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Thema des Monats

Finanzkontrolle zunehmend unter Kontrolle (Thema des Monats)

von Friedhelm Schneider

„Transparenz und Kontrolle“ – hieß der letzte Beitrag zum Thema des Monats. Mit dem zweiten Aspekt, der Kontrolle, genauer: der Finanzkontrolle, wollen wir heute fortfahren.
Angesichts der Affären um den Bischofspalais von Limburg, aber auch den bbz- Skandal in der EkiR oder der Finanzanlageskandal in München, und deren mediale Ausschlachtung dämmert die Bedeutung der Finanzkontrolle. Auf evangelischer Seite kann man sich nun des Eindrucks nicht erwehren, dass Kontrollmechanismen tendenziell reduziert werden. Dazu einige Beispiele:
In den Gremien, also in Synoden (Kreis- oder Landessynoden), werden Rückfragen zu Haushaltsplänen oder bei der Abnahme von Jahresrechnungen – so sie denn gestellt werden – von den Vorsitzenden oder Dekanen/Superintendentinnen unterdrückt oder zurückgewiesen. Es bedarf, so berichten unbeirrte Fragende, eines erheblichen Standvermögens und Selbstbewußtseins, diesem ‚moralischen‘ (oder unmoralischen?) Druck zu widerstehen. Diese ziemlich billige Masche der Verhandlungsführer rührt natürlich oftmals daher, dass diese selbst nicht selten nicht in der Lage sind qualifizierte Antworten zu geben. Das mit der Doppik einhergehende Problem besteht aber darin, dass dort auch eigentlich einfache Vorgänge für Laien – und auch für Mitarbeiter – nicht mehr nachvollziehbar dargestellt sind. “Die Berichte (gemeint: der Doppik, Anm. F.S.) erinnern mich eher an das Gespräch zwischen einem Steuerberater und einem Wirtschaftsprüfer”, findet ein Stadtrat einer Kommune. Es findet eine Entdemokratisierung statt – und jegliche Kontrolle wird unterdrückt.

Hier sind die Wort-Meldungen offen für illustrierende Beiträge, die auch anonym abgedruckt werden können. Institutionalisiert ist die Kontrolle in allen Institutionen in Form der Rechnungsprüfung in Rechnungshöfen oder Rechnungsprüfungsämtern. Aufgrund der Problematik müsste das Ziel der Institution darin bestehen, der Kontrolle eine möglichst starke Struktur und Position zu geben. Die zweite Möglichkeit die Kontrolle zu stärken besteht darin, das Amt mit Personen auszustatten, die durch Erfahrung und Kompetenz ein entsprechendes Standing haben.
1. Zur Strukturfrage: Traditionell ist die Rechnungsprüfung innerhalb des Landeskirchenamts als eigenständige Abteilung angesiedelt. Sie ist dann aber der Leitung des Landeskirchenamtes und/oder der Kirchenleitung unterstellt. Sie ist also der Instanz unterstellt, die sie selbst auch kontrollieren soll. Diese Position ist denkbar schlecht, weil ziemlich schwach. Aus dieser Position können Dekanate geprüft werden, aber kaum die dienstlich „vorgesetzte“ Behörde, die Landeskirche,  selbst. In der EKHN hatte man dies Problem vor 10 Jahren erkannt. Der Rechnungsprüfungsausschuss hatte Erfolg mit seiner Eingabe, die Rechnungsprüfung der Synode, also der Legislative zuzuordnen, zu unterstellen. Damit ist die Position strukturell gestärkt. Diese Stärke kommt aber nur dann wirklich zum Tragen, wenn die Synode ihre Funktion der Legislative wahrt. Und keine Vermischung mit der Exekutive stattfindet. Das Erfordernis der „Gewaltenteilung“ einzuhalten, war die entscheidende Erkenntnis der Höppner-Kommission, die den bbz-Skandal in der EkiR aufgearbeitet hatte.
Ist die EKHN den Weg der Stärkung der Finanzkontrolle auf struktureller Basis gegangen, so schlug die EkiR mit der Neuordnung der Rechnungsprüfung vor wenigen Jahren den umgekehrten Weg ein. Und zwar dadurch, dass sie die Kontrolle der Landeskirche nicht einer für die ganz spezifischen Fragestellung besonders ausgestatteten Kontrollbehörde übertrug, sondern einer von mehreren, für die Kirchenkreise zuständigen regionalen Prüfungsbehörde, die eben in der Region Düsseldorf ihr Aufgabengebiet hat: Artikel 147a. Die regionale Rechnungsprüfungsstelle, in der die Landeskirche Mitglied ist, nimmt die Rechnungsprüfung der Landeskirche und deren Einrichtungen wahr. Der Rechnungsprüfungsvorstand dieser Rechnungsprüfungsstelle entlastet die an der Ausführung des Haushaltes und der Wirtschaftsführung Beteiligten der Einrichtungen der Landeskirche. Das Nähere regelt ein Kirchengesetz. Es darf vermutet werden, dass diese „schwache“ Struktur schon als solche die Leistungsfähigkeit des Amtes beeinträchtigt. Das kommt dann zum Problem der – von der Höppnerkommission monierten – fehlenden Gewaltenteilung noch erschwerend hinzu.
2. Zur Personalfrage: selbstverständlich ist die zahlenmäßige und fachlich qualifizierte Ausstattung der Ämter wichtig. Es kommt aber auch auf eine Amtsleitung an, die die Aufgabenstellung, die das Amt erfordert vor gerade im Zuge von Umbauprozessen oftmals von den regeln abweichenden Ansprüchen anderer Abteilungen stellt. Kurz: es braucht eine umsichtige, kompetente, es braucht aber vor allem eine erfahrene und standfeste Amtsleitung. In der EKHN fand gerade ein Wechsel in der Amtsleitung statt. Und das Los des neuen Amtsleiter fiel auf eine Person, die wie man hört, gerade mal 30 Lenze zählt. Ohne jemandem persönlich zu nahe treten zu wollen: das Kriterium der Erfahrung dürfte bei dieser Auswahl kaum  gezählt haben. Warum eigentlich nicht?
Alles aktuelle Beispiele. Beispiele, die zeigen, dass Kontrolle von leitenden Kräften immer wieder geknebelt und geknechtet wird. Dabei wird das Interesse in der Regel – so unterstellen wir – nicht darin liegen, die Aufdeckung doloser, krimineller Handlungen zu unterbinden. Nein. In der Regel dient die Unterdrückung der Finanzkontrolle dazu, das eigene Image der Person von jeglicher Kritik  frei zu halten. Und Kritik gehört zum Geschäft der Finanzkontrolle – in den Fällen, in denen sie angebracht ist. Denn die Rechnungsprüfung untersucht ja nicht nur dolose Fälle, sondern ihre Aufgabe besteht darin, auch die Wirtschaftlichkeit von Projekten und Maßnahmen, also die Zweck-Mittel-Relation zu überprüfen oder auch die Funktionsfähigkeit von Verwaltungseinheiten zu prüfen. Da können unliebsame Ergebnisse ans Licht kommen, die das Image von Dezernenten nicht immer stützen: „komplexere Anlageprodukte bei unzureichender Professionalisierung und Ausstattung des Personals –  Abbau der Finanzkontrolle – hohe Kosten für externe Mandate. So lauten die Kritikpunkte.“ So etwa in einer Studie zu den Finanzanlagen der EKHN,  veranlasst durch den Rechnungsprüfungsausschuss und das Rechnungsprüfungsamt. Das tut weh, wenn man als Verantwortlicher Finanzdezernent und Leiter der Kirchenverwaltung in Personalunion betroffen ist. Wen wundert es, wenn die Amtsleitung und also die Finanzkontrolle geschwächt werden sollte? Dass diejenigen, die bei der Beschneidung und Beeinträchtigung der Kontrollfunktion willig mitspielen, für den nächsten Skandal mit- verantwortlich sind, sei hier schon vorausblickend vermerkt.

Transparenz und Kontrolle (Thema des Monats)

Die Affäre um die Kosten des Limburger Bischofspalais waren medienpolitisch ein Super-Gau für die kathol. Kirche. Ein singuläres Ereignis mit verheerender Wirkung. Dies Exempel lehrt: die Gesetze der Medien sind unerbittlich. Die Medien mischen im Spiel der Meinungsmache mit. Und sie kennen die Achillesfersen der Akteure. Bei den Kirchen gehören zu diesen hochsensiblen Themenbereichen u.a. die Finanzen. In der Konsequenz erfordert diese Erkenntnis gerade von den Kirchen extrem hohe, man kann sagen höchste Aufmerksamkeit in allen Finanzangelegenheiten. Dabei geht es nicht allein um dolose Handlungen, um Betrug, Unterschlagung, Korruption etc. Sondern es geht auch um Managementfehler. Letztlich kann alles in gleicher Weise skandalisiert werden. In solchen Fällen kann der entstehende Schaden für die Organisation infolge einer medialen Kampagne ggf. deutlich höher als der finanzieller Schaden ausfallen. Die weichen Faktoren schlagen dann stärker zu Buche, als die Errungenschaft der bilanziellen, in Zahlen greifbaren Schäden es ausweist.
Nicht alle Landeskirchenämter sind sich der Bedeutung bislang bewusst. Vielleicht hat Limburg dem einen oder anderen die Augen geöffnet. Dann hat der Fall auch für die ev. Kirchen etwas Gutes. Hoch war die Alarmstufe z.B. kürzlich in München angesichts des dortigen Finanzskandals. Das Bayerische Sonntagsblatt berichtete: „Es hat heftig gerumpelt in der Münchner Katharina-von-Bora-Straße. Die hochriskanten Anlagegeschäfte des Dekanats München haben den Landeskirchenrat der bayerischen evangelischen Kirche in einige Nachtsitzungen gezwungen“. Unter solchen Rahmenbedingungen kommt es also darauf an, entsprechende Mechanismen in Form von Strukturen und Prozessen zu entwickeln, die eben dies gewährleisten: die lückenlose Unterbindung von Finanzskandalen. Jeder einzelne Fall ist einer zu viel.

Um Schaden zu vermeiden, fordert etwa auf katholischer Seite die Pfarrer-Initiative eine transparente Kontrolle:

Die Situation in Limburg wirft aber auch ein Licht auf zwei Themenkomplexe, die dringend
einer Klärung und Verbesserung bedürfen: die Frage nach dem transparenten Umgang mit
Finanzen und die Frage nach der Bischofsernennung.
Die Pfarrer-Initiative Deutschland fordert alle Bischöfe auf, umgehend dafür zu sorgen, dass
das Vermögen und die Finanzverwaltung des jeweiligen Bistums (des Bischöflichen Stuhls)
transparent gemacht werden. Ebenso ist transparent zu machen, welche Personen und
Gremien an der Finanzverwaltung des Bischöflichen Stuhls mitwirken und wie diese
kontrolliert werden und Rechenschaft über die Verwendung der finanziellen Mittel ablegen.
Die Öffentlichkeit akzeptiert sehr wohl, dass die Kirche Vermögen hat und über umfangreiche  Finanzmittel verfügt, um ihre zahlreiche Aufgaben zu bestreiten. Sie akzeptiert aber nicht, wenn diese ohne Transparenz und entsprechende Kontrollmechanismen verwaltet werden – und dadurch eben Situationen erst möglich werden, wie sie jetzt in Limburg eingetreten sind.  Wenn Vertrauen zurück gewonnen werden will, sind in diesem Bereich dringend transparente Strukturen nötig.

Zur Erklärung, (gehen Sie auf die: Erklärung zu Finanzen und Bischofsernennungen).

Worum geht es? Es geht nicht um die Transparenz in Vermögensfragen. „Die Öffentlichkeit akzeptiert sehr wohl, dass die Kirche Vermögen hat und über umfangreiche
Finanzmittel verfügt“. Die Transparenz in Vermögensangelenheiten wird immer wieder von neoliberaler Seite, etwa McKinsey, gefordert. Das ist gewissermaßen deren erkennungsmerkmal.  Aus theologischer Sicht geht es um die Transparenz der Strukturen und Prozesse. Und man sollte ergänzen: aus theologischer Sicht geht es auch die Transparenz der Kosten.
Das ist eigentlich die Aufgabe der kirchlichen Medien, sofern sie noch wirklich frei berichten können. Bisweilen ist durchaus der Fall, wie etwa der Bericht des Bayerischen Sonntagsblatts in dieser Ausgabe demonstriert. Allerdings wird die freie Berichterstattung in der Kirche infolge der Zentralisierung immer stärker eingeschränkt und behindert. Daher bedarf es zusätzlicher Instrumente, wie z.B. auch der Wort-Meldungen oder vergleichbarer Internetportale. Dazu bedarf es aber auch einer Organisastionsstruktur, in der die (Finanz-)Kontrolle eine starke Stellung hat. Zu diesem Thema mehr in der nächsten Ausgabe. F.S.

Gewaltenteilung als Basis der Betriebskultur und des langfristigen Erfolgs (Thema des Monats)

Skandale haben meist auch etwas Gutes. Die Aufarbeitung verlangt nämlich oft Fragen, die man vorher nicht zu stellen wagte, weil Sachverhalte immunisiert, mit einem Tabu belegt waren. So war das auch etwa in der Ekir bei der Aufarbeitung des bbz-Skandals durch die Höppner-Kommission. Höppner, der frühere Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, war zudem aufgrund seiner räumlichen Distanz zur EkiR nicht verdächtig, in einem möglichem Filz verwickelt zu sein, der die Aufarbeitung behindert hätte. Das Ergebnis der Kommission wird in diesen Empfehlungen besonders anschaulich:

„Ich komme nun zu den Empfehlungen

Klare Strukturen sind die Grundvoraussetzung für die sachgerechte Wahrnehmung und Umsetzung von Entscheidungen. Wer entscheidet? Wer setzt die getroffenen Entscheidungen um? Wer kontrolliert die Entscheidungsorgane und die Umsetzung der von ihr getroffenen Entscheidungen? Diese Kompetenzen müssen klar verteilt sein. Interessenkonflikte handelnder Personen innerhalb dieser Strukturen (Agieren mit „verschiedenen Hüten“) sind möglichst zu vermeiden.

Das gilt zunächst einmal für das Verhältnis von Landessynode, Kirchenleitung und Landeskirchenamt. Die Landessynode leitet die Evangelische Kirche im Rheinland (KO 128 (1)). Eine Aufgabe der Synode ist es auch, die Entscheidungen der Kirchenleitung und ihre Ausführung durch das Landeskirchenamt zu kontrollieren (KO 129 (3)). Die Kirchenordnung sieht vor, dass der Präses sowohl der Vorsitzende der Synode als auch der Kirchenleitung und des Kollegiums des Landeskirchenamtes ist (KO 156 (1)). Wenn beispielsweise die Kirchenleitung von der Synode in ihrer Leitungstätigkeit angefragt ist, erhebt sich die Frage, ob diese Beratungen von einem Mitglied der Kirchenleitung geleitet werden können. Das haben nicht nur die Beratungen zum Thema bbz gezeigt. Die Kommission empfiehlt, einen eigenen Synodalvorstand (Präsidium) zu bilden und die Kirchenordnung entsprechend zu ändern.
Die Kirchenleitung überträgt die Ausführung ihrer Entscheidungen der Verwaltung und ist damit auch dafür verantwortlich, die sachgemäße Ausführung zu kontrollieren. Auch in diesem Falle ist es schwierig, wenn der Präses gleichzeitig Vorsitzender des Kollegiums des Landeskirchenamtes ist und als solcher die Entscheidungen des Landeskirchenamtes vor der Kirchenleitung vertreten muss. Auch hier halten wir eine Entflechtung der Zuständigkeiten für notwendig.
Die Organisationsuntersuchung des LKA von Steria Mummert stellt in ihrem Bericht vom 28. Dezember 2007 einen „Widerspruch zwischen hohem Vertrauen zu den leitenden Personen der Landeskirche und auch des LKA, die eine sehr hohe Wertschätzung genießen, und spürbarem Misstrauen zu den Gremien auf landeskirchlicher Ebene“ fest. Das muss also strukturelle Ursachen haben. Die Vermutung liegt nahe, dass eine der Ursachen in der unklaren Verteilung der Verantwortlichkeiten zwischen der Leitung, der Ausführung von Entscheidungen und ihrer Kontrolle liegt. Auch das hat uns zu der Einschätzung geführt, dass über das Problem der Gewaltenteilung grundsätzlicher nachgedacht werden muss.
Eine solche Entflechtung hätte auch Konsequenzen für die Kirchenkreise und ihre Leitungsstrukturen. Konsequenzen für die Kirchengemeinden wären zu prüfen. Eine Kirchenverfassung muss in sich stimmig sein.“ vgl. Vortrag Höppner auf der Landessynode, Teil A, Kap. A1.

So weit die klare Empfehlung an die EKiR.

In der EKiR mangelte es an der Gewaltenteilung und in der Folge an ausreichender Kontrolle. Leidet die Gewaltenteilung, leidet die demokratische Verfassung selbst. Durch fehlende Kontrolle wird zudem die Wirksamkeit des Managements auf lange Sicht eingeschränkt bzw. vermindert. Unkontrollierte, auch autoritäre Systeme können nur auf kurze Sicht bessere Ergebnisse verbuchen. Mittel- und langfristig führen sie hingegen in die Abwärtsspirale oder ins Desaster. Die zahlreichen Crashs in Finanzwirtschaft und Wirtschaft bestätigen dies. Auch dort fehlt die Kontrolle.

Der Sinn der Gewaltenteilung besteht –  wie im Bericht der Höppner-Kommision sehr deutlich wird – nicht nur in der Teilung der Gewalt, sondern vor allem in einem System gegenseitiger Kontrolle, in Strukturen, die gegenseitige Kontrolle nicht nur ermöglichen sondern verlangen.

Die Organisationsstruktur der EKiR auf Landeskirchenebene hatte hier sicherlich traditionell Schwächen: Sie fielen früher in einer extrem ausgeprägten bottom-up organisierten Landeskirche wie der EKiR, bei der die Gemeinden die Hoheit über die Kirchensteuer besaßen und die Zentralverwaltung mit einem festgelegten Anteil aushielt, kaum auf. Denn die Befugnisse und Kompetenzen der Landeskirche waren sehr eingeengt. Schon mit der Reform der Kirchenverfassung der EKiR in den Nuller- Jahren mit der Stärkung der Zentralfunktion hatte sich das geändert. Das alte System der unvermischten Gewalten wurde aber nicht an die neue Situation angepasst.

Diese Empfehlungen haben über die spezifisch rheinische Problemlage hinaus allgemeine Bedeutung. Es besteht nämlich heute in allen Institutionen eine Tendenz, Funktionen, die früher unterschiedlichen Funktionen innerhalb der Institution zugeordnet waren (Legislative, Exekutive, Jurisdiktion) zu vermischen. Dies muss nicht durch eine Strukturveränderung erfolgen, sondern kann auch durch Personalunion mehrerer Funktionen durch eine Person erfolgen. In der Politik ist der Sachverhalt unter dem Stichwort ‚Drehtüren‘ ein begriff.
Bleiben wir aber bei der Kirche: Die Tendenz der Zuordnung einzelner Personen zu mehreren Funktionsteilen (Exekutive, Legislative) besteht nun aber nicht nun in der EKiR. Auch in der EKHN wurde mit der Novellierung der KO gewisse Personen eine funktionelle Doppelfunktion zugestanden. So sind z.B. Mitglieder des Synodalvorstandes wie auch der Vorsitzende des Synodalvorstandes der Landessynode gleichzeitig Mitglied der Kirchenleitung. Und zwar entweder als Vollmitglied oder als beratendes Mitglied. Hier wird also das von der Gewaltenteilung geforderte Gegenüber der Gewalten zum Miteinander. Und böse Zungen behaupten gar, der Synodalvorstand mutiere zum verlängerten Arm der Kirchenleitung. Und diese bösen Zungen können mit Recht neben Meinungskonformitäten und – identitäten zwischen Vorstand/einzelnen Vorstandsmitliedern und Kirchenleitung in den Synodaldebatten auf die Strukturen verweisen, die eben diese Behauptung fundieren. Kurzfristig mag das zu „Erfolgen“ der Akteure etwa bei Abstimmungen der Synoden führen. Langfristig schadet sich aber die Kirche selbst. Denn die Qualität der Entscheidungen leidet. Und die demokratische Kultur geht den Bach hinunter.

Auch Kirchenparlamentarier müssen offen abstimmen – ein Interview mit Prof. Hubertus Buchstein (Thema des Monats)

Höppner-Kommission zur Aufarbeitung des bbz-Skandals in der EKiR:

„Klare Strukturen sind die Grundvoraussetzung für die sachgerechte Wahrnehmung und Umsetzung von Entscheidungen. Wer entscheidet? Wer setzt die getroffenen Entscheidungen um? Wer kontrolliert die Entscheidungsorgane und die Umsetzung der von ihr getroffenen Entscheidungen? Diese Kompetenzen müssen klar verteilt sein. Interessenkonflikte handelnder Personen innerhalb dieser Strukturen (Agieren mit „verschiedenen Hüten“) sind möglichst zu vermeiden.“

Wer entscheidet? Grundsätzliche Entscheidungen werden in den ev. Kirchen nach geltendem Recht getroffen von synodalen Gremien. Die Praxis aber sieht so aus: Die Vorlagen erhalten die Gremien (Landessynoden) in der Regel von den Kirchenleitungen und -verwaltungen. Schon die Themenwahl ist dabei selten frei. Die Entscheidung also in erkenntnistheoretischer Sicht ebenfalls nicht. Schon weil die  Auswahl und Perspektive der Vorlage maßgeblich ist. Aber auch, weil bei den Vorlagen vielfache Manipulationsmöglichkeiten bestehen – und auch genutzt werden. Das beginnt mit der Aufbereitung des Materials (an Drucksachen etc.), das  schon nicht mehr nach Seitenzahl bemessen wird, sondern nach Gewicht (2 kg, 3 kg… -alles keine Seltenheit). Zur
Vrobereitung zur verfügung gestellt wenige – zwei bis drei – Wochen vor den Tagungen. Die braven Synodalen schlucken das – wie manches andere. Keine/r verlangt eine professionelle Aufbereitung und Vorbereitung der wesentlichen Fakten auf wenigen Seiten. Die – unaufbereitete – Materialflut ist nur ein beliebtes Instrument der Synodenbearbeitung. Ein weiteres, ebenso notorisch, die Verlagerung von strittigen oder wichtigen Themen auf Randstunden. Ironie des Schicksals: es soll schon vorgekommen sein, dass diese Strategie an der für die Entscheidungen erforderlichen Personenzahl scheiterte. Und die ach so wichtige Sache auf  die nächste Tagung verschoben werden musste… An solche durchsichtigen Manöver hat man sich offensichtlich schon so gewöhnt. Denn sie werden nicht einmal als schlechter Stil gebrandmarkt oder gar beanstandet. Löste man sich von der Gewohnheit, der man Recht unterstellt, würde man  an der Integrität solcher und ähnlicher Verfahren und Prozesse in Synoden zweifeln. Und das wäre ein wichtiger Schritt.

Wer entscheidet? Die Synodalen sind Abgesandte Ihres Dekanates/Kirchenkreises und die wiederum der Gemeinden. Auch dort  wurde in den auf den Landessynoden verhandelten Themen vielleicht schon beraten und entschieden. Was gelten diese Voten?  Ein imperatives Mandat gibt es zwar nicht. Aber gibt es nicht das begründete Recht, dass die Voten der vorgelagerten Gremien berücksichtigt werden? Und dass sie mindestens über das Abstimmungsverhalten ihrer Vertreter Bescheid wissen? Ist es nicht ein Zeichen von gegenseitigem Vertrauen und Respekt, eine entsprechende Transparenz zu wahren? Gerade als Landessynodale/r sollte man daran eigentlich ein großes Interesse haben. Das ist aber  wider Erwarten nicht immer der Fall, wie das folgende Beispiel zeigt. F.S.

Hintergrund: Von der letzten Tagung des Kirchensynode der EKHN, dem „Kirchenparlament“, hat der Öffentlichkeitsreferent des Dekanats Alsfeld in Oberhessen wie
schon zuvor mehrfach live auf Facebook berichtet. Bei zwei wichtigen Entscheidungen hat er u.a. berichtet, wie die Vertreter seines Dekanats votierten. So stimmte der Dekan des betreffenden Dekanates Alsfeld gegen den Antrag, dass auch künftig Kirchengemeinden ein
Mitbestimmungsrecht haben, wenn sie einem anderen Dekanat zugeordnet werden sollen. Die Fusion der Dekanate Alsfeld und Vogelsberg befürwortete der Alsfelder Dekan,
die beiden ehrenamtlichen Synodalen hingegen votierten dagegen. Die Veröffentlichung des Abstimmungsverhaltens dieser öffentlichen Abstimmungen  führten am Rande der Synode offenbar zu heftigen Diskussionen. Es folgte das Verbot an den Öffentlichkeitsbeauftragten, in Zukunft von der Landessynode zu berichten.

Auch Kirchenparlamentarier müssen offen abstimmen. Ein Interview mit Prof. Hubertus Buchstein von Timo Rieg.

Das Wahlgeheimnis gehört für uns heute zu den selbstverständlichen Bedingungen für Demokratie. Während Parlamentswahlen heute überall geheim laufen, stimmen die Parlamentarier selbst bis auf wenige Ausnahmen stets offen ab. Dies ist damit keine Abweichung von der Regel geheimer Abstimmungen, sondern umgekehrt der demokratische Normalfall. Über öffentliche und nicht-öffentliche Abstimmungen habe ich daher mit Prof. Dr. Hubertus Buchstein von der Universität Greifswald gesprochen. Buchstein hat 1997 seine Habilitationsschrift “Öffentliche und geheime Stimmabgabe – Eine ideengeschichtliche und wahlrechtshistorische Studie” vorgelegt (2000 bei Nomos erschienen).

… Frage: Kirchenparlamente sind solche Körperschaften des öffentlichen Rechts. Hier trifft man auf die Argumentation, die offene Abstimmung gebe es nur aus pragmatischen Gründen,  weil man sonst drei Monate statt drei Tage bräuchte, wenn jeder einzelne Verfahrensschritt schriftlich abgestimmt und ausgezählt werden müsste. Zudem wird argumentiert, dass die Veröffentlichung von einzelnen Abstimmungsverhalten eine Bloßstellung der betroffenen Synodalen sei.

Buchstein: Das halte ich mit Verlaub für eine absurde oder gar vorgeschobene Argumentation. Denn auch ein Kirchenparlament besteht aus gewählten oder delegierten und gegebenenfalls noch kooptierten Mitgliedern, die sich für ihr Abstimmungsverhalten rechtfertigen müssen. Sie stehen ihrer Basis gegenüber in einer Form von Verantwortlichkeit, und das gilt dann eben auch für ihr Abstimmungsverhalten. Deshalb spricht aus meiner Sicht aus grundsätzlichen Erwägungen alles dafür, dass sie offen abstimmen.
Was nicht bedeutet, dass ich nicht nachvollziehen kann, warum es ein Interesse daran gibt, solche Abstimmungen geheim durchzuführen: Man möchte die Synodalen davor bewahren, dass sie zuhause in ihrer Kirchengemeinde unter Druck gesetzt werden, weil sie vielleicht etwas im Interesse der Gesamtkirche entschieden haben, was möglicherweise nicht im Interesse der lokalen Gemeinde ist. Aber mit Verlaub: da müssen die Synodalen dann durch.  Es geht auch hier um demokratische Transparenz; zudem sollte man die kirchliche Basis nicht von vornherein in ihrer Fähigkeit und Bereitschaft unterschätzen, von den Argumenten ihrer Repräsentanten lernen zu können. Auf die Vorstellung einer gegenseitigen politischen Belehrung setzt letztlich ja auch der gesamte Parlamentarismus im politischen Raum.
Zum Interview.

 

 

Fehlentscheidung Fusion

Der Fehler Fusion ist beliebt – und führt selten zu Lernfortschritten, nicht nur in der Kirche:
…Die größte und auch umstrittenste Akquisition war der teure Einstieg in den US-Mobilfunk-Markt. Noch unter Ron Sommer als Chef vollendete die DT im Jahr 1. Juni 2001 die Übernahme der Wireless-Netzbetreiber Voicestream und Powertel zu einem Gesamtvolumen von insgesamt 59 Milliarden (!) US-Dollar.
Auch wenn in den USA inzwischen ein beachtlicher Teil des Umsatzes der DT generiert wird (16,1 Milliarden Euro, 2010), kann das Engagement schon jetzt als ein Reinfall gelten. Ähnlich wie der Automobilhersteller Daimler hat sich ein deutsches Vorzeigeunternehmen bei den mit einem Einstieg in den riesigen US-Markt verbundenen Synergie-Effekten und Wachstumschancen offenbar verschätzt. Zum Artikel.

Zur Untauglichkeit von Finanzgrößen für die strategische Steuerung (Thema des Monats)

Von Friedhelm Schneider. Bei den neoliberalen Reformen fällt die starke, fast ausschließliche Orientierung an Finanzgrößen auf. Sie sollen die Steuerung auf Kurs bringen. Dazu sind sie aber nicht geeignet. Insofern muss der Versuch misslingen. Denn die Finanzgrößen sind Teil der operativen, der kurzfristigen Steuerung. Strategische, langfristige Steuerung basiert hingegen auf anderen Orientierungsgrößen.

In der Kirche stammen solche strategischen Orientierungsgrößen klassischerweise aus der Theologie und/oder der Soziologie. Bis Anfang der 90er Jahre bestimmten diese konzeptuell die Steuerung in der Kirche. Das letzte Große Zeugnis dafür ist die EKHN- Reformschrift „Person und Institution“ aus dem Jahr 1992.

Wir hatten auf den Sachverhalt der Zugehörigkeit des Finanzwesens zur operativen Steuerung in einer früheren Ausgabe der Wort-Meldungen schon einmal hingewiesen.

Hier noch einmal eine Grafik, die den Managementansatz von Gälweiler (St. Galler Schule) zur strategischen Steuerung verdeutlicht. Die Begrifflichkeit ist die der Wirtschaft. Sie ist also noch nicht übertragen auf die Kirche. Selbstverständlich muss sie bei einer Anwendung auf die Kirche entsprechend modifiziert werden. Stoßen sie sich also nicht am „Kunden“ – begriff. Der taugt in der Kirche selbstredend nicht.

 

Bildschirmfoto vom 2013-12-14 14:28:20

 

Entscheidende Erkenntnis: mit Finanzgrößen wird nur das operative, kurzfristige Geschäft gesteuert. Die strategische Steuerung hat anhand von Orientierungsgrößen zu erfolgen, die den Unternehmenszweck ausdrücken. Entscheidend sind die Konsequenzen, die aus dieser Erkenntnis zu ziehen sind. Sie lauten: die Theologie, sprich: die PfarrerInnen, TheologInnen, die BischöfIn, die KirchenpräsidentIn, die Präses, dürfen sich nicht länger hinter den „alternativlosen“ Vorgaben der Finanzabteilungen oder mit externen Beratern besetzten Reformzirkeln verstecken. Sie, die Theologen und nicht irgendwelche Kirchenjuristen, sind zuständig für die strategische Steuerung. In Managementsprache: sie sind zuständig für die Effektivität. Die Finanzdezernenten hingegen sind „nur“ für die operative Steuerung, für die Effizienz, zuständig. Dabei verstehe man das in Anführungszeichen gesetzte „nur“ nicht falsch. Das ist und bleibt immer noch eine große, selten befriedigend erledigte Aufgabe! Namentlich im Bereich des Immobilienmanagements oder der Verwaltungstätigkeiten selbst. Auch die Frage nach dem angemessenen Rechnungswesen (Doppik/NKF?) oder nach der Anlagenpolitik braucht ganz offensichtlich neues Nachdenken und neue Impulse und fordert also Aufmerksamkeit. Baustellen gäbe es also im originären Sektor der Finanzdezernate wahrlich genug.

Die Fragestellung der Effizienz ist hingegen bei der Arbeit mit Menschen selbst, also bspw. In der Seelsorge, aber auch der Pädagogik weitgehend unangemessen. Weswegen die an Effizienzgesichtspunkten orientierten „Totalen Qualitatsmessungen“
auch immer wieder ins leere laufen oder völlig unbrauchbare Ergebnisse liefern. Vgl. bspw. das aktuelle Beispiel der Pflegeheime.

Richtiges Management, etwa im Sinne Gälweilers, ordnet also die Bedeutung des Finanzwesens und die Orientierung an Finanzgrößen in der Kirche (wie auch in allen Unternehmen) anders ein als neoliberale Ansätze. Als operative Steuerungsgrößen haben sie keine Priorität gegenüber der Theologie. Das ist es, was die Kirche heute von richtiger Managementlehre (wieder) lernen kann. Das ist nicht mehr, aber auch nicht weniger als die Aufforderung an alle Theologinnen und Theologen, die Leitung der Kirche nunmehr wieder selbst zu übernehmen. Finanzdezernenten, die einer solchen Managementlehre der St. Galler Schule zuzuordnen sind, erkennt man umgekehrt daran, dass sie sich selbstredend der strategischen Steuerung (der Theologen) unterordnen. Wo dies nicht geschieht, sind Managementprobleme in der Kirche zwangsläufig.

 

Die wichtige Differenz zwischen Management und Sachaufgaben (Thema des Monats)

Management bleibt immer gleich, die Sachaufgaben hingegen, auf die Management angewandt wird, sind so vielgestaltig wie die Gesellschaft selbst. Management ist die Konstante, die Sachgebiete sind die Variablen.

Die vielleicht größte Verwirrung entsteht dadurch, dass Management nicht sauber unterschieden wird von den Sachgebieten, auf die es angewandt wird. Die Quelle der Konfusion sind die Betriebswirtschaftslehre und die MBA-Programme, weil man irrtümlich anzunehmen neigt, dass jemand, der Marketing, Rechnungswesen oder Personalwesen studiert hat, schon deswegen ein Manager, gar ein guter Manager sei. Weniges richtet mehr Schaden an als dieser Irrtum. Management und Betriebswirtschaftslehre sowie die MBA-Programme haben nur wenig gemeinsam.

Entscheidend sind zwei Tatsachen: Erstens, Management erfordert ganz anderes Wissen und andere Erfahrungen als die Erfüllung von Sachaufgaben. Die beiden Elemente, Management und Sachaufgaben, hängen zwar voneinander ab und müssen zusammenwirken, um Ergebnisse zu erzielen, sind aber dennoch ganz verschieden und erfordern unterschiedliche Kenntnisse und Fähigkeiten. Zweitens, Management bleibt invariant, ungeachtet der Sachaufgaben, auf die es angewandt wird. Z.B. kann jemand zwar ein ausgezeichneter Forscher in der Pharmaindustrie, also ein Sachexperte, und dennoch – nicht selten gerade deshalb – gleichzeitig ein schlechter Manager sein, und er läuft Risiko, an seinen Führungsaufgaben zu scheitern. Umgekehrt ist selbst der beste Manager weitgehend hilflos, wenn er von den Sachgebieten der Pharmaforschung nichts versteht. Ein guter Jurist zu sein genügt nicht für die Leitung der Rechtsabteilung eines großen Konzerns und auch nicht, um eine Anwaltssozietät zu führen, denn das erfordert Managementkenntnisse. Diese sind andere als die des Juristen. Andererseits kann ein noch so guter Manager, der selbst kein Jurist ist, eine Rechtsabteilung oder Law-Firm kaum erfolgreich zu managen hoffen, schon allein deshalb, weil ihn die Juristen nicht als Chef akzeptieren werden, eben weil er vom Recht nichts versteht.

Sachgebiete brauchen Management, und je schwieriger sie sind, desto mehr brauchen sie richtiges und gutes Management. Damit Management andererseits professionell angewandt werden kann, braucht eine Führungskraft ein hohes Maß an Kenntnissen über das Sachgebiet. Daher ist es ein krasser, wenn auch weit verbreiteter Irrtum, dass Sachexperten allein wegen ihres Sachwissens auch schon gute Manager seien. Ein genauso schwerwiegender Fehler ist die ebenfalls verbreitete Meinung, dass ein professioneller Manager jedes beliebige Unternehmen, überhaupt jede beliebige Organisation führen könne. Zum Artikel von Prof. Fredmund Malik im Deutschen Pfarrerblatt.

Die hier geschilderte Problematik ist in der Kirche nicht unbekannt, wenngleich sie unbeachtet ist. Denn viele, insbesondere juristische Führungskräfte (Dezernenten etc.) lernen die Kirche erst mit ihrem Dienstantritt richtig kennen. Das wirkt sich dann vielfach im o.g. Sinne schädlich aus. Denn Sachwissen ist immer organisationsspezifisches Sachwissen und systemisches Sachwissen. Defizite bei Neubesetzungen können vermieden werden, wenn als Grundvoraussetzung die aktive Teilnahme in einem Kirchenvorstand/Presbyterium während mindestens einer Periode gilt. Ob die betreffenden Personen dann aber auch gute Manager sind, das steht selbst damit leider noch nicht fest. F.S.

Wem gehört die Zeit?

Stress und Zeitdruck nehmen immer weiter zu. Immer mehr Menschen fühlen sich von den Zwängen beherrscht und können sich nicht ohne fremde Hilfe daraus befreien. Die Diagnose Burnout nimmt zu.

Auf der anderen Seite können wir so viel Zeit sparen, wie noch nie. Kommunikation, Verkehr und Freizeit sind technologisch so effizient, wie noch nicht gestaltet. Doch die gesparte Zeit ist schon längst verplant.

Der Theologe und Journalist Christoph Fleischmann versucht in seinem Artikel „Wem gehört die Zeit?“ zu erklären, wie beides zusammen hängt. Fleischmann blickt daher auf die Anfänge des Kapitalismus und einen Wandel der Mentalität. War die Zeit in der vorwiegend agrarischen Gesellschaft ein göttliches Gut, jenseits der eigenen Verfügungsgewalt, wurde es mit dem Beginn des Kapitalismus zu persönlichem Besitz. Mit der Folge, das dieser Besitz auch Teil der Wertschöpfung wird.

Die Kirche spart sich kaputt (Thema des Monats)

(zusätzlich ein Negativbeispiel zum Thema des Monats: „Management“, F.S.)

von Christoph Fleischmann

»Es ist für mich unerträglich, dass für meine Pension Menschen entlassen werden«, klagt ein Pfarrer der Evangelischen Kirche im Rheinland. Ob er mit dieser Meinung allein steht, wird sich zeigen: Noch bis in diese Woche hinein tagt die Synode seiner Landeskirche. Ihr liegt der erste Teil eines umfangreichen Sparpaketes der Kirchenleitung vor. Bis zum Jahr 2018 sollen im Haushalt der gesamtkirchlichen Aufgaben zwanzig Millionen Euro gestrichen werden. Die rheinische Kirche ist kein Einzelfall…
Im Effekt werden durch den Sparkurs Haushaltsposten umgeschichtet: Wenn man sagt: Wir müssen sparen, um Defizite abzubauen, kann man drastische Einschnitte rechtfertigen. Wenn dann doch – überraschend – mehr Geld reinkommt, kann man es für Anderes ausgeben. Wenn man aber sagen würde: Wir entlassen Leute, um den Vorgaben der anderen EKD-Kirchen zu entsprechen oder (ebenfalls ein Thema im Rheinland) das neue Finanzmanagement einzuführen, würde das mehr Wind in der Synode verursachen.

Wir haben uns blenden lassen… – Non-Profit-Management (Thema des Monats)

…Bis Mitte der 90er Jahre sei die Situation allerdings gekippt. Noch Ende der 80er Jahre sei angesichts hoher Arbeitslosen- und Hilfeempfängerzahlen eine radikale Diskussion um Grundsicherung etc. geführt worden. Mit dem Mauerfall jedoch habe sich diese Diskussion erledigt. Der Mauerfall sei als Sieg eines Systems gefeiert worden – und anschließend sei der Neoliberalismus die leitende wissenschaftliche Ausrichtung geworden. Und zwar nicht nur in Bezug auf das Marktgeschehen, sondern auch in Bezug auf andere Bereiche der Gesellschaft. Dominierend sei ein Menschenbild geworden, das in erster Linie auf wirtschaftliche Anreize reagiert.

Dem Zeitgeist entsprechend sei z. B. in den Kommunen die Phase der Ausgliederung angebrochen; das Unternehmertum habe als eine Art neue Religion gegolten. Dem Zeitgeist entsprechend sei mit der Einführung der Pflegeversicherung der Vorrang des gemeinnützigen Sektors abgeschafft worden. Damit, so Schneider, seien die Alternativen zum Preismarktgeschehen negiert worden. Es brauche aber Alternativen!

Der Zeitgeist habe sich auch darin gezeigt, dass die „smarten Jungs“ auch in der Sozialwirtschaft „in“ waren; es habe den Wunsch gegeben, auf der gleichen Ebene zu stehen wie die „richtigen Manager“; es sei die Zeit der Sozialarbeiter-Witze gewesen – und die Zeit, wo in der Sozialwirtschaft zwei Welten entstanden seien. Niemand habe die Frage gestellt, ob eine Konzernstruktur für die Wohlfahrtspflege das Richtige ist?

Die Spitze dieser Entwicklung sei die Einführung des „Kunden“-Begriffs in der sozialen Arbeit gewesen. Der „Kunde“ reduziere den Menschen auf Kaufkraft; alles andere bleibe außen vor. Er sei das Gegenteil davon, den Menschen – wie zuvor – in seiner Ganzheit zu sehen, ihn immer in Beziehungen zu sehen. Mit dem „Kunden“ sei eine 100jährige Theoriegeschichte der sozialen Arbeit „mal eben über Bord geworfen“ worden. Nicht umsonst seien für Rechtsanwälte ihre Mandanten keine Kunden und für Ärzte ihre Patienten keine Kunden: Es bestehe eine asymmetrische Beziehung. Vor dem „Kunden“ habe man in der sozialen Arbeit von „Klienten“ gesprochen. Der „Kunden“-Begriff verkenne die Komplexität sozialer Arbeit. Zum Artikel.

Der zweite Begriff, von dem sich Viele hätten blenden lassen – inklusive nach eigener Aussage Schneider selbst – sei der des „Mehrwerts“ der sozialen Arbeit gewesen. Hier sei der Versuch gemacht worden nachzuweisen, dass soziale Arbeit einen Mehrwert für das volkswirtschaftliche Wohlergehen der Gesellschaft hat. Dabei könne man nur verlieren. „In einer Gesellschaft, die mit den anderen nichts zu tun hat, wo jeder sich selbst der nächste ist, hat man keine Chance mit dem Mehrwert“, so Schneider. Die einzige Chance sei es, offensiv eine Wertediskussion zu führen…