Archiv der Kategorie:
Schlüsseltexte zum Verständnis unserer Zeit

Rede von Georg Schramm zur Verleihung des Erich Fromm Preises 2012

Die einmalige Verbindung von Ohnmacht und Menschenwürde einerseits sowie von Tragik und Komik andererseits war die Begründung der Jury zur Vergabe des Preises an Georg Schramm. Die Rede des Preisträgers als Video.

Prof. Münch: Europa in der Schuldenkrise. Ein Betriebsunfall oder ein tiefer greifendes Dilemma?

Hinter der europäischen Schuldenkrise verbergen sich tiefgreifende Verwerfungen. Die Aufholbewegung der ärmeren Länder wurde mit einer Verschuldung bezahlt, die sie nicht mehr ohne äußere Hilfe abtragen können und die nachfolgenden Generationen immens belastet. Zugleich ist die innere Ungleichheit in fast allen Ländern gewachsen und hat Effekte der Entsolidarisierung und Desintegration zwischen den Ländern und innerhalb der Länder mit sich gebracht – Europa in der Schuldenkrise: Ein mittelfristig zu bewältigender Betriebsunfall oder Ausdruck eines tiefer greifenden Dilemmas der europäischen Integration?

Lesen Sie den Artikel über die Ursachen der aktuellen Problemlage von Prof. Münch, Bamberg.

Prof. Bosbach: Tricksen mit Zahlen und Statistiken

Arbeitslosenzahl im April 2013 wieder gesunken – Arbeitslosenzahl sinkt im Mai 2013 weiter. 

Immer wieder neu wird mit Zahlen getrickst. Natürlich sind wir keine Propheten und haben auch keine Vorabergebnisse aus Nürnberg. Trotzdem sind wir uns sicher. Und genauso sicher sind wir uns auch, dass eine ganze Reihe von Medien in diesem Stil titeln wird.
Woher die Sicherheit der Vorhersage?
Der Grund ist einfach: Die Arbeitslosenzahlen sind seit der Wiedervereinigung in jedem April im Vergleich zum März des gleichen Jahres gesunken. Das Gleiche gilt für den Mai im Verhältnis zum April (siehe Tableau [PDF – 55.8 KB]). Man weiß eben, dass das der übliche Frühjahrsaufschwung ist. Von Prof.
Gerd Bosbach.

 

‚Selbst denken‘ – ein Buchhinweis

Wir leben in einer Krisenzeit – was aber sind die tatsächlichen und was nur vermeintliche Krisen?  Was sind die Ursachen? Was sind die Wirkungen? In verwirrenden Analysen wird beides nicht selten vermischt – bisweilen wie die unflätige Sau, wie Martin Luther sagen würde. Und alle sind verwirrt.

Obwohl Ursachen also im Dunkel bleiben, werden aber scheinbar zwingende ‚Lösungen‘ von Führungsspitzen „alternativlos“ aus dem Hut gezaubert. Protestanten aber wissen: auch Päpste und Kaiser können irren. Und nicht allein sie. Luthers Erkenntnisprozess muss wohl in allen Generationen neu für die jeweilige Zeit gewonnen werden.

Dann kann vieles anders werden, meint Harald Welzer. Sein Rezept ist also nicht ganz neu, aber doch neu überzeugend: „Denken muss er, der Mensch, selbst denken.“

Und:  „In einer Zeit, in der die gesellschaftliche Entwicklungsrichtung dem zuwiderläuft, was zukunftsfähig wäre, reicht Denken allein aber nicht aus: Es muss auch etwas getan werden, um die Richtung zu ändern.“

Ergo: lesen Sie mehr – um selbst zu denken

Das globale Manifest zur Rettung der Wirtschaft – eine Rezension

„Handelt jetzt! Das globale Manifest zur Rettung der Wirtschaft“

 

Dieses Buch handelt von den globalen und nationalen wirtschaftlichen Problemen. Problemen  auch in unserem Land, die uns alle betreffen. In vielen Ändern der Welt steigen die Einkommen der Masse der arbeitenden Menschen schon seit vielen Jahren nicht mehr, während manche unglaublich reich werden. In anderen sind Teile der Bevölkerung, vor allem auch die Jugend, von Arbeitslosigkeit bedroht. Immer noch gibt es trotz allen Fortschritts und all des gewaltigen Reichtums Not und Hunger auf dieser Welt. Crash und Krise des Finanzsystems waren sicher ein großer Schock, der in weiten Kreisen ein Nachdenken ausgelöst hat. Aber allzu schnell sind allzu viele wieder zur Tagesordnung übergegangen und vertreten sogar mit größerer Härte als zuvor die gleichen Dogmen, die in die Krise hineingeführt haben. Schon einmal, in den 20 er Jahren, hatte man geglaubt, je schrankenloser der Kapitalismus sei, um so besser würde er funktionieren. Unter den fatalen Folgen dieser falschen Einschätzung haben viele Generationen leiden müssen.

 

Mit den Autoren Paul Davidson, James Galbraith, Richard Koo, Jayati Ghosh und Heiner Flassbeck haben sich führende, selbständig denkende Wirtschaftswissenschaftler aus den USA, Japan, Indien und Europa zusammen getan um die geistigen Wurzeln des vielfältigen Versagens der gegenwärtigen Wirtschaftspolitik offenzulegen und nach Alternativen zu fragen.

‚Vom vielen Wiegen wird die Sau nicht fett‘ – ein Lob der Schule von Prof. Joachim Bauer (Rezension)

Schule wie Kirche?  Parallele Entwicklungen in unterschiedlichen Institutionen. Eine Buchempfehlung – nicht nur für Mitarbeiter in der Kinder- und Jugendarbeit!

Joachim Bauer: Lob der Schule. Sieben Perspektiven für Schüler, Lehrer und Eltern. Hamburg 2007 ISBN 978-3-455-50032-5

Gut zu lesen, kurz und knapp, aber doch sehr bildreich beschrieben („’Vom vielen Wiegen wird die Sau nicht fett‘- und Schüler werden vom Testen nicht klüger.“ S. 120) All dies empfinde ich für unsere kirchliche Arbeit nicht nur mit Kindern und Jugendlichen äußerst entlastend und hilfreich zu hören.

Worum geht es?
– ungeschminkt wird die Situation des Lehrers vor einer Klasse beschrieben;
– die universitäre Ausbildung der Lehrer wird kritisch gesehen und Vorschläge zur Verbindung von Universität und Schule ähnlich wie bei den Medizinern gemacht;
– vor allem aber wird das Urteil über Lehrer in der Politik und Öffentlichkeit schärfstens abgelehnt, denn Lehrer leisten Schwerstarbeit;
– der Einfluss der elektronischen Medien auf die Kinder und Heranwachsenden wird in seinen negativen Auswirkungen insbesondere auf die Gewaltbereitschaft benannt;
– es werden in kurzen und klaren Worten Orientierungen für den Lehrer gegeben, wie er sich angesichts dieser Situation verhalten und seine eigene Gesundheit schützen kann.
– Es wird auf die Untersuchungen der Gründe für die hohe Zahl der früh berenteten oder pensionierten Lehrer hingewiesen.
– Die Übernahme von Mess- und Kontrollsystemen, die von außen nicht nur auf Schulen, sondern auch auf „Industriebetriebe, Dienstleistungseinrichtungen, Arztpraxen, Krankenhäuser oder Schulen“ wird kritisiert, da sie die Tendenz haben, „zu parasitären Apparaten zu werden, zu Biotopen, in denen sich viele Zaungäste ernähren, ohne letztlich die Einrichtungen zu stärken, die sie evaluieren und kontrollieren sollen.“ (S. 120) – Als Kirche beginnen wir damit ja gerade in großem Maßstab.

Wichtige Parallelen zur kirchlichen Situation:
– Vor allem die drei Seiten über die „Beziehungen im Lehrerkollegium“ und den Umgang mit Klagen von Eltern und Schülern über Kollegen ist sicher für viele von unseren Mitarbeitergruppen sehr hilfreich. Ein professioneller, an Qualitätsmangagements (QM)ausgerichteter Prozess wird hier gefordert: schriftliches festhalten der Beschwerden, Schaffung eines Vertrauensgremiums, das aufgrund dessen Rücksprache hält und diese Beschwerden einordnet als üble Nachrede oder berechtigt. (S. 60ff)

Joachim Bauer ist Medizin Professor und Psychotherapeut. Er leitet das Münchener Institut für Gesundheit in pädagogischen Berufen“ . Bei Hoffmann und Campe sind 2005 und 2006 weitere sehr lesenswerte Bücher erschienen, die über die Wirkung unserer Spiegelneuronen Auskunft geben.

K.D.

Gerhard Schröders „Agenda 2010“ – Blaupause für eine unsolidarische Gesellschaft

von Prof. Christoph Butterwegge

Seit der “Ruck”-Rede, die der damalige Bundespräsident Roman Herzog am 26. April 1997 im Berliner Hotel Adlon hielt, hat wahrscheinlich kein deutscher Politiker mehr so große Wirkung mit Worten erzielt wie Gerhard Schröder, als er vor zehn Jahren, am 14. März 2003, im Bundestag die Regierungserklärung mit dem Namen “Agenda 2010″ abgab.

Während Herzog einen “Reformstau” beklagt und zum Teil sehr blumig mehr Entschlossenheit bei der Stärkung von Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit gefordert hatte, lieferte Schröder nicht bloß eine pointiertere Begründung für den Sozialabbau, sondern benannte vielmehr darüber hinaus ein ganzes Maßnahmenbündel, mit dem dieser bewerkstelligt und zur Mutprobe für rastlose Reformer wie ihn emporstilisiert werden konnte. Lesen Sie den vollständigen Artikel.

Papst Ratzingers Jesus-Buch. Eine Kritik. Von Pfr. Günter Unger

Im Jahre 1778 veröffentlichte Gotthold Ephraim Lessing posthum und anonym einen Text von Hermann Samuel Reimarus unter dem Titel „Von dem Zwecke Jesu und seiner Jünger“ als siebtes der berühmt gewordenen „Wolfenbütteler Fragmente“. Reimarus und Lessing pflanzten damals in den jungen Humus der Aufklärung eine der Wurzeln der neutestamentlichen Wissenschaft ein. Dem Denken der Aufklärung lag es nahe, hinter die kirchliche Lehre von Christus zurückzufragen zum historischen Jesus; und man war zuversichtlich, mit vernünftigen, ja wissenschaftlichen Methoden der Schriftauslegung ein ursprünglicheres Jesusbild gewinnen zu können, als es die kirchliche Dogmatik über die Jahrhunderte vermittelt hatte. Seit mehr als 200 Jahren nun analysiert die neutestamentliche Wissenschaft in einer außerhalb der Fachkreise kaum wahrgenommenen Intensität die neutestamentlichen Schriften im Unterschied zur kirchlichen Dogmatik mit einer anderen, eben einer historisch- kritischen Fragestellung.

Lesen sie hier die vollständige Buchkritik-Predigt von Pfr. Günter Unger, München

aus dem 55. Impulsgottesdienst, Freitag04.05.07 Gethsemanekirche, München

 

Prof. Uwe Pörksen: Plastikwörter – Metaphern, die die gesellschaftliche Elite etabliert

Plastikwörter sind Metaphern, Übertragungen also aus einer Sphäre in eine andere, aber sie sind als solche nicht bewußt: Um so stärker ist ihre projektive, interpretierende Wirkung…

Sie transportieren die Autorität der Wissenschaft in die Umgangssprache und bringen zum Schweigen. Ihre Aura überwiegt. Ihr Gebrauch etabliert die gesellschaftliche Elite.

Lesen sie den Artikel Plastikwörter von Prof. Uwe Pörksen, Tübingen.

Eine Kostprobe:

„‚Abstraktion, ungeschichtliche Universalität, quantifizierbare Größen, Beliebigkeit, Reduktion, freie Kombination‘ und ‚Multiplikation, Geometrisierung‘ und ‚Verzifferung‘ – wenn die Ausdrücke richtig gewählt sind, dann hat es Sinn, von einer Mathematisierung der Umgangssprache zu sprechen. Der Universalitätsanspruch der Mathematik hat nicht nur die Humanwissenschaften erreicht, er springt auch seit langem über in die Lebenswelt und spiegelt sich in der Sprache. CARNAPs Beispiel einer Sphärenvermengung scheint kaum noch eins zu sein: Caesar ist eine Primzahl.“

Der Artikel schließt pessimistisch:

„1933, bei der Weltausstellung in Chicago, wurde ein Slogan von erschlagender Einfachheit geprägt: „Die Wissenschaft erfindet, die Technik nutzt sie aus, der Mensch paßt sich an.“ – So ist es leider. „