Archiv für den Monat: Februar 2014

TTIP: Abgeordnete für mehr Transparenz

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit – 19.02.2014

Peter Fuchs vom Verein PowerShift warf der EU-Kommission vor, Dokumente bewusst unter Verschluss zu halten. Sie habe
offenbar kein Interesse daran, mit den Bürgern, den Parlamenten und der Wissenschaft über die Details des geplanten Abkommens zu sprechen. Besonders kritisch wertete Fuchs die im TTIP vorgesehenen Schiedsgerichtsverfahren. Sie zielten auf eine „materielle und prozedurale Besserstellung von ausländischen Investoren“ ab. Wenn das Abkommen wie geplant in Kraft trete, würden künftig anstelle von nationalen Gerichten Investitionsschiedsgerichte über Regulierungen, administratives Handeln und die Frage, ob Schutzstandards von Unternehmen eingehalten wurden oder nicht, entscheiden. Sollte die EU das Freihandelsabkommen unterzeichnen, bedeute dies eine „gefährliche Blanko-Unterwerfung unter die Schiedsgerichtsbarkeit“, warnte Fuchs die Abgeordneten. Die Schiedsgerichtsbarkeit zu kritisieren, sei keine „emotionale Panikmache“, sondern es gehe darum, die ordentliche Gerichtsbarkeit gegenüber intransparenten Schiedsverfahren zu verteidigen, erklärte Fuchs. Zum Bericht des Bundestages.

TAFTA: Das Kapital gegen den Rest der Welt

von Michael R. Krätke in: Blätter für Deutsche und internationale Politik.
Was allerdings pessimistisch stimmen muss: Die erste Schlacht um TAFTA/TTIP ist längst verloren. Denn die Verhandlungen zwischen der EU und Kanada um ein ganz ähnliches Abkommen namens CETA sind bereits abgeschlossen. Zwar sind die Vereinbarungen noch geheim, an einem Vertragstext wird noch gebastelt, aber große Änderungen dürfen wir nicht mehr erwarten. Nach allem, was wir wissen, haben sich weder die EU-Kommission noch die kanadische Regierung um die Bedingungen der EU-Parlamentarier geschert: Vorrang für den gewöhnlichen Rechtsweg und für die nationale Gerichtsbarkeit vor dubiosen Schiedsgerichten. Deshalb bleibt dem EU-Parlament gar nichts anderes übrig, als den Vertrag schon wegen der vorgesehenen Schiedsgerichtsbarkeit insgesamt abzulehnen. Sollte CETA dagegen in Kraft treten, während die Verhandlungen zu TAFTA/TTIP noch laufen, hätten die Amerikaner einen entscheidenden Vorteil errungen. Über ihre kanadischen Standorte und Töchter können die US-Konzerne dann jederzeit zu gleichen Bedingungen auf den europäischen Markt vordringen wie kanadische Unternehmen – umgekehrt wäre das schon erheblich schwieriger. Eigentlich bräuchten die Amerikaner TAFTA dann gar nicht mehr. Zum Artikel.

Der Zwerg reinigt den Kittel – Rezension

Der Zwerg reinigt den Kittel, Roman von Anita Augustin

„Sitzen vier Omas im Knast. Klingt wie ein Witz, aber Humor haben die Damen gerade keinen, dafür ein Problem. Schwere Körperverletzung, wahrscheinlich mit Todesfolge. Ursprünglich war das anders gedacht: Ferien für immer im Altenheim. Die Idee war gut, die Wirklichkeit nicht so. Club Tropicana hat zwar keine erwartet, aber diese Endlagerstätte für senile Altlasten auch nicht: talentfreie Zivis, verrückte Mitinsassen, sadistische Oberschwestern – irgendwann reicht’s. Die vier Alten schlagen zurück, und das klingt schon wieder wie ein Witz, ist aber keiner. Ein böser Spaß für alle, denen „Einer flog übers Kuckucksnest“ eine Spur zu sozialromantisch war.“ (Klappentext)
Rezensionsnotiz zu einer Rezension von Sabine Vogel in der Frankfurter Rundschau, 25.08.2012:
Rezensentin Sabine Vogel hat ihre helle Freude an Anita Augustins „furiosem Debütroman“, in dem ein paar Renterinnen beschließen, Demenz vorzugaukeln, ins Altenheim zu ziehen und damit auf Krankenkassenkosten Vollverpflegung zu genießen. Doch der Plan hat seine Tücken und bietet damit Anlass zu zahlreichen „Kalauerkanonaden“, nach denen sich Vogel genauso die Finger leckt wie nach den fantasievollen und schwarzhumorigen Metaphern, mit denen die Autorin höchst anschaulich den körperlichen Verfall im Alter vor Augen führt. Ähnlich begeistert ist die Rezensentin von einem (nicht näher beschriebenen) doppelten Boden in der Geschichte, der diese schließlich in die Nähe der „Entsorgungsvision“ des Science-Fiction-Klassikers „Soylent Green“ rücke. Rundum beglückt resümiert Vogel die Lektüre: „Grandios!“

Oekumenische Versammlung 2014 in Mainz

Eine Oekumenische Versammlung wird für 30. April bis 4. Mai 2014 nach Mainz am Rhein einberufen.

Sie soll den gemeinsamen Weg von Christen, Initiativen und Kirchen für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung fortsetzen („Konziliarer Prozess“).

Oekumenische Versammlungen haben auf verschiedenen nationalen, europäischen und internationalen Ebenen in den vergangenen 30 Jahren unter anderem stattgefunden in Mainz (1982), Dresden (1988), Stuttgart (1989), Basel (1989), Seoul (1990), Erfurt (1996), Graz (1997) und Sibiu (2007).

Sie wollen Zeichen sein für die gemeinsamen Anliegen nicht nur der Christen, sondern der Menschheitsfamilie auf dem ganzen bewohnten Erdkreis („oikoumene“). Dazu bieten sie Möglichkeiten für gegenseitige Verständigung und Ermutigung. Sie beziehen die Sichtweisen der Anderen, insbesondere der armen Kirchen und Länder des Südens ein. Sie analysieren, orientieren sich an den Leitlinien der biblischen Überlieferung und erarbeiten Handlungsoptionen mit Selbstverpflichtungen sowie Anforderungen an Kirche und Politik.

Der Anstoß zur OeV 2014 stammt von ökumenischen Zusammenschlüssen, v.a. dem Oekumenischen Netz in Deutschland. Projektträger ist die Stiftung Oekumene.

Zur Seite und Anmeldung.

Wohin geht die Kirche? – Sechs Punkte für einen tragfähigen Weg in die Zukunft. Alternative Positionen zu dem 2006 initiierten Reformprozess in der EKD

Arbeitskreis Zukunft der Kirche
c/o Pfarrer Maximilian Heßlein

Einleitung

Am 17. Mai 2013 hat in der Christusgemeinde Heidelberg ein Workshop zu den Zukunftsfragen der Kirche stattgefunden, an dem etwa 50 Menschen aus verschiedenen Gemeinden Heidelbergs und der Umgebung teilgenommen haben. Dieser Workshop war Teil der Vortragsreihe Wohin geht die Kirche?, die von November 2012 bis Juni 2013 in der Christuskirche Heidelberg stattgefunden hat.

Unter dem Eindruck verschiedener Vorträge von Isolde Karle bis zu Heinrich Bedford- Strohm waren die Teilnehmer des Workshops gebeten, aus ihren unterschiedlichen Erfahrungen mit der Kirche eine Vision der zukünftigen Gestalt der Kirche zu entwickeln.

Der Arbeitskreis Zukunft der Kirche in Heidelberg hat die Ergebnisse gesichtet und zusammengefasst.

Die These stellt dabei die grundsätzliche (Heraus-)Forderung an die Kirche dar, der Zustand ist eine Beschreibung, wie die Kirche gegenwärtig empfunden wird, während die Vision einen möglichen Weg der Kirche in die Zukunft bietet.

Punkt 1: Kirche und Verkündigung

These
Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen. (Mt 18,20)
Die Verkündigung des Wortes Gottes findet redend und handelnd in der persönlichen Begegnung von Menschen statt.

Zustand
Die aktuelle gesellschaftliche Entwicklung zwingt uns, flexibler und mobiler zu leben. Daraus entstehen unterschiedliche individuelle Erwartungen. Deshalb fühlt sich die Kirche genötigt, mit medialen, unverbindlichen und punktuellen Angeboten Menschen für sich zu gewinnen.

Vision
Die Kirche ist in der mobilen Gesellschaft ein Ort der Ruhe und Verlässlichkeit.Sie setzt auf eine Verkündigung, die zu einer beständigen Gemeinschaft führt. Dort werden in der persönlichen Begegnung die Bedürfnisse der Menschen aufgenommen.

Punkt 2: Kirche und Kreativität
These
Wir aber haben nicht empfangen den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit. (2 Tim 1,7)
Der Heilige Geist schenkt der Kirche kreative Spielräume. So kann sie offen, angstfrei und vielseitig ihr Leben entwickeln, erproben und gestalten.

Zustand
Die Kreativität wird in der Kirche zunehmend zentral gesteuert. Das erschwert die Reaktion auf Veränderungen in den einzelnen kirchlichen Handlungsfeldern.

Vision
Die Kirche vertraut auf das kreative Potenzial des Heiligen Geistes. Diese Kreativität ist prozess- und nicht ergebnisorientiert. Sie stiftet Gemeinschaft und verbindet Menschen über ihre eigenen Grenzen hinaus.

Punkt 3: Kirche und Verantwortung

These
Seid allezeit bereit zur Verantwortung vor jedermann, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die in euch ist. (1 Petr 3,15)
Das kirchliche Leben kann nicht auf Einzelne reduziert oder an Einzelne delegiert werden, sondern es speist sich aus der Beteiligung aller.

Zustand
Die Kirche fungiert zunehmend als dienstleistende Verwaltungseinheit unter Vernachlässigung ihrer geistlichen Grundlagen. Sie wird von den meisten Menschen als Dienstleister auch in Anspruch genommen und dennoch kritisiert.

Vision
Die Kirche lebt aus der verantworteten Gemeinschaft aller. Sie versteht sich als Beteiligungskirche und nicht als Betreuungskirche ihrer Mitglieder.

Punkt 4: Kirche und Ehrenamt

These
Was ihr getan habt einem meiner geringsten Brüder, das habt ihr mir getan. (Mt 25,40)
Das Ehrenamt ist ein Dienst am gesamten Leib Christi. Es lebt von der Eigeninitiative in einem verlässlich gestalteten Rahmen und will nicht hierarchisch gesteuert werden.

Zustand
Die heutige Gesellschaft erschwert dauerhaftes und verlässliches ehrenamtliches Engagement. Dennoch sind Menschen bereit, geistliche und handelnde Verantwortung zu übernehmen. Diese Bereitschaft konterkariert die Kirche in zweierlei Hinsicht: Einmal verhindert sie eigenständiges und verantwortliches Handeln durch zunehmende zentralistische Steuerung. Zusätzlich delegiert sie Verpflichtungen von beruflich Beschäftigten an Ehrenamtliche. Damit geht der Charakter des Ehrenamtes verloren.

Vision
Es gibt eine Basis aus gut ausgebildeten beruflich Beschäftigten, die die Grundlage für freiwillige ehrenamtliche Arbeit schaffen. Durch das Ehrenamt wird die Vielfalt des kirchlichen Gemeindelebens weiter ausgebaut. Dabei werden beide Ämter nicht gegeneinander ausgespielt, sondern in ihrem Wert für das Leben der Kirche geschätzt.

Punkt 5: Kirche und Organisation

These
Jesus Christus spricht: Ihr wisst, dass die Herrscher ihre Völker niederhalten und die Mächtigen ihnen Gewalt antun. So soll es nicht sein unter euch; sondern wer unter euch groß sein will, der sei euer Diener. (Mt 20, 25.26)
Die Umsetzung der These 4 der Barmer Theologischen Erklärung ist kein Lippenbekenntnis, sondern Handlungsauftrag:
Die verschiedenen Ämter in der Kirche begründen keine Herrschaft der einen über die anderen, sondern die Ausübung des der ganzen Gemeinde anvertrauten und befohlenen Dienstes.

Zustand
Innerhalb der Kirche wächst die Macht der Kirchenleitung, der sog. Mittleren Leitungsebenen und der Serviceämter. Die eigentlich verantwortlichen synodalen Gremien sind dadurch de facto außer Kraft gesetzt. Dies führt zu einer schleichenden Entwertung und Missachtung der gewählten Verantwortlichen.

Vision
Die gemeinschaftliche Leitung in der Kirche geschieht in einem konziliaren Prozess unter Beteiligung der Betroffenen. Das öffnet Handlungsspielräume und wahrt umfassende Entscheidungskompetenzen. Die Organisation der Kirche bildet keine übergeordneten Machtstrukturen aus, sondern gewährleistet den Verkündigungsdienst.

Punkt 6: Kirche und Finanzen

These
Geldgier ist eine Wurzel alles Übels; danach hat einige gelüstet, und sie sind vom Glauben abgeirrt und machen sich selbst viel Schmerzen. Aber du, Gottesmensch, fliehe das. (1 Tim 6,10.11)
Der zentrale Auftrag der Kirche ist die Verkündigung des Gotteswortes. Alles andere hat sich diesem Auftrag unterzuordnen.

Zustand
Die Kirche finanziert sich vor allem über die Kirchensteuer. Diese wird aber inzwischen nur von einem Drittel der Kirchenglieder gezahlt. Die für die kommenden Jahre prognostizierten Finanzprobleme bereiten der Kirchenverwaltung Sorge. Der dadurch auferlegte Sparzwang führt zu Personalabbau und paradoxerweise zu vermehrter Beschäftigung von Fremdfirmen. Dadurch entfernt sich die Kirche von ihrem Verkündigungsauftrag.

Vision
Die Kirchensteuer wird ergänzt durch weitere Finanzmittel und Beiträge. Die Kirche sorgt für Transparenz in allen Finanzfragen und gewährleistet eine gerechte Verteilung der verfügbaren Mittel, um den Verkündigungsauftrag nachhaltig zu sichern.

Heidelberg, 30. Januar 2014
Arbeitskreis Zukunft der Kirche
c/o Pfarrer Maximilian Heßlein
Zähringerstraße 26
69115 Heidelberg

Kirche und Pfarrpensionen. Zur Struktur einer Diskussion.

von Christoph Fleischmann

Die Kirchen in Deutschland sind wohlhabend – und doch hören das die Kirchenleitungen nicht gerne. Sie finden, dass sie viele Aufgaben zu schultern und deswegen das viele Geld nur zu bitter nötig hätten. In den evangelischen Kirchen wird in diesem Zusammenhang auch auf die Pensionslasten der Kirchen verwiesen, also die Kosten für die Pfarrerinnen und Pfarrer im Ruhestand, die in den folgenden Jahren, wenn die geburtenstarken Jahrgänge in den Ruhestand gingen, noch deutlich zunähmen…

Pfarrer Christoph Bergner war rund 18 Jahre im Finanzausschuss der Synode der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau; seiner Erfahrung nach schätzte seine Kirche sich immer ärmer ein als sie war:

„Als wir angefangen haben mit den Sparmaßnahmen, das war in den Jahren 94/95, dass das vorgetragen wurde von der Kirchenleitung, habe ich diesen Prognosen getraut. Und ich habe erst nach acht Jahren Mitgliedschaft im Finanzausschuss zum ersten Mal – und zwar aufgrund eines großen Streits – die Möglichkeit gehabt zu erfahren, was eigentlich an Geldern in der Landeskirche war; und hab da gemerkt: Unter diesen Bedingungen stimmen die ganze Annahmen nicht. Und seitdem bin ich an dieser Stelle sehr kritisch, und das hat sich auch bewahrheitet in den letzten zehn Jahren. Ich habe immer wieder gesehen: Die Prognosen und was ist hinterher dabei rausgekommen. Bei einem soliden Haushalt muss ein ordentlicher Finanzreferent immer so ein bisschen bescheidener schätzen, das ist ja auch gut, dann kann man Risiken auch abfangen im laufenden Jahr, aber wenn am Schluss 30, 40, oder 50 Millionen übrig sind, dann muss man irgendwann mal fragen: Stimmen denn auch die Prognosen so?“

Christoph Bergner, Autor des Buches Die Kirche und das liebe Geld, sah wie unter dem Eindruck negativer Finanzprognosen Sparmaßnahmen beschlossen wurden:

„Und die Mehreinnahmen, die man hat, die kann dann die Kirchenleitung für bestimmte Projekte benutzen. Der demografische Wandel wird in den Gemeinden abgebildet: Ihr kriegt jetzt da keinen Pfarrer mehr und da keinen Pfarrer mehr, aber das Geld, das da ist, wird dann für andere Projekte verwendet. Oder eben in irgendwelche Rücklagen getan.“ …

Zum Artikel.

 

Die Lehre aus dem Finanzskandal im Ev. Dekanat München

von Friedhelm Schneider

Eigentlich kann sie einem leid tun, Barbara Kittelberger, die Stadtdekanin von München. Denn eigentlich hatte sie alles richtig gemacht: eine zeitgemäße, ethisch korrekte, risikoarme, verordnungskonforme Anlage wollte sie und wollte ihr Beschlussgremium. Eine Anlage also, die zeitgemäßem protestantischem Selbstverständnis entspricht. So weit, so gut. Doch dann kam alles anders. Heute ist klar: gut 5 Mio. der über ca. 30 Mio. Rücklagen des Dekanates sind perdu, vielleicht sogar bis zu 13 Mio. . Größer als der finanzielle Schaden ist aber der Image-Schaden. Die Dekanin wird jetzt in den Medien auch mal in einem Zug genannt mit ‚Protzbischof‘ Tebartz-van Elst. Selbstverständlich mit Betonung der Unterschiede. Aber beim unkritischen Leser bleibt dennoch der Eindruck von einer gewissen Ähnlichkeit der Fälle hängen. Für die betroffene Person, Dekanin Kittelberger, ist das fatal. Fatal ist das auch für die Kirche in München, die Bayerische Landeskirche, ja die Ev. Kirche insgesamt. Seit Jahren prangern Kritiker den Reichtum der Kirchen an. Seit Jahren haben Menschen aus der Kirche selbst Zweifel, ob mit den gezahlten (hohen) Kirchensteuern denn auch sorgsam umgegangen wird. Seit Jahren sind die Finanzen für indifferente Kirchenmitglieder ein Hauptgrund für Kirchenaustritte. Mag also die Frage der Finanzen theologisch peripher sein, so ist sie doch sowohl aus der Perspektive eines wirksamen Managements als auch in Hinsicht auf die Mitgliedschaft zentral. Man kann sagen, es ist die Achillesferse der Organisation. Und die Achillesferse ist in diesem Fall getroffen. Das Medienecho ist der Beweis.
Kurz zum Fakt: Die besagte Anlage war gemäß den Kriterien in korrekten Beschüssen gefasst. Es gab korrekte Anweisungen der – gemäß noch gültigem Kirchenrecht – weisungsbefugten Dekanin an die Verwaltung. Vielmehr seien „die Geschäftsprozesse“ im Kirchengemeindeamt „völlig unzureichend ausgestaltet“ gewesen. Und die Überwachung funktionierte nicht. Das richtet sich an die Adressen des Finanzabteilungsleiters und Verwaltungsamtsleiters. Verantwortlich für die Fehlinvestition und den Skandal ist ganz offensichtlich nicht die Dekanin oder das Beschlussgremium, sondern eben der Finanzchef, Abteilungsleiter Andreas R., ein ehemaliger Banker. Der Staatsanwalt ermittelt. Das einzige, was man der Dekanin vorwerfen könnte ist, dass sie nicht auch noch ausreichend kontrolliert hat, ob ihre Anweisungen auch tatsächlich umgesetzt werden. Weitere Details im Bayerischen Sonntagsblatt.
Leser aus anderen Landeskirchen, etwa der EKiR, werden sich jetzt die Augen reiben. Keine Sorge: Sie haben richtig gelesen. In Bayern gehen die Uhren noch etwas anders, auch in der Landeskirche. Noch. Streift man das Lokalkolorit ab, dann stößt man im Hintergrund des Skandals auf einen tiefsitzenden, ca. 20 Jahre währenden Konflikt innerhalb der Landeskirchen, man müsste besser sagen: einen Machtkampf. Es ist der Machtkampf zwischen Theologie und Bürokratie. Hier: der Finanzabteilungsleiter, ehemaliger Banker, der Experte. Der als Autokrat einen seinem Bereich agiert. Und andere hierin als inkompetent einstuft. Die mutige Regionalbischöfin Breit-Kessler, die die Untersuchung ins Rollen bringt, erntet von Seiten der beiden genannten „empörte Reaktionen“ (Sonntagsblatt). Richtig ist: er ist der Experte – der Experte in Finanzfragen, also in Sachfragen. Oder er sollte es sein, wird man ohne Häme hinzufügen dürfen. In diesem Falle reichte seine Kompetenz offensichtlich nicht, fühlte sich aber so und gab in seinem Sachbereich den Autokraten. Hier setzte er sich offensichtlich über Vorgaben und Bestimmungen ( hier z.B. das 4- Augen- Prinzip) selbstherrlich hinweg. Und das geschieht hier offensichtlich in einer gewissen Dreistigkeit. Regionalbischöfin Breit-Kessler: „es war davon die Rede, dass ich keine Kompetenz und kein Durchgriffsrecht hätte“. Eine Dreistigkeit, die auf das Bewußtsein einer gewissen Deckung aus der Organisation schließen lässt. Auch Oberkirchenrat Hübner ist in den Fall involviert. Ab Bekanntwerden des Falls am 02.07. brauchte er über 4 Monate und bis weitere Fälle bekannt wurden, um eine Sonderprüfung zu veranlassen! (Sonntagsblatt). Dass dabei die Erkenntnis dämmert, dass das Anlagegeschäft überaus anspruchsvoll ist, dem die Verwaltungen in ihrer jetzigen Ausstattung nicht gewachsen sind, dämmert jetzt auch in Bayern. Zuvor hatte dies schon eine ebenfalls von Mut zeugende Prüfung des Rechnungsprüfungsamtes für die EKHN aufgezeigt. Erhebliche Kompetenzmängel der Verwaltung werden schlagartig offensichtlich. Leser aus allen Landeskirchen werden entsprechende analoge Beispiele vor Augen haben.

Woran es bei alledem fehlt ist – Managementkenntnis. In solchen Fällen würde die Unterscheidung von Management und Sachaufgaben, wie sie von Prof. Malik in der Artikelserie „Fragen und Probleme rund um kirchliche Reformprozesse“ des Deutschen Pfarrerblattes dargelegt wurde, weiterhelfen. Denn sie würde das nicht nur übertriebene, sondern schlicht dumme Selbstbewußtsein der Bürokratie den Boden entziehen. Die Bürokratie erfüllt Sachaufgaben. Und wenn sie das kompetent erledigt, kann der/die Vorgesetzte (ob Theologe, Laie, Organisation) zufrieden sein. Mehr braucht es nicht! Aber weniger eben auch nicht! Folgt man dieser für das Funktionieren von Organisationen und Betrieben essentiellen Differenzierung, wird man also die Managementfunktion stärken und die Sachfunktionen dort ein- und unterordnen. Bei gutem Management. In der Kirche passiert derzeit genau das Gegenteil. Die Kompetenzen und damit die Macht zwischen Theologie und Bürokratie werden nun auch kirchenrechtlich neu zu Gunsten der Sachfunktion (!) justiert. Und dabei erhalten die Sachfunktionen, genauer: das Finanzwesen, die Funktion des Managements, also der Führung. So jedenfalls das EKD-Muster, das dem Prinzip  nach in der EkiR ( vgl. Kap. A 2 – Verwaltungsstrukturgesetz 2013 Kritische Analyse) und EKBO den Synoden vorgelegt, aber nur in der EKiR beschlossen wurde. Die Synode der EKBO hat den Beschluss abgelehnt. Die Ironie des aktuellen Münchner Finanzskandals: selbst in der Bayerischen Landeskirche – mit einem völlig anderen organisationskulturellen Hintergrund – ist eben diese Diskussion gerade in Gang. Der Kompetenzentzug der Theologie wird also auch dort betrieben. Was daraus bei Skandal oder Missmanagement folgt, wird am aktuellen Finanzskandal überdeutlich: der Theologe/die Theologin wird als RepräsentantIn der Kirche in der Öffentlichkeit nur noch die Prangerposition eingeräumt. Aber er/sie hat dann nicht mehr den Ansatz einer Möglichkeit, das Übel vorher abzuwenden. Denn die Kompetenz dazu ist entzogen – und damit nebenbei auch die Gefahr der Tebartz’schen Protzposition. Bei dieser neuen Rollenverteilung mag es dem einen oder anderen DekanIn mulmig werden. Denn man kennt ja seine Pappenheimer… Und das nicht nur in Bayern (Offensichtlich kennt man die Pappenheimer aber nicht bei der EKD in Hannover…). Klar ist, dass das Problem des zufälligen Münchner Finanzskandals in Zukunft auch in Bayern noch eine strukturelle Fundierung, eine Legitimation der Organisation erhalten soll. Und darin liegt das Problem. Man wird sich dann dreimal überlegen, ob man sich als geeignete Theologin den Dekansposten noch antut. Denn diese Struktur bedeutet nachgerade: organisiertes Ungemach. Weil fehlende Kontrolle neue und größere Skandale provozieren (Ein Blick in die Wirtschaft und Politik liefert Anschauungsmaterial) und weil TheologInnen und mit ihnen die Theologie an den Rand gedrängt werden, die Kirche für die Menschen also belanglos wird. Und eine zunehmend belangloser werdende, vermehrt Skandale produzierende Organisation Kirche – wer braucht die?

p.s.: um Missverständnisse zu vermeiden: Der Autor ist nicht der Ansicht, dass das Problem von Finanzskandalen allein durch die Dominanz von TheologInnen behoben werden könnte. Hier haben zwei mutige Frauen das Übel bekämpft. Sie sind der Beleg, dass die Richtung stimmt. Aber das reicht nicht zu. In wie vielen anderen Fällen haben auch Theologen schon gekniffen? Und kneifen noch? Und: auch Mut allein reicht nicht. Ganz einfach sind Lösungen hier also nicht. Aber vorstellbar, wenn man das Problem ganzheitlich angeht.

Bischof Tebartz-van Elst soll Geld aus Stiftung abgezweigt haben

1⁷.02.14  System der Vertuschung und Verschleierung: Der Bericht der kirchlichen Untersuchungskommision belastet den ehemaligen Bischof Tebartz-van Elst schwer. So soll er Geld aus einer mildtätigen Stiftung zweckentfremdet haben, um die tatsächliche Höhe der Baukosten zu verheimlichen. Mehr dazu in der SZ.

Auch dazu: Der Bischof als Vorglaubender – Die Kritik an Tebartz-van Elst gilt seiner Profanität

14.11.2013 „Wir müssen  die Würde des Bischofsamtes wieder schützen, die ist am Boden.“ Das sagte nach Zeitungsberichten der Kirchenrechtler Thomas Schüller bei einem Symposium in Frankfurt zu den Folgen des Finanzskandals im Bistum Limburg. Stefan Vesper, Generalsekretär des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), forderte . „Wir brauchen eine klarere Beschreibung des bischöflichen Amtes.“ Mehr dazu.