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Reformkritik allgemein

Lasst den Dörfern ihre Kirchen. 15 Thesen zum kathol. Reformprozess von Prof. Gerhard Henkel (Humangeograph) und Prof. Johannes Meier (Kirchengeschichtler)

30. November 2014,Von Gerhard Henkel und Johannes Meier; erschienen in: Christ in der Gegenwart

Wir danken für die Freigabe der Verlinkung des Artikels für den Leserkreis der www.wort-meldungen.de. An dieser Stelle nur ein kurzer Auszug. Vollständiger Text, s.u.

In vielen Bistümern werden aufgrund des Priestermangels Pfarreien aufgelöst. Die Kirche wiederholt damit die Fehler der kommunalen Gebietsreformen und zerstört damit das in Jahrhunderten gewachsene Denken, Fühlen und Handeln der Dorfbewohner für ihre Kirche. Davon sind der Humangeograf mit Schwerpunkt Land- und Dorfentwicklung Gerhard Henkel und der Kirchengeschichtler Johannes Meier überzeugt. Ihre Argumente und Thesen zu den Folgen der Zusammenlegung von Gemeinden sowie zu konkreten Alternativen stellen wir zur Diskussion…

Problemfall Bürokratie
1. Gemeindefusionen dienen in keiner Weise der Seelsorge vor Ort oder gar einem aktiveren Gemeindeleben…

2. Die Kirchengebäude, vor Jahrhunderten von Dorfbewohnern errichtet und – auch in Zeiten der Armut – gepflegt und modernisiert, Mittelpunkte und Symbole des Glaubens und Gemeindelebens, sollen dem Dorf weggenommen und einer anonymen Großgemeinde übereignet werden..

Das größte Eigentor
3. Die kirchlichen Gemeindefusionen wiederholen die gravierenden Fehler der kommunalen Gebietsreformen der zurückliegenden Jahrzehnte in einigen Bundesländern…

4. Der Amtskirche fehlt das Vertrauen in die Gläubigen der Ortskirchen, auf deren Gefühle, Kompetenzen und Kräfte, und in lokale demokratische Gremien…

5. Die Kirche verliert heute immer mehr Gläubige, vor allem im mittleren und jugendlichen Alter. Dazu tragen zurückliegende und aktuelle Missstände in der Amtskirche bei, besonders aber deren Verschleierung und Vertuschung..

Alternative: Verbandsgemeinde
6. Es ist durchaus sinnvoll, die bestehenden Kirchengemeinden organisatorisch miteinander zu vernetzen und von Verwaltungsarbeit zu entlasten. Dieses kann und sollte man zentralisieren. Aber man braucht dazu keine Fusionen…

7. Man kann vorhersehen und teilweise schon beobachten, was nach Fusionen passiert: In der Amtskircheden anonymen Großgemeinden können nicht alle Kirchen, Pfarrheime und Pfarrhäuser „gehalten“ werden…

Unerhörter Weckruf
8. Die zentralen Raumordner im Umfeld der Bischöfe argumentieren gerne mit den Kosten. Manchmal heißt es auch, man wolle die Kirche „demografiefest“ machen. Hehre und hohle Schlagwörter, die Wesentliches außer Acht lassen…

9. Strukturreformen sollten vor allem die Seelsorge und das Mitmachen vor Ort wieder stärken, was in Zeiten zunehmender Kirchenferne – auch auf dem Lande – schwer genug ist…

10. Kommt es zu den Fusionen von Kirchengemeinden, werden die bestehenden Defizite der Landpastoral nur vergrößert…

Leitbild Bürger
11. In unserer Gesellschaft gibt es – nicht nur in der Jugend – ein wachsendes Unbehagen an der Praxis der Demokratie. Durchsteuern von oben nach unten ist nicht zeitgemäß…

12. Die Verantwortlichen in den deutschen Bistümern müssen sich fragen lassen, welche Lehre der Kirche ihr Denken bestimmt…

Was Papst Franziskus möchte
13. In diesem Sinne äußert sich auch Papst Franziskus in seinem Apostolischen Schreiben „Evangelii gaudium“…

14. Die Gesellschaft braucht die Kirche, der ländliche Raum braucht die Kirche. Aber die Kirche nimmt dies und ihren Auftrag zu wenig wahr…

Positives Kirchturmdenken
15. Mit der Auflösung der Ortspfarreien schadet die Kirche nicht nur sich selbst, sondern auch dem Land und seinen Menschen…  Zum vollständigen Text.

Synode der ELK Sachsen: Bischof Bohl äußert Zweifel an den Strukturreformen angesichts anhaltenden Rückgangs der Gemeindegliederzahlen.

Zu Beginn des zweiten Sitzungstages hielt Landesbischof Jochen Bohl seinen diesjährigen Bericht vor der Landessynode, der zugleich der letzte seiner Amtszeit ist. Er widmete sich in diesem Bericht der Frage der zurückgehenden Gemeindegliederzahlen. Die Entwicklung in den zurückliegenden Jahren stelle für ihn und die Landeskirche eine permanente Herausforderung dar. Leider sei es nicht nur eine vorübergehende Schwächephase, sondern ein Trend, der bereits seit 90 Jahren anhält, so Bohl. Dies sei schmerzhaft in einer Gesellschaft, die von Wachstumsdenken geprägt ist…
„Es ist daher von höchster Bedeutung, dass wir uns nicht nur mit Strukturfragen beschäftigen, sondern darüber reden, wie wir geistlich mit der Situation umgehen“, sagte Bohl. Es sei eine geistliche, spirituelle Frage, wie in der Kirche mit Berufsmüdigkeit, Burn-out, Erschöpfung und Vergeblichkeit umgegangen werde… Zur Quelle (dort auch der Wortlaut des Berichts des Landesbischofs).

Drohen den Ortsgemeinden weitere Etatkürzungen? Gundlach: Pfarrer binden Gemeindeglieder nicht mehr.

Beitrag vom 20. Oktober 2014 von Andreas Reinhold

Es war eine illustre Runde, die sich in der Pauluskirche in Bonn-Friesdorf zusammengefunden hatte. Neben dem Vize-Präses der EKD, Dr. Thieß Gundlach, und Manfred Rekowski, Präses der EKiR, hatte Pfarrer Siegfried Eckert noch den Generalsekretär des ZdK Dr. Stefan Vesper zu einem Meinungsaustausch eingeladen. Moderiert wurde die Diskussion, die von BibelTV aufgezeichnet wurde, vom Arzt und Kabarettisten Dr. Eckart von Hirschhausen. Kein Wunder, dass es im Kirchsaal kaum noch Platz gab.

Es ging um die Frage, welche Kirche dieses Land brauche. Siegfried Eckart hat mit seinem gerade erschienenen Buch heftige Kritik an dem Strukturpapier “Kirche der Freiheit” und die sich daraus ergebenden Umbauprozesse in der EKD und EKiR geübt. Leider hatte noch niemand der Gesprächspartner das Buch bis zum Ende durchgelesen, dennoch ergab sich direkt zu Beginn ein bissiger Dialog zwischen Eckert und Gundlach. Der stellte gleich zu Anfang fest, dass die Pfarrerinnen und Pfarrer die Gemeindeglieder nicht mehr binden würden und man sich deshalb überlegen müsse, wie andere Ebenen an deren Stelle einspringen könnten. Auch Rekowski betonte mehrmals, dass nicht alles gut sei in der EKiR und man schauen müssen, wie man auf die Herausforderungen der Zeit zu reagieren habe. Dabei wurde deutlich, dass man sich zwar in der Analyse der Situation durchaus einig ist, aber sehr unterschiedlicher Auffassung darüber, wie die Probleme zu lösen seien…

Zum Artikel.

»Alles ist relativ, außer Gott und der Hunger«. Von Michael Rammminger.

Dieses Manuskript entspricht im Wesentlichen dem Vortrag, den Dr. Michael Ramminger auf der 35. Bundesversammlung der KirchenVolksBewegung Wir sind Kirche am 25. Oktober 2014 in Essen gehalten hat.

…Wir werden also darüber nachdenken müssen, ob und warum wir dieser und diesen Nachfolgegemeinschaften des Namen Gottes noch anhängen, was wir von ihnen noch erwarten und natürlich, was wir dazu tun. Wenn wir allerdings der Meinung sind, dass diese Kirche im Blick auf das kommende Reich Gottes noch einen Sinn hat, dann müssen wir uns in das Gefecht und die Auseinandersetzungen, die ideologischen und politischen hineinbegeben, und das heist aktuell: eine Position zum gegenwärtigen Papst entwickeln, seinen Ansichten, den Möglichkeiten, die er eröffnet, die, wie wir sehen werden, sehr nah an Dom Pedro ist. Fast fünfzig Jahre ist es jetzt her, dass es so schien, als würde sich die katholische Kirche aus seiner knapp zweitausendjährigen Verstrickung in die Geschichte der Macht und der Unterdrückung lösen können. Das zweite vatikanische Konzil war bei aller Begrenztheit für viele KatholikInnen ein Zeichen des Aufbruchs, sowohl nach Innen und nach Außen. Ihm folgen global gesehen, die Theologie der Befreiung und für uns die Würzburger Synode. In ihr ging es nicht nur um die Beteiligung der Laien an der Verkündigung (153) und um Ehe und Familie (411). Das Abschlusspapier „Unsere Hoffnung“ sagt auch:„Das Reich Gottes ist nicht indifferent gegenüber den Welthandelspreisen“ (97). Das war für viele hier eine Zeit des Aufbruchs- und für andere, wie mich, die Grundlage kirchlicher Sozialisation. Aber der Aufbruch währte nicht lange: schon 1978 wurde Johannes Paul II zum Papst gewählt, 1981 Ratzinger um Präfekten der Glaubenskongregation. …

Konservative Bischofsernennungen, die Stärkung des opus dei und die gezielten Einflussnahmen auf die Klerikerausbildung haben uns einen Roll-back beschert, dem diejenigen, die sich am II.Vatikanum oder an der Würzburger Synode orientierten, nicht viel entgegenzusetzen hatten. All das wurde unter dem Vorwand des Abwehrkampfes gegen „Relativismus“ und Glaubensschwäche in Gang gesetzt. (Vgl.Eigenmann/ Ratzingers Jesusbuch). Und als deutlich wurde, dass auch diese Strategie den Bedeutungs- und Mitgliederverlust der katholischen Kirche nicht aufhalten konnte, ging man zu einer neuen Doppelstrategie über: Einerseits Aufrechterhaltung des überkommenen klerikalen Kirchenmodells und andererseits eine sogenannte Modernisierung der kirchlichen Strukturen über Gemeindezusammenlegung und neue Seelsorgekonzepte, die pastoralen Räume. Diese Vorstellung war nichts anderes als der irrwitzige Versuch, den zunehmenden Priestermangel noch einmal durch Vergrößerung der Territorialgemeinden bei gleichzeitiger Besinnung auf das „Kerngeschäft“ (Sakramentenpastoral) zu kompensieren.
Das alles führte dazu, dass sich viele Katholiken noch stärker aus der kirchlichen Arbeit zurückzogen und andererseits klerikale Allmachtsphantasien zunahmen, die sich in sexuellen Ausschweifungen in Priesterseminaren oder feudalen Bischofsselbstverständnissen wie in Limburg oder Regensburg ausdrückten. …

Die Offenbarung Gottes in Jesus als Selbstmitteilung Gottes reduziert sich bei ihm (Benedikt XVI) auf den Glauben, dass es Gott gäbe, und dass er die Fäden in der Hand halte. Die ganze biblische Reich-Gottes-Botschaft vom Ende von Hunger und Gefangenschaft, von Krieg und Sklaverei, von Gerechtigkeit verschwindet. Dagegen müssen wir aber daran festhalten, dass sich in Jesus nicht irgendein Gott offenbart, sondern eben der biblische Gott des ersten und zweiten Testamentes. Der Relativismus von Ratzinger ist darüber hinaus nicht nur eine Entleerung des biblischen Gottesglaubens, sondern es ist geradezu eine Umkehrung. Denn Ratzinger sieht die Gefahr, dass die Reich-Gottes-Botschaft, wo sie sich auf die reale Ungerechtigkeit, den realen Hunger bezieht, in „eine nachchristliche Vision von Glaube und Politik“ transformiert, die sich „als utopistisches Gerede ohne realen Inhalt“ erweist.“ Die ganze katastrophale Kirchenpolitik Ratzingers als Präfekt der Glaubenskongregation und sein tragisches Pontifikat erklären sich von hier aus: Die biblische Entleerung des Gottesglaubens erklärt seinen fanatischen Kampf gegen die Theologie der Befreiung und damit gegen die Armen….„Nicht mehr die Bibel ist die „Norma normans non normata, [die] normierende, nicht normierte Norm“, sondern das kirchliche Lehramt wird zur „Norma normans non normata, [zur] normierenden, nicht normierten Norm“…

Wie auch immer: Die letzten dreißig Jahre waren für notwendige Kirchenstrukturreformen als auch gesellschaftspolitische Positionierungen der Kirche verlorene Zeit…. Der vollständige Text des Vortrags.

Pfarrer-Initiative der Diözese Würzburg: Wir sagen NEIN

Zusammenschluss reformorientierter Priester und Diakone

„WOFÜR WIR STEHEN
In unserer Diözese Würzburg entstehen immer größere pastorale Räume als Antwort auf den sogenannten Priestermangel und die gesellschaftlichen Veränderungen. Wir setzen uns dafür ein, über andere Formen von kirchlichen Strukturen nachzudenken. Die einzelne
Kirchengemeinde ist für uns ein wertvoller Lebensraum. Hier können Menschen ihr Christsein selbst in die Hand nehmen. Hier kann der einzelne Christ sich als Subjekt erleben, er kann Beziehungen pflegen und sich einbringen. In „Großraumpfarreien“ geht der Kontakt untereinander sehr schnell verloren. Die Priester werden zu Pfarrmanagern, sie haben immer weniger Zeit für die Kontaktpflege und die Seelsorge. Sie werden entwurzelt, weil sie zu „Dauerreisenden“ werden.

Im Blick auf diese Entwicklung sagen wir NEIN:

Wir lehnen eine weitere Vergrößerung der Pfarreiengemeinschaften
ab… “

Was von der Pfarrer-Initiative des Weiteres abgelehnt wird, lesen Sie hier.

„Die christliche Kirche ist die Gemeinde…“ (Barmen III). Das Impulspapier der EKD und das evangelische Kirchenverständnis. Prof. Dr. Eberhard L. J. Mechels

Vorbemerkung

Eine persönliche Bemerkung möge mir vorweg erlaubt sein: das Faszinierende und Aufregende am Thema „Kirche“ und an der Lehre von der Kirche, der Ekklesiologie, ist für mich ihre Scharnierfunktion oder Brückenfunktion zwischen der unsichtbaren Wirklichkeit, die Gegenstand des Glaubens ist, und der sichtbaren Welt, die Sache der empirischen Erfahrung ist. Zwar gibt es eine ziemlich lange protestantische Tradition, die gerade diese Vermittlungsfunktion von geistlicher und empirischer Wirklichkeit der  Kirche umgeht oder gar beseitigt. Dann haben wir eine Art Zwei-Bereiche-Lehre im Gebiet der Ekklesiologie. Demnach verhält sich die geglaubte Kirche zu ihrer empirischen Gestalt oder Organisation indifferent. Dann gerät die Ebene der Gestalt, auch der Gestaltung, in die Beliebigkeit. Das bedeutet: die Organisation der Kirche, ihre äußere Gestaltung, ihre Sozialgestalt regeln wir je nach den Erfordernissen der Nützlichkeit, der geschichtlichen Situation, d.h de facto: nach der jeweiligen Verfassung der gesellschaftlichen Umwelt. D.h.: die Kirche hat in diesen scheinbar „äußerlichen“ Belangen keinen eigenen Kompass, sondern ist außengelenkt. Die Fragen der Organisation, der Gestaltung sind Ermessensfragen, sie haben keine geistliche Relevanz und sind in der gegenwärtigen Reformdiskussion bezogen auf Erfordernisse der Integration von Kirche und Gesellschaft. D. Bonhoeffer war als junger Mensch von 21 Jahren  in mancher Hinsicht seiner Zeit theologisch weit voraus, indem er genau an dieser Stelle der Dissoziierung von geistlicher und empirischer Ebene der Kirche das Problem erkannte und  die geglaubte communio sanctorum mit der sozialen Empirie der Kirche wieder auf Tuchfühlung brachte.

In Anlehnung an Lessings Dictum formuliert: Den garstigen breiten Graben zwischen der geglaubten unsichtbaren Kirche und der empirischen sichtbaren Kirche hat er ins Visier genommen. Sein Anliegen steckt bereits im Titel: „Sanctorum communio. Eine dogmatische Untersuchung zur Soziologie der Kirche“. Sanctorum communio ist eine Glaubenswirklichkeit – Soziologie ist eine empirische Wissenschaft, und die dogmatische Untersuchung bringt das in Berührung, sie sitzt genau dazwischen an der Schnittstelle. Und so durchbrach er die ekklesiologische Zwei-Bereiche-Ideologie. Es geht um den Schnittpunkt (das ist der Akzent von A. Denecke) bzw. die Schnittmenge (das ist eher meine Interpretation) zwischen geistlicher und sozialer Wirklichkeit der Kirche. Dieses Bemühen für die heutige Situation fortzuschreiben, das ist ein Weg, um im gegenwärtigen Streit über den Weg der Kirche aus der derzeitigen Blockade, um nicht zu sagen Agonie herauszukommen. In dieser Sache auf Bonhoeffer zu hören ist außerordentlich hilfreich. Um es mit Worten von Eberhard Jüngel zu sagen (er sagte das in Bezug auf Karl Barth): Die Zitrone gibt immer noch Saft.

klicken Sie die entsprechende Überschrift (zum jetzigen Zeitpunkt der vierte Beitrag) an.

Anbetung von Rationalität? Eine pastoralpsychologische Anfrage an Markus Dröge, „Welche Kirche morgen?“ (DPfBl 12/2013)

von Pfr. i.R.  und Dipl. Psych. Traugott Schall

Kein Geringerer als der der leitende Bischof seiner Kirche, Dr. Dr. h.c. Markus Dröge, nimmt zu dem in Gang befindlichen sogenannten „Reformprozess“ in der Evangelischen Kirche Brandenburg-Oberlausitz in einem „klärenden Beitrag aus kirchenleitender Sicht“ Stellung. Der Artikel „Welche Kirche morgen?“ (DPfBl 12/2013) dokumentiert seine Ausführungen.
Schon Überschrift und Beginn seiner Ausführungen hinterlassen Erstaunen und Fragezeichen. Die erste Anmerkung seines Artikels informiert, dass diese Ausführungen auf der Synodal­tagung  des Kirchenkreises Wittstock-Ruppin gehalten wurden. Das lässt aufmerken. Es ist jener Kirchenkreis, der als Modellprojekt durch den Umgang mit der Kirchengemeinde Manker-Temnitztal über die Grenzen Brandenburgs hinaus eher unangenehm bekannt wurde. Die Internetplattform des „Christlichen Vereins Manker-Temnitztal“ als Nachfolgeorganisation der als Rechtskörperschaft aufgelösten Kirchengemeinde spricht dabei von Erscheinungen, die in Anklängen an kirchenbehördliche Machtanmaßungen im Kirchenkampf längst vergangener Zeit denken lassen. „Pfarrer (wurden) mit Amtsenthebungs- und Disziplinarverfahren  schikaniert und der Vorsitzende des Gesamtkirchenrates weggemobbt“. Der Gemeindebrief ergänzt, dass sich die Ältesten der Gemeinde „Verunglimpfungen, Willkürlichkeiten und einseitigen Auslegungen von Rechtgrundlagen“ ausgesetzt sahen und samt und sonders ihr Amt niederlegten. Sie sahen sich einer „von oben durchgeführten Strukturreform“ (sic!) ausgesetzt. In der Dokumentation wird vom gewaltsamen Eindringen von Kirchenleuten in das Pfarrhaus, einer durch Dritte abgesperrten Kirche vor einem Gottesdienst und anderen Absonderlichkeiten berichtet. Der Bischof nimmt mit keinem Wort dazu Stellung. Er führt in seiner theologischen Grundlegung dagegen eine Reihe profund christlicher Grundsätze auf: „Wo Christus herrscht, da werden Menschen zu Schwestern und Brüdern“….  Zum Artikel von Traugott Schall Anbetung von Rationalität.

Revisted: Referat „evangelisch Kirche sein“. Von Professor Dr. Eberhard Hauschildt

EKD-Synode November 2007

Referat zum Schwerpunktthema „evangelisch Kirche sein“
von Professor Dr. Eberhard Hauschildt

daraus hier nur die Merksätze:
„Mein 1. Merksatz lautet deshalb:
Kirche sein heißt Kirche sein aus der Bewegung durch Gott.

Mein 2. Merksatz lautet darum: Kirche sein heißt Institution sein.

Mein 3. Merksatz lautet: Evangelisch Kirche sein heißt: Institution sein ja, aber Institution der Freiheit.

Das ist mein 4. Merksatz, der nun die Herausforderung bezeichnet:
Evangelisch Kirche sein heißt Organisation der Freiheit sein.

Evangelisch Kirche sein, so mein 5. Merksatz, heißt ein Hybrid aus Institution und Organisation bilden. Die Evangelische Kirche tut gut daran, mit beiden Motoren zu fahren.

So lautet mein 6.Merksatz: Eine Organisation der Freiheit organisiert die maßgebliche Beteiligung der Mitglieder an den grundlegenden Entscheidungsprozessen.

Damit ergibt sich als mein 7. Merksatz: Kirche als Organisation der Freiheit ist gekennzeichnet durch theologische Auskunftsfähigkeit über den Horizont ihrer Entscheidungen.

Also lautet mein 8. Merksatz: In der Organisation der Freiheit verweisen Gottesbegegnung und Lebenserneuerung aufeinander.

Mein Merksatz 9: Die Organisation der Freiheit trifft als informierte Organisation theologisch kontrollierte Entscheidungen, damit sie für die Situation passen.

Kirche als Organisation der Freiheit, mein 10. Merksatz, ist gestaltete freie Gemeinschaft von Organisationen.

Mein 11. Merksatz dazu lautet: In einer Organisation der Freiheit sind Beteiligungsrechte und Entscheidungsbefugnisse geklärt und in Balance gebracht.

Für all das brauchen wir nicht entweder Theologie oder Zahlen, sondern Theologie und Zahlen, durch Zahlen informierte Theologie und theologisch gewichtete Zahlen.
(Das ist mein 12. Merksatz.)

Gemeinde von Schwestern und Brüdern – Über Herrschaft und Entscheidung in Kirche und Gesellschaft

von Maximilian Heßlein, Pfarrer der Christusgemeinde Heidelberg

Die sechs Thesen der Barmer Theologischen Erklärung und die dazu gehörenden Verwerfungssätze – sie sind übrigens im Evangelischen Gesangbuch der Badischen Landeskirche unter der Nummer 888 einzusehen – gehören wohl zu den in der Kirche meist zitierten Texten der letzten Jahrzehnte. Sie sind nach meiner Wahrnehmung das neue Bekenntnis der Evangelischen Kirche in Deutschland geworden. Ihre Wirkungsgeschichte ist hoch und an ihrer Aktualität und Zeitlosigkeit besteht kein Zweifel. Es sind auf der Grundlage der Schrift entwickelte Glaubenssätze für das Leben der Kirche in einer feindlichen, die kirchliche Existenz bedrohenden Welt. Damit haben diese Sätze nicht nur Wirkkraft für die Kirche selbst, sondern auch für die Gesellschaft, in der die Kirche existiert.
Solches Bekennen aber führt ja immer auch zu Konsequenzen. Die praktische Umsetzung ist gefragt. Was also mache ich mit den Dingen, die ich da bekenne, ganz konkret? Welche Folgen hat der so artikulierte Glaube für mein Handeln?
In der Kirche dieser Tage wird dabei immer wieder vor allem um die vierte These gerungen:
Die verschiedenen Ämter in der Kirche begründen keine Herrschaft der einen über die anderen, sondern die Ausübung des der ganzen Gemeinde anvertrauten und befohlenen Dienstes.
Das ist im Rückgriff auf Luthers Priestertum aller Gläubigen das Grunddogma evangelischen Kirchenverständnisses heute. Die Kirche ist so gesehen in letzter Konsequenz ein herrschaftsfreier Raum, eine Gemeinschaft von Schwestern und Brüdern, in der Jesus Christus als der Herr handelt. Weil niemand Herr ist außer Christus allein, kann auch keiner über den anderen herrschen. Vielmehr wird in einem freien Miteinander das Wort Gottes in die Welt getragen. Allein das ist die Aufgabe und der Grund unseres Tuns.
Wie aber mache ich das, wenn ich mit der Kirchen auch einen in dieser Welt existierenden Betrieb am Laufen halten muss? Schließlich wissen auch die Barmer Autoren in der fünften These um die Existenz der Kirche in der Welt. Sie ist noch kein Paradies, sondern sie besteht neben der geistlichen Gemeinschaft als weltliche Organisation inmitten der noch nicht erlösten Welt. Sie ist an wirtschaftliche Grundbedingungen gebunden. Ihre Räume heizen sich nicht allein durch die Wärme der Liebe. Ihr Personal, Pfarrerinnen und Pfarrer, Sekretärinnen und Hausmeister, Verwalter und Architektinnen und auch der Bischof können nicht allein von Gotteslohn leben. Die Kirche muss Löhnen zahlen, Arbeitsmaterial beschaffen und ihre Schätze pflegen. In all diesem Tun ist sie als Organisation eingebunden in weltliches Handeln. Ist auch in dieser Organisation Jesus Christus der alleinige Herr der Kirche?
In diesem Spannungsfeld von geistlicher Gemeinschaft und weltlicher Organisation entstehen immer wieder Konflikte um die Wahrnehmung und Wahrung von Interessen und Bedürfnissen. Die Kirche hat in diesen Tagen vor allem mit schwierigen wirtschaftlichen Prognosen zu tun. Die zur Verfügung stehenden Mittel werden wohl auf mittlere Sicht deutlich weniger werden. So steht es zumindest zu befürchten, wenn man den aktuellen Prognosen der Kirchenleitungen folgt. Zugleich ist die bauliche Substanz kirchlicher Gebäude teilweise in einem beklagenswerten Zustand. Die Arbeitsbelastung wird in manchen Bereichen auf immer weniger Schultern verteilt, während an anderer Stelle ausgebaut wird, um die Komplexität der vorgegebenen Abläufe noch im Griff zu behalten.
Dass dabei übrigens die Mündigkeit der einzelnen Schwestern und Brüder gleich mit aufgegeben wird, steht auf einem Blatt, das bisher nur sehr wenige entdeckt haben. Denn je komplexer und spezialisierte die Dokumente oder Pläne sind, desto weniger kann ich selbst einen Überblick behalten. Zurzeit ist das vor allem im Blick auf neue Haushaltspläne deutlich erkennbar. „Wissen ist Macht“, heißt es bei Francis Bacon. Das mögliche Wissen wird aber auf kaltem Weg an vielen Stellen gerade abgebaut. Das wiederum steigert die Macht und damit die Herrschaft derer, die über spezielles Wissen verfügen.
Herrschaft wird dann ausgeübt, wenn jemand Macht über mich gewinnt, über mein Leben zu entscheiden. Wenn ich gezwungen werde, Dinge anders zu tun, als ich das will, dann werde ich beherrscht. Geht das im Glauben? Geht das also in der Kirche, die ich von diesem Glauben nicht trennen kann?
Die Frage, die sich im Zusammenhang der Wahrnehmung der organisatorischen Interessen und des geistlichen Lebens dann stellt, ist letztlich: Hat jemand das Recht über mein geistliches Leben zu bestimmen, weil es aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten angezeigt ist, eine Kirche zu verkaufen oder eine Gemeinde zu fusionieren, die Liturgie oder Gottesdiensthäufigkeit in meiner Nähe zu verändern? Hat überhaupt jemand in der Kirche das Recht, Gelder zur Verfügung zu stellen oder zu entziehen?
Wenn ich nun die These 4 ernst nehme, dann bleibt eigentlich nur der Schluss, dass es eine solche Herrschaft nicht geben kann. Niemand soll unter einer Entscheidung seine Freiheit verlieren. Also müssen Entscheidungen in diesem Feld in einem breit angelegten Kommunikationsprozess unter Beteiligung der Betroffenen geschehen. Es besteht die Aufgabe, die Menschen mitzunehmen, ihre Mündigkeit und ihr Priestertum zu wahren und zugleich nicht zu einem Stillstand im Handeln zu kommen. Das ist zeitintensiv und gesprächsintensiv. Das braucht eine ungeheuer große Wahrnehmung der verschiedenen Menschen einer Gemeinde, eines Stadtteils oder eines Bezirks. Das braucht auch den nahen Kontakt zu den Menschen, Ansprechbarkeit, Freundlichkeit, Ruhe und unendlich viel Zeit und Muße, sich auf Sorgen und Nöte einzulassen.
Nicht zufällig weist die fünfte These nicht nur auf die Verantwortung der Regierenden, sondern auch auf die Verantwortung der Regierten hin. So haben die Regierenden eigentlich keine andere Aufgabe als den Diskussions- und Kommunikationsprozess am Laufen zu halten und fortzuführen, für sein Gelingen zu sorgen und eine Entscheidungsfindung aller Betroffenen zu ermöglichen. Es geht nicht um das Durchsetzen eines Standpunkts, sondern um das Suchen und Finden desselben, der dann in die Tat umgesetzt wird. Die Regierten aber haben die Aufgabe, sich an diesem Prozess zu beteiligen und nicht die Füße hochzulegen und hinterher zu meckern oder alles besser zu wissen. Die Beteiligung der Betroffenen ist aktiv und passiv für dieses Bild der Herrschaftsfreiheit konstitutiv.
Wenn ich nun aber zu dem Schluss komme, dass die Gleichheit aller und die Herrschaftsfreiheit für die und in der weltlichen Organisation der Kirche gilt, dann gilt sie auch darüber hinaus in der Welt selbst. Das heißt sie gilt auch in unserer Gesellschaft, ist zumindest erstrebenswert und als politisches Ziel festzuhalten. Es geht also darum, im Licht des befreienden Gotteswortes ein gesellschaftliches Gebäude zu errichten, in dem die Menschen, die von einer Entscheidung betroffen sind, auf dem Weg der Entscheidungsfindung mitgenommen werden. Sie müssen gefragt und gehört werden und eine gemeinschaftlich getroffene Entscheidung darf die geäußerten Sichtweisen nicht außer Acht lassen. Das ist ein mühsamer Weg, der auch immer wieder dazu nötigt, den Blick des anderen anzunehmen.
Entscheidend für das Gelingen dieses Vorhabens und der Umsetzung dieses Entscheidungsbildes aber ist der Bruch des hergebrachten Verständnisses verschiedener hierarchischer Ebenen, als gäbe es Menschen, die oben sind, und Menschen, die unten sind. Nein, diese verschiedenen Ebenen sind, Barmen zu Ende gedacht, nicht vorgesehen. Es gibt außer Gott niemanden, der über mir steht. Es gibt aber außer Gott am Karfreitag auch niemanden unter mir. Das Gottesbild darin ist noch einmal eine eigene Diskussion wert.
Einen Konsens wird es auf unseren Weg zu verschiedenen Entscheidungen nicht immer geben können. Das gehört zum Status der Erlösungsbedürftigkeit dazu. Aber die Aufgabe steht unter dem Zuspruch Gottes, dass er letztlich alle Dinge trägt. So ist die Suche und der gemeinsame Weg der Entscheidungsfindung schon der eigentliche Zielpunkt.

Quo vadis, EKiR? Über die Reform-ut-ation einer noch presbyterial-synodal strukturierten Landeskirche.

von Andreas Reinhold

Nun ist seit geraumer Zeit eine Entwicklung nicht nur innerhalb der EKiR erkennbar, die Entscheidungs- und Richtlinienkompetenzen in übergeordnete Ebenen (Kirchenkreis, Landeskirche) transferiert und eine stärkere Hierarchisierung mit teilweise verheerenden Auswirkungen auf die Ortsgemeinden bewirkt.5 Begründet wurde und wird dies hauptsächlich mit der Schaffung einer strafferen, effizienteren und damit wirtschaftlicheren Organisationsstruktur, innerhalb der finanzielle Mittel eingespart und vermeintlich effektiver eingesetzt werden können. Prognostizierte Einbußen bei den Kirchensteuereinnahmen, befürchtete Kirchenaustrittszahlen und die Sorge um eine ausreichend gefüllte Pensionskasse bildeten dabei die argumentative Basis, mit der Presbyterien und Kirchenkreise zu entsprechenden Maßnahmen bewogen und Synoden zu entsprechenden Beschlüssen geführt wurden. Dieser Prozess war und ist unübersichtlich vielschichtig und findet bis heute in mehreren Bereichen nahezu gleichzeitig statt. Stichwortartig seien an dieser Stelle genannt:

– die Verwaltungsstrukturreform, mit der Kirchengemeinden dazu angehalten wurden, ihre eigenständigen Ämter vor Ort zugunsten einer zentralisierten Verwaltungsstelle auf Kirchenkreisebene aufzugeben;
– die Personalplanung, die immer deutlicher auf Kirchenkreisebene gehoben wird;
– die Einführung des Neuen Kirchlichen Finanzwesens (NKF), mit dem auf allen Ebenen von der kameralistischen auf die doppische Buchhaltung umgestellt wurde, um einen verbesserten Kontroll- und Steuerungsmechanismus in der Hand zu haben…

Eine theologische Begründung all dieser Maßnahmen, die in weiten Teilen die Entscheidungshoheit der Presbyterien und damit einen Grundpfeiler evangelischen Kircheseins im Rheinland aufheben, zumindest aber einschränken, gab und gibt es bis heute nicht! Vielmehr wurden sie fast ausschließlich mit der erwarteten schlechten finanziellen Gesamtsituation der EKiR gerechtfertigt. Die den Presbyterien, Kreis- und Landessynoden vorgelegten und prognostizierten Zahlen und die hinter diesen Zahlen stehenden Berechnungsmodelle (Stichwort „einfache Formel“10) wurden von den einzelnen Gremien kaum hinterfragt und alternative Szenarien nicht in den Blick genommen. Die Konsequenz: Es gibt keinen Plan B! Die EKiR ist in eine Einbahnstraße eingebogen, die sich für die Ortsgemeinden als Sackgasse entpuppt. Denn alle Entscheidungen der vergangenen Jahre folgen einer einzigen Strategie, die eine Kapitalanhäufung bei gleichzeitiger Etatkürzung in nahezu allen kirchlichen Arbeitsbereichen zum Ziel hat. Zum Artikel.