Schlagwort-Archive: Reformen

Renten“reform“ nach der Renten“reform“. Nach dem Riester-Flop der Betriebsrenten-Turbo?

05/2016

Die Blaupause für das nächste Rentendesaster liegt seit zwei Jahren vor: Statt Riester- jetzt Betriebsrenten. Mehr staatliche Förderungen. Mehr Freiheit für Risikoanlagen. Mehr Verpflichtung zu privater Vorsorge. Mehr Versicherungskapital in öffentliche Investitionen. Auf keinen Fall aber Stärkung der umlagefinanzierten Rente.

Im April 2014 lieferten Bert Rürup und das PROGNOS-Institut eine Auftragsarbeit für den Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) ab. Die Studie mit dem Titel „Die Zukunft der Altersvorsorge“ wurde unverdientermaßen von der Öffentlichkeit kaum zur Kenntnis genommen. Denn die Studie liefert den Masterplan für die Renten“reform“ nach der Renten“reform“ bei sorgfältiger Beachtung der Interessen der großen Versicherungen und einer erneuten Verletzung der sozialen Interessen von vielen Millionen Menschen in diesem Land.

Anlass der Arbeit sind die „Krise und Legitimationsprobleme der privaten Altersversorgung“ (S.13) und es werden „Lösungswege“ daraus versprochen. Mehr dazu.

Change, Reform und Wandel: Was zurzeit in einigen der Evangelischen Landeskirchen geschieht, ist an Zynismus kaum zu überbieten. Interview mit Dr. Matthias Burchardt, Akadem. Rat, Köln.

06/2015

Matthias Burchardt über das Alphabet der politischen Psychotechniken

Interviewer: Ich war vor einigen Jahren einmal auf einer wunderbaren Veranstaltung einer sehr fortschrittlichen Landeskirche. Da wurde seitens der Veranstalter beim Mittagessen sehr deutlich kommuniziert: „Unsere Kirche wird in den nächsten Jahren hunderttausende Mitglieder verlieren, wir müssen diesen Wandel begleiten und uns mit ‚Change Management‘ beschäftigen, sonst wird das für die Kirche übel ausgehen.“ …

Matthias Burchardt: Was zurzeit in einigen der Evangelischen Landeskirchen geschieht, ist an Zynismus kaum zu überbieten. Wenn es heute eine Rechtfertigung für die Existenz von Kirche geben kann, dann doch die, dass sie den Totalitarismen eine radikal andere Soziallogik und -praxis entgegensetzt.

Doch hinter der Feiertagsrhetorik ihrer Spitzenvertreter wird die Kirche im Moment durch Unternehmensberater und Stiftungen mit neoliberaler Agenda angespornt, sich intern in einen paratheologischen Dienstleistungskonzern umzubauen. Die Evangelische Kirche im Rheinland etwa wird von Steria Mummert Consultung beraten und lässt sich das Finanzsystem NKF aufschwatzen, das ein ideales System für jene Art von neoliberaler Steuerung ist, die in den Kommunen unter dem Begriff „Doppik“ firmiert. Und auch McKinsey ist ganz vorne mit dabei. Das ist schon wie in der Fabel von Hase und Igel, auch in dieser Ackerfurche sitzt ein Bertelsmann.

Das Muster, das auch Sie hier zu Recht identifizieren, wiederholt sich dabei in einem fort: Katastrophengerede als Motiv für einen Umbau ganz im Geiste des New Public Management, welches aktuell auch über unser Bildungssystem und andere Bereiche gegossen wird. Das Ergebnis hiervon ist übrigens vorhersehbar: Es wird viel Geld ausgegeben sowie dem engagierten Personal zusätzliche Arbeit aufgebürdet werden, der wesentliche Auftrag der Kirche wird bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt und die versprochenen Ziele schließlich grandios verfehlt. Zurück bleibt verbrannte Erde.

Wer sich darüber wundert, dass die Kirchenoberen so etwas betreiben, der kann sich ja mal anschauen, wer sich so in den letzten Jahren im Präsidium des Evangelischen Kirchentags getummelt hat. Das erklärt einiges. Das vollständige Interview.

SAP oder „Search And Pray“ in der ELK Bayern: „langwieriges IT- Projekt ohne klares Lastenheft, mit noch offenen Problemen und wachsenden Kosten“.

06/2015

Aus dem Bericht von Corinna Hektor, Pfarrvereinsvorsitzende in der ELKBayern


Es stimmt traurig, was zu diesem Thema und der immer noch laufenden Umstellung auf der Synode von Karl Mehltretter für die Synodale Begleitgruppe vorgetragen wurde. Er konstatiert, dass wesentliche Punkte seit langem angemahnt, aber immer noch nicht angegangen wurden. Fast noch schlimmer ist, dass sein Fazit sehr resignativ ausfällt. Kurz gefasst: Nachdem man nicht auf uns hört, können wir genauso gut aufhören. Dabei bräuchten wir hier, wo es um IT geht, tatsächlich die Kompetenz der Ehrenamtlichen, die in diesem Bereich Profis sind bzw. wichtige Vorerfahrung mit solchen Umstellungen haben. Stattdessen haben wir ein langwieriges Projekt ohne klares Lastenheft, mit noch offenen Problemen und wachsenden Kosten (allein 9 Mio für die erste Phase). Das Ergebnis bekam ich im Landeskirchenamt mit „search and pray“ übersetzt. Schade eigentlich – auch wenn es manches erklärt…“

(vgl. S. 6 bzw. print S. 90)

Anm. F.S.: Kirche und IT sowie Kirche und Doppik. Jedes ist ein Kapitel für sich. Ein Drittes ist die Qualität, die Professionalität der Arbeit der Verwaltungen. Sie zeigt sich sowohl in der IT-, als auch in der Doppikfrage. Als Gradmessser kann man z.B die Implementierung von IT-Maßnahmen betrachten. An dieser vergleichsweise einfachen Aufgabenstellung zeigt sich, ob  wenigstens die „handwerkliche“ Seite funktioniert. Und gerade hier waren die Probleme an verschiedenen Stellen, in unterschiedlichen Landeskirchen, nicht zu verheimlichen. Jüngst kam es wieder zu Problemen in der EKHN. In der ELK Bayern erhält man noch tiefere Einblicke in die Arbeitsweise der Administration: sie treibt große Projekte voran, hat aber kein klares Lastenheft! In der EKiR gab der neue Finanzdezernent Bernd Bauks gar zu – dass man ein IT-Produkt bestellt habe, das die erwarteten features gar nicht enthält. Am Ende explodieren die Kosten – für ein Produkt, das man in der bestellten Version gar nicht gebrauchen kann. Und was passiert? Nichts. Die Synoden? Lassen sich vielfach treiben. Die Rechnungsprüfungsämter? Sind an die Leine gelegt. Die Pfarrvereine? Können sich, dort wo sie die Interessen der Pfarrer vertreten, nicht durchsetzen. Nichts in dieser für die Kirche eigentlich wichtigen Frage einer zuverlässigen, schlanken, dienstleistungsorientierten Frage passiert übrigens nicht erst seit jüngster Zeit. Das Problem ist lange bekannt. So redete etwa Konsistorialpräsident Harder 1996 vom „schwerfälligen Apparat einer herkömmlichen kirchlichen Verwaltung“, die wenig den Eindruck einer „wendigen und schalgkräftigen“ Leistungserstellung mache. Wieder wörtlich: „Hier sind Veränderungen hin zu einer professionellen… Verwaltung erforderlich.“ (Nachzulesen in: „Denkmal Kirche?“, Hrsg. Rainer Volp, S.49). Ganz offensichtlich hat sich – betrachtet man die bei den Implementierungsprozessen sichtbaren Professionalisierungsgrad – hier in den letzten 20 Jahren nichts geändert. Reformen, hier hätten sie ansetzen müssen! Reformen – hier erfolgreich umgesetzt – hätten die Schlüsselprofesssion deutlich unterstützen und entlasten können. Die Reformverweigerung fand um die Jahrtausendwende in erster Linie hier – in der Administration – statt. Schließlich konnten sich auch die Verwaltungen gegen einzelne Maßnahmen des dann neoliberal gebürsteten Umbaukonzepts, wie etwa die Einführung der Doppik,  nicht mehr wehren. In der Praxis von „Search and Pray“ zeigt sich: das eigentliche Grundproblem ist nicht behoben. Es gibt nur ein neues tool. Und das wird das Problem nicht entschärfen, sondern steigern. Denn seit der Diskussion um die Doppik, spätestens seit empirische Studien vorliegen, steht die Frage nach deren Sinnhaftigkeit im Raum.

Nun – solche mangelbehaftete Praxis mag in der Kirche weit verbreitet sein. Aber es gibt Ausnahmen. Es gibt das Kirchenamt der EKD!!! Dort, im Olymp intrinsisch gespeister Administrationsprofessionalität strotzen die Mitarbeiter vor Tatendrang und „vor Freude an ganz großen Herausforderungen“. Das wissen wir von OKR Dr. Brinkmann. Wir wissen aber noch mehr: Solcher Tatendrang kann „in der kirchlichen Dienstgemeinschaft auf rein menschliches Maß“ treffen… Richtig, Herr Dr. Brinkmann. Und zwar an ganz vielen Orten! Begeben Sie sich doch einfach aus der Kirchenburg an der Herrenhäuser Straße in Hannover heraus in die Niederungen der Landeskirchenämter (es muss nicht nur Düsseldorf sein), der landeskirchlichen Kirchenverwaltungen und Konsistorien.  

Erwin Teufel fordert umfassende Reformen der katholischen Kirche

Der ehemalige Ministerpräsident Erwin Teufel stellte in Sigmaringen sein neues Buch über die katholische Kirche „Ehe alles zu spät ist – Kirchliche Verzagtheit und christliche Sprengkraft“ vor. Seine Vorstellungen von Reformen gehen dabei einen deutlichen Schritt auf den Protestantismus zu. Dem Priestermangel soll durch eine Weihe von Kirchendienern, die nicht studiert haben, entgegnet werden. Das Zölibat solle dabei außer Kraft gesetzt werden.

Frauen sollen auch in der Organisation der Kirche ein stärkeres Gewicht bekommen und zu Diakonissen geweiht werden.

Als drittes fordert Teufel eine Stärkung der Entscheidungsgewalt der unteren Ebenen: „Der Bischof ist kein Filialleiter von Rom, er hat einen eigenen kirchlichen Auftrag.“

Lesen Sie hier den Artikel auf schwäbische.de

Wachsender Druck auf die Professionen

Auf die Professionen wächst der Druck. Den geringsten Anteil am wachsenden Druck haben externe Faktoren. Das Thema wurde in den wort-meldungen schon in einzelnen Aspekten  (vgl. 1.) gesichtet. Hier finden Sie eine Zusammenfassung und Vervollständigung.

Von Pfr. Friedhelm Schneider

  1. Gesellschaftliche-technische Entwicklung: Steigerung der Anforderungen beruflich-fachlicher Natur (übliche Entwicklungsprozesse; heute höhere Entwicklungsdynamik, die zu berufsspezifische Zusatzaufgaben wie etwa der Erziehungsfunktion bei Lehrern führen;)
  2. Personalmanagement: 2.1. Arbeitsverdichtung infolge Personalmangels, Stellenabbau, Unterbesetzung der Stellen, 2.2. Erhöhung des Leistungsdrucks (Richter: Steigerung der Fallzahlen, Ärzte: einheitliche Budgets für Krankheitsfälle, Professoren),
  3. Arbeits- und Dienstrecht: Erbringung zusätzlicher, teilweise fachfremder Leistungen und Arbeiten (Dokumentationen, Kontrollsysteme, Drittmittelbeschaffung, Verwaltung, komplizierte Abrechnungssysteme bei ÄrztInnen)
  4. Kostendruck der Institution durchgereicht an Mitarbeiter/Profession
  5. Organisationsstruktur: Verstärkte Einbindung von Ehrenamtlichkeit in Leitungsfunktion (vgl. Abschnitt „Konstruktionsfehler“) führt zu erhöhtem Aufwand für die Professionellen, Kräfteverzehr, Konflikten
  6. Arbeits- und Dienstrecht (Versetzbarkeit, Wartestand; Befristungen wie Wissenschaftszeitvertragsgesetz vgl. S.20 an Unis;, ‚Saisonverträgen‘ bei LehrerInnen)
  7. persönlicher ökonomischer Druck (Institutionsabhängige: seit etwa 2000 kein nennenswerter Inflationsausgleich beim Gehalt; Kürzungen von Gehaltszulagen wie Weihnachtsgeld, Kürzung der Mittel für Fortbildungsmaßnahmen, verzögerte Durchstufungen, etc.; bei Ärzten: div. Reglementierungen wie SGB V)
  8. Steigerung des Arbeitsaufwandes infolge von dauerhaften Reformprozessen (Umgestaltung des Arbeitsfeldes, neue Instrumente, neue Steuerungsstrukturen  etc.)

 

Personalmanagement nach Bedford-Strohm und nach Huber. Ohrfeige für den Lehrer Wolfgang Huber?

Am 19. August 2012 predigte der bayerische Landesbischof Bedford-Strohm anlässlich des 70. Geburtstags seines Lehrers Wolfgang Huber in Berlin und sagte in seiner Predigt Folgendes:

Es gibt keine tragfähigere Grundlage für Gelingen als die Dankbarkeit für geschenkte Freiheit. Aus dieser Perspektive heraus ist die aus bestimmten Unternehmensberatungskonzepten stammende gesellschaftliche Tendenz problematisch, nach der Erfolg vor allem oder gar allein auf Qualitätskontrolle fußt. Im Namen der Bekämpfung des Schlendrians tritt an die Stelle der Freiheit die Kontrolle. Nicht das Zutrauen in Kompetenz und Engagement der Mitarbeiter gibt den Ton an, sondern das Misstrauen. Der Nachweis über die Qualität der eigenen Arbeit stiehlt der echten Arbeit die Zeit. Der ständige Zwang zur Beweisführung über die Qualität der eigenen Arbeit wird zum Gift für die Arbeitsatmosphäre. Es tut den Unternehmen nicht gut, es tut den Universitäten nicht gut. Und es täte ganz bestimmt der Kirche nicht gut, wollten wir auf diesen Zug aufspringen. … Lasst uns die Kirche verändern! Lasst uns ihre Ausstrahlungskraft erneuern! Lasst uns das Evangelium so weitersagen, dass die Welt es hört! Aber lasst es uns aus der Leidenschaft und Begeisterung heraus tun, die die Freiheit eines Christenmenschen mit sich bringt. Alle Instrumente der Motivation, alle Methoden der Mitgliedergewinnung und –bindung, alle Personalentwicklungsprogramme für unsere Pfarrerinnen und Pfarrer werden schal und sind am Ende kontraproduktiv, wenn sie zur Hauptsache werden und sich nicht mehr nähren aus der geschenkten Freiheit.“ Lesen Sie den Beitrag von Pfr. Taig, Hof.

Zur Gegenüberstellung: In Kirche der Freiheit, unterzeichnet vom damaligen ratsvorsitzenden der EKD Wolfgang Huber, wurde formuliert:

„Unerlässlich ist es dafür, Ziele zu formulieren, Erfolge zu überprüfen und Teamfähigkeit zu fördern. Der Umfang der von kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erbrachten Leistung wie deren Qualität lässt sich steigern. Orientierungsgespräche, Zielvereinbarungen, 360-Grad-Feed-backs und andere Instrumente können auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Kirche zu Gute kommen. Auch die Mitglieder und die an der Kirche Interessierten werden das mit Freude bemerken. Die Qualifizierung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hat deshalb eine so hohe Priorität, weil die evangelische Kirche die geistliche Qualität ihrer Arbeit steigern und unter diesem Gesichtspunkt Leistung fördern möchte.“ (KdF, S. 65).

Also eine Ohrfeige für den Lehrer?