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EKD

Die neue Lust auf Leitung in der EKD

06.11.14, von Andreas Reinhold

Die Strategie der EKD hat nur ein Ziel: Strukturwandel durch Führung
Beitrag vom 6. November 2014 von Andreas Reinhold
“Machen wir uns nichts vor. Wenn Zukunft gestaltet werden soll, sind Sie gefragt. Die mittlere Führungsebene der EKD.”1) Was wie nach einem Marketingberater auf einer Motivationsveranstaltung der mittleren Managementebene klingt, ist auch einer. Denn mit diesem Satz beginnt Andreas Bauer von der Geyer & Bauer Marketingberatung aus Burgdorf seine Ansprache an die Superintendenten und Dekane im Workshop 8 “Transformation im Pfarrberuf”. Die EKD hatte im Mai diesen Jahres erstmals in ihrer Geschichte die Verantwortlichen der “mittleren Leitungsebene” zu einem Zukunftsforum nach Wuppertal eingeladen, “um gemeinsam die Frage zu bedenken, welche Herausforderungen anstehen und mit welchen Umbrüchen in der evangelischen Kirche des 21. Jahrhunderts in theologischer und organisatorischer Hinsicht gerechnet werden muss.”2) Auf der Website des “Zukunftforums 2014″ findet man den Satz von Bauer nicht. Überhaupt geht man dort sehr spärlich mit Informationen um. Wer nicht nur den Programmablauf dieser Tagung nachvollziehen will, sondern sich für die Inhalte interessiert, muss schon die entsprechende epd-Dokumentation bestellen, mitnichten ein Bestseller der kirchlichen Literatur, dafür umso aufschlussreicher. Denn gerade der zitierte Artikel scheint als Blaupause für eine Strategie der EKD zu dienen, wie die evangelische Kirche in ihrem Sinne umstrukturiert werden kann. “Transformation braucht Führung”3) – und die soll auf der Kirchenkreis- bzw. Dekanatsebene ausgeübt werden. Denn “die mittlere Leitungsebene erweist sich als diejenige Organisationsebene, auf der die Planungen für die Zukunft der Kirche am wirksamsten angegangen werden können.” 4)… Zum Artikel.

Zur Historie der Führungsakademie der EKD:

Prof. Haas nannte im Diakonie-Jahrbuch von 2002 (S. 97f.) sieben Gründe für die Etablierung einer (damals noch eher diakonisch gedachten) Führungsakademie:

  • Nachwuchsförderung und Managementschulung zur Bewältigung des sozialen Wandels
  • Aktualitätsbezogene Fortbildung, um den beschleunigten Wissensprozessen Rechnung zu tragen (Halbwertszeit von Wissen immer kürzer)
  • Vernetzung des diakonischen Managements durch Tagungen auf Bundesebene
    Austausch der Diakonie mit politischen und gesellschaftlichen Partnern auf institutionalisierter Ebene
  • Möglichkeit des Rückzugs, quasi-klösterliches Konzept (umstritten) FAKD als Ort der Mediation/Schlichtung bei unternehmerischen Spannungen in der Diakonie
  • Bildungsverantwortung für die eigenen Mitarbeitenden: Schaffung einer kohärenten Bildungsarchitektur (es gab hierzu in den Anfangsjahren der FAKD eine Initiative, die aber zwischenzeitlich wegen Partikularinteressen wieder eingeschlafen ist)

Die BAKD (Bundesakademie für Kirche und Diakonie) ging im Jahr 2006 durch den Beitritt des Gesellschafters EKD aus der ehemaligen Diakonischen Akademie Deutschland (DAD) hervor…

Die FAKD (Führungsakademie für Kirche und Diakonie) wurde am 4. Dezember 2006 gegründet…

In seiner Sitzung am 23. April 2010 hat der Rat beschlossen, das dritte Schwerpunkt-Thema im Reformprozess „Leitung und Führung“ stärker voranzutreiben und auf den Stand der Umsetzung der Themen „Mission in der Region“ und „Qualitätsentwicklung im Gottesdienst“ zu bringen. Zu diesem Zweck hat der Rat einen „Beirat für Leitungshandeln in der Evangelischen Kirche“ berufen. Zur Quelle, Zum Beauftragten des Rates der EKD für die inhaltliche Begleitung der Führungsakademie für Kirche und Diakonie wird Peter Barrenstein (McKinsey) berufen, später 2014 zum Vorstand. Zur Quelle.

Die EKD – ursprünglich nur mittelbar an der Führungsakademie für Kirche und Diakonie über einen Sitz im Aufsichtsrat der BAKD beteiligt – erwarb im Jahr 2012 eine Aktie an der FAKD und bekleidet nunmehr zwei Aufsichtsratsposten in der FAKD. …

Mehr dazu.

„Führungsakademie in neuem Gewand“
Nach einstimmigen Beschlüssen der Hauptversammlung der FAKD gAG und der Gesellschafterversammlung der BAKD gGmbH am 2. Juni 2014 wurde aus der der gemeinnützigen Aktiengesellschaft, der „FAKD gAG“, nun der Teil einer „gGmbH“.
Im Haus der EKD am Gendarmenmarkt wurde die „Führungsakademie für Kirche und Diakonie gAG“ nach 8 Jahren organisatorischer Selbständigkeit wieder mit der „Bundesakademie für Kirche und Diakonie gGmbH“ zusammengeführt. Zur Quelle. (FS).

Kirche der Reformation ?

Stuttgart im April 2014, von Hans-Eberhard Dietrich, Pfarrer

1. Das Lutherjahres 2017 wirft seine Schatten voraus
Die evangelische Kirche ist stolz darauf, sich auf die Reformation Martin Luthers zu berufen. Der kalendarische Beginn stellt das Jahr 1517 mit dem berühmten Thesenanschlag dar. An dieses Ereignis wollen die Kirchen im Jahr 2017 mit vielen Aktivitäten und Aktionen erinnern. Die EKD hat eigens zur Vorbereitung des Reformationsjubiläums einen Wissenschaftlichen Beirat „Luther 2017“ gegründet.
Wer an Luther erinnert, sollte aber die Relevanz einer theologischen Grundentscheidung des Reformators nicht ausblenden. Gemeint ist bei der Ausgestaltung des Pfarrerdienstrechts die Frage, wie zu verfahren ist, wenn es zu Konflikten zwischen Pfarrer oder Pfarrerin mit der Gemeinde kommt. Hier hat sich Luther eindeutig positioniert:
„Sie sollen sich hüten, ihren Pfarrer zu vertreiben!“
Das geltende Pfarrerdienstrecht aber lässt dies gerade zu, fördert es oder nimmt es zumindest billigend in Kauf. Ein höchstrichterliches Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat am 9. Dezember 2008 (AZ BVerfG Beschluss 5. Dezember 2008 – 2. BvR 717/08) dies als Recht bestätigt. Das wäre an dieser Stelle nicht erwähnenswert, wenn nicht die EKD den Mann zum Vorsitzenden dieses Gremiums berufen hätte, unter dessen Vorsitz das Urteil gefällt wurde:
Udo di Fabio. Für Kenner und Kritiker des Pfarrerdienstrechts ist er also kein Unbekannter.
Nun ist dieses Urteil nicht nur in Kreisen von Rechtswissenschaftlern höchst umstritten. Sie kritisieren, dass das Verfassungsgericht wieder einmal die umstrittene Frage der Geltung der Justizgewährleistung im kirchlichen Amtsrecht und ihre Grenzen nicht behandelt und entschieden hat: „Seit langem wartet die Fachwelt auf eine sorgfältig begründete, Maßstäbe setzende Entscheidung des BVerfG, mit der dem Streit [um die Pflicht staatlicher Gerichte zur Justizgewährleistung im kirchlichen Amtsrecht und ihren Grenzen] ein allseits befriedigendes Ende gesetzt werden könnte. Diese Erwartung ist durch die soeben ergangene …Entscheidung der 2. Kammer des Zweiten Senats – nicht zum ersten Mal – bitter enttäuscht worden.“ (Professor Hermann Weber, Frankfurt a.M., in der NJW 2009 Heft 17 S. 1179ff)… Zum Artikel.

Leucorea: Forschung im Vorfeld des Weltkongresses Wittenberg 2017

Wittenberg, 30.09.2014

Die Graduiertenschule „Kulturelle Wirkungen der Reformation“ wird am 1. Oktober eröffnet. In Vorbereitung auf den im Jahr 2017 in Wittenberg stattfindenden Weltkongress wollen dort Nachwuchswissenschaftler ihre Projekte vorstellen. Zum Artikel.

Die EKiR – ein Tochterunternehmen der EKD?

Von Hans-Jürgen Volk

Haben Sie schon mal was von einem „erweiterten Solidarpakt“ gehört? Nein? Dann sind Sie in guter Gesellschaft. Landessynodalen, Superintendenten, Vorsitzenden von Pfarrvereinen oder MAV-Vertretern oder sogar langjährigen Mitgliedern von Kirchenleitungen soll es ähnlich gehen. Der „erweiterte Solidarpakt“ wurde im März 2006 von der Kirchenkonferenz der EKD beschlossenen. Durch ihn übt die EKD massiven Einfluss auf die Finanz- und Personalplanung ihrer Gliedkirchen aus. Er dürfte die eigentliche Begründung für den verschärften Sparkurs der Evangelischen Kirche im Rheinland (EKiR) sein. Die zweitgrößte Landeskirche in Deutschland folgt in blindem Gehorsam EKD-Vorgaben, die den meisten Mitgliedern ihre Landessynode unbekannt sind.

Ein fiskalisches Korsett mit dem Ziel der Kapitalbildung

Zeitgleich mit der Arbeit am EKD-Impulspapier „Kirche der Freiheit“ wurden verbindliche Regelungen entwickelt, mit denen die Landeskirchen im Machtbereich der EKD fiskalisch auf Linie gebracht werden sollten. Es spricht viele dafür, dass das enge fiskalische Korsett des „erweiterten Solidarpakts“ ein entscheidender Faktor bei den Um- und Rückbauprozessen ist, wie sie in „Kirche der Freiheit“ nahegelegt werden.

Der ursprüngliche „Solidarpakt“ bezeichnet dass nach der Vereinigung Anfang der 90-er Jahre entstandene Finanzausgleichsystem der EKD-Landeskirchen, dass bis auf wenige Ausnahmen den östlichen Landeskirchen zu Gute kam. Der „erweiterte Solidarpakt“ knüpft lediglich begrifflich hieran an. Im Beschluss der Kirchenkonferenz heißt es unter Punkt 5 der Präambel: „Grundlegendes Ziel eines ‚erweiterten Solidarpakts‘ ist es, vorbeugend sicherzustellen, dass keine Gliedkirche in eine solche finanzielle Krise gerät, die die Gemeinschaft aller Gliedkirchen belastet.“ Von der Sache her will der sog. Solidarpakt also den Solidarfall verhindern, indem er die Landeskirchen einem strengen fiskalischen Regiment unterordnet. Diese werden genötigt, im Blick auf eine angeblich sinkende Finanzkraft Zukunftssicherung in Form von Kapitalbildung zu betreiben. Der EKD-Finanzchef Thomas Begrich räumt in einer Sendung von RBB Kulturradio vom 03.08. 2014 mit dem Titel: „Für Pfarrers Rente spekulieren – Kirche an der Börse“ ein, dass das Vermögen, das die einzelnen Landeskirchen alleine für zukünftige Versorgungsansprüche angesammelt haben, bereits jetzt einen Umfang von 10 – 15 Milliarden Euro hat. Bedenkt man, dass die Regelungen des „erweiterten Solidarpakt“ die Landeskirchen darüber hinaus zu weiteren umfänglichen Rücklagenbildungen zwingen, bedenkt man darüber hinaus, dass sich im Besitz der kirchlichen Körperschaften im EKD-Bereich zahlreiche werthaltige Immobilien und Liegenschaften befinden, kann man in etwa erahnen, wie groß das kirchliche Gesamtvermögen ist.

Der „erweiterte Solidarpakt“ erinnert an den „Stabilitäts- und Wachstumspakt“ der EU. Auch dort geht es um das Sparen um fast jeden Preis, in jedem Fall zu Lasten der Menschen. Allerdings gibt es zwei Unterschiede: 1. Wo der „Stabilitäts- und Wachstumspakt“ Pakt der EU die Verschuldung der Staaten eindämmen will, geht es beim EKD-Solidarpakt um Kapitalbildung. 2. Die Regelungen des „Stabilitäts- und Wachstumspaktes“ sind den nationalen Parlamenten bekannt und werden dort kontrovers diskutiert. Der EKD-Solidarpakt ist dagegen eine Verabredung weniger Bischöfe und Oberkirchenräte im Rahmen des Konklave der Kirchenkonferenz, von der Presbyterien, Kreis- oder Landessynoden, die in der evangelischen Kirche eigentlich entscheiden sollten, bisher so gut wie keine Kenntnis besitzen.

Die Regelungen des „erweiterten Solidarpakts“ im Einzelnen

Nimmt man die Regelungen des „erweiterten Solidarpakts“ ernst, kommt man zu dem Ergebnis, dass im Moment jedenfalls noch die Kirchengemeinden der EKiR eine größere Gestaltungsfreiheit im Blick auf ihre Finanzen haben, als die Landeskirchen der EKD.

Würden Sie jemanden ernst nehmen, der Ihnen vermitteln will, welche Höhe die Inflationsrate im Jahr 2023 hat? Oder der glaubt, belastbare Aussagen über den Umfang der Einnahmen aus der Lohn- und Einkommenssteuer im Jahr 2031 machen zu können?

Basis der Regelungen des „erweiterten Solidarpakts“ ist die Nötigung der Landeskirchen zu einer mittelfristigen und einer langfristigen Finanzplanung. Die mittelfristige Finanzplanung wird für einen Zeitraum von 5 Jahren erstellt, die langfristige Finanzplanung soll einen Zeitraum von 15 – 25 Jahren umfassen. Die Finanzplanung soll auf folgenden prognostischen Annahmen beruhen:

  • Entwicklung der Einnahmen aus Kirchensteuermitteln

  • Prognose des allgemeinen Preisindexes

  • Gemeindegliederzahlen

  • Ausgabenentwicklung

Grundlage der Finanzplanung der Landeskirchen sind Mindeststandards, die von der Kirchenkonferenz auf Vorschlag des Finanzbeirates der EKD festgelegt werden. Diese Mindeststandards umfassen folgende Punkte:

  • Aufrechterhaltung der finanziellen Leistungsfähigkeit

  • Kostenstruktur, insbesondere der Personalkosten

  • Liquidität und Rücklagen

  • Verschuldung

  • Sicherung der Versorgung

Jedes Jahr legen die Landeskirchen bis zum 31. März dem Kirchenamt der EKD einen Bericht zu ihrer finanziellen Situation vor, der nach einem vom Finanzbereit entwickelten und durch die Kirchenkonferenz bestätigten Raster erstellt wird. Die Berichte werden vom Kirchenamt der EKD ausgewertet. Die Ergebnisse berät der Finanzbeirat.

Kommt es bei einer Landeskirche zu erheblichen Abweichungen bei den festgelegten Mindeststandards, ergeht ein Schreiben an die betroffene Landeskirche, dem ein anschließendes Gespräch über Lösungsmöglichkeiten folgen soll.

Greifen diese Maßnahmen nicht und wird durch Kirchenamt und Finanzbeirat eine „Finanzkrise“ einer Landeskirche festgestellt, greifen deutlich härtere Maßnahmen, die von der Kirchenkonferenz „im Benehmen“ mit dem Rat der EKD beschlossen werden. Genannt werden die „Aufforderung zur Erstellung eines Sanierungsplans in Abstimmung mit dem Kirchenamt“ sowie die „Begleitung der Umsetzungsmaßnahmen durch einen Beauftragten“ der EKD. „Bei erfolgversprechender Mitarbeit der betroffenen Gliedkirchen an der Überwindung ihrer Finanzkrise können Unterstützung durch die Gemeinschaft der Gliedkirchen und weitere begleitende Maßnahmen in Aussicht gestellt werden.“ Ist dies nicht der Fall, greifen Sanktionen, die bis zum Ausschluss weiterer Unterstützung für die betroffene Gliedkirche reichen“ können. Im Klartext: Bei nicht-kooperativem Verhalten gegenüber den EKD-Spielregeln droht der Entzug der Solidarität, also offenbar auch der Entzug der Finanzausgleichsmittel.

Die einzelnen Landeskirchen sind also im Blick auf ihre Finanzen seit März 2006 nicht mehr Herrin im eigenen Haus. Sie müssen sich den vom Finanzbeirat vorgegeben Mindeststandards unterordnen und stehen unter Aufsicht der EKD. Dies bestätigt der Finanzchef der EKD Thomas Begrich im bereits erwähnten RBB-Feature: „Im Erweiterten Solidarpakt […] sagen wir: Es sollen aus den aktuellen Haushalten nicht mehr als 10 Prozent aufgewandt werden müssen, um die Pensionen der jetzt im Ruhedienst befindliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu bezahlen. Um das erreichen zu können, muss man ungefähr siebzig Prozent Kapitaldeckung haben.“ „Und solche finanziellen Mindeststandards werden dann auch von uns im Kirchenamt der EKD im Auftrag der Gemeinschaft der Gliedkirchen überwacht. „

Die EKiR und der „erweiterte Solidarpakt“

Im Vorwort von „Schöne neue Welt“ schreibt Aldous Huxley 1946: „Die größten Triumphe der Propaganda wurden nicht durch Handeln, sondern durch Unterlassung erreicht. Groß ist die Wahrheit, größer aber, vom praktischen Gesichtspunkt, ist das Verschweigen von Wahrheit.“

Beklemmend aktuell ist dieses Zitat im Blick auf die Krisen und kriegerischen Konflikte unserer Zeit. Noch beklemmender muss es allerdings für einen evangelischen Christen sein, dass Teile der kirchlichen Leitungsebene sich die hinter dieser Aussage stehende Geisteshaltung zu eigen gemacht haben.

Tatsache ist, dass in keinem öffentlich zugänglichen Dokument, dass der rheinischen Landessynode vorgelegt wurde, der Begriff „erweiterter Solidarpakt“ auftaucht und dass die Unwissenheit über sein Regelwerk nicht nur die Masse der Landessynodalen, sondern sogar langjährige Mitglieder der Kirchenleitung betrifft. Jetzt stellt sich heraus, dass ohne die Wucht dieses Reglements der ab Juli 2013 initiierte brutal verschärfte Sparkurs der damals neuen Kirchenleitung um Manfred Rekowski so kaum denkbar wäre.

Zunächst fragt man sich, welche Personen den Beschluss der Kirchenkonferenz vom März 2006 zu verantworten haben. Der potentielle Teilnehmerkreis aus dem Rheinland ist überschaubar. Der damalige Präses Nikolaus Schneider sowie Vizepräsident Christian Drägert sind an erster Stelle zu nennen. Hinzukommt der Finanzdezernent Georg Immel und evtl. noch Vizepräses Petra Bosse Huber. Ihnen war die Schieflage bei der Ausfinanzierung zukünftiger Versorgungsansprüche gegenüber der EKiR bestens bekannt. Ihnen muss bewusst gewesen sein, in welchen fiskalischen Schwitzkasten die rheinische Kirche durch das Regelwerk des „erweiterten Solidarpakts“ gerät und sie auf lange Zeit zu immer neuen „Sparrunden“ nötigt mit dem Ziel verstärkter Kapitalbildung. Nicht ohne Brisanz ist der Tatbestand, dass dieser Personenkreis die politische Verantwortung für den bbz-Finanzskandal trägt, der einige Jahre später den Rücklagenbestand der rheinischen Kirche um einen Betrag von deutlich über 20 Mio. € reduziert hat.

Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass Georg Immel erstmals im Finanzbericht von 2006 auf ein „landeskirchliche Frühwarnsystem“ verweist. Hierbei ging es Immel darum, Kirchengemeinden und Kirchenkreise zu motivieren, den Bestand ihrer Rücklagen und Schulden nach Düsseldorf zu melden, von wo aus die Daten an die EKD zur Auswertung weitergeleitet werden sollten. Er begründet dies mit einem Beschluss von Kirchenkonferenz und Rat der EKD, „ein sogenanntes ‚Frühwarnsystem‘ auf EKD-Ebene einzuführen, um frühzeitig Fehlentwicklungen oder Fehlsteuerungen in Gliedkirchen erkennen und darauf reagieren zu können“ (Seite 9, 10). Immel trug seinen Bericht im Januar 2006 vor, erst im März 2006 fasste die Kirchenkonferenz der EKD den endgültigen Beschluss zum „erweiterten Solidarpakt“. Dennoch wird man davon ausgehen können, dass die Vorüberlegungen Immel bekannt waren und seine Ausführungen bestenfalls Teilinformationen, also die halbe Wahrheit enthielten. In seinen Erläuterungen zur Versorgungssicherung ab S. 12 des Berichts erwähnt Immel weder „Frühwarnsystem“ noch den „Solidarpakt“, obwohl das eigentliche Ziel des „Solidarpakts“ – verstärkte Kapitalbildung – vor allem auf die Sicherung zukünftiger Versorgungsansprüche abzielt. Im Finanzbericht von 2007, als das Regelwerk des „erweiterten Solidarpakts“ verbindlich und den Eingeweihten bekannt war, geht Immel erneut auf das „Frühwarnsystem“ ein (S. 7-9), ohne wirkliche Informationen zu liefern.

Das Jahr 2006 war nicht nur für die rheinische Kirche eine Zäsur. Mit dem „erweiterten Solidarpakt“ war ein höchst effizienter Hebel geschaffen, mit dem Grundelemente aus „Kirche der Freiheit“ umgesetzt werden konnten. Trotz erheblich steigender Kirchensteuereinnahmen wurden Gemeinden, Kirchenkreisen und Gemeinden Mittel entzogen und in Verbindung mit einer unseriösen Langfristprognostik, nach der dauerhaft die kirchliche Finanzkraft nur sinken kann, das Gefühl subjektiver Armut vor Ort verstetigt. Faktisch handelt es sich um eine Umverteilung von unten nach oben, denn Mittel, die die Arbeit vor Ort hätten stärken können, werden dem Zugriff von Presbyterien und Kreissynoden entzogen.

Seit 2006 kann man in der rheinischen Kirche eine wachsende Dynamik bei Rückbauprozessen und dem Abbau von Arbeitsplätzen beobachten. 2011 verdoppelte die EKiR die Versorgungssicherungsumlage und führt mittlerweile ein knappes Viertel ihres Kirchensteueraufkommens der Versorgungsicherung zu.

All‘ diese Anstrengungen waren nach dem Urteil der EKD-Aufseher offenbar unzureichend. Im März 2013 gab die EKiR die aktuellen Daten, die nach dem „erweiterten Solidarpakt“ gefordert werden, an das EKD-Kirchenamt weiter. Offenbar kam im Mai 2013 so etwas wie einen „blauen Brief“ aus Hannover. Am 10. Juli 2013 kündigt Präses Manfred Rekowski in einer Videobotschaft eine drastische Verschärfung des „Sparkurses“ an. Über den Zeitraum von mehreren Wochen gibt es in seinem Blog eine durchaus spannende Diskussion. Allerdings werden weder die tatsächlichen Hintergründe des fiskalischen Parforceritts benannt, noch fachliche Fragen befriedigend beantwortet. Die Sondersynode in Hilden Ende November 2013 folgt diesem Muster. Rekowski plaudert zwar von der „Troika“ und dem EKD-„Sparkommissar“, der ins Haus stehen könnte. Die Heiterkeit der Synode ob dieser Äußerungen belegt jedoch, dass der dramatisch ernste Hintergrund dieser „humoristischen“ Einlagen, nämlich die Regelungen des „erweiterten Solidarpakts“ den Synodalen weitgehend unbekannt sind. Synoden werden so in Teilen zu einer reinen Akklamationsfassade. Die Ziele stehen fest, sie kommen aus dem intransparenten Dunst der EKD. Gestaltet werden darf die Umsetzung, hier ist „Partizipation“ gefragt.

Fakt ist, dass die EKiR mehr denn je an der kurzen Leine der EKD nach einer Road-Map geführt wird, die nur wenigen Eingeweihten bekannt ist. Was bedeutet es – auch verfassungsrechtlich – für diese Landeskirche mit einer immer noch ausgeprägt basisorientierten presbyterial-synodalen Ordnung, wenn die in Finanz- und Strukturfragen entscheidenden Weichenstellungen durch Verabredungen des Finanzbeirates und der Kirchenkonferenz der EKD getroffen werden, deren Inhalte der Landessynode bestenfalls verschwommen bekannt sind, wenn überhaupt? Nicht mehr die Landessynode bestimmt die Richtung – von Presbyterien und Kreissynoden gar nicht zu reden – sondern ein kleiner Kreis von Bischöfen und Oberkirchenräten in Gremien der EKD.

Der „erweiterte Solidarpakt“ – die kritischsten Punkte

Was bewegt die Mitglieder der Kirchenkonferenz der EKD zu der mutmaßlichen Verabredung, den Beschluss zum „erweiterten Solidarpakt“ nicht zu veröffentlichen? Es war tatsächlich bis vor kurzem ein „Pakt, den keiner kennt“, wie es der Journalist Christoph Fleischmann mehrfach formuliert hat. Dieser Tatbestand offenbart eine nahezu unglaubliche Missachtung von Synoden durch führende Verantwortungsträger der Evangelischen Kirche. Er zerstört Vertrauen.

Darüber hinaus ist Folgendes anzumerken:

  1. Der „erweiterte Solidarpakt“ ist ein Steuerungsinstrument – durchaus vergleichbar mit dem EU-„Stabilitäts- und Wachstumspakt“ – das die evangelischen Landeskirchen in eine höchst einseitige Finanzorientierung drängt. Die Frage einer nachhaltigen Finanzierung insbesondere im Blick auf Versorgungs- und Beihilfeansprüche erscheint als die herausragende Zukunftsfrage kirchenleitenden Handelns, dem sich alle anderen Aspekte wie die Situation der Beschäftigten oder die Erwartungen und Bedürfnisse der Menschen im Wirkungsbereich der Kirche unterzuordnen haben.

  2. Verschärft wird diese für die Kirche insgesamt schädlich Einseitigkeit durch eine von der EKD vorgeschriebene Prognostik, die auf falschen Grundannahmen beruht. Hierzu gehört die bis heute empirisch nicht zu belegende Behauptung, die Mitgliederentwicklung hätte einen messbaren Einfluss auf die Finanzkraft der Kirche. Ein Blick auf längere Zeiträume am Beispiel der EKiR widerlegt dies vielmehr:

EKiR

1970

1990

2005

2013

Gemeindeglieder in Mio.

3,856

3,269

2,952

2,707

Nettokirchensteuer-

Aufkommen in Euro

200 Mio.

580 Mio.

492 Mio.

620 Mio.

  1. Ähnlich fragwürdig ist eine Prognose bezüglich des allgemeinen Preisindexes, die als ein Element der Finanzplanung gefordert wird. Aussagen über die Inflationsrate in 10 oder gar 25 Jahren machen zu wollen entbehrt jeder Grundlage und ist reine Kaffeesatzleserei. Der Preisindex orientiert sich im übrigen nicht an der tatsächlichen Kostenstruktur der Kirche, sondern an den Ausgaben einer Durchschnittsfamilie. Der Euro hat im Blick auf die Anschaffung elektronischer Geräte, die für die kirchliche Arbeit kein unwichtiger Kostenfaktor sind, erheblich an Wert gewonnen, da Computer, Handys und Notebooks günstiger geworden sind. Bei den Löhnen und Gehältern müsste er zumindest konstant geblieben sein, und dies ist der weitaus größte Kostenpostenkirchlicher Arbeit.

  2. Auf Grund der bei Lichte besehen höchst subjektiven Annahme, die Finanzkraft der Kirche würde sich in Zukunft erheblich reduzieren, drängt die EKD ihre Landeskirchen dazu, Geld durch „Sparrunden“ aus dem System kirchlicher Arbeit herauszuziehen und Zukunftssicherung durch Kapitalbildung zu betreiben. Soll diese Strategie im Sinne ihrer Urheber erfolgreich sein, setzt dies folgendes Szenario zwingend voraus: 1. Die Finanzmarktentwicklung muss in den kommenden Jahrzehnten so stabil sein, dass auch für kirchliche Finanzanlagen verlässliche Renditen erwirtschaftet werden können. 2. Eine Voraussetzung dafür ist ein stetiges Wirtschaftswachstum. – Wer’s glaubt, wird selig, oder auch nicht!

Großkonzern? Von verdeckten Leitbildern und der schleichenden Entmündigung der kirchlichen Basis.

von Hans-Jürgen Volk

Diese Skizze soll verdeutlichen, in welchem gesellschaftlichen Kontext die kirchlichen Umbaukonzepte entwickelt wurden. In zentralen Elementen folgen sie einer neoliberalen Agenda. Was völlig fehlt, ist die Anknüpfung an das große biblische Freiheitsepos, das den Auszug der Kinder Israels aus der Knechtschaft in Ägypten beschreibt. Auch einen handlungsleitenden Bezug auf den paulinischen Freiheitsbegriff (Vgl. z.B. Gal. 4-5) sucht man vergeblich. Was offenbar sehr zielgerichtet angestrebt wird, ist die Transformation eines immer noch bemerkenswert vielfältigen protestantischen Gemeinwesens in einen religiösen Dienstleistungskonzern…

Verdeckte Operation “erweiterter Solidarpakt”

Googeln Sie mal das Stichwort “erweiterter Solidarpakt”. Sie werden dazu kaum was finden, obwohl es sich um eine Intervention der Kirchenkonferenz der EKD vom März 2006 handelt, die massiv in die Finanzplanung, die Haushaltsgestaltung und die Personalplanung der Landeskirchen eingreift. Vor nur wenigen Landessynoden wurde der Begriff öffentlich erwähnt – zumeist den tatsächlichen Sachverhalt verharmlosend im Zusammenhang mit einem Berichtswesen in Richtung EKD…

Zum Artikel.

Kirchenaustritte: Eigentor der Kirchen

15. August 2014, von Matthias Drobinski, SZ

Der Reiche sollte sich nicht mehr so leicht davor drücken können, das angemessene Scherflein der Kirche zukommen zu lassen. Redete man jedoch länger mit Kirchenleuten über das Thema, ließ sich der eine oder andere zu der Bemerkung hinreißen, dass dies schon eine clevere Idee sei. Einwände, dass dieser cleveren Idee ein gewisser Selbstüberlistungsfaktor innewohne, wurden souverän hinweggewischt… Zum Artikel der SZ.

Erweiterter Solidarpakt. Eine weitreichende Vereinbarung im sog. Reformprozess der ev. Kirchen. Die Vereinbarung im Orginaltext.

Die wort-meldungen veröffentlichen an dieser Stelle erstmals den ganzen Wortlaut) der Kirchenkonferenz vom März 2006. Vgl. Sie den Rundfunkbeitrag von Christoph Fleischmann „Ein Pakt, den keiner kennt“.

Die Genderdiskussion in den Kirchen

Seit Jahren wird innerhalb der evangelischen Kirchen ein Diskurs über Genderfragen geführt. Dazu gehören die Bibel in gerechter Sprache, die neue Bewertung von Ehe und Familie, der Vorsatz hohe Kirchenämter ausgeglichener zu verteilen und die Einrichtung eines Studienzentrums für Genderfragen.

Damit trägt die Kirche einen wichtigen Baustein zu einer gesamtgesellschaftlichen Debatte um die Zukunft von Lebensumständen bei. Dafür gibt es viel Kritik von Traditionalisten und Rechten. Aber nun auch ein dickes Lob von der Taz.

Ein Pakt, den keiner kennt. EKD regiert in Finanzplanung der Landeskirchen. Eine Sendung im wdr von Christoph Fleischmann

Wenn’s ums Geld geht, hört die Liebe unter Glaubensgeschwistern auf: Die evangelischen Landeskirchen haben einen Erweiterten Solidarpakt beschlossen. Was nach Solidarität klingt, ist eigentlich eine Maßnahme um den Solidaritätsfall zu verhindern.

In der Tat hat die Kirchenkonferenz der EKD im Jahr 2006 einen Erweiterten Solidarpakt beschlossen. Die Kirchenkonferenz ist ein kleines Gremium, in dem in der Regel der leitende Geistliche und der Chefjurist jeder Landeskirche vertreten sind. In dem Solidarpakt geht es um die Vereinbarung finanzieller „Mindeststandards“ etwa bei Personalkosten, Rücklagen und Verschuldung. Diese Standards würden im Kirchenamt der EKD im Auftrag der Gemeinschaft der Landeskirchen „überwacht“, erklärt Oberkirchenrat Thomas Begrich, der beim Kirchenamt der EKD für die Finanzen zuständig ist. „Dazu kriegen wir einmal im Jahr ein paar Kerndaten, die wir dann auswerten und dann wieder mit den jeweiligen Gliedkirchen sprechen: Wie ist der Stand, wo liegen die Probleme? Wo muss man mehr tun?“…
Die Vereinbarung droht den Landeskirchen an, ihnen einen Sparkommissar ins Haus zu schicken. Christian Grethlein (Prof. C.G., Münster, Anm. F.S.) meint, dass die Vereinbarung schon einen „gewissen Rechtscharakter“ habe, weil eine Rechenschaftspflicht der Landeskirchen gegenüber dem Finanzbeirat der EKD vereinbart worden sei. „Und von daher wundert es, dass offensichtlich in den Landeskirchen dieser Erweiterte Solidarpakt nicht oder nicht hinreichend diskutiert wurde“, so Grethlein… Zum Beitrag im WDR.

Zur Sendung zum Thema im wdr, ausgestrahlt am Sonntag, 27. Juli 2014, 09.20 – 10.00 Uhr

Mehr zum Thema Kirche und Kapitalrücklagen vom selben Autor, dem Journalisten und Theologen Christoph Fleischmann, am Sonntag, 03.08., im Kulturradio vom RBB in Berlin.


					

Rückzug von der Bühne

Kommentar zum vorzeitigen Ausscheiden von Nikolaus Schneider als Ratsvorsitzender der EKD

Von Hans-Jürgen Volk

Nikolaus Schneider möchte sich zurückziehen von seinem Amt als Ratsvorsitzender der EKD. Die Gründe hierfür sind nachvollziehbar und haben Respekt verdient: Ausschlaggebend ist die plötzlich diagnostizierte Krebserkrankung seiner Frau. Joachim Frank hat in seinem einfühlsamen Beitrag „Rücktritt eines Brückenbauers“ Worte gefunden, die der Person gerecht werden. Seine Kommentierung ist jedoch ergänzungsbedürftig, weil die Bilanz, die Schneider als prominente Persönlichkeit der EKD hinterlässt, keineswegs uneingeschränkt positiv ist. Dies ist normal und menschlich. Um unserer Kirche willen sollten die problematischen Aspekte von Schneiders Amtsführung nicht unerwähnt bleiben.

Die Diskrepanz zwischen Wort und kirchenleitendem Handeln

Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass Schneiders Sehnsucht nach sozialer Gerechtigkeit und sein stetes Eintreten für sozial Schwache authentisch ist. Es gelang ihm jedoch nie, hieraus ein Programm für seine Kirche zu formulieren. Im Gegenteil: da Schneider die diversen Spar- und Umbauprozesse in der rheinischen Kirche und auf der Ebene der EKD mit trug, hat er auch Mitverantwortung für die faktische Reduzierung innerkirchlicher Sozialstandards und für den Verlust zahlreicher Arbeitsplätze. Die Demontage des Pfarrdienstes fällt ebenso in die Zeit des Wirkens von Schneider wie der oft ohne große öffentliche Aufmerksamkeit vollzogene Verlust von Stellenanteilen oder Arbeitsplätzen bei anderen Berufsgruppen der Kirche.

Schneider kritisierte die Gier der Banken oder die Shareholder-Value-Orientierung großer Konzerne, setzte aber der wachsenden Ausrichtung kirchenleitenden Handelns an Finanzgrößen keinen Widerstand entgegen, sondern trug dieses vielmehr mit.

Als Prediger hat Schneider eine beachtliche Ausstrahlung. So hielt er z.B. im August 2010 in Altenkirchen, einer Kleinstadt im nördlichen Westerwald, eine Predigt zu 1. Joh. 4,7-12, die die Menschen bewegte und viel Zuspruch fand. Hier ein Auszug:

„Die Liebe Gottes, die uns in der Geschichte Jesu Christi offenbar wurde,

diese Liebe fragt nicht nach Konfession oder Hautfarbe,

nicht nach Weltanschauung oder Parteibuch, nicht nach Bankkonto oder gesellschaftlicher Position.

Der Himmel geht über allen auf!

In der Gewissheit, von Gott ohne Vorbedingung und ohne Vorleistungen geliebt zu sein, werden auch wir frei für ein Grenzen-überschreitendes Lieben.

Wir müssen nicht mehr fragen und nicht mehr berechnen „was bringt es mir?“.

Wir müssen nicht mehr überheblich oder unsicher auf vermeintlich angemessene Reaktionen auf unsere Zuwendung warten.

Als geliebte Gottes sind wir frei, unsere Liebe unbegrenzt zu verschenken;

mögen Skeptiker doch ruhig von „verschwenden“ oder gar von „vergeuden“ sprechen.

Von der großen Liebesgeschichte  Gottes in Jesus Christus haben wir es gelernt:

Gott ist Liebe, die nicht sortiert, die nicht misst und nicht rechnet.

Gott ist Liebe, die allen Menschen gilt.

Der Himmel geht über allen auf!“

Im Jahr 2010 gab es in der Ev. Kirche im Rheinland eine heftige Diskussion über die Einführung des Neuen Kirchlichen Finanzwesens (NKF). Die Altenkirchener Predigt war implizit eine Stellungnahme gegen dieses Projekt – nämlich dann, wenn man ihre Sätze auch auf das Handeln der Kirche bezieht. Noch heute findet sich auf der NKF-Homepage der EKiR folgender Text: „Ziele: – Wirkungen, die in einem bestimmten Zeitraum erreicht werden sollen und die qualitativ sowie quantitativ beschrieben und überprüft werden können. Ziele sind SMART (spezifisch und schriftlich fixiert, messbar, attraktiv, realisierbar und terminiert) zu formulieren. Die Zielerreichung muss durch Kennzahlen messbar gemacht werden.“ Der Gedanke, dass NKF als Basis kirchenleitenden Handelns die Marginalisierung von Glaube, Hoffnung und Liebe bedeutet, da sich diese nachweislich jeglicher Messbarkeit entziehen, war Schneider offenbar fremd. Denn er setzte sich nachdrücklich für die NKF-Einführung ein. Es war wie so oft, wenn man die eindrucksvollen theologischen Passagen seiner zahlreichen Berichte als rheinischer Präses mit bedenkt: Auf der Grundlage einer fundierten, an Barmen orientierten reformatorischen Theologie gab Schneider eine Richtung vor, marschierte dann aber an der Spitze des Geleitzugs seiner Kirche in entgegengesetzte Regionen.

Die Frage, was dies für die Verkündigung der Kirche bedeutet, mag sich jeder selbst beantworten. Schneider ist da beileibe kein Einzelfall. Er stellt insofern eine Besonderheit da, als er in seiner Predigt überzeugend wirkt, weil er selber authentisch bleibt. Ihm den Vorwurf zu machen, er hätte Theologie instrumentalisiert, um kirchenpolitische Ziele zu erreichen, wäre ungerecht. Wenn eine exponierte Person unserer Kirche allerdings in ihrer Theologie und in ihrer Verkündigung Aussagen entwickelt, die in Widerspruch zu den Umbauprozessen innerhalb der Kirche stehen, ohne daraus Konsequenzen zu ziehen, trägt sie mit dazu bei, dass Theologie hier ihre handlungsleitende Funktion verliert.

Stärken und Schwächen

Schneider würde dem vermutlich auch heute noch recht autokratisch entgegenhalten, dass dies ja alles nicht so sei. „Brückenbauer“ war er auf der Ebene kirchenleitender Gremien. Hier wirkte er mit einer eindrucksvollen Präsenz und hinhörendem Verständnis auch für kritische Positionen. Auf Kritik von außen reagierte er jedoch mit der benannten Abwehr. Dies galt vor allem dann, wenn Leitungsgremien Entscheidungen getroffen hatten. Spricht man in der Politik von „Parteisoldaten“, so war Schneider eine Art „Kirchensoldat“, der sich in die Pflicht nehmen ließ wie nach dem Rücktritt von Margot Käßmann oder der die einmal beschlossene Linie konsequent verteidigte mit der merkwürdigen Neigung, einer Art „Kanonisierung“ von Synodenbeschlüssen Vorschub zu leisten. Auch aus diesem Grund stellte er die Grundentscheidungen des Impulspapiers „Kirche der Freiheit“ nicht in Frage, sondern trug diese vielmehr offensiv mit, so sehr diese auch in Spannung zu seiner eigenen Theologie standen.

Die größte Schwäche Schneiders dokumentiert aus meiner Sicht der SWR-Filmbeitrag „Der Nikolaus ist evangelisch“. Schneider muss diesem peinlichen Medienprodukt, dass manche bis heute für gelungen halten, ja seine Zustimmung gegeben haben.

Von außen kaum nachvollziehbar ist die scharfe Abwendung von Georg Immel, der als rheinische Finanzdezernent ein langjähriger Weggefährte von Schneider war. Immel wurde damals die Hauptverantwortung für den bbz-Finanzskandal zugewiesen – ein sachlich falsches und ungerechtes Urteil.

Auf der anderen Seite gibt es gerade in der rheinischen Kirche zahlreiche Menschen, die Schneider dankbar sind. Wer sich hilfe- und ratsuchend an ihn wandte, war bei ihm in der Regel ausgesprochen gut aufgehoben. Wenn Schneider durch derartige Kontakte auf Unrecht oder Bedrängnis aufmerksam wurde, konnte er mit teils unkonventionellen Methoden bemerkenswert wirksam Beistand leisten.

Vielleicht am Bedeutsamsten ist der Tatbestand, dass bei Schneider Verkündigung und persönliche Haltung absolut stimmig sind. Als Einzelperson verkörpert Schneider überzeugend, was er sagt und predigt. So ist er bis heute ein wertvoller Zeuge des christlichen Glaubens, der anderen durch sein persönliches Beispiel Kraft und Trost geben kann. Dies gilt umso mehr angesichts der persönlichen Schicksalsschläge, die Schneider verkraften musste, wie den frühen Tod seiner jüngsten Tochter oder jetzt die Krebserkrankung seiner Frau. Im Hinblick darauf ist der Rückzug von Schneider ein großer Verlust für die Evangelische Kirche in Deutschland.