Die Nordkirche, fusioniert aus West- und Ost-Landeskirchen, bürokratisiert, Finanzen gut, s. hier. Kämpft mit Problemen und Herausforderungen:
10/2015, Bericht auf der Synode der ELK in Norddeutschland
„…
III Spezifische Probleme und Herausforderungen
(Situation und Stimmung der Pfarrer, Anm. F.S.)
„Nun hat eine große empirische Untersuchung in England und Wales gezeigt, dass bereits ab drei in unterschiedlichen Dörfern zu versorgenden Predigtstellen diese Identifikation mit der jeweiligen Kommune unmöglich wird. Das führt dazu, dass der Pastor nicht mehr Teil der Gesellschaft des Ortes ist, sondern dieses nur noch vortäuscht. Das aber lässt sowohl ihn wie auch die Gemeindeglieder unbefriedigt. Nähe ist nicht mehr vorhanden, sondern wird lediglich behauptet. Dazu kommt der Stress, den Bedürfnissen der verschiedenen Gemeinden gerecht zu werden, die gesamte Verwaltung für verschiedene Gemeinden erledigen zu müssen und die Kontakte zu den Repräsentanten verschiedener Kommunen. Die Pastorinnen und Pastoren fühlen sich überfordert…“
Rückgang der Kirchenmitgliedschaft
„…Und schließlich nehmen natürlich auch die Pastoren und Pastorinnen die Zahlen in ihren Gemeinden
wahr. Ich habe oben lebendige Gemeinden geschildert. Aber alle leiden unter einem
rasanten Rückgang der Gemeindegliederzahlen. So sank trotz der für eine kleine Gemeinde unwahrscheinlich großen Zahl von Aktivitäten in Groß Bisdorf die Gemeindegliederzahl in den
letzten drei Jahren um 9 %. In der touristisch geprägten Gemeinde Ahlbeck auf Usedom hat die
Gemeindegliederzahl in den letzten drei Jahren um 11 % abgenommen. Trotz einer nicht mehr
zu steigernden Aktivität in der Gemeinde Retzin ist hier im Hinterland die Gemeindegliederzahl
in den letzten 3 Jahren um 14 % zurückgegangen. Der durchschnittliche Rückgang im gesamten
pommerschen Teil des Sprengels betrug in diesen 3 Jahren 8 %. Häufig wird zur Begründung dieses nun seit Jahrzehnten anscheinend unaufhaltsam sich vollziehenden
Rückgangs der Mitgliederzahlen der demographische Wandel herangeführt. Leider reicht
dies als Begründung für die massiven Rückgänge nicht. Denn der Rückgang bei den Kirchenmitgliedern ist prozentual mehr als doppelt so hoch als der Rückgang der Gesamtbevölkerung. Weitere Gründe für die starke Schrumpfung der Kirchenmitgliederzahl sind der massive Traditionsabbruch aufgrund der zahlreichen Austritte aus der evangelischen Kirche in den vergangen Jahrzehnten, die heute oft unterbleibende Glaubensweitergabe in evangelischen Familien und die gesellschaftlich auch heute noch voranschreitende weitere Entkirchlichung. Dadurch fehlen Kindern und Jugendlichen die Plausibilitätsstrukturen, die der Glaube braucht, damit er wachsen kann. Oder auf Deutsch: Die Kinder kennen keinen Gleichaltrigen, der Christ ist. Warum sollten sie es dann sein?…
IV „Die Zukunft der Kirche wird sich an den Gemeinden entscheiden.“
Die erste empirische Studie über Kirchengemeinden in Deutschland, durchgeführt vom Sozialwissenschaftlichen Institut der EKD stellt fest: „Kirchengemeinden sind der Herzschlag der Kirche“.
Wie steht es aber um die Zukunft der Ortsgemeinden? Werden Sie sich in den nächsten
Jahren ganz auflösen? Ist hier der Osten dort, wo der Westen in 50 Jahren sein wird? Die Frage
nach der Zukunft der Ortsgemeinden ist eine für die Zukunft der Kirche wesentliche Frage. In
fünf kurzen Thesen will ich sagen, warum…
V ,Erprobungsregionen‘ – ein mecklenburgischer Werkstattbericht
„Weniger ist anders.“8 Gesellschaftliche Veränderungen in peripheren ländlichen Räumen dürfen kirchlicherseits nicht einfach mit einem weiteren Rückbau beantwortet werden. Das hieße, Strukturen hoffnungslos zu überdehnen und Haupt- und Ehrenamtliche zu überfordern.
Bislang sind diese Lösungsansätze verfolgt worden:
– Zusammenarbeit in der Region, die die einzelnen Ortsgemeinden stabilisiert und in ihrem
Bestand schützt,…
Wie können neue Formen gemeindlichen Lebens strukturell ermöglicht werden?
Wir sehen dafür vier Optionen:
1. Lokale „Gemeinden“ unter dem Dach einer Kirchengemeinde (Ortsausschüsse)
…
2. Thematisch orientierte „Gemeinden“ in großstädtischen Kontexten (Fachausschüsse)
…
3. Kirchengemeinden mit unterschiedlichen Aufgaben-Gebieten (Abschied vom flächendeckenden
Gemeindeaufbau)
…
4. Neugründungen von „lokalen Gemeinden neuen Typs“ (pastorenunabhängige Gemeindeleitung)
…
Der vollständige Bericht.
Erfahrungsbericht und Vergleich aus der Braunschweigischen Landeskirche:
„der Kirchenkreis Mecklenburg in der Nordkirche“
von Dietrich Kuessner, Braunschweig
…
Fazit: Andere, vergleichbare Landeskirchen haben erheblich mehr Probleme. Hier wäre ein Austausch förderlich. Wenn wir uns indes kaum für die Nachbargemeinden, Nachbarpropsteien interessieren, ist es zu viel verlangt, wenn man auch mal in die nächstliegende Landeskirche sieht.
Ich besinne mich auf eine Kuratorin aus dem Mecklenburgischen, die im Predigerseminar sehr farbig und kompetent über den Einsatz von Kuratoren berichtete. Sich austauschen bildet und lohnt sich… Mehr dazu.
Anm. F.S. zum Sprengelbericht der beiden Bischöfe:
Interessant bei der Analyse der beiden Bischöfe, dass sie die Ursache der Probleme der Pfarrerschaft deutlich anders, man kann sagen: gegensätzlich sehen wie etwa der Hannover’sche Pfarrverein, vgl. hier.
Bedenklich ist, dass die Ursachenanalyse der rapide schwinden Bindungskraft mit extrem hoher Austrittsfolge viel zu kurz greift. Und letztlich Ursachen und Lösungen nur oder weit überwiegend in Strukturfragen gesehen werden. Das ist – sorry – die enge Sicht von Menschen in Landeskirchenämtern. Und das ist eine Sicht, die bei kirchenleitenden Kräften über Jahre hin hipp war. Aber sie war nie plausibel begründet. Und vor allem: das ist aber nicht die Sicht der Menschen! Vielleicht ist gerade diese Kluft zwischen den Fragen, den Interessen, den Bedürfnissen der Menschen, der Christen wie der Nichtchristen, und der dominierenden Fraktion der Technokraten in den Ämtern, Verwaltungen und Leitungen der Kirchen das Problem! Was hat denn die extrem hohe Austrittsquote in Mecklenburg und Pommern beispielsweise mit der Fusion der Landeskirchen zu tun? Eine Frage, die den Bischöfen überhaupt nicht einfällt! Das war eine Fusion von Kirchen völlig unterschiedlicher Traditionen und Kulturen! Sollte das nicht Folgen haben? War nicht die Fusion der relativ ähnlichen Kirchen in Thüringen und der Kirchenprovinz nicht abschreckendes Beispiel genug? Wurde nicht auch dort in der Folge schon eine Entfremdung der Menschen zur Kirche konstatiert? Ist nicht auch dort in der EKM ein schon Extremwert an Austritten zu konstatieren? Wie viel stärker muss diese Entfremdung also bei extrem unterschiedlichen kulturellen Hintergründen ausfallen? Sollte das für die beiden Bischöfe wirklich nicht absehbar gewesen sein? Und: können sie das nicht wenigstens im nachhinein als (Teil-)Ursache des Austritttsproblem auch klar benennen? Dazu fehlt wohl der Mut. Im Wormser Wort ist formuliert: die Kirche muss verlorenes Vertrauen wieder gewinnen. Darum geht es zuerst. Und danach kommen viel später, an 5. Stelle, die Strukturen. Und noch viel später, unter ferner liefen, die Fusion von (großen) Landeskirchen.