Schlagwort-Archive: Pfarrdienstrecht

Entlarvendes Selbstverständnis: Was die Kirchen auf dem Weg der Entstaatlichung in den 20iger Jahren versäumten. Von: Hans-Eberhard Dietrich

Dt. Pfarrrerblatt 02/2017

Defizitäres theologisches Selbstverständnis

Die Antwort der Dissertation ist ernüchternd: Die leitenden Motive bei der Bildung der Kirchenverfassung in den Jahren 1918-1924 waren keine theologischen. Die Kirche formulierte zwar ihre Verfassung und damit ihr Recht. Sie hat es aber keiner theologischen Reflexion unterzogen: weder in der Kirchenleitung noch in der Landessynode noch in Landeskirchenversammlung. Die wichtigste Bestimmung für die damals handelnden Personen war: Die Kirche ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Man knüpfte an die damals schon vorfindliche Sicht der Kirche als einer Körperschaft des öffentlichen Rechts an, die seit 1805 galt (381). Wenn sie aber Körperschaft öffentlichen Rechts ist, dann hat sie ein rein verwaltungstechnisches, aber kein theologisches Selbstverständnis (379)…

Welche negative Auswirkungen ein solcher Mangel an theologischer Reflexion nach sich zieht, macht Reitzig am Beispiel einer Bestimmung des Pfarrerdienstrechts deutlich: an der Bestimmung über die zwangsweise Versetzung eines Geistlichen: …
Genau diese Mobbingaktivitäten nimmt das heutige Pfarrerdienstrecht billigend in Kauf….

Mehr dazu.

Eine Chronik kirchlicher und staatlicher Verstrickungen. Unrecht in der Verkleidung des Rechts. Von Christian Johnsen, Deutsches Pfarrerblatt

07/2016

Am 24. Mai 2016 wählte die Mitgliederversammlung Pfarrer Martin Michaelis, den Vorsitzenden des Thüringer Pfarrvereins und der Pfarrvertretung der EKM, zum dritten Vorsitzenden der 1996 gegründeten Hilfsstelle für evang. Pfarrer. Nach 13 Monaten Vakanz ist damit das bis zum 25. April 2015 von Pastor Roland Reuter und zuvor von seinem Bruder Dietrich ausgeübte Amt wiederbesetzt. Einen aufschlussreichen Rückblick auf deren Wirken und Erfolge für die gesamte Pfarrerschaft enthält die Analyse »Der Pfarrer im Spannungsfeld zwischen kirchlichem Selbstbestimmungsrecht und staatlichem Rechtsschutz« von Rechtsanwalt Dr. Armin Schwalfenberg. Christian Johnsen stellt das Gutachten vor und resümiert dabei nochmals die Ungedeihlichkeit des Ungedeihlichkeitsparagraphen.


Der im Pfarrdienstrecht geregelte Mechanismus von einer Abberufung ohne Schulderhebung über den Wartestand in den Ruhestand bietet – wie dargelegt – möglicher Willkür Raum und Schutz. Dieser Sachverhalt verstößt aber nicht nur gegen allgemein anerkannte Grundsätze der Gerechtigkeit. Vielmehr kann er gerade auch einer grundsätzlichen Überprüfung an der Schrift- und Bekenntnisgrundlage der Kirche, auf die alle kirchlichen Amtsträger verpflichtet sind, nicht standhalten. Unbedingt muss gefragt werden:

In welcher Weise steht die hohe Forderung der »Gedeihlichkeit« des Wirkens eines Pfarrers überhaupt im Einklang mit der Heiligen Schrift?

Vieles spricht dafür, dass der Begriff »Gedeihlichkeit« eine Worthülse für verschiedenste Erwartungen darstellt, die zwar immer wieder an Pfarrer herangetragen werden, die aber im Widerspruch zu den Wirkungen des Geistes Gottes durch die Predigt von Gesetz und Evangelium stehen…. Zum Artikel.

Reform des Kirchenrechts unter Beachtung staatlicher Grundrechte dringend erforderlich. Offenes Schreiben der INITIATIVE für ein gerechtes Kirchenrecht in der Ev. Kirche in Hessen und Nassau an Präses Rekowski, EKiR

06/2015

Sehr geehrter Herr Präses Rekowski,
aufgrund zahlreicher Hinweise sind wir im Internet auf Ihr Schreiben vom Mai 2015 aufmerksam geworden, in dem Sie sich im Auftrag Ihrer Kirchenleitung bei Ihren lieben Brüdern und Schwestern für die “missliche Geschichte der Personalpolitik für den Pfarrdienst“ entschuldigen. Ein solches Entschuldigungs-Schreiben ist sehr zu begrüßen, ebenso die darin angekündigten Änderungen und Verbesserungen. Gleichwohl kann dies nur als ein 1. Schritt verstanden werden.

In diesem Zusammenhang möchten wir an das heftig umstrittene Urteil der Verwaltungskammer der Evangelischen Kirche im Rheinland erinnern, in dem diese behauptet hat, “die Kirche sei nicht durch die Grundrechte gebunden“ (VK 16/2006 vom 17.08.2007). Da das Bundesverfassungsgericht diese falsche Behauptung unreflektiert übernommen hat, dient dieser missglückte Vorgang seither den Gliedkirchen der EKD als Grundlage für ihre Rechtsprechung.

Mit dem anliegenden Schreiben unserer INITIATIVE haben wir den jetzigen Ratsvorsitzenden der EKD auf diese unhaltbare Situation aufmerksam gemacht und zugleich darum gebeten, sich für die Abschaffung der Paragrafen zum sogenannten “Ungedeihlichen Wirken“ im Pfarrdienstrecht  einzusetzen. Unter Berufung auf diese Rechtsnorm ist sowohl in Ihrer Kirche als auch in anderen Landeskirchen viel Unheil angerichtet worden. Zahlreichen Pfarrern und Pfarrerinnen wurde völlig zu Unrecht die berufliche Existenz zerstört. Beabsichtigt Ihre Kirche, sich auch bei diesen Opfern zu entschuldigen und sie irgendwie zu entschädigen? Ebenso wichtig ist, dass dieser Teufelskreis durch einen christlichen Umgangsstil durchbrochen wird, damit nicht erneut Unrecht geschieht.

Wir wären Ihnen dankbar, wenn auch Sie sich für eine Reform des Kirchenrechts einsetzen wür-
den, insbesondere für die Abschaffung der erwähnten Paragrafen im Pfarrdienstgesetz, ferner für die Klarstellung, dass die staatlichen Grundrechte auch für die Kirche gelten. Da letztere auf der biblischen Botschaft fußen, sollte dies ein Herzensanliegen aller kirchlichen Repräsentanten sein.
Mit freundlichen Grüßen

INITIATIVE für ein gerechtes Kirchenrecht in der EKHN
gez. Gabriele von Altrock
gez. Dorothea Maier

INITIATIVE für ein gerechtes Kirchenrecht: Reform des Kirchenrechts unter Beachtung staatlicher Grundrechte dringend erforderlich.

05/2015

Sehr geehrter Herr Ratsvorsitzender Dr. Bedford-Strohm,

mit Freude haben wir der Presse entnommen, dass Sie sich für die Einhaltung der Menschenrechte ausgesprochen haben. 1) Schon wegen der christlichen Wurzeln sollten wir Christen nicht müde werden, uns für die Grund- und Menschenrechte einzusetzen, die unsere staatliche Verfassung garantiert. Erfreulich ist ferner, dass die EKD ein Referat für “Grund- und Menschenrechte, Europarecht“ ausweist und deren Einhaltung immer wieder anmahnt.
Es dürfte jedoch Ihrer Aufmerksamkeit entgangen sein, dass in der kirchlichen Rechtspraxis die staatlichen Grundrechte z.T. missachtet und sogar abgelehnt werden. So hat z.B. die Evangelische Kirche im Rheinland in einem Urteil behauptet, die Kirche sei nicht durch die Grundrechte gebunden. 2) Gegen dieses Urteil ist beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) Einspruch erhoben worden. Obwohl das Gericht die Beschwerde wegen fehlender Zulassungsvoraussetzungen nicht angenommen hat und die Richter sich mit dem Inhalt offenbar auch nur fiktiv befasst hatten, haben sie in ihrer ablehnenden Begründung die falschen Argumente der Kirche unreflektiert übernommen. 3) Dieser Beschluss des BVerfG ist von Juristen, Richtern und anderen Fachleuten zu Recht heftig kritisiert worden. Dennoch hat die EKD-Synode diesen missglückten Vorgang im Rahmen der Neuordnung des Pfarrdienstrechts zu einem Musterbeispiel für die Rechtsprechung ihrer Gliedkirchen erhoben…


Ein großes Ärgernis ist z.B. die teilweise schlechte Ausgestaltung des Pfarrdienstrechts, insbesondere die Paragrafen zum sogenannten “Ungedeihlichen Wirken“. 4) Danach genügt es, wenn z.B. ein Kirchenvorstand (Presbyterium) seinem Pfarrer kurzerhand das Vertrauen entzieht – völlig zu Unrecht und ohne jede Begründung!…    INI-Ki-Recht_EKD-Ratsvors_Grundre-PfDG_2015-05

Kirche der Reformation ?

Stuttgart im April 2014, von Hans-Eberhard Dietrich, Pfarrer

1. Das Lutherjahres 2017 wirft seine Schatten voraus
Die evangelische Kirche ist stolz darauf, sich auf die Reformation Martin Luthers zu berufen. Der kalendarische Beginn stellt das Jahr 1517 mit dem berühmten Thesenanschlag dar. An dieses Ereignis wollen die Kirchen im Jahr 2017 mit vielen Aktivitäten und Aktionen erinnern. Die EKD hat eigens zur Vorbereitung des Reformationsjubiläums einen Wissenschaftlichen Beirat „Luther 2017“ gegründet.
Wer an Luther erinnert, sollte aber die Relevanz einer theologischen Grundentscheidung des Reformators nicht ausblenden. Gemeint ist bei der Ausgestaltung des Pfarrerdienstrechts die Frage, wie zu verfahren ist, wenn es zu Konflikten zwischen Pfarrer oder Pfarrerin mit der Gemeinde kommt. Hier hat sich Luther eindeutig positioniert:
„Sie sollen sich hüten, ihren Pfarrer zu vertreiben!“
Das geltende Pfarrerdienstrecht aber lässt dies gerade zu, fördert es oder nimmt es zumindest billigend in Kauf. Ein höchstrichterliches Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat am 9. Dezember 2008 (AZ BVerfG Beschluss 5. Dezember 2008 – 2. BvR 717/08) dies als Recht bestätigt. Das wäre an dieser Stelle nicht erwähnenswert, wenn nicht die EKD den Mann zum Vorsitzenden dieses Gremiums berufen hätte, unter dessen Vorsitz das Urteil gefällt wurde:
Udo di Fabio. Für Kenner und Kritiker des Pfarrerdienstrechts ist er also kein Unbekannter.
Nun ist dieses Urteil nicht nur in Kreisen von Rechtswissenschaftlern höchst umstritten. Sie kritisieren, dass das Verfassungsgericht wieder einmal die umstrittene Frage der Geltung der Justizgewährleistung im kirchlichen Amtsrecht und ihre Grenzen nicht behandelt und entschieden hat: „Seit langem wartet die Fachwelt auf eine sorgfältig begründete, Maßstäbe setzende Entscheidung des BVerfG, mit der dem Streit [um die Pflicht staatlicher Gerichte zur Justizgewährleistung im kirchlichen Amtsrecht und ihren Grenzen] ein allseits befriedigendes Ende gesetzt werden könnte. Diese Erwartung ist durch die soeben ergangene …Entscheidung der 2. Kammer des Zweiten Senats – nicht zum ersten Mal – bitter enttäuscht worden.“ (Professor Hermann Weber, Frankfurt a.M., in der NJW 2009 Heft 17 S. 1179ff)… Zum Artikel.