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EKD- Finanzdezernent Diplom- Betriebsökonom Thomas Begrich tritt ab. Ratsvorsitzender und Kirchenamtspräsident würdigen „Ära Begrich“.

17. März 2016, EKD
„…

In dem Gottesdienst wurde zugleich der bisherige Amtsinhaber Thomas Begrich verabschiedet, der Mitte des Jahres in den Ruhestand tritt. Der Diplom-Betriebsökonom Begrich hatte die Finanzabteilung der EKD seit September 2003 geleitet. In seiner Zeit bei der EKD hat er maßgeblich am Reformprozess der EKD mitgewirkt und war u. a. für die Einführung eines neuen Finanzmanagements verantwortlich, das sich stärker an der kirchlichen Arbeit ausrichtet…“  Mehr dazu.

Neue Fehlsteuerung, teurer Sparkurs, gefloppte Kirchensteuer auf Kapitalerträge. Ein Kommentar zur Ruhestandsversetzung des EKD- Finanzdezernenten Thomas Begrich von Friedhelm Schneider.

03/2016
Schon 2013 verließ Oberkirchenrat Thorsten Latzel , Leiter des Projektbüros Reformprozess im Kirchenamt der EKD seinen Posten und übernahm die Stelle des Akademiedirektors der Ev. Akademie Frankfurt.  Bald gab es in der EKD innerhäusig kritische Bemerkungen. Diese wurde immer deutlicher und klarer. Im letzten Jahr etwa ließ Thies Gundlach zum Reformprozess wissen: „Denn zum einen kostet das Umbauen viel Kraft,  und zum anderen sind die Einsparergebnisse durchaus überschaubar und jedenfalls nicht geeignet, Plausibilität gerade für
die Skeptiker der Fusion zu schaffen.  Darüber hinaus verbindet sich damit oft eine Arbeitsverdichtung“.  Kurz die Reformen führen zu innerkirchlichem Kräfteverschleiß und Mehrbelastung des Personals ohne nennenswerte Einsparergebnisse. Damit schließt sich Thies Gundlach inhaltlich der  im Wormser Wort geäußerten Kritik an den sog. Kirchenreformen an.

Auf diesem Hintergrund liest sich die Pressemeldung zur Ruhestandsversetzung von Thomas Begrich als zwar verklausulierte, aber letztlich doch unverhohlene Kritik: „In seiner Zeit bei der EKD hat er maßgeblich am Reformprozess der EKD mitgewirkt“. Wenn dann noch diese ganze Reformphase vom Ratsvorsitzenden als Ära Begrich betitelt wird,  dann wird schon etwas vom Einfluss eines Mannes in der EKD- Zentrale sichtbar, den viele noch nicht einmal mit Namen kennen. Doch soll wohl weniger eine einzige Person für die wenig schmeichelhaften Resulate dieser eineinhalb Jahrzehnte stark ideologisch gefärbter EKD- Kirchenleitung verantwortlich gemacht werden, als vielmehr ein Schlusspunkt gesetzt werden. Eine neue, eine Postreformepoche kann und soll mit dem  Ausscheiden von Thomas Begrich beginnen. Der in der DDR sozialisierte und gelernte Diplom-Betriebsökonom bekleidete den Posten des EKD Finanzdzernenten von 2003-2016. Bis 2003 war er Finanzdezernent der Kirchenprovinz Sachsen und zu DDR-Zeiten Finanzchef eines Krankenhauses in Sachsen-Anhalt.

Was assoziiert man mit der „Ära Begrich“ und warum muss sie so schnell wie möglich beendet werden? Man assoziiert: 1. die Ersetzung von richtigem Management durch Langfristprognosen als argumentative Basis der Notwendigkeit eines tiefgreifenden Umbauprozesses der Kirche, 2. die Einführung der kaufmännischen Buchführung in der Kirche, 3. die Sparpolitik und 4. der jüngste Flopp mit der Kirchensteuer auf Kapitalerträge. Der Reihe nach:

1. Ich erinnere mich lebhaft an den Vortrag von Thomas Begrich auf einer Tagung der Ev. Akademie Bad Boll im  Jahr 2008. Das zentrale Chart zeigte die Entwicklung der kirchlichen Finanzen im Jahr 2030. Unterstellt war die Fortsetzung der kirchlichen Arbeit im damals vorhandenen Umfang unter Berücksichtigung einer Verschlechterung der Einnahmesituation (Kirchensteuerrückgang). Das Ergebnis: zu diesem zukünftigen Zeitpunkt hätten die Mittel gerade noch für die Pfarrgehälter gereicht. Also: keine Mittel mehr für Verwaltung, für… Fazit: undenkbar! Da musste gegengesteuert werden, und zwar heute! Das Auditorium, ca. 200 Personen mit Positionen in den kirchlichen Finanzabteilungen lauschten andächtig. Ein Vortrag, den nicht nur diesen Auditorium zu hören bekam. Ich selbst sah die Präsentation nahezu unverändert im Jahr 2011 noch einmal auf einer Tagung des Reformzirkels „Netzwerk Kirchenreform“ in Wiesbaden. Der Inhalt war leicht eingängig. Und viele, viele, beteten die Botschaft bei allen möglichen oder unmöglichen Gelegenheiten nach.  Das also war die Welt und Botschaft des Thomas Begrich, die man in der EKiR ganz ernsthaft, aber treffend „einfache Formel“ taufte.  Sinn  und Zweck liegen auf der Hand: der so erzeugte Krisenalarm war Legitimation und argumentative Grundlage eines bis dato einzigartigen innerkirchlich angestoßenen Abbau- und Umbauprozesses.

2. Beschluss zur Einführung der kaufmännischen Buchführung (Doppik/NKF) 2005. Wo die Implementierung der Doppik schon stattgefunden hat, absorbierte dies alle vorhandenen Kräfte der Verwaltungen, und zwar über Jahre. So wurde die Doppik zum Musterbeispel für kirchliche Selbstbeschäftigung. Ehrenamtliche verweigerten die Mitarbeit oder schieden aus.  Gesteigert wurde die Schwierigkeit der Aufgabe, als damit auch die Umstellung der – in der Regel zuvor nicht für den eigenen Bedarf getestete – IT verbunden war. Anstelle einer EKD- weiten Harmonisierung, kochte jede Landeskirche auch noch ihr eigenes Süppchen. In Bayern bspw. wurde die gekoppelte Doppik und SAP- Einführung daher von einem Synodalen als Jahrhundertprojekt bezeichnet, von Mitarbeitern im LKA hingegen stand SAP für „Search And Pray“.  Die EKiR hatte über Jahre keine Jahresabschlüsse, war also letztlich durch einen finanziellen Blindflug gelähmt.

Was kann die Doppik für die Steuerung der Kirche leisten?  Die für das Management entscheidenden Indikatoren wie etwa die Mitgliederbindung werden damit jedenfalls ebenso wenig erfasst wie etwa die Motivation der Mitarbeiter, namentlich der Pfarrerschaft. Was hingegen neu dargestellt wird, ist das finanzielle Vermögen der Kirche. Freilich ist das eine Information, die einen großen Bewertungsspielraum lässt und von daher für die präzise Steuerung kaum tauglich ist.  Zum anderen handelt es sich um Angaben,  mit deren Darstellung die Kirche eigentlich nur verlieren kann. Denn die kirchennahen Mitglieder werden durch diese Angabe, die monetäre Bewertung primär geistlicher Größen (!), irritiert.  Und unter den Distanzierten wird die Kirche den einen zu reich, den anderen aber zu arm sein ( bzw. besser: sich darstellen ). Ergebnis also: man schafft Angriffsflächen. Und das völlig ohne Not. Obwohl es ja schon genug andere Angriffsflächen gibt. Und das Lieblingsargument der Befürworter, die Darstellung des Ressourcenverbrauchs, ist so richtig wie falsch zugleich. Denn selbstverständlich war der Administration das Thema auch vorher schon bekannt. Man war sogar so intelligent, dass man richtige Lösungen nicht nur entwickelte, sondern – weil nur administratives, dienendes Handeln –  daraus noch nicht einmal großes Aufhebens machte. Bsp: Pensionen, Bsp. EKHN. Dort  hatte man das Problem (mit Kameralistik) für die damalige Zeit, im letzten Viertel es letzten Jahrhunderts, nachgerade genial gelöst. Etwa mit der Finanzierung erheblicher Anteile über die BfA, also beitrags- und nicht kapitalorientiert. Warum werden also nicht solche Mitarbeiter geehrt, die aus Managementsicht für die damalige Zeit wirklich glanzvollen Leistungen erbracht und so der geistlichen Leitung der Rücken frei gehalten haben? Man muss nach ihnen keine Ära benennen, aber ihnen die Ehre für ihre Leistung zollen. Die betroffenen Personen, hier der ehemalige OKR Tempel, eine Person frei von jeglichem Narzissmus, würde man auf diese Weise zurecht nach völlig absurder Verunglimpfung durch die „Reformer“ rehablitieren. Das lief in den meisten Landeskirchen gut.  Anders verhielt es sich bei den Bauämtern. Dort war das Management durchaus und durch die Bank verbesserungsbedürftig: Man stattete sie in guten Zeiten einfach so satt mit Finanzmitteln aus, dass nichts anbrennen konnte. Auf Dauer war das nicht zu halten, weswegen es einer präzisen Kostensteuerung bedurft hätte, eines Kirchlichen Immobilienmanagements. Gerade Letzters, eine präzise Kostensteuerung und präzise Ressourcenverbrauchswerte lieferte die Doppik mit pauschalen Abschreibungswerten nun aber gerade nicht.
Dass diese Abschreibungen auf Gebäudewerte zu guter letzt noch dazu verwendet wurden, um Gemeinden oftmals unbegründet arm zu rechnen und damit zu Fusionen zu zwingen, das war denn die letzte Volte in einem zuvor schon unsäglichen Spiel. Den Umbau-Protagonisten hat all das an der Basis wenig Freunde gemacht.

Man wird bei alledem fragen müssen, ob Thomas Begrich die äußerst spärlichen Resultate der Doppik für die Steuerung der Kirchen, den Aufwand der Maßnahme der Implementierung, die Kompetenzen in den landeskirchlichen Verwaltungen und – last not least – die Kosten (!) überschaut und berücksichtigt hat. Und diese in ein Verhältnis zum tatsächlichen Nutzen der Organisation gesetzt hat. Ich denke: bei einer solcherart ganzheitlichen Sicht wäre das Projekt Doppik  in der Kirche schon in der Brainstorming-Phase erledigt gewesen.

3. Die Leitfigur des Finanzdezernenten war indes die Schwäbische Hausfrau.  In seine Zeit fallen umfassende Sparmaßnahmen der Landeskirchen, die größere Abbauprozesse wie Personalabbau, Gemeindeabbau etc. zur Folge hatte.  Die Frage, ob dabei das vorgegebene und verfolgte Ziel höherer Wirtschaftlichkeit etwa im Falle von Fusionen überhaupt erreicht wurde oder je zu erreichen sein wird. Selbst von der EKD- Zentrale wird dies heute offen bezweifelt (s.o.). Evaluationen zu solchen Sparprogrammen gibt es nicht. Und das hat seinen Grund.

Nun wird Thomas Begrich einwenden, das Sparprogramm habe ja dazu gedient, die Rücklagen für die Pensionen aufzustocken. Und in fernen Zeiten würden  es die Ruheständler schon merken, dass er mit seiner Schwäbischen-Hausfrauen-Finanzpolitik recht gehabt hätte. Auf eine solche Argumentation muss man aber nicht hereinfallen. Andersrum wird nämlich ein Schuh draus: Die Versäumnisse an der jungen Generation, die dort den Entfremdungsprozess von der Kirche fortsetzten, wird den zukünftigen Finanzdezerneten durch fehlende Kirchensteuereinnahmen auf die Füße fallen. Gerade die Jugend wurde der Kirche stark entfremdet, u.a. weil man die Angebote hier besonders rigoros gestrichen hat. Man  brauchte das Geld ja angeblich für die Verwaltung, die Doppik, die IT oder eben die Rücklagen.  Und man muss kein Profet sein, um zu sehen, dass diese selbstverschuldeten Einnahmeausfälle höher sein werden als die Zinsen der mit vergleichbaren Mitteln gespeisten Rücklagenfonds für die Pensionen. Dies gilt selbst für den Fall, dass das Zinsniveau wieder steigt und es den Anlagemanagern gelingt, größere oder Totalverluste bei Crashs zu vermeiden, die deutsche Fonds oder Institute (wie fast sämtliche Landesbanken) doch regelmäßig zu treffen scheinen (wallstreet- Wort: „stupid german money“). Damit soll das Problem des Verlusts der Bindungskraft nicht auf die fiskalische Seite beschränkt werden, auch wenn es hier um den Finanzdezernenten und seinen Sektor geht. Management beinhaltet eben eine ganzheitliche Sicht. und die hat auch hier gefehlt.

4. Zur Verlustreichen Sparpolitik kam dann noch der verlustreiche Versuch der Steigerung der Einnahmen, der Flopp mit der Kirchensteuer auf Kapitalerträge. Thomas Begrich agierte hier als sei er Wolfgang Schäuble. Ist er aber nicht, wie auch er jetzt weiß. Das zu lernen brauchte es lange. Denn Thomas Begrich war doch immer  sehr von seinen eigenen Meinungen und last not least seiner eigenen Person überzeugt, dass es ihm oft genug gelang, damit – auch entgegen Erwägungen etwa des gesunden Menschenverstandes, entsthafter Managementeinsichten oder auch theologischer Positionen – auch andere zu überzeugen. Wer so in seinem eigenen Kosmos kreist, verliert den Kontakt zur Wirklichkeit. Wenig andere Beispiele wie die Sache mit der Kapitalertragssteuer belegen so deutlich, wie weit manche Akteure in der EKD- Burg in der Herrenhäuser Straße Hannovers von den evangelischen Kirchenchristen schon entfernt sind. Hier aber haben sie mit einer bis dato nicht gekannten Schärfe durch die Welle der Kirchenaustritte auf solche wirklichkeitsvergessene Kirchenpolitik reagiert. Was war mit den Mehreinnahmen? Mathias Drobinski resümiert in der SZ: „So gesehen hätten die Kirchen besser auf das Geld verzichtet, das ihnen die neue Einzugsform  zusätzlich bringt. Zudem weiß niemand, ob die Verluste durch die Austritte nicht die Mehreinnahmen übertreffen.“

Ich schließe mit zwei Fragen. 1. was wäre richtiges Management, hier: richtiges Finanzmanagement der EKD gewesen? Und 2. Inwieweit herrschte in der Grundausrichtung der neoliberalen Reformagenda  für die Kirche Entscheidungsfreiheit?

1. Was fehlte zum Management beim Diplom-Betriebsökonomen Thomas Begrich ? Es fehlte die ganzheitliche Sicht eines systemischen Managements; es fehlte Ziel und Umsetzung, die Organisation Kirche wieder näher zu den Menschen und ihrer Wirklichkeit zu bringen; es fehlte die Einsicht, dass dazu alle positiven Potenziale der Kirche zu nutzen und zu entwickeln war.   Sein Part als Finanzdezernent dabei: eine entsprechend unterstützende Finanzpolitik.

Richtige Investition: Um näher zu den Menschen zu kommen wäre es vor allem nötig gewesen, in die Kommunikation des Evangeliums  zu investieren um neue Kontaktmöglichkeiten zu schaffen. Demgegenüber wurde in die Strukturen der Organisation investiert. Die danach nicht besser arbeiteten als zuvor – allerdings  infolge Zentralisierung nun allein schon geografisch weiter weg von den Menschen waren als zuvor.

Richtige Kostenreduktion: sehr wohl mussten Kosten reduziert werden, namentlich bei Verwaltung und bei Gebäuden (vgl. den entsprechenden Ansatz des Kirchlichen Immobilienmanagements – s.o.).

Umgang mit den Menschen (Potenzialen): Menschen ernst nehmen und einbeziehen. Und sie nicht durch Expertensysteme einschüchtern und gefügig machen. Kurz: mehr demokratische, mehr synodale Teilhabe auch in Finanzfragen wäre also nötig gewesen. Das wäre möglich gewesen, aber der Weg dahin wäre eben ein ganz anderer gewesen als der des Thomas Begrich.

2. Man wird freilich auch bei einem von sich und seiner Rede überaus überzeugten Menschen fragen sollen, inwieweit Thomas Begrich bei diesen Entscheidungen nur Treiber oder auch Getriebener war. Denn in dieser Zeit Anfang des Jahrhunderts wurde ein gesellschaftlicher Umbauprozess ins Werk gesetzt, der alle Lebensbereiche umfasste: Die Agenda 2010 tat das auf dem Gebiet der Sozialleistungen.  Betroffen waren aber auch alle Institutionen der Daseinsvorsorge. Teile der Institutionen wurden privatisiert oder in die Privatwirtschaft verlagert. Die Leistungen für die Bürger, Schüler, Studenten, Patienten etc. wurden auch dadurch deutlich reduziert oder verteuert. Analog dazu wurde zeitlich leicht verzögert auch der Umbau der Kirchen betrieben. Bei dieser Umgestaltung der Institutionen spielte die Finanzsteuerung eine zentrale Rolle.  Und ja, die Frage stellt sich, ob Thomas Begrich und die EKD diese staatliche Reformagenda teilten oder sich dem von dort ausgehenden Druck auf die doch noch staatsanaloge evangelische Kirche nicht widersetzen konnte? Wir müssen diese Frage hier nicht entscheiden. Das überlassen wir der Forschern der jüngsten Kirchengeschichte.  Und: wir müssen auch Thomas Begrich nicht entlasten. Eine wenig erfolgreiche Ära trägt jetzt seinen Namen. Aber diese Ära ist abgeschlossen. Letzteres wird die EKD auch der Pfarrerschaft, der Mitarbeiterschaft und dem Kirchenvolk offen mitteilen müssen, nicht nur verklausuliert. Sonst könnten Beispiele wie die in Angeln Schule machen.

EKD Finanzdezernent Thomas Begrich auf der EKD-Synode: 275000 Kirchenaustritte aus ev. Landeskirchen im Jahr 2014.

11/2015,

Jetzt ist es raus: 275000 Kirchenaustritte aus den Landeskirchen im Berich der EKD. Das gab es lange nicht mehr. Nachdem sich die im Sommer erschienen „Zahlen und Fakten zum kirchlichen Leben“ der EKD 2014 über die angeschwollene Zahl der Kirchenaustritte 2014 noch ausgeschwiegen hatte, ließ auf der aktuellen Herbstsynode Finanzdezernent Thomas Begrich die  Katze aus dem Sack: 275 000 Mitglieder verließen demnach die evangelischen Kirchen. Das ist fast eine Verdoppelung seit 2011, also innerhalb von nur 4 Jahren. (vgl. dazu auch hier).

Doch: wie soll man das Ergebnis für 2014 deuten? War es ein Ausreißer? Oder zeigt es Vorbote einer anhaltenden Tendenz?  Schaut man sich die längerfristige Entwicklung an (2015_EKD-Austritte_Statistik), dann zeigt sich in den 90iger Jahren nach den Austrittswellen  infolge der Soli- Einführung eine zunehmende Beruhigung und ein Rückgang der Austritte bis 2006. In diesem Jahr – dem Jahr übrigens, in dem das EKD-Impulspapier „Kirche der Freiheit“ veröffentlicht wurde, stiegen die Austrittszahlen
wieder moderat an und erreichten 2013 wieder das Ergebnis von 2001. Der Sprung folgte danach – 2014. Dieser traurige Spitzenwert wurde von Anfang an in Verbindung gebracht mit der Erhebung der Kirchensteuer auf Kapitalerträge:

„Einer der Gründe ist bereits klar: Seit 2014 wird die Kirchensteuer automatisch von der Kapitalertrags-Steuer abgezogen. Für viele ist das ein Grund, aus der Kirche auszutreten, sagt Klaus Winterhoff, bei der EKD zuständig für die Finanzen:

Die Frage muss man sich natürlich stellen. Ist das den Ärger wert, wenn man hinterher Verluste einfährt? Die Sache hat eine rechtliche Dimension, der man nicht ausweichen kann, nämlich die gerechte Besteuerung. Aber die Gerechtigigkeit ist mehr wert, als mancher Ärger, den man sich dabei einhandelt, würde ich als Jurist sagen.“ (zur Quelle).

Nun könnte man natürlich fragen, wie es mit der Gerechtigkeit bei der Kirchensteuer tatsächlich bestellt ist, schon angesichts der kirchenrechtlich schon eingeräumten Möglichkeit der Kappung, also Reduktion der Kirchensteuer um 50%.  Was heißt da Steuergerechtigkeit, wenn die einen 100%, die anderen aber nur 50% des Steuersatzes zahlen? Könnte man immerhin fragen.  Es könnte also sein, dass dies Argument der Gerechtigkeit, angesichts der erwähnten Umstände doch eher die verzweifelte Lage und Erklärungsnöte zeigt, in der sich die Verantwortlichen hier mittlerweile vorfinden.

Denn dass man da ein „Eigentor“ geschossen hat, war schnell klar. Und daran war man nicht unbeteiligt: “ Redete man jedoch länger mit Kirchenleuten über das Thema, ließ sich der eine oder andere zu der Bemerkung hinreißen, dass dies schon eine clevere Idee sei. Einwände, dass dieser cleveren Idee ein gewisser Selbstüberlistungsfaktor innewohne, wurden souverän hinweggewischt…“, so Mathias Drobinski in der SZ.

Frühere Versuche, die Schuld an der Misere den Banken in die Schuhe zu schieben, sind zwar verständlich, entbehren aber ebenfalls der Realität.

Was ist zu tun?
Derzeit geben zwei langjährige Unternehmensberater in dem Buch „Mad buisness“ Empfehlungen, wie der ökonomische Verstand in Organisationen zurückkehren kann. Vielleicht kann die Kirche davon lernen.

Die zweite Empfehlung scheint wie auf die Kirche zugeschnitten:

„Der zweite Ansatz… ist die Stärkung der Beiräte und Aufsichtsräte. In vielen Konzernen werden bei Misserfolgen lieber Teams aussgetauscht als jene Leute an der Spitze, die es
verbockt haben. Es braucht ein stärkeres Gegengewicht, um die personellen Ursachen des Irrsinns zu beheben.“ (Oliver Weyergraf, in: brandeins, 11/2015, S. 68)

Dem ist nichts hinzuzufügen.

Friedhelm Schneider

Die Rücklagen wachsen – die Probleme auch. Die evangelischen Landeskirchen und das Geld. Von Christoph Fleischmann.

Herder Korrespondenz 4/2015, S. 186- 190

Passagen aus dem Artikel mit freundlicher Genehmigung des Autors:


Bis heute ist der Text des Erweiterten Solidarpaktes nicht offiziell veröffentlicht, da, so das Kirchenamt der EKD, Beschlüsse der Kirchenkonferenz nicht veröffentlichungspflichtig seien. Der Text wurde aber Mitte 2014 auf der Homepage wort-meldungen.de geleakt. In der Vereinbarung werden alle Landeskirchen auf einen sehr sicherheitsorientierten Finanzkurs festlegt bei Personalkosten, Rücklagen und Verschuldung. Zu den Pfarrpensionen heißt es z.B. in der Vereinbarung: „Die Versorgung [der Pfarrerinnen und Pfarrer] soll so abgesichert sein, dass keine wesentlichen Belastungen auf die nachfolgenden Haushalte übertragen werden müssen.“ Genauerhin sollen aus dem Haushalt nur bis zu 10 Prozent der Pfarrdienstkosten für Pensionäre ausgegeben werden. Wenn man die Pensionäre nur zu einem geringen Teil aus dem laufenden Haushalt zahlen darf, muss man einen Kapitalstock aufbauen, aus dem die starken Pensionsjahrgänge später versorgt werden können.

Diese Standards würden „im Auftrag der Gemeinschaft der Gliedkirchen“ vom Kirchenamt der EKD „überwacht“, so Oberkirchenrat Thomas Begrich, im Kirchenamt der EKD für die Finanzen zuständig. „Dazu kriegen wir einmal im Jahr ein paar Kerndaten, die wir dann auswerten und dann wieder mit den jeweiligen Gliedkirchen sprechen: Wie ist der Stand, wo liegen die Probleme? Wo muss man mehr tun?“, so Begrich. Im Pakt selber werden einer Landeskirche, die die geforderten Mindeststandards nicht erreicht, ein blauer Brief vom Kirchenamt der EKD und ein Besuch angedroht. Wenn das nicht reicht, um eine Landeskirche zu den vereinbarten Standards zurückzuführen, werden weitere Maßnahmen in Aussicht gestellt: „a) Aufforderung zur Aufstellung eines Sanierungsplans in Abstimmung mit dem Kirchenamt; b) Begleitung der Umsetzungsmaßnahmen durch einen Beauftragten.“ Die Drohkulissse gipfelt darin, dass nur diejenige Landeskirche auf Hilfe der anderen Landeskirchen rechnen darf, die sich den oben beschriebenen Maßnahmen unterwirft.

Die Synoden der Landeskirchen haben den Pakt nicht ratifiziert, wie sie es mit Gesetzen der EKD-Synode tun müssten, damit die in ihrem Bereich wirksam werden. Das Landeskirchenamt der Evangelischen Kirche im Rheinland erklärte dazu, dass der Synode der Wortlaut des Erweiterten Solidarpaktes nicht mitgeteilt werden musste, weil das Haushaltsrecht der Synode nicht eingeschränkt werde durch den Beschluss der Kirchenkonferenz. Die EKD habe keine Zugriffsrechte auf die Finanzplanung der Landeskirchen. In der Tat könne die Kirchenkonferenz der EKD den Landessynoden nichts vorschreiben, erklärt Christian Grethlein, emeritierter Theologieprofessor der Universität Münster, der gerade eine Einführung in das evangelische Kirchenrecht veröffentlicht hat. Formalrechtlich sei an dem Pakt nichts zu beanstanden, aber „vom Rechtsgehalt her“ sehe er Probleme: „Offensichtlich wurde hier eine Vereinbarung zwischen Landeskirchen getroffen, die erhebliche Auswirkungen auf die Haushalte hat“, so Grethlein. Die Rechenschaftspflicht der Landeskirchen gegenüber dem Finanzbeirat der EKD gebe der Vereinbarung schon einen „gewissen Rechtscharakter“ findet Christian Grethlein. „Von daher wundert es schon, dass dieser Erweiterte Solidarpakt offensichtlich in den Landeskirchen nicht oder nicht hinreichend diskutiert wurde.“

Die angebliche kirchliche Finanzkrise wird erneut umetikettiert. Ultimative Volte in der Finanzkrisenargumentation der EKD.

Erinnern wir uns: bei der kirchlichen Rede von der Finanzkrise stand am Anfang die „einfache Formel“ (Finanzkrisenvariante I). Als diese Erklärung von der Empirie falsifiziert war, wurde die Finanzkrise durch sinkende reale Kirchensteuerverluste erklärt. Danach seien die Kirchensteuereinnahmen zwar tatsächlich gestiegen, aber (leider) nur nominal. Also „nur“ mit dem gestiegenen Wert, der tatsächlich im Rechnungswesen erscheint (!). Der reale Wert, der die Inflation und deren Kaufkraftverlust berücksichtigt, der sei aber in Bezug auf den Ausgangszeitpunkt der Berechnung gesunken. Das Sinken des Realwertes – das belege Krise. Das war also die zweite Stufe der Finanzkrisenargumentation. Dass das Ergebnis einer solchen Berechnung eine im Kontext der kirchlichen Sparpolitik stark zu relativierende Information liefert, haben wir an anderer Stelle ausgeführt (vgl. den Artikel, insbes. S. 6, 7). 

In einem Artikel in Horizont E, Oldenburgische Landeskirche, wird nun unter der Hand eine interessante neue, dritte Stufe, ein Superlativ der Kriseninterpretation geliefert. Und die geht so: „Nach absoluten Zahlen geht es uns in der Tat sehr gut“, räumt Begrich zu Beginn des Gesprächs ein nicht ohne einschränkend hinzuzusetzen, dass unter Berücksichtigung der echten Geldwerte nicht mehr Geld zur Verfügung stehe als Mitte der 1990er Jahre.“ (S. 4, fett und kursiv F.S.) Krise ist hier nicht mehr, dass heute real weniger Mittel zur Verfügung stehen als zu den Glanzzeiten Mitte der 90iger Jahre (Krisenargument Stufe II). Als Krise wird deklariert, wenn die Finanzlage real „nur“ unverändert ist. (Wohlgemerkt: bei nominal gestiegenen Einnahmen der Kirchensteuer von 3,6 Mio. € im Jahr 2005 auf über 5 Mrd. € im Jahr 2014.). 

Es ist interessant, dass bei der verblüffenden superlativen Finanzkrisenargumentation III, fast die gleichen Vokabeln verwendet werden wie bei der Finanzkrisenargumentation II. Dabei unterscheidet sich der Inhalt deutlich. Denn wenn die verfügbaren Mittel selbst real gleich blieben, wo ist dann, bitteschön, noch die Krise? Da ist nichts mehr mit Kausalkette. Krise ist keine Schlussfolgerung bei nominal stark gestiegenen und selbst real gleich bleibenden Kirchensteuern. Die Argumentation zeigt sich als das, was sie eigentlich schon immer war: ein Narrativ mit oft geringem Unterhaltungswert. Die nunmehr fehlende Logik fällt aber gar nicht auf, hat man sich doch in der Kirche seit 20 Jahren an die Beschwörung der Finanzkrise gewöhnt. Ich räume ein, auch mir ist der Unterschied tatsächlich erst jetzt, beim zweiten Lesen aus gegebenem Anlass (s.u.) aufgefallen.

Die Rede von der Finanzkrise und darauf aufbauende Reformen hat die Kirche stark beschädigt. Wie groß der Flurschaden ist, zeigt die bemerkenswerte Reaktion des Pfarrvereins der EKiR. Sie fordert ein Moratorium der Reformmaßnahmen (s.u.). Die Pfarrerschaft nimmt damit spät ein Korrektiv wahr, zu dem die eigentlich andere berufenen Organe der Kirche in der Kirche (hier der EKiR) offensichtlich nicht mehr in der Lage sind. Wichtig wäre, die unselige und unsinnige Finanzargumentation als Basis einer Kirchenstrategie endlich zu verabschieden. Diesen Weg beschreitet in der EKM Bischöfin Ilse Junkermann. Siehe dazu den entsprechenden Beitrag in dieser Ausgabe.

Wie sagte ein mittelständischer, ehrenamtlich in der Kirche engagierter Unternehmer: es brauche eine neue Ernsthaftigkeit in der Finanzpolitik der Kirche. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Friedhelm Schneider

P.S.: Auch in anderen Landeskirchen wird der Fakt eingeräumt, dass die Kirchensteuer real seit 2 Jahrzehnten auf gleichem Niveau liegt. Aber es wird nicht offen erklärt, sondern verschämt verschleiert. So wird z.B in der EKHN im Finanzbericht von Dezernent Thomas Striegler der jüngsten Synode eine Grafik verwendet, in der die Kurve der realen Kirchensteuerentwicklung kommentiert wird durch die Bemerkung: „Kurve bewegt sich seitwärts“.

Entwicklung der Kirchensteuer

Finanzdezernent Thomas Begrich/EKD im Gespräch mit den Wort-Meldungen.

In „Horizont E – Das evangelische Magazin im Oldenburger Land“ erschien im Sommer 2014 Ausgabe, die vollständig dem Thema Kirchenfinanzen und Kirchenfinanzierung gewidmet war. Von der ersten Seite an präsent: die EKD in Person von Finanzdezernent Thomas Begrich. Der abschließende Artikel des Hefts trug den Titel: „Kultussteuer – Ein Plädoyer“. Das betrachtete und benannte ich als „offiziösen Vorschlag“. Und tue es noch immer. Freilich blieb es dem Leser überlassen, sich einen Reim auf diesen zu machen. Die Seite war aber weder als Unterhaltung, Satire, Kinderseite o.ä. ausgewiesen.  Daher liegt die Vermutung nahe, dass zwischen Schlussartikel und Gesamtausgabe ein innerer Zusammenhang besteht. Und da die EKD- Finanzverantwortlichen seit Jahren (oder Jahrzehnten?) eine Kirchenfinanzkrise beschwörten und weiterhin beschwören, würde es durchaus Sinn machen, sollten sie in solchem Glauben auch über Alternativen zum gegenwärtigen Finanzierungssystem der Kirchensteuer nachdenken. Ergo äußerte ich die Vermutung, dass man in der EKD wohl die Kultussteuer als einen „last exit“ betrachte, falls die Kirchensteuer einmal nicht mehr funktioniere. Dies allerdings, das räume ich ein, geschah nicht im Konjunktiv, sondern im Indikativ. Diese meine Vermutung wird nun in einem Kommentar von OKR Thomas Begrich zu meinem Beitrag wiefolgt offiziell dementiert:

„Die EKD denke über eine Kultussteuer nach? Das ist kompletter Unsinn! Die Kultussteuer ist eine staatliche Steuer und damit nicht kirchengemäß. Bitte um Korrektur dieser Fehlmeldung.“

Wir stellen das gerne zurecht. Und unterstellen im Umkehrschluss, dass die zahlreichen anderen, von Thomas Begrich unkommentierten Beiträge der Wort-Meldungen zur Finanzpolitik der EKD aus seiner Sicht nicht zu beanstanden sind. Das hätten wir nicht gerechnet. 

 Friedhelm Schneider

Last exit Kultussteuer?

von Friedhelm Schneider

Abbauprozess gemeindlicher und funktionaler Dienste bei steigenden Einnahmen – das war die EKD-Kirchenpolitik der zurückliegenden 8 Jahre. Die Kirchen brauchen sich zeitgleich seit 2005 über mangelnde Steuereinnahmen nicht beklagen. Die entsprchenden Einnahmen stiegen innerhalb der EKD von 2005 mit 3,617 Mrd. € bis 2013 auf – sagen wir es offen: sagenhafte – 4,842 Mrd. €.  Gleichzeitig wurde gegenüber Gemeinden und funktionalen Diensten im selben Zeitraum eine rigorose Sparpolitik durchgesetzt und betrieben. Mithin fand ein Abbauprozess bei steigenden Einnahmen statt. Mit den so „freigesetzten“ Finanzmitteln wurde ein seit der Nachkriegszeit vom Umfang her unbekannter, offensichtlich auf Dauer angelegter Umbauprozess der Kirchenstrukturen mit dem Ziel einer katholisierenden, hierarchischen Top-Down-Struktur ins Werk gesetzt. Wen wundert es, dass sich da aus evangelisch-theologischer Sicht Widerspruch regt? Widerspruch auch gegen ein Finanzierungsinstrument Kirchensteuer, mit deren Hilfe solche theolgisch fragwürdigen „Reformen“ erst möglich wurden? Jochen Teuffel ist nicht das einzige, aber ein profiliertes Beispiel für theologisch motivierte Kritik an der Kirchensteuer.

Ob die Quellen der Kirchensteuer freilich weiter üppig sprudeln, wird offiziell bezweifelt. Und zwar nicht nur, weil diese sehr stark von der Konjunktur abhängt. Bei der postwendenden, massenhaften Austrittsreaktion auf die als genialer Coup geplante Kirchensteuer auf Kapitalerträge könnte es sich um mehr handeln als bloßes Missverstehen. Es könnte ein Menetekel sein. Wer zahlt freiwillig Kirchensteuer, um aufgeblähte Kirchenstrukturen oder einen ausgeprägtem Verwaltungwswasserkopf zu finanzieren? Die 5. KMU zeigt recht anschaulich, dass die Bindekraft der Kirchen gerade in den zurückliegenden „Reformjahren“ deutlich gelitten hat. Und zwar besonders unter jungen Menschen, die somit morgen als Kirchensteuerzahler ausfallen. Hat man also die Überschüsse falsch investiert? Der eine oder andere der Finanzverantwortlichen hat mittlerweile wohl kalte Füße und bezweifelt die zukünftige Tragfähigkeit des Systems der Kirchensteuer. Ein Indiz dafür ist der offiziöse Vorschlag einer Kultussteuer nach italienischem Muster, von der sich die Kirche finanziell wohl gewisse Vorteile erhoffen kann – in der Zeit nach der Kirchensteuer. Vorgetragen wird sie in einer landeskirchlichen Broschüre, in der auch der Finanzdezernent der EKD Thomas Begrich eine tragende Rolle spielt. In der EKD rüstet man sich also schon für die Zeit danach. Dass sich die Kirche mit einem solchen Vorstoß Kultussteuer nicht viel neue Freunde schaffen wird, dürfte unmittelbar einleuchten. Aber noch ist es nicht so weit. Alternativen zum „last exit“ Kultussteuer wären gefragt. Eine mögliche zeigt die kleine Gemeinde Geilsheim/Bayern. Weitere, insbesondere kreative Alternativen wären vonnöten, gewiß. Enwickeln können wird man sie aber nur dann, wenn man sich in den Möglichkeitsmodus begibt. Und also Zwangsformen ablegt. Gerade das aber fällt der Verwaltung extrem schwer. Weswegen man an solchen Lösungen wohl selbst wird arbeiten müssen.

 

Kultussteuer – Ein Plädoyer. Von Michael Eberstein


Immerhin müssten alle ihre Steuer bezahlen, also auch Menschen, die sonst der Kirche fern bleiben. Ihnen liegt vielleicht einfach am Erhalt des Gebäudes. Oder der Möglichkeit, an Kulturangeboten wie Konzerten teilhaben zu können. Einen anderen, vielleicht auch größeren Teil, würden diese Menschen auch anderen Kultureinrichtungen und -anbietern zukommen lassen, womöglich auch sozialen Einrichtungen…

Zugegeben, eine solche Steuer brächte die Kirchen in die Verlegenheit, ihre Aufgaben und Projekte überzeugend zu vertreten, um in der Konkurrenz mit anderen Anbietern mithalten zu können. Denn was sollte schlecht sein an „Prüft aber alles, und das Gute behaltet.“ (1.
Thess 5,21).

scrollen Sie die Broschüre durch bis auf S. 20. Dort finden Sie den Beitrag.

 

Revisted: Kirchenleitende Personen begrüßten Fusionen von Landeskirchen

Die Reformmaßnahmen der Kirche haben später zu teilweise gravierenden Problemen geführt. Das ist durch die Interviews von kirchenleitenden Personen durch Prof. Isolde Karle erneut bestätigt. Interessant, welche Erwartungen und Verheißungen kirchenleitende Personen noch vor wenigen Jahren mit derartigen Vorhaben verbanden. Wir zeigen das hier am Beispiel der Landeskirchenfusionen.

Wolfgang Huber, Ex- Ratsvorsitzender der EKD zur Fusion der Nordelbischen, der Mecklenburgischen und Pommernschen Landeskirchen zur Nordkirche: „Zeichen für die Reformfähigkeit des deutschen Protestantismus“

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Wolfgang Huber, begrüßte die Zustimmung zum Fusionsvertrag. Damit setzten die Synoden ein deutliches Zeichen für die Reformfähigkeit des deutschen Protestantismus, sagte Huber am Sonnabend in Berlin. Außerdem sei die Entscheidung ein beispielhafter kirchlicher Schritt für die konstruktive Aufnahme der unterschiedlichen Traditionen und Erfahrungen aus Ost und West. Diese Entwicklung begleite er mit „herzlichen Segenswünschen“. Der Leitende Bischof der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands, der Münchener Landesbischof Johannes Friedrich, sagte, er danke den Verantwortlichen in den drei beteiligten Landeskirchen dafür, dass sie „zu so vielen Kompromissen“ bereit seien.

Zu den Folgewirkungen der Fusion u.a. auch hier.

Thomas Begrich, Finanzdezernent der EKD, zur Fusion der Kirchenprovinz Sachsen (KPS) mit der Landeskirche Thüringen zur EKM:

aus seinem Vortrag: Kann, will und darf die Kirche steuern ? gehalten auf der Tagung „Vom neuen Rechnungswesen zur Steuerung in der Kirche“ in Bad Boll, 17.-18.1.2008; der vollständige Text wurde den Tagungsteilnehmern als download zur Verfügung gestellt.

„Schließlich ist ein wesentlicher Ansatz des Umgangs mit der Macht in der Kirche die Mobilisierung der Handlungsfähigkeit der Mitglieder. Damit ist nicht etwa der Jetzt-Stand abqualifiziert, vielmehr ist ein immer wieder ein neues Reflektieren des Erreichten und eine Fortentwicklung im Sinne der Auftragserfüllung gemeint. Zur Mobilisierung gehört die Stärkung der Eigenverantwortung. Damit einhergeht die Gestaltung einer entwickelten Dezentralisierung, als Beitrag zur Stärkung der Eigenverantwortung. Transparenz schafft eine Voraussetzung für die Wahrnahme von Eigenverantwortung. Bei allem geht es nicht einfach um ein nach vorne offenes Loslassen, sondern zugleich um die Stärkung der Gemeinschaft. So bedarf es weiterer begleitender Elemente, zu denen nicht zuletzt auch Aufsicht gehört. Notwendig ist es daher auch, die Kooperationsfähigkeit der Kirchengemeinden und Einrichtungen zu organisieren. Damit muss eine organischen Sicherung von Solidarität zwischen Starken und Schwachen einhergehen. Dabei geht es nicht darum, die Starken schwach zu machen, sondern den Schwachen so die Möglichkeiten zu geben, dass sie eigenverantwortlich ihre Angelegenheiten wahrnehmen können. Ein gutes Beispiel dafür ist der Finanzausgleich zwischen den Gliedkirchen in der EKD. Die stärkeren Gliedkirchen geben durchschnittlich weniger als 4 % von ihrem Kirchensteueraufkommen an die finanzschwächeren (namentlich die ostdeutschen) Gliedkirchen ab, für die das einen finanziellen Wert bis zu 60 % des eigenen Kirchensteueraufkommens bedeutet! Gleichwohl werden mit diesen Mitteln die ostdeutschen Gliedkirchen finanziell keineswegs so gestellt, wie die finanzstärkeren westdeutschen Gliedkirchen. Es bleibt für sie schwer genug, aber sie werden in die Lage versetzt, eigenverantwortlich ihren Auftrag zu erfüllen. Wie verantwortlich sie damit umgehen, zeigen nicht zuletzt die Fusionsbeschlüsse und Fusionsüberlegungen von Landeskirchen gerade der letzten Zeit.“ (damit war angespielt auf die Fusion der Kirchenprovinz Sachen und Thüringens zur EKM).

Zu den Mühen und der Dauer des Fusionprozesses der EKM vgl. neben dem o.g. Interviews von Isolde Karle auch hier.

 

Von der Wirtschaft lernen heißt siegen lernen ?!

oder: was Kirche von der Wirtschaft hätte lernen können.

von Friedhelm Schneider, Pfr., Immobilienfachwirt

Überarbeitete Version eines Vortrags beim Tag des Pfarrvereins der EKM in Neudietendorf, 18. Juni 2014.

Liebe Schwestern und Brüder, sehr geehrte Damen und Herren,

ein Schelm, wer bei einem solchen Thema Böses denkt: „Von der Wirtschaft lernen, heißt siegen lernen.“ Sie in Thüringen stellen sofort die Analogie her zu einem Wort, das in früheren Zeiten lange Jahre zur Propaganda der DDR- Führung gehörte. Das lautete: „Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen.“ Es galt so lange, bis Gorbatschow Mitte der 80iger Jahre die Peristroika propagierte. Ab diesem Zeitpunkt geriet das Wort in der DDR-Regierung in Misskredit und wurde zur subversiven Parole ‚bösartiger‘ Regimekritiker.

Erwarten Sie also Parallelen zur kirchlichen Lage heute, wenn sie den Titel so analog formulieren? In der Tat haben Kräfte dominiert, die der Betriebswirtschaft Kräfte für Wachstum gegen den Trend und Erstarkung der Kirche zuschrieben. Betriebswirtschaft hatte in der Kirche spätestens ab der Jahrtausendwende die Theologie als Leitwissenschaft abgelöst. Gewähr für die Ablösung bot (und bietet) auch das biedermannmäßig aus der Wirtschaft anklopfende und arglos eingelassene Berater-Personal: Unternehmensberater wie Peter Barrenstein von McKinsey oder die Direktorin Marlehn Thieme der Deutschen Bank. Letztere aus einem Unternehmen, das zu Zeiten als Marlen Thieme in Führungspositionen der Kirche kam mit 25% Rendite prahlte, sich dann aber vor 2 Jahren kleinlaut aus triftigem Grund selbst einen Kulturwandel verordnen musste. Seither sitzt das Personal der Wirtschaft in den Führungsetagen der Kirche, im Rat der EKD und der Steuerungsgruppe zum Kirchenreformprozess1. Man wird eingedenk schon dieser wenigen Fakten der EKD nicht zu nahe treten, wenn man ihr das Wort „Von der Wirtschaft lernen heißt siegen lernen“ als ihre Parole in den Mund legt. Auch wenn es so nie ausgesprochen wurde, prägt es doch das Denken in den kirchlichen Führungsetagen. Es mag sich um eine ‚passagere‘ Position der EKD handeln, die den Zenit schon überschritten hat, sind doch die Erfahrungen mit diesem Ansatz der Leitwissenschaft Betriebswirtschaft mittlerweile so umfangreich wie ernüchternd. Und man kann wohl behaupten, dass die Phase, in der dieser Ansatz die Köpfe in der EKD beherrschte, schon der jüngsten Kirchengeschichte angehören. Wie sagte Thies Gundlach, der Cheftheologe der EKD, jüngst in einem Vortrag? Er möchte nicht der letzte Mohikaner sein, der zum Impulspapier „Kirche der Freiheit“ steht2

Die Analogie zum DDR- Slogan, liegt für Kritiker also durchaus nahe. Es stellt sich nun die Frage: was aber heißt dies Wort in unserem Munde? Im Munde derer, die den sog. Reformprozess, der im Gefolge von „Kirche der Freiheit“ von der EKD über die Landeskirchen gezogen wurde falsifizieren und kritisieren? Der eigentlich kein Reformprozess darstellt, sondern der ein veritabler Umbauprozess ist. Was heißt es, wenn wir diesen Satz heute aufgreifen – und ihn positiv gegen seine früheren geheimen Befürworter wenden? Lassen Sie mich dazu etwas ausholen, und den Blick aufs Ganze richten, bevor wir den Ausschnitt analysieren:

Wir leben heute in einer Zeit in der die früher in Zeiten sozialer Marktwirtschaft propagierte funktionale Trennung der Systembereiche der Gesellschaft (Wirtschaft, Politik, Religion etc.) an ihr Ende gekommen ist. Denn die „Wirtschaft“ beschränkt sich nicht mehr auf ihren Sektor der Produktion von Gütern und Dienstleistungen. Das hat einen praktischen Grund: Im Finanzkapitalismus ist Kapital im Überfluss an Banken und Börsen vorhanden und sucht Anlagechancen und Höchstrendite. Dazu müssen die Grenzen der Ökonomie zu den anderen Funktionsbereichen überschritten werden. Zu diesem Zweck werden solche anderen Bereiche, wie z.B. die der Daseinsvorsorge, usurpiert. Privatisierung war das Zauberwort und totaler Service das Zuckerstückchen, mit dem der Bevölkerung dies schmackhaft gemacht wurde. Nach Post, Bahn und Telecom in den 90iger Jahren, kamen ab 2000 die engeren Bereiche der Daseinsvorsorge: Schule, Universität, Gesundheitswesen (mittelfristig Rückkehr zum DDR-System der Poliklinik) und Justiz an die Reihe (Privatisierung von Vollzugsanstalten in Hessen durch Roland Koch). Übereinstimmend wurde in allen Bereichen das ehemals organisatorisch starke Fachpersonal entmachtet: durch Entzug von Beteiligungsrechten (Universität/Schule), durch Wandel des Bildungssystems von Humoldt’scher Bildung zu Kompetenzvermittlung und damit Infragestellung der klassischen Lehrerkompetenzen, durch die Deklassierung des Ärztestandes zu einer Art Scheinselbständigkeit, durch die Überlastung des Personals mit einem kaum zu bewältigenden Arbeitspensum (Justiz) unter der die Qualität der Arbeit, die Rechtssicherheit, wie auch die Gesundheit der Personen leidet.

Diese Ökonomisierung schlich sich ein mit allerlei quasi-eschatologischen Versprechungen, z.B. der Steigerung der Servicequalität, der Illusion einer „totalen“ Qualität (TQM), etc. Wie weit Versprechen (Ideologie) und Wirklichkeit auseinanderklaffen, möge ein kleines, aber sprechendes Beispiel demonstrieren. Günther Wallraff studierte in bekannter Manier in einem Incognito-Selbstversuch die Praxis eines Alten- und Pflegeheims in München, dem kathol. Josephstift am Luise-Kisselbachplatz. Die Zustände waren nach der entsprechenden TV- Sendung ziemlich verheerend. Und dabei prangt ein Qualitätssiegel des TQM an einer Wand der Einrichtung. Darin wird die Note 1, sehr gute Qualität also, bescheinigt. Was hier an einem Beispiel dargelegt ist, können Sie getrost auf das gesamte Gesundheitswesen übertragen. Das System des TQM ist essentieller Bestandteil neoliberaler Transformationprozesse. Deren harter Kern aber in nichts anderem als Personalabbau bis zur Grenze der Leistungsfähigkeit des Restpersonalbestandes, Ausbeutung der Gesundheit des Personals, Reduktion der Angebote/Dienstleistungen auf (billigen) Standardprodukten (Kernleistungen), Steigerung der Profite der Investoren. Das steht konträr zur Sozialen Marktwirtschaft und produziert Widerspruch in entwickelten europäischen Gesellschaften. Um diesen Widerspruch zu unterdrücken, wird ein völlig neues Weltbild, ein ökonomisches Denken, geprägt, das allen anderen Funktionsbereichen aufgedrückt wird. Alle müssen sich an der neuen Nomenklatur orientieren. Alle lassen sich an den neu gesetzten Kriterien messen und bewerten. Diese neuen Kriterien kommen daher als hohle „Plastikwörter“, Anglizismen gaukeln eine besondere Aura vor, Euphemismen vernebeln die eigentlichen Aussagen. Und so sind Fehlinformation, Vernebelung und Geheimhaltung wesentlicher Bestandteil des Akzeptanzmanagements des schönen neuen neoliberalen Weltkonzeptes.

Ein neues Denken, das auch in der Kirche Fuß fassen konnte. Mit dem Reformprozess genannten Umbauprozess. Prof. em. Jürgen Moltmann beklagte in einem Vortrag jüngst den „Einzug ökonomischen Denkens in die Kirche“. Er zieht folgerichtig die Verbindung zu Barmen I: …Wo liegen heute jene »Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten« aus Barmens Erster These verborgen, die wir zu Götzen machen? Er fragt und antwortet: „Sind wir wieder in der Situation von vor 1933? Nein, das sind wir nicht! Wir sind in einer ganz anderen Situation. Es droht uns nicht eine ideologische Politisierung der Kirche wie durch die Nazis und die Deutschen Christen damals. Es droht uns aber eine nicht minder gefährliche ideologische Ökonomisierung der Kirchen, wie wir sie auch in anderen Bereichen der Daseinsvorsorge, so z.B. auch an den deutschen Universitäten erleben. Wie kann Kirche „effektiver“ gemacht werden? Wie kann die Zahl der Taufen, Konfirmationen und kirchlichen Amtshandlungen erhöht werden? Wie kann die Kirche auf ihr „Kerngeschäft“ verschlankt werden? Wie kann die „Kirche im Angebot“ attraktiver werden? Der religiöse „Service“ der Kirche an ihren „Kunden“ muss verbessert werden. Damit entmündigt man die aktiven Brüder und Schwestern zu passiven „Kunden“ und macht aus selbstständigen Gemeinden betreutes Leben in den Kirchen.“ 3

Man kann eine solche Position wie die von Jürgen Moltmann also politisch durchaus verstehen. Dennoch: diese Form der Pauschalkritik erscheint uns zu undifferenziert, erfasst nicht die ganze Wirklichkeit und ist damit in gewisser Weise selbst angreifbar. Gerade, wenn es wie hier nicht um die politisch-volkswirtschaftliche Ebene, sondern um die Frage der Organisationsreform der Kirche geht. Und sie enthält nicht die Chuzpe, die vermeintlichen Ökonomen mit den Waffen der Ökonomie selbst zu schlagen. Das haben Sie nun aber mir mit dem Vortragstitel, wenn ich das recht verstehe, aufgetragen. Und daran will ich mich gerne versuchen. Denn nur so können wir zur tieferen Erkenntnis kommen, dass ökonomische Argumente wie am Beispiel einleitend gezeigt bei den sog. Reformprozessen vielleicht nur vorgeschoben sein könnten, es in Wirklichkeit und im Hintergrund aber um etwas anderes, Tiefgreifenderes geht. Dass es mit dem Prozess „Kirche der Freiheit“ nicht nur um einen Reformprozess, sondern um einen veritable Umbauprozess geht. Lassen Sie uns also etwas genauer hinschauen und differenzieren, um am Ende dann doch wieder einen Ansatz zu finden, die vorhandenen positiven, hilfreichen Aspekte der Ökonomie für die Organisationsführung trotz aller negativen Erfahrungen mit den gesellschaftlichen Ökonomisierungsprozessen oder der sog. „Reformprozesse“ wieder schätzen zu lernen. Und der dem Titel des Vortrages inhärente Dialektik zu ihrem Recht zu verhelfen.

Dies geschieht nicht in erster Linie um der intellektuellen Herausforderung des Titels willen. Wir müssen dies tun, weil die empirische Kirche ihren Schatz in irdenen Gefäßen bewahrt. Weil die Kirche als Organisation auch mit professionellen, profanen Instrumenten geleitet und dem Evangelium gemäß gestaltet sein will. Dabei darf ihre Gestalt dem Inhalt nicht widersprechen (Barmen III + IV). Als Organisation muss sie also damit auch auf die Möglichkeiten zurückgreifen, die gute Organisationsgestaltung bereit hält und ermöglicht. Und dazu sagt man in der Regel „Management“. Gutes, richtiges Management, das wäre es, was die Kirche wieder bräuchte. Sie bräuchte es ebenso wie Bereiche der „Wirtschaft“ selbst. Die deren Verlust etwa durch das Eingeständnis von Kulturproblemen teilweise auch selbst thematisiert, wie z.B. die Deutsche Bank.

Vom Reformbedarf des klassischen Kirchenmodells nach Barmen…

Betrachten wir die Geschichte des Reformprozesses in den ev. Kirchen: es ging in den 90igern zunächst um einen Reformprozess nach außen, mit dem die Kirche die Differenzierungsprozesse der Gesellschaft nachvollziehen wollte (vgl. „Person und Institution“, EKHN). Kirche musste aber zum anderen auch innerorganisatorisch einen Reformprozess anstrengen. Die Administration war strukturell (hierarchisch), instrumentell (IT) und personell veraltet. Schon die einfache Datenverarbeitung war mit einer hohen Fehlerquote behaftet (notorisch: einfache Datenreihen wie Meldelisten), die Informationsbasis für Entscheidungen mangelhaft. Wissensmanagement war in den Verwaltungen ein Fremdwort. Wissen bspw. war personell gebunden und nicht für die gesamte Organisation verfügbar. Und Wissen war veraltet. Betriebswirtschaftliches Know-How? Fehlanzeige. Worauf wäre es angekommen? Auf die gezielte, eklektische Übernahme von Instrumenten und Strategien aus dem Wissensgebiet des Managements.

1. Finanzmanagement hätte primär organisiert werden müssen als Management der Kosten und nicht – wie in der Doppik vorherrschend – des Vermögens. Es wäre um die gezielte, richtige Investition gegangen und nicht um das Sparen der in kirchlichen Kreisen zur Galionsfigur aller kirchlichen Finanzpolitik erhobenen schwäbischen Hausfrau. Fehlende Investitionen verbunden mit Personalabbau (Desinvestition) etwa im Bereich der Jugendarbeit kommen denn auch in der jüngsten, 5. KMU (Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung) schmerzlich im Traditionsabbruch zum Ausdruck! Und es mag dem einen oder anderen Finanzdezernenten vielleicht mittlerweile dämmern, dass die zukünftigen Verluste infolge Kirchenaustritten etwa infolge des Traditionsabbruchs deutlich höher sein könnten, als die Verzinsung der in den zurückliegenden Jahren durch ‚Einsparungen‘ beim Personal gebildeten Rücklagen.

2. Es wäre im Personalmanagement um Führendes Dienen gegangen und nicht um die Rückkehr zum Kadavergehorsam. Es wäre um den Schutz des Schatzes der früher üblichen intrinsischen Motivation gegangen und nicht Überlastung und überzogenem Personalabbau. Kommt es, wie die 5. KMU belegt, auf die Pfarrerin und den Pfarrer an, dann muss die/der auch in Reichweite verfügbar sein.

3. Es wäre im Immobilienmanagement um ein Management der Ressourcen und Kosten gegangen und nicht des völlig undifferenzierten Verscherbelns von oft nur vermeintlichen „Lasten“. Mehr dazu inhatlich etwa auf diesem Portal.

Fehler und Defizite des Managements sind also offensichtlich. Es fehlte an der analytischen Kraft, die Fragen der eigenen, individuellen Organisation zu klären und daraus ein individuelles Handlungskonzept für die Kirche zu entwickeln. Stattdessen segelte man im Windschatten der neoliberalen Umbauprozesse anderer Institutionen der Daseinsvorsorge (s.o.). Ohne einige gravierende Unterschiede zu beachten. Wie z.B. den, dass die anderen Institutionen der Daseinsvorsorge als Zwangsmitgliedschaft gestaltet sind. Entkommen nicht möglich. Wo dieser Mitgliedschaftszwang nicht bestand, wie im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und Fernsehen, musste er von der Politik hergestellt werden. In dieser von der Mitgliedermeinung unabhängigen Lage der anderen Institutionen ist aber die Kirche gerade nicht. Allerdings wird das Verhallten der Kirche offensichtlich vielfach genau so erlebt. Vielen Mitgliedern wurde daher die ehemals fremde Heimat zur nichtssagenden und -bietenden Fremde. Wo wir stehen wird anschaulich, wenn auch eine nur geringfügige Irritation, wie etwa in diesem Jahr das Missverständnis um die Kirchensteuer auf Kapitalerträge, bereits zu heftigen Erschütterungen in Form einer Austrittswelle führt (und nebenbei auch zu einer unbekannnt-promten Reaktion des EKD- Finanzdezernenten Begrich in Form einer eigens flugs zur Sache erstellten Broschüre).

Der labile Zustand der Kirche in der Phase neoliberaler Umbauprozesse ist also nicht allein externen gesellschaftlichen Prozessen geschuldet, sondern in erster Linie eigenem falschen Management. Was richtiges Management in der Kirche ist, zeigt sich dann, wenn die Frage nach der Mitte, der Mitte des Denkansatzes, geklärt ist. Wir müssen in der Kirche wissen, woher wir kommen und was unsere Aufgabe ist. Ist die Mitte theologisch ausgefüllt, dann können die passenden und aktuellen, den Stand der Technik abbildenden ökonomischen Instrumente – wie schon immer in der Kirchengeschichte – problemlos angewandt werden. Die Theologie ist dabei Standbein, die Instrumente des Managements sind Spielbein. Ich selbst formulierte dies in meinem Buch „Kirchliches Immobilienmanagement“ im Jahr 2004: „Setzt die Kirche diese Erkenntnis in Managementhandeln um, werden in der freien Wirtschaft übliche… Managementstrategien relativiert, teilweise transformiert. Dies Anderssein der Kirche oder der entsprechenden Managementstrategien, dieses „sich-der-Welt-nicht-gleich-machen“ heißt aber nicht, dass das Handeln deswegen nicht erfolgreich sein könnte. Ganz im Gegenteil“4. Bildet die Theologie die Mitte, dann sind dieser Mitte alle Funktionen der Organisation zuzurechnen, die diese Mitte in und mit ihrer Arbeit oder auch symbolisch repräsentieren (s. Grafik).

Der Leitung und Verwaltung kommt in diesem Modell eine strikt dienende, eine Servicefunktion zu. Ihre zentrale Aufgabe besteht darin, dass die Mitte richtig und ausreichend gefüllt wird: dass Arbeit in möglichst großem Umfang mit ausreichend ausgebildetem und motiviertem (!) dass ausreichend Personal vorhanden ist und unterstützt und gefördert wird. Dieses Managementmodell korrespondiert mit Barmen III (und IV). Dabei ist aus Managementsicht – und übrigens auch aus finanzieller Sicht (s.u.) – unerheblich, ob die Arbeit an der Basis in der Gemeinde oder aber in Diensten (Funktionspfarrstellen etc.) erfolgt. Entscheidend ist, dass das, was dort passiert, beim Adressaten ankommt und – auf welche Weise auch immer – wirkt.5

klassisches Kirchenmodell nach Barmen

Das also wäre das Modell gewesen, nach dem die Kirche nach innen hin hätte reformiert werden müssen. Und zwar auch aus theologischer Sicht wie auch aus Sicht richtigen und guten Managements. Vielversprechende Ansätze dazu waren ab der Jahrtausendwende vorhanden.

… zum Kirchenmodell des EKD-Umbauprozesses „Kirche der Freiheit“

Spätestens seit Mitte der Nuller Jahre ist die Entwicklung der frühen Reformansätze der Kirche gekippt: wie zuvor schon in anderen Institutionen (Bildung, Gesundheitswesen) sollte später auch die Kirche nicht nur eklektisch von der Wirtschaft, vom Management, lernen, sondern vielmehr nach der Struktur von Wirtschaftsunternehmen umgebaut werden. Dieser Prozess war weder theologisch oder gesellschaftlich-soziologisch motiviert, noch war er von einem systemisch-kybernetischen Managementansatz geprägt, der gezielte Schwachstellen und Stärken identifiziert hätte und dazu passgenaue Lösungen entwickelt hätte. Wie sollten das die organisationsunkundigen Berater von außen auch leisten können? Sie hätten es nicht gekonnt, selbst wenn sie es gewollt hätten. Aber darum ging es ja gar nicht. Es ging nicht um die Optimierung der reformbedürftigen Organisation Kirche. Es ging den „Reformern“ vielmehr darum, alle Institutionen der Daseinsvorsorge dieses Landes mit einem Einheitskonzept umzubauen, sie „marktkonform“ zu machen. Wie später dann sogar die Demokratie selbst „marktkonform“ gemacht werden sollte/ wird. Im Zuge dieses vereinheitlichenden Ökonomisierungskonzepts wurden den ehemals demokratisch bottom-up aufgebauten Institutionen mit Top-down-Strukturen übergestülpt; die mittlere Ebene wurde zur zentralen Leitungsebene der Region mit vielen bzw. allen Kompetenzen, die früher die Gemeinden hatten. In der Kirche ging es also nicht mehr um inhaltlich theologisch motivierte verbessernde Reformen eines in der Nachkriegszeit über 50 Jahre bewährten Systems. Sondern es ging um einen Umbau der Kirche nach Mustern der Wirtschaft unter Anleitung von neoliberalen Beraterteams. Das Agenda-Setting wurde mit dem Impulspapier „Kirche der Freiheit“ besorgt. Was dabei herauskam? Ein hierarchisches Modell, bei dem EKD- Gremien als Spitze Entscheidungen treffen, die die Landeskirchen umzusetzen haben. Das konnte jüngst auch anhand des „Erweiterten Solidarpakts“ der EKD- Kirchenkonferenz nachgewiesen werden. Ein Modell bei dem Leitung ihre Dominanz über den personellen Ausbau der Administration stärkt. Ein Modell, bei dem die Mitarbeiter, die die eigentliche Arbeit vor Ort in Verkündigung, Seelsorge, Pädagogik, Musik, etc. leisten, abgebaut und an den Rand gedrängt werden. Sie müssen mit und von dem leben, was in der Mitte der Organisation, also bei Leitung und Administration, an finanziellen und sonstigen Ressourcen übrig bleibt. Der Verwaltungswasserkopf hingegen wird immer stärker aufgebläht. Was bleibt ist ein „Haus der Kirche“, das belegt ist von Regionalverwaltung im EG, der Dekanatsverwaltung im OG und 2 Fachstellen im Souterrrain.

Grafisch kann man das so fassen:

Reformmodell

Hier hat die Kirche ihre Mitte verloren. Sie weiß nicht mehr, was sie eigentlich zusammenhält. Ein fremdes institutionelles Umbaukonzept bildet das neue Zentrum der Kirche. Wie weit weg ist Barmen III, nach dem die Kirche auch „die Gestalt ihrer […] Ordnung“ nicht „ihrem Belieben oder dem Wechsel der jeweils herrschenden weltanschaulichen und politischen Überzeugungen überlassen“ darf.

Fazit: Von der Wirtschaft lernen, heißt siegen lernen. Der mit dem Impulspapier „Kirche der Freiheit“ initiierte Umbauprozess der Kirche propagiert Betriebswirtschaft als Lösung für die Reformprobleme der Kirche. Was sich allerdings hinter diesem Konzept verbarg, war ein marktkonformes Umbaukonzept der Institutionen des Staates. Dies wurde – wie in allen Fällen modifiziert – auch in der Kirche angewandt. Betrachtet man das bis heute sichtbare Ergebnis nach ökonomischen Kriterien, fällt es ausgesprochen schlecht aus. Der finanzielle Aufwand dafür war und ist und bleibt hoch, dabei ist die Wirkung entsprechend der empirischen Studie der 5. KMU negativ. Gemäß dem Rationalprinzip der Ökonomie müssen Resultate aber bei gleichem Mitteleinsatz besser/ höher werden, wenn sie wirtschaftlich genannt werden sollen. Insofern war der Umbauprozess also der Sache nach nicht zu viel, sondern zu wenig ‚ökonomisch‘. Vor allem aber fehlte es am Ansatz guten und richtigen Managements: Reformen der Kirche, die dem Rationalprinzip der Ökonomie standhalten sollen, müssen immer systemisch-kybernetisch angelegt sein. So gilt heute: nach dem Umbauprozess ist vor der Reform. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

 

 

Anmerkungen und Erläuterungen:

Diese beiden o.g. Grafiken sind sehr plakativ und für den einen oder anderen provokativ. Und wie das so ist bei Grafiken und Bildern: sie können die Wirklichkeit natürlich nicht vollständig fassen. Daher hier noch einige ergänzende Charts, die die oben aufgestellten Thesen belegen.

Zur Alternative Gemeindepfarrstellen oder Funktionspfarrstellen aufgrund von Finanzmangel.

Oft wurden Gemeinde- und Funktionspfarrstellen von kirchenleitdender Seite aufgrund angeblicher Finanzknappheit gegeneinander in Stellung gebracht. Dabei ist die Behauptung fehlender Mittel falsch. Und die im kirchlichen Dienst am Menschen arbeitenden sollten sich nicht in eine falsche Frontstellung gegeneinander begeben. Dies lehrt ein Blick in die Jahresrechnung der EKHN, hier am Bsp. des Jahres 2008. Bei einem Haushaltsvolumen von 520 Mio. entfallen auf den Gemeindepfarrdienst ganze 58 Mio. €. Selbst wenn man die Versorgungsleistungen addiert kommt noch nicht einmal auf 15% des Haushaltsvolumens. Quelle: Jahresbericht der EKHN 2008.

Nimmt man Gemeinde- und Funktionspfarrstellen zusammen und rechnet die Kosten, die kirchensteuerfinanziert sind (staatlich finanzierte Stellen werden also nicht berücksichtigt), dann macht ihr Anteil gerade mal ca. 20% vom Haushaltsvolumen aus. Pfarrstellen im Verwaltungsbereich oder Leitung (wie ganze Dekanestellen sind dabei aus Gründen betriebswirtschaftlich klarer Differenzierung nicht berücksichtigt).

Auf diesem Hintergrund wird deutlich, dass die Alternative: Gemeinde- oder Funktionspfarrstellen ziemlich obsolet ist. Die Frage ist berechtigt: was sind denn die anderen 80 Prozent? Zu dieser Frage vgl. die Jahresberichte der EKHN.

Das alles heißt nicht, dass man nun diesen Anteil zementieren müsste, dass nicht auch dort, bei Gemeinde und Funktion Veränderungen nötig wären. Es sind generell Veränderungen erforderlich, die auf eine höhere Wirkung zielen. Nicht nur in Leitung und Administration, sondern auch bei Gemeinde und Funktion. Aber man kann mit Sicherheit davon ausgehen, das

s Gemeinde und Funktion schon heute innerhalb aller Leistungen der Kirche relative zu anderen, etwa der Administration, die höchsten Wirkungen erzielt. Insofern trifft diese Forderung auch Gemeinde und Funktion, aber die anderen Bereiche in deutlich stärkerem Maße. Und man muss ergänzen: man kann höhere Wirkung bei dieser Art von Arbeit nicht per ordre de mufti verordnen oder per Impulspapier erzeugen. Da könnte das Konzept des Führenden Dienens schon deutlich weiter helfen. Wir werden später davon im Vortrag von Dr. Hartmann hören. Ich bin gespannt.

Dies Diagramm zeigt die Entwicklung des Anteils der Gemeindepfarrdienst in der EKHN in einer Statistik von 2000 bis 2012. Als Quelle dienen die Jahresberichte der EKHN. Der Anteil von ca. 15% ist also kein Einzelfall, sondern ab 2004 das Durchschnittsmaß.

Eine Langfristbetrachtung dieser Kennziffer „Anteil Pfarrgehälter am HH-Volumen“ anhand weniger Einzelfälle zeigt am Bsp. Der EKHN eine klare Abwärtstendenz ab Anfang der 80iger Jahre mit damals ca. 33%, im Jahr 2000 bei ca. 23% und heute bei ca. 15%. Wobei es sich dabei nur um die direkten Kosten, also Gehälter und Versorgungsleistungen, handelt. Hintergrund ist, dass die Kirchensteuereinnahmen, gestiegen sind, die Gehälter aber – wie in allen Branchen in Deutschland – ab 2000 mehr oder weniger eingefroren wurden. Das Weihnachtsgeld wurde gestrichen oder durch deutlich geringere andere Zahlungen ersetzt, die Durchstufungen zu höheren Gehaltsstufen wurden gestrichen, teilweise auch die Gehaltsendstufe A 14 auf A 13 abgesenkt (z.B. Hannover). Man beachte, dass zusätzlich eine ganze Reihe von Leistungen, die haushaltstechnisch an anderen Stellen als bei den Gehältern verbucht werden, bei dieser Betrachtung noch nicht berücksichtigt sind. So z.B. die Schönheitsreparaturen, Heizkostenzuschüsse, Weiterbildung etc.). Auch dort gab es bisweilen drastische Einschnitte zu Lasten der Pfarrer. Die PfarrerInnen sind in der Entwicklung seit den 80iger Jahren also auch finanziell vom Zentrum in die Peripherie katapultiert worden.

1Eberhard Cherdron, Martin Schuck, Evangelische Existenz heute; in Dt. Pfarrerblatt 10/2012

4Friedhelm Schneider, Kirchliches Immobilienmanagement, Darmstadt 2004, S.36

5 Achtung: hier darf das Kundenmuster nicht einfach auf die kirchlichen Leistungen übertragen werden

Kirchenaustritte: Eigentor der Kirchen

15. August 2014, von Matthias Drobinski, SZ

Der Reiche sollte sich nicht mehr so leicht davor drücken können, das angemessene Scherflein der Kirche zukommen zu lassen. Redete man jedoch länger mit Kirchenleuten über das Thema, ließ sich der eine oder andere zu der Bemerkung hinreißen, dass dies schon eine clevere Idee sei. Einwände, dass dieser cleveren Idee ein gewisser Selbstüberlistungsfaktor innewohne, wurden souverän hinweggewischt… Zum Artikel der SZ.