Archiv der Kategorie:
Selbstverantwortung und Aufsicht

Erfahrungen von PfarrerIn mit kirchenleitendem Handeln: Gesundheit klein gekriegt

10/2015, Hess. Pfarrerblatt,

Leserbrief von Pfr. i. R. Gerhard Roos, Stadland
zu OKR/Personaldezernent Jens Böhm/EKHN: „was kommt den da auf uns zu?“

Unsere Generation hat die Kirche verändert, ist aber auch durch deren Tradition und Strukturen stark verändert worden. Der „Anpassungsprozess“ der Revolutionäre, den Jens Böhm im „Ausblick“ anspricht, war von der erschreckten Administration sichtlich beabsichtigt. So wurde mein Dienstauftrag binnen sieben Jahren drei Mal stark modifiziert, teilweise drastisch erschwert. Den jeweiligen nicht nur „heimlichen Revolutionär“ hat der „unerforschliche Ratschluss der Kirchenleitung“, wie mein Großvater gerne ironisch zu sagen pflegte, selten klein gekriegt, lediglich seine Gesundheit. Hoffentlich geht die aktuelle kirchliche Administration mit der „Generation Y“ behutsamer um!. Mehr dazu, vgl. S. 27+28.

 

Pfarrerschaft: Radikale Vereinzelung bei zunehmender Entsolidarisierung.

09/2015, Pastorenausschuss Hannover, Herbert Dieckmann

‚„Nur ich habe dieses Problem!“
So reagiert zunächst einmal jene KollegIn,
-die auf unverständliche Anweisung ihres Sups zu ihrer KG von 3.000 GG noch zwei weitere vakante Kirchengemeinden mit dann insgesamt 7.800 GG pastoral versorgen soll,

-die kurz vor ihrem 57. Geburtstag mit einem Sup-Versetzungsantrag bedroht wird,

-die vom KV und Sup so bedrängt wird, dass sie in die Psychiatrie flüchten muss,

-die keine Chance sieht, dass ihre sanierungsbedürftige Dienstwohnung endlich renoviert wird,

-die über Jahre mehrere Tausend Euro an Nebenkosten zu viel bezahlt hat,

-die von ihrem Sup. öffentlich in der Zeitung angegriffen wird,

-die sich von ihrem KKA (Kirchenkreisamt)-Leiter gezwungen sieht, ein ungünstiges Wlan-System und einen unvorteilhaften PC-Wartungsvertrag mit dem KKA beizubehalten.

„Bei der KollegIn ist das auch kein Wunder! Mir kann so etwas nicht passieren.“‚

Zum Bericht.

Landessynode Württemberg Juli 2015: Personalpolitik in den 90igern hat bei PfarrerInnen langfristig Vertrauen zerstört.

07/2015,

so Dr. Karl Hardecker, Vorsitzender des Theologischen Ausschusses:
„… Trotz einer falschen Gesamteinschätzung ist dem Artikel an einem Punkt zuzustimmen: dass nämlich diese Art von kurzfristiger Personalpolitik in den 90igern ein Fehler war und langfristig Vertrauen zerstört hat.  Zur Quelle.

An anderer Stelle führt der Autor das Ausmaß des entstandenen Schadens anhand der zu behebenden Defizite aus:

„2. Zur Stärkung des Pfarrberufs muss auch gehören, dass wir sowohl bei unseren Gemeindegliedern als auch bei unseren Pfarrerinnen und Pfarrern das Bewusstsein stärken, Teil derselben Kirche zu sein und sie aus diesem Zugehörigkeitsgefühl Identität und Stärkung erfahren können. Dieses Bewusstsein haben wir in den vergangenen Jahrzehnten vernachlässigt. …“  (sic!)

„Und junge Menschen, die sich für diesen Beruf interessieren, dürfen nicht den Eindruck bekommen, dass ihre Begabung und Arbeitskraft ausgenutzt und zu wenig gewürdigt wird. Das gelingt am einfachsten, wenn sie Pfarrerinnen und Pfarrern begegnen, die ihre Arbeit gern tun und sich mit ihrem Auftrag und mit ihrer Landeskirche identifizieren können. Insofern sind wir dafür verantwortlich, die Rahmenbedingungen des pfarramtlichen Dienstes in den kommenden Jahren so zu gestalten, dass die nächsten Generationen von Pfarrerinnen und Pfarrern ihren Dienst am Evangelium und an den Menschen motiviert und gern tun können und die Arbeitsbedingungen sie nicht hindern, sondern darin fördern, das Evangelium auch in ihrer Zeit glaubwürdig vertreten zu können.“  Zur Quelle.

Die Aufgabe für die sich der Autor verantwortlich sieht im Bild: aus einem Scherbenhaufen neue Vasen kitten. F.S.

 

 

„Führungskräfte, die ihren Mitarbeitern klar signalisieren: Ich stehe hinter dir… agieren extrem gesundheitsförderlich.“ Interview mit der Biologin Carola Kleinschmitt in der FAZ.

05.01.2015, FAZ, Interview mit der Biologin Carola Kleinschmidt.

„…

Frau Kleinschmidt, Sie beschäftigen sich mit neuen Erkenntnissen aus der Stressmedizin. Was hat Sie am meisten überrascht?

Es ist erstaunlich, wie sehr Druck am Arbeitsplatz mit unserem Gefühlsleben zusammenhängt. Wenn ich beispielsweise unter Zeitdruck an einer anspruchsvollen Aufgabe sitze, macht mich jeder, der mich stört, ärgerlich oder sogar richtig wütend. Ich möchte auf keinen Fall scheitern. Da kommen deutlich mehr negative als positive Gefühle auf, übrigens auch bei tollen Projekten…

Also geht es wieder um das große Thema Wertschätzung im Beruf?
Vor allem darum, dass die Anerkennung letztlich ein Signal für die wichtigere Botschaft ist: Du gehörst dazu. Der Düsseldorfer Medizinsoziologe Johannes Siegrist (vgl. Die Ursache für Burnout liegt in der Arbeitswelt) hat das mit seinen Studien zur „Gratifikationskrise“ belegt, in die geraten Menschen, wenn erstens die Anerkennung durch die direkte Führungskraft ausbleibt, sie zweitens nicht den Eindruck haben, das Gehalt sei angemessen für ihren Einsatz, oder sie drittens zu wenig persönliche Entwicklungsmöglichkeiten sehen. Dazu gibt es beeindruckende Zahlen. Menschen mit einer Gratifikationskrise haben ein doppelt so hohes Risiko für einen Herzinfarkt oder eine Depression. Führungskräfte, die ihren Mitarbeitern klar signalisieren: Ich stehe hinter dir, schätze deine Leistung und stärke dich, damit du deine Arbeit gut machen kannst, agieren extrem gesundheitsförderlich…“  Zum vollständigen Text.

Wess Brot ich ess, des Lied ich sing? Über das Problem der Loyalität in den kirchlichen Berufen.

Vortrag von Rechtsanwalt Werner Siebert, Hannover auf der Mitgliedervers. des Thüringer Pfarrvereins in  Neu-Dietendorf, 25.09.14, wir stellen den Schlußabschnitt auf diese Seite. Lesen Sie das Fazit, linke Spalte Mitte.

Pfarrblatt 2015-01-14 22-38-18

Der vollständige Text findet sich im Mitteilungsblatt des Thür. Pfarrrvereins auf den Seiten 33ff.

Antireformatorische Verirrungen. Ein überfälliger Einspruch gegen kirchliche Eignungstests von Pfarramtsstudierenden. Von Prof. Lukas Ohly.

Deutsches Pfarrerblatt 06/2014. Von Lukas Ohly.

„… Die Idee aufwändiger kirchlicher Eignungstests stammt aus der Zeit des Überangebots an Pfarramtskandidaten, nämlich aus den 90er Jahren. Dabei hatte sich bereits in dieser Zeit abgezeichnet, dass die Zahl an Theologiestudierenden mit dem Berufsziel Pfarramt drastisch zurückgehen würde. Schon damals haben Theologieprofessoren den Trend der Kirchenleitungen kritisiert, theologische Kriterien in ihren personalpolitischen Entscheidungen zu missachten und stattdessen auf Mittel des ökonomischen Krisenmanagements zurückzugreifen.1 Flankiert wurde diese Kritik von pastoraltheologischen Studien, die die Professionalität der Pfarramtsausübung an Kriterien banden, die sich nicht mit einer instrumentellen Logik bestimmen lassen.2 Dies gilt sogar für Untersuchungen pastoraltheologischer Herausforderungen, die sich ausdrücklich der betriebswissenschaftlichen Perspektive öffneten.3 Dass der Pfarrer anders ist4, hatte sich zwar landläufig herumgesprochen, taugte aber nicht als ökonomisches Selektionsprinzip. Schon damals wurde vor einem Vertrauensverlust der Kirche bei seinem theologischen Nachwuchs gewarnt.5 Studien belegen seitdem, dass auch erfolgreiche Bewerber nur eine geringe corporate identity zu ihrem Arbeitgeber aufweisen…“ Lesen Sie den vollständigen Artikel.

Von einer Gerichtsverhandlung im Landeskirchenamt in Hannover in Sachen „Ungedeihlichkeit“

03.04.2014

Ich habe am 28. März 2014 eine Gerichtsverhandlung im Landeskirchenamt in Hannover in Sachen „Ungedeihlichkeit“ miterlebt und das Auftreten des Oberkirchenrats Brosch der evangelisch-lutherischen Landeskirche von Hannover beobachtet. Eine seiner abenteuerlichen Argumentationen möchte ich hier öffentlich machen. Es heißt bekanntlich im Pfarrdienstgesetz der EKD § 80, dass eine Zerrüttung zwischen Pfarrperson und Gemeinde auch dann gegeben sei, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen einem Kirchenvorstand und einer Pfarrperson zerstört ist. Doch wie geht das – vor allem dann, wenn der neue Kirchenvorstand erst wenige Monate im Amt ist und es überhaupt erst 5 Kirchenvorstandssitzungen gab? Für Kirchenrat Brosch, den Beauftragten des Landeskirchenamtes in Hannover, überhaupt kein Problem: Vertrauen kann auch ganz schnell entzogen werden und ist dann nicht wieder aufzubauen. Kirchenälteste müssen nur behaupten, dass sie kein Vertrauen mehr zur Pfarrperson haben, dann ist die Zerrüttung gegeben und die Abberufung eines Pfarrers, einer Pfarrerin fällig. Denn „Vertrauen“ bzw. Entzug von Vertrauen seien eine höchst subjektive Sache und mitnichten irgendwie kritisch zu hinterfragen. Daher kann eine solche Aussage auch nicht von Personen eines Kirchenvorstands rechtsmissbräuchlich eingesetzt werden. Man muss ihr einfach nur glauben.
Erstaunlich, wie sich hier ein Jurist in ein psychologisches Gebiet hineinwagt und abenteuerliche Sprüche von sich gibt. Dagegen sei erinnert, was der Pastoralpsychologe Traugott Schall in seinem Beitrag „Kuckucksei im Pfarrerdienstgesetz“ schon 2011 im Deutschen Pfarrerblatt (Heft 6, S.320) schrieb:

„§ 80 nennt als besonderen Tatbestand, dass „das Vertrauensverhältnis zwischen der Pfarrerin oder dem Pfarrer und dem Vertretungsorgan der Gemeinde zerstört ist und nicht erkennbar ist, dass das Vertretungsorgan rechtsmissbräuchlich handelt“. Mit dieser Formulierung haben „die Eltern“ dieses Gesetzes festgestellt, dass der Entzug des Vertrauens eine Handlung ist. Sie unterliegt der Willkür. Und natürlich ist Vertrauen nicht einklagbar. Vertrauen wird geschenkt. Immer aber sind Gefühle im Spiel, dazu Bewertungen von Erfahrungen. „Ich habe kein Vertrauen zu dir“ ist dabei zunächst eine Art „Totschlags¬phrase“. Sie ist genauso zu bewerten wie „Ich habe Angst“. Aus Supervision, Beratung und Psychotherapie heraus ist die angemessene Reaktion die Aufforderung: „Erzähl mir mehr darüber!“ Der Vertrauensbegriff scheint mir aus psychologischer Sicht als Rechtsbegriff ungeeignet. Er eignet sich vorzüglich zum Etikettenschwindel im Machtkampf und zum Kaschieren von Aggressionen nach erlebter Kränkung.“
Und weiter:
„Zerrüttung hat es wie jede andere Störung einer Beziehung mit Emotionen, mit Gefühlen zu tun. Und Gefühle sind veränderbar, wandelbar, mitunter höchst unbeständig. Psychologische und pastoralpsychologische Kompetenz nimmt eine Störung in einer Beziehung wahr, fragt aber zugleich nach den Einzelheiten dieser Störung. Innerhalb einer zeitlichen Abfolge von Beratungskontakten verändern sich Gefühle. Eheberatung heißt manchmal nichts anderes als Menschen über eine schwierige Zeit bringen und ihnen Gelegenheit zum Gespräch zu geben. Bei einer Beziehungsstörung in einer Kirchengemeinde ist Ähnliches anzunehmen. … Ich postuliere: Konflikte, bzw. Zerrüttung zwischen Pfarrer und Gemeinde oder „Vertre¬tungs-organ“ ohne vorherige kompetente und geduldige Beratung und Supervision zu regeln, ist einer christlichen Gemeinde und Kirche nicht angemessen.“

Arme Landeskirche, die sich solcher Juristen bedient!
Aber noch schlimmer: Arme evangelische Kirche, die solche Gesetze macht!
Robin. Zur Quelle.

Empfangend leben. Auf dem Weg zu einem wohltuenden Dienst im Pfarramt. Von Prälat i. R. Dr. Helmut Barié.

„Ruht ein wenig!“ (Mk 6,31) ist das unbekannteste Gebot Jesu. Wer darauf hinweist, blickt in verblüffte Gesichter. Das soll Jesus gesagt haben? Bei uns stehen andere Gebote im Vordergrund. Etwa: „Gebt ihr ihnen zu essen!“ (Mk 6,37) Jesu Anweisung an die Apostel: „Geht ihr allein an eine einsame Stätte und ruht ein wenig“ passt nicht zu einer Kirche, die meint, „Aktivitäten“ vorweisen zu müssen. Sie liegt auch quer zur 2006 formulierten Zielvorstellung im Impulspapier des Rates der EKD: „Im Jahre 2030 haben sich bei den kirchlich Mitarbeitenden Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft … signifikant erhöht.“ (Kirche der Freiheit. Perspektiven für die Evangelische Kirche im 21. Jahrhundert, S. 63)
„Ruhet ein wenig“ sagt Jesus, weil die Lage seiner Mitarbeiter durch den Satz gekennzeichnet ist: „Sie hatten nicht Zeit genug zum Essen.“ (Mk 6,31) Wie tröstlich, dass Jesus seinen Mitarbeitenden verwehrt, sich selber auszubeuten bis zum „geht nicht mehr“. Er sorgt für ihr leibliches Wohl. Nach hartem Einsatz im Kampf gegen Elend brauchen sie Ruhe. Nach der Anspannung im Gespräch mit Schwermütigen und Verzweifelten brauchen sie Entspannung. (Mk 6,12f) So wird „Kirche der Freiheit“ erlebt! In einer Kirche der Freiheit wird mir durch wohltuende Sätze die Freiheit von Zwängen zugesprochen. Wo wir indessen in der Kirche einander ein schlechtes Gewissen machen, entgleitet uns das Evangelium als befreiende Botschaft.

Wechselseitige Unterhaltung und Tröstung
Das Evangelium kann sich keiner selbst sagen. In den Schmalkaldischen Artikeln (Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, 4. Aufl. Göttingen 1959, S. 449) wird im Artikel „Vom Evangelio“ zu den vier gängigen Gestalten des Evangeliums (mündliche Predigt der Vergebung der Sünde, Taufe, Abendmahl, Beichte mit Absolution) noch die „wechselseitige Unterhaltung und Tröstung der Brüder“ (unter Verweis auf Mt 18,20) hinzugefügt. Durch den Zuspruch des Evangeliums „auch per mutuum colloquium et consolationem fratrum“ ist unseren Unterhaltungen zwischen Brüdern und Schwestern ein heilsamer Maßstab gesetzt. Weil Gott, wie die Schmalkaldischen Artikel sagen, „reich in seiner Gnade“ ist, kann auch das Gespräch zu einem Mittel des Evangeliums werden.
Habe ich das in meinem Beruf als Pfarrer an mir selber erlebt? Durchaus! Etwa als ich betrübt darüber war, vieles nicht zu können, und mir ein älterer Kollege auf den Kopf zu sagte: „Sie sind begabt genug.“
Etwa als in einer kleinen Runde bei einer Pfarrkonferenz ein Teilnehmer, der schon nahe an der Grenze zum Ruhestand angelangt war, offen von seinem Herzklopfen vor Krankenbesuchen berichtete. Durch seine „Beichte“ hat er die Stimmung in der Runde, die vorher durch Schilderungen der überaus tüchtigen „Ruhmredigen“ geprägt war, auf einen Schlag heilsam verändert.
Ich denke auch an eine Konferenz, bei der jeder, der aus seiner Tätigkeit ein Beispiel für „best practice“ vorstellen wollte, zuerst von etwas berichten musste, was ihm gehörig misslungen war. Es gab bei dieser Vorstellung des Missratenen viele entspannte Gesichter, oft wurde geschmunzelt oder befreiend gelacht.
Evangelische Freiheit erlebe ich, wo mir in einer Unterhaltung mit Brüdern und Schwestern der Druck von der Seele genommen wird. Wo ich nicht mehr möglichst gut, am liebsten sogar perfekt sein muss. Zur erlebten Freiheit im Gespräch gehört, dass mich andere nicht mit der beeindruckenden Streitmacht ihrer „Aktivitäten“ und durch Aufzählung ihrer Arbeitsfülle einschüchtern.

Sünder auch in unseren glänzendsten beruflichen Unternehmungen
Wir Pfarrer und Pfarrerinnen müssten gewiss gemacht werden, dass wir gratis gerechtfertigt werden als Sünder, für die Christus eintritt. Und zwar nicht obwohl, sondern weil wir Sünder sind, – auch und gerade in unseren glänzendsten beruflichen Unternehmungen und besten persönlichen Werken. Wo Vergebung der beruflichen Sünden durch die wechselseitige Unterhaltung und Tröstung der Brüder und Schwestern empfangen und geglaubt wird, da herrscht fröhliches Leben statt trockener Pflichterfüllung. Da ist auch Seligkeit. Wir leben in der heiteren Gewissheit, dass uns nichts mehr im Kern unserer Person schaden kann, weil Gott für uns ist.
Von Gerd Theißen habe ich es in einer Predigt zum Reformationsfest 2013 in Pfinztal-Kleinsteinbach aufgrund von Röm 8,31-39 so gehört: Die „Stimme der Gesellschaft“ sagt: „Du musst besser werden. Jeden Tag wollen Optimierungsprogramme uns noch effektiver und produktiver machen. Sie verbreiten vor allem die Botschaft: Du bist nicht gut genug! Keiner kommt durchs Leben, ohne dass ihm irgendwann aufgeht: Hier bin ich überfordert.“ … Die christliche Taufe „vermittelt die Verheißung: Gott bejaht dein Leben, auch wenn in ihm noch so viel schief läuft. Auch wenn du noch so sehr scheiterst, versagst, schuldig wirst und Fragment bleibst. Wir sind alle auf die Gnade Gottes angewiesen.“

In der Heiligen Schrift auch Quietive entdecken, nicht nur Motive
Durch die wechselseitige Unterhaltung und Tröstung der Brüder und Schwestern, die sich am Evangelium als einem heilsamen Maßstab orientieren, wird mir auch der Mut zum „Lassen“ zugesprochen, („Segne unser Tun und Lassen“, EG 163). Ich bekomme „Mut zur Lücke“. Ich entdecke in der Heiligen Schrift nicht nur Motive, die mich zum Handeln treiben, sondern auch Quietive, die mich zur Ruhe kommen lassen. In meinem Denken werden die Quietive zum Gegengewicht für die Motive. Guten Gewissens, genauer gesagt: getrösteten Gewissens, gebe ich etwas aus der Hand und gebe mich an das reine Empfangen hin. Durch Sabbat halten kommt Freude am unproduktiven Genießen der Werke Gottes in mein Dasein. Charles H. Spurgeon meint: „Ein Tag in der frischen Gebirgsluft, ein paar Stunden im Waldesschatten würde vielen unserer geplagten Pfarrer … die Spinnweben aus dem Gehirn fegen.“ (Helmut Thielicke, Vom geistlichen Reden. Begegnung mit Spurgeon, Stuttgart 2. Aufl. 1962, S. 192)

Zur Freude entschlossen, vergnügt genießen
„Spiritualität ist das, was wir für uns selber tun.“ So hat es eine Pfarrfrau auf den Punkt gebracht, als ich, weit ausholend, zu erklären versuchte, was unter „Spiritualität“ zu verstehen sei. Wir tun dann etwas für uns selber, wenn wir empfangend leben, statt ständig gebend zu leben. Eugen Roth (Ein Mensch. Heitere Verse von Eugen Roth, München 1932, S. 36) hat mir durch sein Gedicht „Die Torte“ die Freiheit zum „vergnügten Genießen“ zugesprochen.
„Ein Mensch kriegt eine schöne Torte.
Drauf stehn in Zuckerguss die Worte:
,Zum heutigen Geburtstag Glück!‘
Der Mensch isst selber nicht ein Stück,
Doch muss er in gewaltigen Keilen
Das Wunderwerk ringsum verteilen.
Das ,Glück‘, das ,heu‘, der ,Tag‘ verschwindet,
Und als er nachts die Torte findet,
Da ist der Text nur mehr ganz kurz.
Er lautet nämlich nur noch: .. ,burts‘ ..
Der Mensch, zur Freude jäh entschlossen,
Hat diesen Rest vergnügt genossen.“

Pfarrer und Pfarrerinnen, welche die Vorstellung im Griff hat, sie müssten stets „ringsum verteilen“, brauchen einen Kollegenkreis, der sie von dieser zwanghaften Idee frei spricht. Dietrich Bonhoeffers viel zitierte Formel „Die Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist“ (Widerstand und Ergebung. Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft, hg. von Eberhard Bethge, München 11. Aufl. 1962, S. 261) hat viel Gutes gestiftet. Menschen wurden darin bestärkt, sich für andere einzusetzen und nicht zuerst an sich selbst zu denken. Bonhoeffers Formel hat leider auch seelisches Unheil angerichtet, wenn jemand meinte, er habe nur ein Existenzrecht, wenn er für andere da ist. Dann musste er sich ängstlich den Puls fühlen, ob er sich denn auch wirklich genug für andere eingesetzt habe und einsetze. Wer redlich ist, wird merken, dass es nie so ist, wie es sein sollte. Und wer – um Eugen Roths Gedicht aufzugreifen – seine ganze Geburtstagstorte Stück für Stück an andere verteilt, bleibt am Ende doch enttäuscht zurück. Es sei denn, er entschlösse sich zu Freude und genösse vergnügt sein Teil am Kuchen.
Nach meiner Erfahrung in der Seelsorge an Pfarrerinnen und Pfarrern ist beharrliche Überzeugungsarbeit in der wechselseitigen Unterhaltung nötig, auch tröstlicher Zuspruch von Bibelworten, um auf dem Weg zu einem empfangenden Leben voranzukommen. Wo wir mit materiellen und geistigen Gaben, auch mit Gaben des Glaubens beschenkt werden, dürfen wir zunächst einmal dankbar annehmen.
Der eindrucksvollste Satz, den ich in den letzten drei Jahrzehnten in einer theologischen Zeitschrift gelesen habe, stammt von Hans-Martin Barth: „Nicht im Weggeben, sondern im dankbaren Annehmen liegt das erste Gebot, das sich uns mit Gottes guten Gaben verbindet. Im Neuen Testament steht: ‚Nichts ist verwerflich, das mit Danksagung empfangen wird.‘ (1. Tim 4,4) Im Danken wird dem Menschen bewusst, was er hat und wer er ist.“ (Verschwenden. Eine theologische Kategorie? Pastoraltheologie 79, 1990, S. 513) Freilich gilt das nicht nur für mein Danken. Auch wenn andere mir danken, wird mir bewusst, was ich habe und wer ich bin.

Thank you Pastor
Bei einer USA-Reise habe ich am Schriftenstand einer Kirche eine Grußkarte entdeckt, mit der Gemeindeglieder ihrem Pfarrer Dank sagen konnten. Auf der Karte war u. a. zu lesen: „Thank you Pastor. Thank you for taking things of Jesus and imparting them in such a loving way. It is truly a joy to have a pastor whose life reflects the blessing of the Lord.“ Dazu wurde auf 1. Thess 3,9 verwiesen.
Etwas Vergleichbares habe ich in Deutschland nie gefunden.
Sagen wenigstens die Kirchenältesten noch Dank? Eine badische Dekanin und ein badischer Dekan haben auf der Dekanekonferenz am 28.01. 2013 vorgetragen: „Die Grundbefindlichkeit vieler Ehrenamtlicher ihren PfarrerInnen gegenüber ist nicht mehr (wie früher) dankbar, sondern kritisch. Es herrscht eine Hermeneutik des Misstrauens und Verdachts vor.“ (Marlene Schwöbel-Hug und Markus Engelhardt, Blitzlichter zur Situation des (Gemeinde-) Pfarrberufs, Badische Pfarrvereinsblätter 9, September 2013, S. 337)
Mancher mag das für überspitzt halten. Es sei ihm gegönnt, wenn er für seinen Teil eine bessere Erfahrung macht. Aber es lohnt sich, über die Beobachtung der Dekanin und des Dekans nachzudenken. Könnte es nicht sein, dass das kirchliche Reden von einer „Kultur der Wertschätzung“ gerade verdeckt, dass es hinten und vorne an Wertschätzung fehlt?
Wo Pfarrer und Pfarrerinnen für die Talente, die sich in ihrem Wirken zeigen, für die Qualität ihrer Arbeit und für die gewinnenden Seiten ihres Wesens wenig Dank von Gemeindegliedern und Vorgesetzten empfangen, wird es umso mehr darauf ankommen, dass das Danken in der wechselseitigen Unterhaltung der Kollegen und Kolleginnen geschieht.
Freilich hat Erhard Domay (Und es lohnt sich doch. Tagebuch eines Pfarrers, Gütersloh 1977, S. 37) eine Dekanatspfarrkonferenz „sterbenslangweilig“ genannt. Seine Bilanz: „Unerträglich, wie selbstverständlich Pfarrer einander jegliche Anerkennung verweigern können, wie ängstlich sie sein können, wenn es um das Zugeständnis von Defiziten geht, wie misstrauisch, wenn ein anderer ein Verständnis vom Glauben hat, das vom eigenen abweicht!“ (S. 38) Diesem Satz wird mancher zustimmen.

Was ist zu tun? Ich sage es in direkter Anrede:
Liebe Brüder und Schwestern, macht euch auf den Weg zu einem wohltuenden Dienst im Pfarramt. Schließt euch zu kleinen Gruppen zusammen, die sich im Sinne des Abschnitts „Vom Evangelio“ der Schmalkaldischen Artikel wechselseitig unterreden. Worum soll es dabei gehen? Was kann man dabei empfangen? Mit fünf Kollegen habe ich über Jahre hinweg eine Wohltat empfangen, die den anderen und mir geholfen hat, im Gemeindepfarramt wohltuend zu dienen. Wir hatten uns bei einem Pfarrkolleg gefunden, trafen uns fortan aus sechs verschiedenen Kirchenbezirken reihum in unseren Gemeinden für einen Tag des Austauschs und wechselseitigen Trostes und nahmen dafür bis zu 200 Kilometer Anreise in Kauf. Das Geheimnis der wohltuenden Unterredung und der wechselseitigen Tröstung lässt sich durch folgende Stichworte charakterisieren:

Redlichkeit im Austausch, Verzicht auf Prahlerei
Dankbares Benennen und Anerkennen der Talente des anderen, auch seiner anderen Frömmigkeit. Was der Kollege kann, brauche ich nicht unbedingt auch zu können. Froh sein über das, was dem Kollegen gelingt. Teilnehmen an seinem beruflichen Leid und seinen Niederlagen. Sich wechselseitig zu den unscheinbaren Diensten ermutigen, von denen nichts in der Zeitung oder auf der Homepage präsentiert werden kann. Defizite eingestehen. Frei werden von der Rechtfertigung durch berufliche Werke. Anregungen empfangen für die persönliche Fürbitte zugunsten von Kollegen, auch für den Dank für deren besondere Art. Auf berufliche Situationen den Grundsatz aus der Jugendzeit der Reformation praktisch anwenden: „Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan.“ (Martin Luther, Von der Freiheit eines Christenmenschen. Ausgewählte Schriften, hg. von Karin Bornkamm und Gerhard Ebeling, Erster Band, Frankfurt am Main 1982, S. 239)
Und wenn sich einer sein Berufsleben zu sehr von Luthers unmittelbar anschließender These „Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan“ dominieren ließ, war mit ihm die Liebe zu buchstabieren: „Liebe aber, die ist dienstbar und untertan dem, das sie lieb hat.“ (ebd.) Liebe braucht keine Anordnungen von oben; Zielvereinbarungen sind ihr fremd. Pfarrern und Pfarrerinnen ist ein freier Beruf anvertraut. Freilich muss die Freiheit durch uns selber gelebt und entschlossen verteidigt werden.

aus: Pastoralblätter – Predigt – Gottesdienst – Seelsorge: Die Praxis, 2014/04, Kreuz Verlag Freiburg, S. 318 ff

Mit freundlicher Genehmigung des Autors Prälat i. R. Dr. Helmut Barié, 76275 Ettlingen, Heinrich-Magnani-Str. 10, helmut.barie@gmx.de

Zerrüttungsprinzip in der Kirche?

Anmerkungen zu einem fragwürdigen Rechtsprinzip und dem Urteil eines Kirchengerichts vom 29.11.2013 von Professorin Gisela Kittel und Hans-Eberhard Dietrich, Dezember 2013


Damit reiht sich diese Entscheidung in die unendlich große Anzahl all der Urteile ein, die seit der Einführung von Ungedeihlichkeit und Wartestand im Jahre 1939 ergangen sind. Damit bleibt aber auch die Kritik an diesem Recht bestehen, die seit mehr als 75 Jahren geäußert wird, insbesondere aber in den letzten 10 Jahren in der Fachliteratur veröffentlich wurde. Um nur ein paar Kritikpunkte beispielhaft herauszugreifen:

+ Es schadet den betroffenen Gemeinden und dem Ansehen der Kirche:
„Kuckucksei im Pfarrerdienstrecht der EKD. Eine pastoralpsychologische Betrachtung einer konfliktträchtigen Regelung.“ Traugott Schall. Deutsches Pfarrerblatt 6/2011.
Kuckucksei

+ Es ist in keiner Weise mit reformatorischem Amtsverständnis vereinbar:
„Wider Kirchenraub und Kläffer. Luthers Ablehnung einer Zwangsversetzung von Pfarrern.“ Hans-Eberhard Dietrich. Deutsches Pfarrerblatt, 8/ 2008.“
Kirchenraub

Und: „Ohne geistlichen Sinn und biblische Weisung.“ Kirchenrecht darf es nicht ohne Bindung ans Bekenntnis geben. Hans-Eberhard Dietrich. Kirchliche Zeitgeschichte 2/2009.
OhneSinn

+ Es wird von der Kirchenverwaltung als „Unrühmliches Instrument kirchlicher Personalplanung“ missbraucht. „Wartestand – ein unrühmliches Kapitel kirchlicher Personalplanung“. Hans-Eberhard Dietrich. Deutsches Pfarrerblatt 2/2010
UnrKapitel

+ Das Zustandekommen der „nachhaltigen Störung“ wird als Willkür empfunden:
„Ist Willkür theologisch zu begründen? Oder Wie häretisch ist der Wartestand?
Karlheinz Drescher-Pfeiffer, Deutsches Pfarrerblatt 3/2011.
Willkür

Frau Professorin Kittel ist zuzustimmen, wenn sie sagte, dass die Diskussion über die Ungedeihlichkeit trotz des neuen Pfarrdienstrecht weiter gehen muss, und zwar im Interesse der Kirche und der gesamten Pfarrerschaft.
Mehr dazu.

Traugott Schall im Dt. Pfarrerblatt 6/2011 (s.o.):

„Zerrüttung hat es wie jede andere Störung einer Beziehung mit Emotionen, mit Gefühlen zu tun. Und Gefühle sind veränderbar, wandelbar, mitunter höchst unbeständig. Psychologische und pastoralpsychologische Kompetenz nimmt eine Störung in einer Beziehung wahr, fragt aber zugleich nach den Einzelheiten dieser Störung. Innerhalb einer zeitlichen Abfolge von Beratungskontakten verändern sich Gefühle. Eheberatung heißt manchmal nichts anderes als Menschen über eine schwierige Zeit bringen und ihnen Gelegenheit zum Gespräch zu geben. Bei einer Beziehungsstörung in einer Kirchengemeinde ist Ähnliches anzunehmen. … Ich postuliere: Konflikte, bzw. Zerrüttung zwischen Pfarrer und Gemeinde oder „Vertretungsorgan“ ohne vorherige kompetente und geduldige Beratung und Supervision zu regeln, ist einer christlichen Gemeinde und Kirche nicht angemessen.“

 

Kirchenverwaltung überlässt Pfarrerin der BILD-Berichterstattung

Die Bild-Zeitung ist für ihre tendenziöse Berichtserstattung berüchtigt. Daher will man niemanden wünschen, das ein persönlicher oder beruflicher Konflikt einseitig in diese Zeitung transportiert wird. Es ist kaum auszumalen welche Konsequenzen das für die Betroffenen haben kann. Eine breite Öffentlichkeit ist plötzlich von der einseitigen Darstellung überzeugt. Eine Richtigstellung ist dann kaum mehr möglich und der Schaden für die Person und die Kirche immens.

In Zschernitz sprach die Kirchenverwaltung mit der Bild-Zeitung. Doch statt sich schützend vor die eigene Mitarbeiterin zu stellen, fand die Sichtweise der Pfarrerin keine Berücksichtigung.

Lesen sie hier die Hintergründe bei D.A.V.I.D.