das Suchen und Finden desselben, der dann in die Tat umgesetzt wird. Die Regierten aber haben die Aufgabe, sich an diesem Prozess zu beteiligen und nicht die Füße hochzulegen und hinterher zu meckern oder alles besser zu wissen. Die Beteiligung der Betroffenen ist aktiv und passiv für dieses Bild der Herrschaftsfreiheit konstitutiv.
Wenn ich nun aber zu dem Schluss komme, dass die Gleichheit aller und die Herrschaftsfreiheit für die und in der weltlichen Organisation der Kirche gilt, dann gilt sie auch darüber hinaus in der Welt selbst. Das heißt sie gilt auch in unserer Gesellschaft, ist zumindest erstrebenswert und als politisches Ziel festzuhalten. Es geht also darum, im Licht des befreienden Gotteswortes ein gesellschaftliches Gebäude zu errichten, in dem die Menschen, die von einer Entscheidung betroffen sind, auf dem Weg der Entscheidungsfindung mitgenommen werden. Sie müssen gefragt und gehört werden und eine gemeinschaftlich getroffene Entscheidung darf die geäußerten Sichtweisen nicht außer Acht lassen. Das ist ein mühsamer Weg, der auch immer wieder dazu nötigt, den Blick des anderen anzunehmen.
Entscheidend für das Gelingen dieses Vorhabens und der Umsetzung dieses Entscheidungsbildes aber ist der Bruch des hergebrachten Verständnisses verschiedener hierarchischer Ebenen, als gäbe es Menschen, die oben sind, und Menschen, die unten sind. Nein, diese verschiedenen Ebenen sind, Barmen zu Ende gedacht, nicht vorgesehen. Es gibt außer Gott niemanden, der über mir steht. Es gibt aber außer Gott am Karfreitag auch niemanden unter mir. Das Gottesbild darin ist noch einmal eine eigene Diskussion wert.
Einen Konsens wird es auf unseren Weg zu verschiedenen Entscheidungen nicht immer geben können. Das gehört zum Status der Erlösungsbedürftigkeit dazu. Aber die Aufgabe steht unter dem Zuspruch Gottes, dass er letztlich alle Dinge trägt. So ist die Suche und der gemeinsame Weg der Entscheidungsfindung schon der eigentliche Zielpunkt.

Wohin geht die Kirche? – Sechs Punkte für einen tragfähigen Weg in die Zukunft. Alternative Positionen zu dem 2006 initiierten Reformprozess in der EKD

Arbeitskreis Zukunft der Kirche
c/o Pfarrer Maximilian Heßlein

Einleitung

Am 17. Mai 2013 hat in der Christusgemeinde Heidelberg ein Workshop zu den Zukunftsfragen der Kirche stattgefunden, an dem etwa 50 Menschen aus verschiedenen Gemeinden Heidelbergs und der Umgebung teilgenommen haben. Dieser Workshop war Teil der Vortragsreihe Wohin geht die Kirche?, die von November 2012 bis Juni 2013 in der Christuskirche Heidelberg stattgefunden hat.

Unter dem Eindruck verschiedener Vorträge von Isolde Karle bis zu Heinrich Bedford- Strohm waren die Teilnehmer des Workshops gebeten, aus ihren unterschiedlichen Erfahrungen mit der Kirche eine Vision der zukünftigen Gestalt der Kirche zu entwickeln.

Der Arbeitskreis Zukunft der Kirche in Heidelberg hat die Ergebnisse gesichtet und zusammengefasst.

Die These stellt dabei die grundsätzliche (Heraus-)Forderung an die Kirche dar, der Zustand ist eine Beschreibung, wie die Kirche gegenwärtig empfunden wird, während die Vision einen möglichen Weg der Kirche in die Zukunft bietet.

Punkt 1: Kirche und Verkündigung

These
Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen. (Mt 18,20)
Die Verkündigung des Wortes Gottes findet redend und handelnd in der persönlichen Begegnung von Menschen statt.

Zustand
Die aktuelle gesellschaftliche Entwicklung zwingt uns, flexibler und mobiler zu leben. Daraus entstehen unterschiedliche individuelle Erwartungen. Deshalb fühlt sich die Kirche genötigt, mit medialen, unverbindlichen und punktuellen Angeboten Menschen für sich zu gewinnen.

Vision
Die Kirche ist in der mobilen Gesellschaft ein Ort der Ruhe und Verlässlichkeit.Sie setzt auf eine Verkündigung, die zu einer beständigen Gemeinschaft führt. Dort werden in der persönlichen Begegnung die Bedürfnisse der Menschen aufgenommen.

Punkt 2: Kirche und Kreativität
These
Wir aber haben nicht empfangen den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit. (2 Tim 1,7)
Der Heilige Geist schenkt der Kirche kreative Spielräume. So kann sie offen, angstfrei und vielseitig ihr Leben entwickeln, erproben und gestalten.

Zustand
Die Kreativität wird in der Kirche zunehmend zentral gesteuert. Das erschwert die Reaktion auf Veränderungen in den einzelnen kirchlichen Handlungsfeldern.

Vision
Die Kirche vertraut auf das kreative Potenzial des Heiligen Geistes. Diese Kreativität ist prozess- und nicht ergebnisorientiert. Sie stiftet Gemeinschaft und verbindet Menschen über ihre eigenen Grenzen hinaus.

Punkt 3: Kirche und Verantwortung

These
Seid allezeit bereit zur Verantwortung vor jedermann, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die in euch ist. (1 Petr 3,15)
Das kirchliche Leben kann nicht auf Einzelne reduziert oder an Einzelne delegiert werden, sondern es speist sich aus der Beteiligung aller.

Zustand
Die Kirche fungiert zunehmend als dienstleistende Verwaltungseinheit unter Vernachlässigung ihrer geistlichen Grundlagen. Sie wird von den meisten Menschen als Dienstleister auch in Anspruch genommen und dennoch kritisiert.

Vision
Die Kirche lebt aus der verantworteten Gemeinschaft aller. Sie versteht sich als Beteiligungskirche und nicht als Betreuungskirche ihrer Mitglieder.

Punkt 4: Kirche und Ehrenamt

These
Was ihr getan habt einem meiner geringsten Brüder, das habt ihr mir getan. (Mt 25,40)
Das Ehrenamt ist ein Dienst am gesamten Leib Christi. Es lebt von der Eigeninitiative in einem verlässlich gestalteten Rahmen und will nicht hierarchisch gesteuert werden.

Zustand
Die heutige Gesellschaft erschwert dauerhaftes und verlässliches ehrenamtliches Engagement. Dennoch sind Menschen bereit, geistliche und handelnde Verantwortung zu übernehmen. Diese Bereitschaft konterkariert die Kirche in zweierlei Hinsicht: Einmal verhindert sie eigenständiges und verantwortliches Handeln durch zunehmende zentralistische Steuerung. Zusätzlich delegiert sie Verpflichtungen von beruflich Beschäftigten an Ehrenamtliche. Damit geht der Charakter des Ehrenamtes verloren.

Vision
Es gibt eine Basis aus gut ausgebildeten beruflich Beschäftigten, die die Grundlage für freiwillige ehrenamtliche Arbeit schaffen. Durch das Ehrenamt wird die Vielfalt des kirchlichen Gemeindelebens weiter ausgebaut. Dabei werden beide Ämter nicht gegeneinander ausgespielt, sondern in ihrem Wert für das Leben der Kirche geschätzt.

Punkt 5: Kirche und Organisation

These
Jesus Christus spricht: Ihr wisst, dass die Herrscher ihre Völker niederhalten und die Mächtigen ihnen Gewalt antun. So soll es nicht sein unter euch; sondern wer unter euch groß sein will, der sei euer Diener. (Mt 20, 25.26)
Die Umsetzung der These 4 der Barmer Theologischen Erklärung ist kein Lippenbekenntnis, sondern Handlungsauftrag:
Die verschiedenen Ämter in der Kirche begründen keine Herrschaft der einen über die anderen, sondern die Ausübung des der ganzen Gemeinde anvertrauten und befohlenen Dienstes.

Zustand
Innerhalb der Kirche wächst die Macht der Kirchenleitung, der sog. Mittleren Leitungsebenen und der Serviceämter. Die eigentlich verantwortlichen synodalen Gremien sind dadurch de facto außer Kraft gesetzt. Dies führt zu einer schleichenden Entwertung und Missachtung der gewählten Verantwortlichen.

Vision
Die gemeinschaftliche Leitung in der Kirche geschieht in einem konziliaren Prozess unter Beteiligung der Betroffenen. Das öffnet Handlungsspielräume und wahrt umfassende Entscheidungskompetenzen. Die Organisation der Kirche bildet keine übergeordneten Machtstrukturen aus, sondern gewährleistet den Verkündigungsdienst.

Punkt 6: Kirche und Finanzen

These
Geldgier ist eine Wurzel alles Übels; danach hat einige gelüstet, und sie sind vom Glauben abgeirrt und machen sich selbst viel Schmerzen. Aber du, Gottesmensch, fliehe das. (1 Tim 6,10.11)
Der zentrale Auftrag der Kirche ist die Verkündigung des Gotteswortes. Alles andere hat sich diesem Auftrag unterzuordnen.

Zustand
Die Kirche finanziert sich vor allem über die Kirchensteuer. Diese wird aber inzwischen nur von einem Drittel der Kirchenglieder gezahlt. Die für die kommenden Jahre prognostizierten Finanzprobleme bereiten der Kirchenverwaltung Sorge. Der dadurch auferlegte Sparzwang führt zu Personalabbau und paradoxerweise zu vermehrter Beschäftigung von Fremdfirmen. Dadurch entfernt sich die Kirche von ihrem Verkündigungsauftrag.

Vision
Die Kirchensteuer wird ergänzt durch weitere Finanzmittel und Beiträge. Die Kirche sorgt für Transparenz in allen Finanzfragen und gewährleistet eine gerechte Verteilung der verfügbaren Mittel, um den Verkündigungsauftrag nachhaltig zu sichern.

Heidelberg, 30. Januar 2014
Arbeitskreis Zukunft der Kirche
c/o Pfarrer Maximilian Heßlein
Zähringerstraße 26
69115 Heidelberg